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NURIT PELED : Im Bewusstsein der Israelis existieren die Palästinenser nicht.

7. November 2023 Frank Barat mit Prof. Dr. Nurit Peled im Interview
20. November 2023

Transkript

Frank Barat:

Ich wollte heute mit Ihnen über einige Dinge sprechen   – die natürlich alle miteinander zusammenhängen   –, die seit dem 7. Oktober passiert sind: Das aktuelle Massaker in Gaza, aber auch das Schweigen der internen Kritiker in Israel, sowohl in Palästina, im Westjordanland und in Israel selbst.

Zunächst möchte ich Sie fragen: Wie haben Sie von den Ereignissen am 7. Oktober erfahren? Und was war Ihre erste Reaktion darauf?

Nurit Peled:

Nun, ich habe Familie im Kibbuz Be'eri, und als wir davon erfuhren, wie alle anderen durch die Medien, habe ich sie angerufen, und meine Cousine sagte: "Wir verstecken uns." Wir unterhielten uns ein wenig und dann sagte sie: "Sie schießen um das Haus herum. Ich muss aufhören." Und dann schrieben wir uns den ganzen Tag lang SMS. Sie waren etwa 30 Stunden dort, ohne Strom, ohne Wasser, ohne alles. Sie wurden verschont. Aber viele Freunde wurden getötet. Ich kenne viele Leute dort.

Frank Barat:

Es tut mir leid, das zu hören. Davon wusste ich nichts.

Und konnten Sie   – ich meine, ich bin mir nicht sicher, ob Sie seitdem Zeit dazu hatten, weil es einfach nicht aufgehört hat   – tatsächlich eine Pause machen um ein bisschen durchzuatmen? Aber als Sie die Gelegenheit dazu hatten, was haben Sie da gedacht? Wie haben Sie sich gefühlt? Denn ich meine, niemand hatte damit gerechnet, dass so etwas passieren würde, oder?

Nurit Peled:

Ich glaube, viele Menschen haben damit gerechnet, dass das passiert. Ich denke, die Zeichen waren an der Wand. Die Regierung wurde von der Armee, vom Geheimdienst, von den Menschen, die selbst dort leben und die Vorbereitungen gesehen haben und so weiter gewarnt. Aber die Regierung entschied sich, dies zu ignorieren. Und nicht nur das. Sie hat die Armee von der Grenze abgezogen und die meisten Waffen aus den Einheiten in den Kibbuzim entfernt, die diese Orte bewachen sollten, und das geschah sehr kurz vor dem Angriff.

Sie brachten sie in das Westjordanland, um die von programmatischen Siedlern besetzten palästinensischen Gebiete zu sichern. Ich glaube also nicht, dass es für alle eine Überraschung war.

Also, was ich gedacht habe? Nun, ich sage Ihnen, was mir passiert ist: Die Leute fingen gleich an, die Palästinenser mit den Nazis zu vergleichen, und   – wie üblich, wenn Palästinenser gewaltsam auf die Besatzung in Israel reagieren   – stellen sie es als antisemitisches abscheuliches Verbrechen gegen hilflose Juden dar, wobei sie vergassen, dass wir eine Atommacht mit einer der stärksten Armeen der Welt sind und vergassen auch die Besatzung.

So schrieb jemand in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe der Hochschule, an der ich arbeite. Sie zeigten ein von einem Universitätsprofessor veröffentlichtes Video, in dem er sehr akademisch erklärte, warum die Hamas wie Nazis sind. Und ich habe geantwortet, dass sie nicht wie die Nazis sind, denn der Nazismus ist eine Ideologie, die einem Staat mit einer Armee dient, der beschlossen hat, Minderheiten zu vernichten. Und dann sagte ich: Vielleicht sollten wir sie mit anderen besetzten Völkern vergleichen, wie zum Beispiel den Algeriern, und ich zitierte Jean-Paul Sartre, der sagte, dass sie, nachdem sie jahrelang den Absatz deiner Schuhe, deiner Stiefel, im Nacken hatten, plötzlich die Möglichkeit haben, den Kopf zu heben und dich anzusehen. Was glaubst du, was für einen Blick du dort finden wirst? Und ich schloss mit den Worten: Das ist der Blick, den wir am 7. Oktober gesehen haben.

