Skip to main content

Hans von Sponeck: Trauern ist nicht genug.

Ausgelöst vom "Brief an die Kinder von Gaza" ein Essay von Hans von Sponeck
Zugesandt von Hans von Sponeck 05.11.2023 und mit Dank gerne übernommen
13. November 2023

Hans.png

Lieber Willy, Ohne Träne ging es nicht. 
Der Brief von Hedges hat mich tief gerührt und ermutigt Dir mein kleines 'cri-de-coeur' im Anhang zu schicken.
Weil alles so unfaßbar ist, sind auch alle Worte, die ich spreche oder schreibe, unfähig auszudrücken, was ich fühle für alle Opfer, auf beiden Seiten der Grenze eines Landes, das seit 76 Jahren existieren sollte und in all diesen Jahren zu  einer Hölle für Unschuldige geworden ist. Im Anhang mein armseliger Beitrag.
Mit Dank, großem Dank, und auch Bewunderung, für Deine so  wertvolle und hartnäckige Arbeit.
Hans

Hans von Sponeck, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär und Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak, bringt seine Empörung über die Heuchelei von Staatsoberhäuptern und Außenministern zum Ausdruck, die mit einseitigen Botschaften nach Tel Aviv strömen und das Feigenblatt hinzufügen, die humanitäre Hilfe nicht zu vergessen, und dabei den Kontext, das "Warum" des Geschehens, völlig außer Acht lassen.

*****

Trauern ist nicht genug.

Krieg   – Krieg war Teil der ersten Jahre meines Lebens. Ich habe den Krieg gespürt. Mein Vater wurde 1944 hingerichtet, mein Großvater starb als Kriegsgefangener, mein Halbbruder verlor sein Leben an der Ostfront, meine Mutter entkam aus einem Internierungslager, und meine Großmutter und ich erlebten das Kriegsende in einem Versteck an der späteren Grenze zwischen zwei deutschen Staaten.

Als ich älter wurde, war ich begierig, sehr begierig, zu verstehen, was einen Krieg verhindern könnte. Da ich noch jung war, war mir noch nicht klar, was dies bedeutete. 1957, ich war damals siebzehn, wurde mir von der französischen Zelidja-Stiftung und meinem deutschen Internat Salem ein Reisestipendium angeboten, um den Plan zu unterstützen, nach Israel zu fahren und deutsche Juden zu treffen, die aus dem Gebiet, in dem sich meine Schule befand, geflohen waren und in Israel Zuflucht gefunden hatten.

Ich wollte verstehen, wie sie ihr neues Leben als Überlebende aus meinem Land begonnen hatten. Ich wollte mich ihnen anschließen, und zwar aus mehr als einem Grund: um dabei zu sein und ihre Bemühungen, sich niederzulassen, zu teilen. Ein deutsches Frachtschiff brachte mich von Hamburg nach Haifa   – welche Fracht es transportierte, weiß ich nicht mehr, vielleicht einige Güter, die symbolisierten, dass es eine Zukunft zwischen Deutschland und Israel gab.

Die Unschuld meines Alters schützte mich bei diesem Besuch vor der Last der Schuld. In Tel Adashim, einem Moschaw oder einer Bauernsiedlung, hatte ich die Gelegenheit, mit Menschen zusammenzukommen, die einst deutsche Landsleute gewesen waren. Sie waren freundlich zu mir und erlaubten mir, einen Einblick in ihr neues Leben zu bekommen. In zwei Kibbuzim, Ein Gedi und Ein Gev, beide im Gebiet des Toten Meeres, traf ich auf eine schwierigere Realität. Es war nicht die Härte der Arbeit auf den Feldern, die eine Herausforderung darstellte, es waren die Schrecken der Erfahrungen der älteren Kibbuzniks, die ihnen ins Gesicht geschrieben standen, und die Vorbehalte der Jüngeren, der Säbelrassler, der einheimischen Israelis gegenüber mir, einem jungen Deutschen, der gekommen war, um zu versuchen, zu verstehen. Was mir sehr deutlich in Erinnerung geblieben ist, ist der ungeheure Optimismus, den die Israelis, denen ich begegnete, beim Aufbau eines auf Frieden und Ruhe basierenden Lebens hatten. Ich wusste nichts von der Notlage der Palästinenser.

