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Douglas Macgregor: Würde Israel gegen den Iran nuklear vorgehen?

Und werden die USA da hineingezogen?
Von Douglas Macgregor 15.04.2024 - übernommen von theamericanconservative.com
18. April 2024

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Im August 1961, als die Spannungen zwischen Washington und Moskau auf dem Höhepunkt waren, schrieb Admiral Konstantin I. Derevyanko einen Brief an Premierminister Kruschtschow. Damit wollte er Kruschtschow auf das aufmerksam machen, was der Admiral als "Nuklearromantik" des sowjetischen Generalstabs bezeichnete. Die Worte des Admirals haben immer noch die Kraft der Logik und des gesunden Menschenverstandes und sind auch heute noch unserer Aufmerksamkeit wert:

Auf welchem Planeten wollen diese Leute [der sowjetische Generalstab] in Zukunft leben, und auf welche Erde wollen sie ihre Truppen schicken, um Gebiete zu erobern?... Durch diesen wahllosen massiven Einsatz von Atomwaffen auf einem kleinen und engen Gebiet wie Westeuropa würden wir nicht nur Millionen von radioaktiv verseuchten Zivilisten in Kauf nehmen, sondern wegen der vorherrschenden Westwinde auch Millionen unserer eigenen Bevölkerung für Jahrzehnte radioaktiv verseuchen   – unsere Streitkräfte und die Bevölkerungen der sozialistischen Länder, einschließlich unseres eigenen Landes bis zum Ural.

Einem ungenannten Vertreter der US-Regierung zufolge hat Präsident Joe Biden dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu mitgeteilt, dass sich die Vereinigten Staaten nicht an einem Gegenschlag gegen den Iran beteiligen werden. Dies ist eine erfreuliche Nachricht.

Israel zieht keine Operationen gegen den Iran oder einen anderen Staat in Betracht, der Israels Streben nach strategischer Vorherrschaft herausfordert mit ausschließlich konventionellen militärischen Mitteln. Mit anderen Worten: Für die israelische Staatsführung steht der Einsatz einer Atomwaffe immer zur Debatte. Israels grundlegende Abschreckung ist nach wie vor die asymmetrische nukleare Fähigkeit.

Bis jetzt hat Washingtons bedingungslose Unterstützung für jede Aktion, die Netanjahu ergreifen will, Washington zu einem Komplizen gemacht bei Israels vorsätzlichem Abschlachten und Aushungern der arabischen Bevölkerung des Gazastreifens und bei dem israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien, einem Verstoß gegen das Völkerrecht. Diese kollaborative Unterstützung untergräbt die Macht und Autorität des amerikanischen Volkes.

Es ist an der Zeit zu fragen, ob das nationale Interesse und der gesunde Menschenverstand der Amerikaner endlich in die Formulierung und Durchführung der US-Außenpolitik einfließen. Niemand in den Vereinigten Staaten, Europa oder Asien profitiert wirtschaftlich, politisch oder finanziell von einem regionalen Krieg im Nahen Osten, der die Straße von Hormuz schließt und möglicherweise eine direkte russische Militärintervention an der Seite des Irans nach sich zieht. Ist es auch möglich, dass Biden gegen die Zerstörung von Leben in Gaza ist?

In diesem Zusammenhang ist die Enthüllung, dass Verteidigungsminister Lloyd Austin seinen israelischen Amtskollegen Yoav Gallant gebeten haben soll, die Vereinigten Staaten im Voraus über einen möglichen israelischen Gegenangriff zu informieren, ein schwacher Trost. Die Amerikaner sollten nicht vergessen, dass Netanjahu auf dem Hill [US Kapitol] und in den Mainstream-Medien erheblichen Einfluss ausübt. Schon jetzt stürzen sich die Parlamentarier darauf, zusätzliche Milliarden nach Israel zu schicken, während die Grenzen der USA offen bleiben, Amerikaner an Fentanylvergiftungen sterben, die Kriminalität steigt und Kinder verschleppt werden.

Es ist vielleicht noch zu früh, um die Frage zu beantworten, ob sich die Außenpolitik der USA ändert. Warum eigentlich? Weil israelische Medien berichten, dass auf den letzten beiden Sitzungen des israelischen Kriegskabinetts intensiv darüber diskutiert wurde, ob ein groß angelegter Schlag gegen den Iran erfolgen soll. Ein solcher Angriff würde wahrscheinlich die iranische Kommandozentrale, potenzielle Standorte für Langstreckenraketen, Luftwaffenstützpunkte, Marinestützpunkte und die Ölinfrastruktur angreifen. Andererseits wurde Berichten zufolge über eine israelische Antwort diskutiert, die "maßvoller" ausfallen könnte, um einen größeren regionalen Konflikt zu verhindern.