Ich wurde sofort von der Hochschule suspendiert, und das Gute daran ist, dass sich die meisten Dozenten für mich und für die Meinungsfreiheit eingesetzt haben. Und so geht es überall in Israel weiter, überall: In Supermärkten, in Universitäten, in Krankenhäusern, im Bus, auf der Straße. Es herrscht eine Atmosphäre des McCarthyismus. Die Leute haben Angst zu reden   – Juden, aber vor allem Araber, vor allem Araber, und das ist es...

Aber ich glaube wirklich, dass dies eine Revolte gegen die Besatzung war. Eine sehr hässliche, grausame und wütende Revolte. Aber manchmal sind Revolten eben so. Und natürlich sind diejenigen, die den Preis zahlen, nicht diejenigen, die den Preis zahlen müssten.

Frank Barat:

Jedenfalls ergibt alles, was Sie gerade gesagt haben, absolut Sinn. Aber wir leben in einer Zeit, in der man, wenn man rational ist und versucht zu verstehen, wie der 7. Oktober passieren konnte, zu einem, Sie wissen schon... zu einem Monster wird. Das kann man nicht sagen... denn viele Menschen in den Medien, in der Regierung und viele Aktivisten sind damit konfrontiert: Wenn man versucht, etwas zu verstehen, bedeute das, dass man damit einverstanden sei.

Nurit Peled:

Man würde das rechtfertigen. Ja, genau. Wenn man es versteht, rechtfertige man es... Und das ist die Demagogie dieser Leute. Und ich wurde vom Präsidenten meiner Hochschule beschuldigt, mit Mördern mitzufühlen und ihre Verbrechen zu rechtfertigen und so weiter und so fort, ja, natürlich. So bringt man Menschen zum Schweigen.

Frank Barat:

Aber wenn man nicht versucht zu verstehen, woher das kommt, wird man nie eine Lösung für das Problem finden.

Nurit Peled:

Das ist richtig. Das ist genau richtig. Das ist richtig, ja.

Die Leute wollen keine Lösung. Sie wollen... Ich weiß nicht, was sie wollen. Sie wollen Blut. Das ist es, was sie wollen. Und sie sehen nicht, dass dieselben Leute, die die Palästinenser unterjochen, unterdrücken, gefoltert und getötet haben, dies auch gerne mit ihnen tun, wenn es deren Interessen dient.

Frank Barat:

Nochmals, ich könnte nicht mehr zustimmen. Aber alles, was jetzt im Gazastreifen, im Westjordanland und in Israel selbst passiert, macht keinen Sinn, weil es uns nur auf eine noch gewalttätigere Zukunft vorbereitet.

Nurit Peled:

Ja, solange jemand davon profitiert und viele Menschen davon profitieren. Die Besatzung ist ein profitables Geschäft.

Frank Barat:

Eine andere Sache, über die ich mit Ihnen sprechen wollte   – Sie haben es bereits erwähnt   –, aber was jetzt in Gaza passiert, die Vernichtung eines Volkes, ein Völkermord, "den Rasen mähen", das ist der Ausdruck, den die israelische Armee verwendet, kann nicht geschehen, ohne die Palästinenser zuerst vollständig zu entmenschlichen.

Nurit Peled:

Natürlich.

Frank Barat:

...durch Propaganda, durch Lügen. Sie haben tatsächlich ein Buch geschrieben, das...

Nurit Peled:

Ein paar Bücher. Eines ist gerade rausgekommen.

Frank Barat:

Ja, okay, ich muss es mir besorgen. Das Buch, über das ich hier spreche, heißt „Palestine in Israeli School Books   – Ideology of Propaganda in Education“ (Palästina in israelischen Schulbüchern   – Ideologie der Propaganda im Bildungswesen).