Dies ist nicht der Ort, um die jahrzehntelangen Gelegenheiten Revue passieren zu lassen, die verschiedene israelische Regierungen versäumt haben, um auf diesen Anfangsjahren des jungen Landes aufzubauen und den Beschluss der UN-Generalversammlung von 1947 zu akzeptieren, einen jüdischen und einen arabischen Staat im ehemaligen britischen Protektorat Palästina zu gründen.

Ich möchte daran erinnern, was Albert Einstein 1929 an Chaim Weizman schrieb, der später der erste Präsident Israels wurde: "Sollten die Juden nicht lernen, in Frieden mit den Arabern zu leben, dann haben wir in den 2000 Jahren des Leidens nichts gelernt und verdienen alles, was auf uns zukommen wird."

Wie kann ich es als Nicht-Jude wagen, ein solches Zitat aufzunehmen? Das ist kein antisemitischer Ausbruch meinerseits. Ich bin leidenschaftlich pro-semitisch, auch weil Palästinenser und Israelis beide semitischen Ursprungs sind, es sei denn, Sem, der Sohn Noahs, wird nicht mehr als Vorfahre von Juden und Arabern betrachtet. Mein Herz schmerzt und mein Verstand ist entschlossen, sich zu äußern.

Die Verurteilung der schrecklichen Taten der Hamas durch den UN-Generalsekretär Guterres und sein gleichzeitiger Hinweis an die Welt, dass das palästinensische Volk 56 Jahre lang eine erdrückende Besatzung ertragen musste, während sein Land von illegalen Siedlungen verschlungen wurde, erforderte Mut, war aber richtig. Die Brutalität der IDF-Reaktion auf die Brutalität des Hamas-Angriffs stellt beides schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar, für die sie zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Während das Recht keine Gefühle kennt, haben unschuldige Bürger Palästinas und Israels Gefühle, aber keine andere Wahl als zu leiden.

Der UN-Sicherheitsrat wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, um als Team zu fungieren, das in der Lage ist, Kompromisse zu finden und Lösungen auszuhandeln, und nicht als nationale Gegenspieler, die Öl ins Feuer gießen. Die dem Sicherheitsrat derzeit vorliegenden Resolutionsentwürfe der USA und Russlands zeigen jedoch, dass geopolitische Interessen wichtiger sind als die Beendigung des Gemetzels und die Erfüllung des Mandats, Krieg zu verhindern und Lösungen für den Frieden zu finden.

Als ehemaliger UN-Beamter, der aus nächster Nähe miterlebt hat, wie die Welt der Macht im vergangenen Jahrhundert mit dem Irak umgegangen ist, bin ich empört über die Heuchelei von Staatschefs und Außenministern, die mit einseitigen Botschaften nach Tel Aviv strömen und das Feigenblatt hinzufügen, die humanitäre Hilfe nicht zu vergessen. Völlig außer Acht gelassen wird der Kontext, das "Warum", das alles passiert ist. Reichen die Bilder von der Supernova-Sukkot-Versammlung, von Gaza-Stadt und Khan Younis nicht aus, um ein Gefühl der Dringlichkeit, des Mitgefühls und der Notwendigkeit zu wecken, hohle Rhetorik durch konkrete Maßnahmen zu ersetzen, die einen Unterschied machen, ob Palästinenser und Israelis überleben oder sterben?

Hans von Sponeck

Ehemaliger UN-Assistenzgeneralsekretär
und humanitärer Koordinator für den Irak

Mit freundlicher Genehmifung des Autors
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

___

hANS.png

Hans von Sponeck, Former UN Assistant-Secretary-General and Humanitarian Coordinator for Iraq, expresses his outrage about the hypocrisy of heads of state and foreign ministers flocking to Tel Aviv with one-sided messages and adding the fig leaf not to forget humanitarian aid and completely ignoring the context, the ‘why’ it all happened. Please click here for his full message. (5/11/2023) 

元国連事務次長補でイラク担当人道調整官のハンス・フォン・スポネック氏は、テルアビブに群がる各国首脳や外相らが一方的なメッセージを掲げ、人道支援を忘れないようイチジクの葉を付け加えたような偽善な態度に対して怒りを表明した。それは「なぜ」このような惨事が起こったのかを完全に無視しているからであると指摘している。スポネック氏の声明の全文はここをクリックして下さい。 (2023/5/11)

Hans von Sponeck, ancien secrétaire général adjoint de l'ONU et coordinateur humanitaire pour l'Irak, exprime son indignation face à l'hypocrisie des chefs d'État et des ministres des Affaires étrangères affluant à Tel Aviv avec des messages unilatéraux et en ajoutant une feuille de vigne pour ne pas oublier l'aide humanitaire et ignorant complètement le contexte, le « pourquoi » tout cela s'est produit. Veuillez cliquer ici pour son message complet. (11/05/2023)

以下はもって読むとして裏面に掲載してください。

*****

 Mourning is not Enough.

