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Corona: Gesundheitsamtsleiter kritisiert Staatsregierung

Der Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, übt Kritik an der Anti-Corona-Strategie von Ministerpräsident Markus Söder - und damit auch an seinem obersten Dienstherren. Mit seiner Meinung ist Pürner nicht allein.
br.de 05.10.2020, 07:00 Uhr
09. Oktober 2020
Friedrich Pürner ist der Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg - und er kritisiert den Kurs der Staatsregierung im Umgang mit der Corona-Krise. Konkret hadert er mit den Maßnahmen, die er umsetzen soll: Er hält es zum Beispiel für falsch, dass für den Inzidenzwert nur positive Testergebnisse herangezogen werden.

Er ist nicht der einzige: In der Fachwelt gibt es eine Diskussion über die Bedeutung falscher Testergebnisse. Modellrechungen zufolge ist die Zahl "falsch Positiver" hoch. Der Virologe Christian Drosten dagegen sagt, in der Praxis komme das quasi nicht vor.

Pürner: andere Parameter beobachten

Gesundheitsamtschef Pürner plädiert trotzdem dafür, für den Inzidenzwert auch andere Parameter zu verwenden als positive Tests: "Ich würde beobachten, wie viele tatsächlich an Covid Erkrankte es gibt." Pürner schlägt "Sentinel-Praxen" vor, die es für Grippefälle schon gibt.

Die Meldepflicht von Corona-Fällen möchte Pürner erweitern: Auch die Stärke der Erkrankung sollte erfasst werden. Außerdem würde der Beamte und Mediziner berücksichtigen, wie viele Erkrankte ins Krankenhaus und auf die Intensivstation müssen.

Kritik am Kurs der Staatsregierung

Damit kritisiert er wesentliche Elemente der Corona-Politik von Ministerpräsident Markus Söder. Die Bundes- und die Staatsregierung haben sich darauf verständigt, ab bestimmten Inzidenzwerten die Anti-Corona-Maßnahmen zu verschärfen. Bei einem Wert von über 50 Infizierten gerechnet auf 100.000 Einwohner pro Stadt oder Landkreis gelten strengere Maßnahmen. Ab diesem Schwellenwert ist nach Einschätzung der "Superexperten von RKI und Universitäten" der Punkt, an dem die Nachvollziehbarkeit der Infektionsketten schwierig wird, argumentierte Söder vor einer Woche beim CSU-Parteitag.

Kritik auch von anderen Gesundheitsamtschefs

Bevor Pürner ans Gesundheitsamt Aichach ging, leitete er die Abteilung Epidemiologie und war Leiter der Taskforce Infektiologie am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Unterstützung erhält der Beamte auch vom Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes: René Gottschalk positionierte sich laut Medienberichten der vergangenen Tage ähnlich. Laut Gottschalk gibt es keine Übersterblichkeit bei Covid-19-Kranken.

Die Sterbestatistik, die die täglichen Sterbefälle erfasst, zeigt laut Gottschalk im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten, im Gegensatz zu der erkennbar höheren Sterbezahl während der Influenza-Zeiten 2017 und 2018 sowie während der Hitzeperiode im Juli 2018. Damit ist Covid-19 nach Gottschalks Einschätzung vergleichbar mit der Grippe. Er fordert eine breite gesellschaftliche Debatte, die mehr als nur virologische Aspekte mit einbezieht.

Pürner: Kinder ohne Maske in die Schule

Entscheidend war für die Staatsregierung auch die Maskenpflicht im Unterricht: "Gerade nach der Urlaubszeit war es wichtig, mit der Maske im Unterricht das Risiko fundamental zu reduzieren, damit nicht viele Schulen wieder geschlossen werden", sagte Söder vor einer Woche beim virtuellen CSU-Parteitag.

Auch hier widerspricht Pürner. Kinder sollten in der Schule keine Maske tragen müssen. Sie sollten in der Pause rausgehen und miteinander spielen dürfen. "Kinder brauchen das", sagt der Vater von drei Kindern. Und er verweist darauf, dass die Kinder sich ja nach der Schule auch privat ohne Maske träfen.

Beamtenrecht: Meinungsfreiheit und Zurückhaltungsgebot

Pürners Argumente sind nicht neu. Angeführt werden sie vor allem von denen, die sich mehr Lockerungen wünschen. Dass ein bayerischer Beamter, der als Leiter eines Gesundheitsamtes die Maßnahmen der Staatsregierung umsetzen muss, sich so deutlich gegen seinen Dienstherrn stellt, ist ungewöhnlich.

Wie das zuständige Finanzministerium mitteilt, gilt die Meinungsfreiheit auch für Beamte. Sie dürften daher auch Kritik an der Politik der Regierung oder Organen ihres Dienstherrn üben. Allerdings gebe es auch ein Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot.

"Weder Impfgegner noch rechtsradikal"

Pürner sagt, er sei weder Impfgegner, noch rechtsradikal. Er wolle nur seine fachliche Meinung äußern, auch als bayerischer Beamter. Intern kritisiere er einzelne Maßnahmen, die er fachlich unbegründet findet. "Remonstrieren" heißt das im Beamtenrecht. Dennoch setzt Pürner die Anweisungen aus dem Gesundheitsministerium nach eigenem Bekunden um. Er betont: "Ich will mich für keine Partei instrumentalisieren lassen, und am allerwenigsten für die AfD."

Vor allem auf Twitter verbreitet er seine von der Regierung abweichende Meinung. Er sei von Vorgesetzten darauf hingewiesen worden, den Titel "Leiter Gesundheitsamt" aus seinem Profil zu entfernen. Dem sei er auch nachgekommen.

Negative Konsequenzen fürchtet Pürner deshalb nicht. Er glaube an "Meinungsfreiheit und Demokratie".

 Quelle: https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-gesundheitsamtsleiter-kritisiert-staatsregierung,SCRLYkJ

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