Nurit Peled:

Richtig.

Frank Barat:

Können Sie mir kurz schildern, was Sie bei Ihren Recherchen für das Buch herausgefunden haben?

Nurit Peled:

Okay. Wie Sie sagten, muss man, um Menschen zu vernichten, sie entmenschlichen und das eigene Publikum und die eigenen Steuerzahler davon überzeugen, dass die „es verdient haben“. Es gibt mehrere Stufen, um dies zu erreichen. Zygmunt Bauman hat darüber im Zusammenhang mit der Propaganda gegen die Juden geschrieben. Aber es gilt für jede Propaganda und Entmenschlichung von Menschen. Zuallererst macht man also eine Abstraktion aus ihnen. Sie existieren nicht. Palästinenser existieren nicht im israelischen Bewusstsein, in der israelischen Kultur oder in der israelischen Erziehung. Sie sind nur eine Art sehr entfernter, amorpher Feind, eine Gefahr, eine Bedrohung, ein Terrorismus. Und in allen israelischen Schulbüchern   – und es gibt Hunderte davon   – findet man kein einziges Foto eines palästinensischen Menschen. Man findet rassistische Darstellungen von Karikaturen von Alibaba mit einem Kamel, primitiven Bauern, die Ochsen folgen, oder Terroristen. Niemals einen Lehrer, einen Schriftsteller, ein Kind. Nichts. Also gibt es sie nicht. Sie existieren nur als Bedrohung.

Als Bedrohung oder Entwicklungsproblem   – wie man so sagt   – oder als demografische Bedrohung müssen sie eingegrenzt werden. Sie müssen auf Distanz gehalten werden, und das legitimiert die Besatzung und die Militärregierung und so weiter.

Und dann, da sie so ein schreckliches Problem sind, warum sie nicht töten? Warum sie nicht eliminieren? Bauman nennt das die "Gartenbau-Metapher". Er sagt: Auf dem Weg zu einem perfekten Nationalstaat   – der Staat wird wie ein Garten behandelt   – muss man all das schlimme Unkraut ausreissen. Und sie sind das schlimme Unkraut.

Ich denke also, dass dies   – und jetzt komme ich zu meinem nächsten Buch   – wenn es von einer sehr aggressiven, traumatisierenden Holocaust-Erziehung in Israel begleitet wird, dazu dient, die Rache zu verewigen. Aber die Rache richtet sich nicht gegen die Deutschen. Wir sind mit den Deutschen befreundet. Sie richtet sich gegen die potentiellen Vernichter, die Palästinenser, und wenn man die Reden des Premierministers am Holocaust-Tag hört, dann bringen sie immer Palästinenser und Araber im Allgemeinen mit den Nazis in Verbindung.

Und dann gehen die Kinder im Alter von 16 Jahren nach Auschwitz und Treblinka, eingewickelt in eine israelische Flagge, und sie kommen voller Eifer zurück, voller Eifer zu töten. Und diese Erziehung bereitet sie wirklich darauf vor, jeden Palästinenser, egal welchen Alters, als eine Bedrohung zu sehen, die getötet werden muss.

Wenn Sie nun die Geständnisse der Soldaten in dem Buch "Breaking The Silence" (Das Schweigen brechen) lesen, sehen Sie, dass viele von ihnen dasselbe sagen. Sie sagen: "Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass alles, was ich den Palästinensern antue, einen weiteren Holocaust verhindern wird. Erst als mein Gewehr auf das kleine Mädchen gerichtet war, habe ich verstanden, wer böse ist und wer nicht." Diese Erziehung ist also sehr stark und sehr ausgefeilt.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Jahr 2020   – das ist das letzte, das ich überprüft habe   – hat ein Geschichtsbuch, das einen Schüler auf das Abitur vorbereitet, ein Kapitel   – und auch in der Prüfung war es dasselbe   – das heißt: "Die Entstehung des Holocaust-Gedenkens". Und in diesem Kapitel wird über palästinensische Terroranschläge in München, in Entebbe, hier und da berichtet, und es wird gesagt, dass diese Anschläge es den Israelis erleichterten, sich mit den Überlebenden des Holocaust zu identifizieren. Also diese Art von Nazifizierung...