War - war was part of the first years of my life. I have felt war. My father was executed in 1944, my grandfather died as a prisoner of war, my half-brother lost his life on the eastern front, my mother escaped from an internment camp, and my grandmother and I saw the end of the war in a hide-out at what became the border between two Germanies.

As I grew older, I was eager, very eager, to understand what could prevent war. Young as I was, it was not yet clear to me what this entailed. In 1957, I was seventeen at the time, I was offered a travel scholarship by the French Zelidja Foundation and my German boarding school, Salem, to support the plan I had to go to Israel to meet German Jews who had escaped from the area where my school was located and found refuge in Israel.

I wanted to understand how they had started their new life as survivors from my country. I wanted to join them, and this was for more than one reason: to be there and to share their effort to settle. A German cargo ship brought me from Hamburg to Haifa   – what freight it carried, I do not remember, maybe some goods that symbolized that there was a future between Germany and Israel.

The innocence of my age protected me during this visit against the burden of guilt. Tel Adashim, a moshav or farming community, gave me the opportunity to meet with people who had at one time been fellow Germans. They were kind to me and allowed me to get a glimpse of their new life. In two Kibbutzim, Ein Gedi, and Ein Gev, both in the Dead Sea area, I encountered a more difficult reality. It was not the toughness of the work in the fields that was a challenge, it was the horrors of the experience of the older kibbutzniks that were written on their faces and the reservation of the younger, the sabers, the locally-born Israelis towards me, a young German who had come to try to understand. What remains very clearly in my memory is the immense optimism the Israelis I met all had in building a life based on peace and tranquility. I knew nothing of the plight of the Palestinians.

This is not the place to review decades of opportunities various Israeli governments have missed to build upon these initial years of the young country and accept the UN General Assembly’s decision of 1947 to have a Jewish and an Arab state in the former British Protectorate of Palestine. I want to recall what Albert Einstein wrote to Chaim Weizman in 1929, who later became Israel’s first president: “Should the Jews not learn to live in peace with the Arabs, then we have learnt nothing during the 2000 years of suffering and deserve all that will come to us.” How dare I, as a non-Jew, include such a quote? To do so is not an antisemitic outburst on my part. I am ardently pro-semitic partially because Palestinians and Israelis are both of Semitic origin unless Shem, the son of Noah, is no longer considered an ancestor of Jews and Arabs. My heart aches and my mind is determined to speak out. 

 The condemnation by the UN Secretary-General Guterres of the horrific acts by Hamas and at the same time, his reminding the world that the Palestinian people have had to endure 56 years of suffocating occupation while their land was devoured by illegal settlements took courage but was the right thing to do.  The brutality of the IDF response to the brutality of the Hamas attack both constitute severe violations of international humanitarian law for which they must be held accountable. While law has no feelings, innocent citizens of Palestine and Israel have feelings, yet no choice but to suffer.

The UN Security Council was created after the Second World War to function as a team able to find compromises and negotiate solutions and not act as national adversaries that add fuel to the fire. Yet, the US and the Russian draft resolutions currently before the Security Council demonstrate that geopolitical interests are more important than ending the carnage and fulfilling their mandate to prevent war and find solutions for peace.

As a former UN civil servant who has seen at close range how the world of power handled Iraq in the previous century, I am outraged by the hypocrisy of heads of state and foreign ministers flocking to Tel Aviv with one-sided messages and adding the fig leaf not to forget humanitarian aid. Completely ignored is the context, the ‘why’ it all happened.  Are pictures of the Supernova Sukkot Gathering, Gaza City, and Khan Younis not enough to instill a sense of urgency, of compassion, and an imperative to replace hollow rhetoric with concrete measures that will make a difference whether Palestinians and Israelis alike survive or die?

  Hans von Sponeck                                        

Former UN Assistant-Secretary-General   
and Humanitarian Coordinator for Iraq

Weitere Beiträge in dieser Kategorie