Der Mensch ist besser, als wir glauben
Der Mensch sei grundsätzlich egoistisch und rücksichtslos, kaltherzig und unsolidarisch. So wird es in der westlichen Welt seit Jahrhunderten gelehrt. Viele Religionen predigen, dass unsere Vorfahren im Paradies gesündigt hätten und wir als ihre Nachkommen daher schon sündhaft geboren würden. Spätestens seit Thomas Hobbes «wissen» wir, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Die Massenmedien untermauern diese These tagtäglich mit ihren Schreckensmeldungen.
Doch was, wenn die Realität in Wahrheit eine ganz andere wäre? Was, wenn der Mensch von Natur aus gar nicht so böse wäre, wie man es ihm verschiedentlich unterstellt? Was würde es bedeuten, wenn er im Durchschnitt viel sozialer, hilfsbereiter und friedlicher tickte und es gar nicht nötig hätte, vom Staat «zivilisiert» zu werden? Bräuchte es dann noch diesen überdimensionierten Leviathan, der seine Untertanen auf Schritt und Tritt überwacht, ihnen von oben herab Vorschriften macht und sie via Zwangsumverteilung zu solidarischer Barmherzigkeit nötigt?
Kooperation statt Kampf
Machen wir uns nichts vor: Böse Menschen, die Böses tun, die gibt es. Wir wollen hier keine rosarote Brille aufsetzen und die Existenz von Mördern, Vergewaltigern und machthungrigen Aggressoren in Politik und Konzernen in Abrede stellen. Es ist unbestritten, dass friedliche Menschen sich klug organisieren müssen, um sich und ihr Eigentum vor solchen Angreifern zu schützen. Die zentrale Frage lautet, ob wir grundsätzlich, also im Durchschnitt, ein zu pessimistisches Menschenbild haben und uns dadurch selbst schaden, weil wir im anderen primär eine Gefahr statt eine Chance sehen. Denn wenn wir zu Unrecht vom Schlechten in anderen ausgehen und Furcht unsere Hauptempfindung ist, kann uns das staatliche Gewaltmonopol nie mächtig genug sein. Wir geben dann unsere Freiheit für vermeintliche Sicherheit auf, nur um am Ende zu realisieren, dass uns ein tyrannischer Staat letztlich beides nimmt – und mit seinen Machtstrukturen das Allerschlechteste im Menschen zutage fördert.
Wenn wir aber unser jetziges durch ein hoffnungsvolleres Menschenbild ersetzten und unseren Mitmenschen damit auch einen Vertrauensvorschuss gäben, könnte vieles unreguliert bleiben. «Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.» Wenn der Staat die Bürger wie Kleinkinder an der Hand nimmt, verhalten sie sich auch wie Kinder. Behandelt er sie aber wie verantwortungsvolle, mündige Erwachsene, werden die meisten auch dieser Erwartung gerecht.
Welche Erkenntnisse sprechen für eine Revision unseres Menschenbildes? Rutger Bregman präsentiert in seinem Buch «Im Grunde gut» ein Feuerwerk an Fakten und Beispielen. Er zeigt, dass gerade Katastrophen wie der Untergang der «Titanic», 9/11 und Kriege die Menschen nicht in Bestien verwandeln, sondern ihre beste Seite hervorbringen: Gerade dann würden sie sich gegenseitig unterstützen, den Schwachen helfen und Ruhe bewahren.
Bregman stellt die These auf, dass Kampf und Konkurrenz in der Evolution des Menschen zwar eine Rolle gespielt haben, aber keine dominierende. Wichtiger sei die zwischenmenschliche Kooperation: Diese sei verantwortlich gewesen, dass unsere Menschengattung letztlich zur dominierenden aufgestiegen sei und wir selbst den physisch stärkeren und schlaueren Neandertaler (der über ein grösseres Gehirn verfügte) überflügelt hätten.
Herrschaftsstrukturen abbauen
Es gibt Grund zur Annahme, dass es gerade die unterdurchschnittlich vertretenen bösartigen Exemplare der Menschheitsfamilie sind, die unser Menschenbild verzerren. Diese «Schurken» haben oft keine Skrupel, sich mit ihren Ellenbogen in Machtstrukturen von Politik, Medien und Wirtschaft ganz nach oben zu intrigieren, um alle anderen von dort aus zu kontrollieren, zu drangsalieren und über sie zu bestimmen. Ihre eigene Macht ist ihnen wichtiger als das Wohl ihrer Mitmenschen. Und weil dieser asoziale Menschentypus stärker im Rampenlicht steht, glauben wir, dieser sei repräsentativ.
Genau solchen unheilbringenden Herrschertypen könnten wir das Handwerk legen, indem wir ihnen die Herrschaftsstrukturen weitgehend entziehen. Dies geht allerdings nur über eine Adjustierung unseres Menschenbildes. Damit dämpfen wir den negativen Einfluss dieser Tyrannen und würden gleichzeitig die wohl mehrheitlich soziale, hilfsbereite und solidarische Menschengattung von ihren unnötigen Fesseln befreien. Wäre das nicht einen Versuch wert?
Olivier Kessler ist Direktor des Liberalen Instituts in Zürich (www.libinst.ch ).
Einfügungen der Links zum Menschenbild und und zur Gegenseitigen Hilfe/Kooperation des Menschen von seniora.org
Quelle: https://weltwoche.ch/daily/der-mensch-ist-besser-als-wir-glauben-die-vorstellung-vom-menschen-als-ruecksichtslosen-egoisten-fuehrt-zum-kontrollstaat-dabei-sind-wir-zur-freiheit-geboren/
Mit freundlicher Genehmigung von www.weltwoche.ch
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