Jetzt werden all diese Terroranschläge, die eine Reaktion auf die Besatzung waren, wieder als antisemitische, abscheuliche Verbrechen gegen unschuldige Juden dargestellt. Ob sie nun Soldaten sind oder nicht, sie sind alle unsere Kinder, unsere unschuldigen Kinder. Und das ist Prüfungsstoff für das Abitur. Dies ist die Summe von allem, was sie gelernt haben.

Also auf der einen Seite gibt es Entmenschlichung und Rassismus. Wenn Sie alle Araber wie Alibaba mit einem Kamel behandeln und es gibt (Styx?   – unverständlich) natürlich begleitend dazu dieses: Die können dies oder das nicht, die mögen den Fortschritt nicht, die haben Angst, modernisiert zu werden, und so weiter und so fort und auf der anderen Seite steht die Nazifizierung dieser Leute. Und das ist eine wunderbare Vorbereitung, eine sehr erfolgreiche, wie wir sehen können, auf das, was wir jetzt erleben, sowohl in der Westbank als auch in der Armee und so weiter. Und es ist sehr schwer für die Menschen, das loszuwerden, sehr schwer.

Frank Barat:

Ich meine, es ist verrückt, wissen Sie... Es ist so tief verwurzelt. Es ist, als ob die Leute schon so früh einer Gehirnwäsche unterzogen werden... Ja... Aber wie Sie schon gesagt haben: Es ist Absicht, wissen Sie, es ist ein Programm...

Nurit Peled:

Oh ja, ja, ja. Wir haben auch alle möglichen Dokumente, in denen steht: Wir müssen ihnen in die Eingeweide schlagen. Wir müssen das Feuer der Rache am Leben erhalten und so weiter und so fort. Das sind Dokumente des Bildungsministeriums.

Frank Barat:

Wie reagieren Sie darauf, dass viele Menschen den 7. Oktober mit dem Holocaust vergleichen oder von einem zweiten Holocaust sprechen?

Nurit Peled:

Nun, wie gesagt. Ich sagte: Es ist eher so wie bei den Algeriern, als sie die Chance hatten, es den Franzosen heimzuzahlen. Die waren nicht nett. Sie waren furchtbar. Aber das ist es. Denn sie sind kein Staat. Sie haben keine Armee. Wir sind keine hilflose Minderheit unter einer Herrschaft... Es ist nicht der Nazismus. Es ist etwas anderes. Es ist schrecklich. Es ist furchtbar. Aber es ist etwas anderes   – vor allem, wenn wir so sehr damit beschäftigt sind, die ganze Gesellschaft zu vernichten.

Wie Sie sich erinnern, gab es im Russell-Tribunal diesen Soziologen Johan Galtung. Er nannte es "Soziozid". Er sagte: Lasst es uns nicht Völkermord nennen, wir können es einfach "Soziozid" nennen, und das ist es, was wir tun.

Frank Barat:

Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht und mit vielen Freunden gesprochen, Palästinensern, Israelis, Europäern. Und ich habe mich gefragt, wie es möglich ist, dass ein Land   – ich meine, nicht alle und nicht jeder Israeli   – aber die Mehrheit eines Landes und eine Armee, Kinder und andere Menschen massakrieren und darauf stolz sein können.

Sie haben erwähnt, warum: Durch Propaganda und dadurch, dass man die Palästinenser zu Ratten, zu Tieren macht. Aber ich habe gedacht, vielleicht geht es noch weiter als das. Denn die ursprüngliche Lüge war: Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land. Aber jeder wusste, dass es eine Lüge war, denn als sie nach Palästina kamen, stellten sie fest, dass es dort Menschen, Märkte und Züge gab.

Glauben Sie also nicht, dass die Tatsache, dass das zionistische Projekt "das Land ohne die Menschen" will, dass nach 1948 bis heute   – also seit 70, 80 Jahren   – die Palästinenser immer noch "auf dem Land" sind, die Israelis verrückt macht?