Was die Amerikaner wissen, ist, dass der Iran israelische Militäreinrichtungen ins Visier genommen hat, nicht die israelische Bevölkerung. Und der Iran hat nur einen Bruchteil seines Arsenals und nur sehr wenige seiner neuesten Waffen eingesetzt. Die Hisbollah hat das Ereignis praktisch ausgesessen. Es wird zwar spekuliert, dass zwei israelische Flugplätze und möglicherweise eine Geheimdienststation auf den Golanhöhen beschädigt wurden, aber die gesamte iranische Operation hatte etwas Theatralisches an sich.

Keiner war überrascht. Schon gar nicht die israelischen Luftstreitkräfte oder ihre Kollegen in den US-amerikanischen und britischen Luftstreitkräften. Wie bereits erwähnt, wurden mit wenigen Ausnahmen die meisten der über 300 Drohnen und Raketen abgefangen und abgeschossen.

Dennoch wusste der Iran, was nötig war, um die Luftabwehr der Israelis und der Verbündeten zu überwältigen. Wir können daraus schließen, dass in Teheran auch der Wunsch bestand, eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn der Iran 1.500 Drohnen und 800 ballistische Raketen über mehrere Stunden oder sogar Tage hinweg starten würde. Der Iran hat seinen Standpunkt klar gemacht. Es ist ganz einfach: Der Iran kann Israel zerstören. Teheran hat neue Bedingungen der Abschreckung geschaffen, die den Iran begünstigen.

Der Iran ließ über seine UN-Mission verlauten, dass er die Angelegenheit der israelischen Angriffe auf seine Konsulate in Syrien als abgeschlossen betrachtet. Aber nichts ist gelöst. Es hat sich wenig geändert. Eine Million Menschen hungern in Gaza, und die Amerikaner sollten damit rechnen, dass die israelische Mord- und Vertreibungskampagne in Gaza in Kürze wieder aufgenommen wird.

Infolgedessen wird Netanjahu die Unterwerfung oder Zerstörung des Irans oder jeder muslimischen Einheit fordern, die die strategische Vorherrschaft Israels in Frage stellt. Für Netanjahu ist das eine Frage von existenzieller Bedeutung für Israel*. Dennoch haben sich die USA nicht zu einem Angriff auf den Iran verpflichtet. Dies ist für Netanjahu inakzeptabel, und er wird sich dafür einsetzen, dass Washington seine Position ändert.

Unter den gegebenen Umständen sollte Washington erwarten, dass Israel alle ihm zur Verfügung stehenden militärischen Mittel, einschließlich Atomwaffen, einsetzt, um die strategische Macht des Iran zu zerstören. Die Zerstörung der unterirdischen Nuklearanlagen des Irans ist schon seit langem ein Ziel.

Moskau wird jedoch einen verheerenden Angriff auf den Iran nicht dulden. Die Frage ist, ob Biden einen solchen Angriff tolerieren und die israelischen Operationen im Gazastreifen weiterhin unterstützen wird. Vielleicht sollte Biden innehalten und Admiral Derewjankos Ratschlag von 1961 an Kruschtschow lesen, bevor er antwortet.

ÜBER DEN AUTOR

Douglas Macgregor

Douglas Macgregor, Oberst a.D., ist Senior Fellow bei The American Conservative, ehemaliger Berater des Verteidigungsministers in der Trump-Administration, ein dekorierter Kriegsveteran und Autor von fünf Büchern.

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*Anmerkung (und die obigen Hervorhebungen) des Übersetzers:

In dem oben hervorgehobenen Text kann man getrost „Israel“ durch die „USA“ ersetzen. Der Staat Israel (Grösse etwa von New Jersey) ohne eigene wirtschaftliche oder militärische Basis wäre ohne die jahrelange Aufrüstung und Aushaltung durch die USA in der gegenwärtigen Form nicht lebensfähig. Um zu verstehen, was sich hier abspielt, muss man auf Zbigniew Brzezinski und sein Buch „Die einzige Weltmacht“ zurückgreifen und sich insbesondere die Karte auf S. 59 ansehen und die in diesem Kapitel erläuterten Zusammenhänge verstehen: Eine strategische Vorherrschaft Persiens wäre für die angestrebte amerikanische Weltherrschaft tödlich.

Erinnert sich noch jemand an die „Operation Ajax“? Oder an den Schah von Persien? Oder an den ersten Irak-Krieg? Das Drehbuch gilt bis heute. Dann versteht man auch, warum die EU darauf gedrungen hat, dass Aserbeidschan endlich den Armenien-Konflikt beendet und sich den eigentlich wichtigeren Aufgaben widmet: Israel/USA brauchen die Luftwaffenstützpunkte, um Iran angreifen zu können.

Dass die USA angeblich davon zurückschrecken würden, Israel die „Samson Option“ zu erlauben, ist „wishful thinking“. Die Entscheidung darüber wird nicht im israelischen Kriegskabinett sondern von den amerikanischen „Eliten“ getroffen   – je nach deren jeweiligen Prioritäten. Und wenn die nukleare Karte heute noch nicht gezogen wird, bleibt sie weiterhin jederzeit auf dem Tisch.

Quelle: https://www.theamericanconservative.com/will-israel-go-nuclear-against-iran/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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