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Überlasst Ritalin den Experten

UNO-Kinderadvokaten beurteilen die Schweizer Ritalinabgabe an Kinder als «exzessiv». Eine Verschärfung der Verschreibungspraxis könnte das Problem lösen.

publiziert: 05. November 2015
Kommentar von Anja Burri

Plötzlich ist stundenlanges Lernen nach strengen Arbeitstagen möglich. Auch Lehrer und Eltern von Kindern mit der Aufmerksamkeitsstörung ADHS schwören auf das Medikament: Es bringt ihnen das normale Familienleben, den geordneten Schulunterricht zurück. Doch wie weit darf die Gesellschaft gehen, um ihre Kinder zu disziplinieren, auf Leistung zu trimmen? Der Bundesrat und der UNO-Kinderrechtsausschuss sind sich in dieser Frage nicht einig.

Aus der Sicht unserer Regierung bewegt sich der Ritalinkonsum in der Schweiz in einem gesunden Mass. Die Kinderadvokaten der UNO hingegen beurteilen die Schweizer Verschreibungspraxis als «exzessiv». Sie warnen davor, dass Eltern, die sich weigern, ihren verhaltensauffälligen Kindern Ritalin zu geben, zunehmend unter Druck geraten. Und genau da ist der springende Punkt: Wer bestimmt, ob es angemessen ist, ein Kind mit Medikamenten gesellschaftskonform zu machen? Es gibt leider immer wieder Fälle, in denen sich Eltern, Lehrer oder Ärzte mithilfe eines Medikaments aus der Verantwortung stehlen.

Mit Moral kommt man in dieser Frage aber nicht weiter; das zeigen auch die emotionalen, aber bisher ergebnislosen Auseinandersetzungen im Parlament und in den Medien. Die Lösung liegt im Norden: Deutschland macht nämlich seit ein paar Jahren vor, wie es gehen könnte. Dort ist die Verschreibung von Ritalin für Kinder und Jugendliche strenger geregelt. Nur noch Spezialisten, also zum Beispiel Kinderpsychiater, dürfen solche Medikamente verschreiben. Das Risiko für Fehldiagnosen sinkt dadurch beträchtlich. Denn längst nicht jeder Zappelphilipp ist ein ADHS-Fall. Viele dieser Kinder leiden an Depressionen oder an anderen psychischen Erkrankungen. Das muss vor einer Medikamentenabgabe abgeklärt werden.

Leider ist diese Massnahme hierzulande noch chancenlos. Solange die offizielle Schweiz grundsätzlich verneint, dass es ein Problem mit der Ritalinabgabe an Kinder geben könnte, wird dies so bleiben.


Quelle: Tages-Anzeiger

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