Nurit Peled:

Bei diesem Satz, diesem Schlagwort "Land ohne Leute für Leute ohne Land" war gemeint: "das würdige Volk", nicht... Alle Kolonialisten, als sie nach Indien, nach Afrika kamen, dachten, es gäbe dort niemand. Okay, außer diesen Barbaren. Das war es also. Es ist nicht so, dass sie dachten, es gäbe dort keine menschlichen Wesen. Es gab sie. Aber wen interessiert das schon? Sie sind es nicht wert, beachtet zu werden, und sie müssen uns danken, dass wir sie kultivieren und so weiter. Das war also der Zweck dieses Satzes.

Ja, und wie ich schon sagte, sie existieren nicht. Wenn Sie zum Beispiel über die israelische Kultur sprechen: Palästinensisch-israelische Schriftsteller, Gedichte, Musiker werden in diesem Diskurs nicht berücksichtigt, obwohl sie israelische Staatsbürger sind. Wenn man über israelische Wissenschaft spricht, erwähnt man keine palästinensisch-israelischen Wissenschaftler und so weiter. Es ist ihnen also sehr gut gelungen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der diese Menschen   – obwohl sie vorhanden sind   – nicht existieren. Das ist der Punkt.

Und jedes Mal, wenn wir die Existenz von jemandem anerkennen, indem wir lächeln oder ihm ein Glas Wasser geben und so weiter, fühlen wir uns so edel, okay? Und das ist ein großer Erfolg...

Wenn wir uns die kolonialistischen Regime ansehen, dann haben sie genau das getan: Ich meine, die Briten in Indien hielten die Inder nicht für würdig, beachtet zu werden oder irgendetwas wert zu sein. Sie waren da, um zu dienen. Aber sie waren nicht als Menschen da. Und so ist es auch hier. Hier ist es dasselbe.

Und wenn sie auf dem Land sind und ein Hindernis darstellen, muss man sie irgendwie loswerden. Und jeder akzeptiert das. Das ist der Punkt.

Frank Barat:

Ich habe eine letzte Frage. Es ist eigentlich keine Frage, und wir können sie vielleicht nicht beantworten. Aber wie geht es jetzt weiter?

Ich meine, jetzt muss natürlich das Massaker gestoppt werden. Es muss einen Waffenstillstand geben, und dann müssen andere Dinge geschehen. Aber ich spreche mit vielen Aktivisten, die sagen: "Das wird alles ändern." Und ich erinnere sie dann daran, dass wir 2008, 2009 nach der "Operation Gegossenes Blei" dasselbe gesagt haben und 2011/12 und 2014 und 2020 und 2016 haben wir dasselbe gesagt: "Israel ist zu weit gegangen. Das wird alles verändern."

Dieses Mal ist es offensichtlich größer als je zuvor. Aber wie stellen wir sicher, dass dies alles verändert, und was bedeutet das?

Nurit Peled:

Nun, ich denke, was geändert werden muss, ist die Definition von Lagern. Wenn Sie sagen: "Wir". Wer sind "wir"? Okay, für mich sind "wir" all diejenigen, die unter der Besatzung leiden. All diejenigen, die Kinder und Familienmitglieder verloren haben und so weiter und so fort. All diejenigen, die wirklich wollen, dass es aufhört.

Und wir haben nicht die Macht, die israelische Armee oder den israelischen Staat mit den 11 Millionen Dollar pro Tag zu schlagen, die die Amerikaner ihnen geben. Das Einzige, was wir für uns tun können   – und wir sind wirklich arm dran   – ist, eine alternative Welt zu schaffen, in der sich unser "Wir" konstituiert. Wir können nichts anderes tun, als uns zu verweigern.

Ich denke, eines der Dinge, denen die Erziehung bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist: Die Kinder müssen lernen, unwürdige Autoritäten abzulehnen, sie nicht zu respektieren. Wissen Sie, es gibt einen großen Respekt vor Autorität. Respektiert die Autorität nicht! Verweigern! Verweigert Befehle! Verweigert Menschen, die es nicht wert sind, dass man auf sie hört und ihnen gehorcht!

Das ist etwas, was wir den Kindern nie beigebracht haben. Wenn wir also diese alternative Welt mit diesem "Wir", diesem anderen "Wir" schaffen können... Wir müssen die Kinder anders erziehen, mit einer anderen Hierarchie: Wer ist es wert, dass ich ihm vertraue? Wer ist es wert, dass ich ihm gehorche, und wer ist es nicht?

Und heute, mit den alten Paradigmen, funktioniert nichts mehr. Ich meine, wir werden von einem Kriminellen und einer Bande von Kriminellen regiert, und trotzdem gehorchen die Leute ihnen. Sie wissen schon, die Menschen gehorchen ihnen! Niemand geht hin und schiebt sie physisch beiseite.

Es gab Geschichten, erstaunliche Geschichten, von Vätern und Großvätern, die am 7. Oktober einfach ihre Uniform, ihre alte Uniform, angezogen, ihr Gewehr genommen haben und losgezogen sind, um ihre Kinder und Freunde aus den brennenden Dörfern und Kibbuzim zu retten. Warum können die diese Leute nicht wegschicken?

Aber sie würden es nicht wagen, verstehen Sie? Sie ist sehr stark, diese Erziehung zum Gehorsam. Sie denken, das sei eine der Facetten der Demokratie. Aber an diesem Ort gibt es keine Demokratie. Es muss wie   – ich weiß nicht   – wie in Rumänien, wie in der Tschechoslowakei, etwas sehr Drastisches sein. Ich weiß nicht, ich sehe niemanden, der das in Israel macht. Denn sie sind alle mehr oder weniger, alle Führer sind alle mehr oder weniger wie Bibi (Netanjahu), wissen Sie. Weniger korrupt, mehr korrupt, aber die Ideologie und die Vorstellung, dass wir "sie vernichten müssen", dass wir "sie bestrafen müssen", dass "wir uns rächen müssen", ist in aller Munde   – vielleicht mit Ausnahme der arabischen Führer wie (Masud Ghnaim? Taleb Abu Arar?) zum Beispiel und dieser Leute, die noch nie in ihrem Leben jemanden getötet haben und anders reden. Aber das sind ja Araber, und es wird lange dauern, bis man ihnen zuhört. Ich würde mich sehr freuen, sie an der Macht zu sehen.

Frank Barat:

Ich kann Ihnen nicht genug für diese letzten 30 Minuten danken. Vielen Dank, Nurit, vielen Dank und wir werden uns bald wiedersehen.

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Frank Barat ist Journalist, Produzent und Aktivist. Er hat an Büchern mit Noam Chomsky, Ilan Pappé, Angela Davis, Marc Lamont Hill, Vijay Prashad und Ken Loach gearbeitet.

Dr. Nurit Peled-Elhanan ist eine israelische Philologin und Professorin für Sprache und Bildung an der Hebräischen Universität Jerusalem. Außerdem ist sie Übersetzerin und Aktivistin. Sie ist 2001 Mitpreisträgerin des vom Europäischen Parlament verliehenen Sacharow-Preises für geistige Freiheit.

Vor allem aber kennt Dr. Peled-EIhanan die Schrecken des Terrorismus aus erster Hand. 1997 wurde Nurits Tochter Smadar bei einem palästinensischen Selbstmordattentat in der Ben Yehuda Straße getötet. Sie ist mehr als jeder andere berechtigt, die Palästinenser zu hassen. Aber sie tut es nicht. Diese Frau glaubt fest an das Wesen des Judentums und ist eine glühende Verfechterin des Friedens. Was sie über den aktuellen Krieg zu sagen hat, ist Ihre Zeit wert.

Quelle: //www.youtube.com/@FrankBarat77">Frank Barat
https://www.youtube.com/watch?v=MBNpSvwnxHo
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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