«Ausdehnung der EU und der Nato Richtung Russland muss Putin als Bedrohung wahrnehmen»
James Jatras hob in seinem Vortrag hervor, dass die Krise in der Ukraine von aussen initiiert wurde. Der Einfluss der USA und der EU-Staaten, die Jatras als «Vasallen der Weltmacht» bezeichnete, haben entscheidend zur Eskalation der Lage in der Ukraine beigetragen. Als ein Beispiel nannte er Victoria Nuland, die stellvertretende Aussenministerin, die eine aktive Rolle beim Staatsstreich im Februar gespielt hat. Die Demonstrationen auf dem Maidan hatten eine Eskalationsstufe erreicht, in der die Polizei massiv und am Ende sogar mit Schusswaffen angegriffen wurde. Wäre die Polizei in den USA so attackiert worden, hätten die Sicherheitskräfte sofort auf die Demonstranten geschossen. Die amerikanische Aussenpolitik, die nach Jatras seit Jahrzehnten von der gleichen kleinen politischen Clique bestimmt wird, verfolgt einen Regime-Change in Damaskus, in Teheran und letztlich in Moskau. Die Krise in der Ukraine ist nur unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Der Politik Russlands bringt Jatras sehr viel Verständnis entgegen. Die ständige Ausdehnung der EU und der Nato Richtung Russland muss Putin als eine Bedrohung wahrnehmen.
Aus Russland einen Vasallenstaat machen
Die Sanktionen gegen Russland beurteilt Jatras äusserst kritisch. Sie werden nicht zu einer konstruktiven Lösung des Konflikts beitragen. Den USA wird kaum ein Nachteil daraus erwachsen, jedoch die europäische Wirtschaft wird empfindliche Einbussen haben. Auch wenn im Moment eine Feuerpause herrscht, werden die USA kaum ihren Plan aufgegeben haben, aus Russland einen Vasallenstaat zu machen, zu dem das Land unter der Regierung Jelzins degradiert wurde. Die Ukraine ist dabei nur Mittel zum Zweck.
Unverständnis zeigte er für die Haltung der Schweiz, die als neutraler Staat, der weder Mitglied der Nato noch der EU ist, zwar die Sanktionen nicht mitträgt, gleichzeitig aber Massnahmen ergreift, um Umgehungsgeschäfte über die Schweiz zu verhindern und damit die Sanktionen indirekt unterstützt. Russland hatte seines Wissens die Schweiz bisher noch nie wegen irgendwelcher Finanzfragen unter Druck gesetzt, ganz im Gegensatz zu den USA, die der Schweiz selbst mit Sanktionen gedroht haben, wenn sie nicht das US-amerikanische Recht anwenden.
Die USA wollen sich als einzige Weltmacht behaupten
Ständerat Filippo Lombardi zeigte sich betroffen über die Situation in der Ukraine, die er vor etwa einem Jahr das letzte Mal besucht hatte. Zu diesem Zeitpunkt habe man nichts von diesen grossen Spannungen zwischen Volksgruppen gemerkt. Zwar gab es in gewissen Fragen unterschiedliche Auffassungen, wie es zwischen der West- und Deutschschweiz auch vorkommt, vielleicht vergleichbar mit dem «Röschtigraben», aber es gab keinen Hass, sondern intensive Diskussionen. Für ihn ist ebenfalls klar, dass das ganze Desaster dort auf den Einfluss fremder Mächte zurückgeführt werden muss. Es gibt keine russische oder ukrainische Familie, die nicht einen Verwandten entweder in Russland oder in der Ukraine hat. Das Land wird auf Grund geostrategischer Interessen förmlich auseinandergerissen.
Das Ganze erinnerte Filippo Lombardi an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Hier glaubte man, mit einer kurzen militärischen Aktion etwas zu gewinnen, was jedoch nachher in einem fürchterlichen Krieg endete. Ähnliche Gefahren sieht er auch bei der aktuellen Krise in der Ukraine. Die Chance, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges geboten habe, sei nicht genutzt worden, nämlich eine wirklich friedlichere Welt aufzubauen.
Die Folgen sehen wir heute in der Ukraine. Es ist jedoch ein asymmetrischer Kampf, denn während sich die USA als einzige Weltmacht behaupten wollen, geht es Russland darum, eine regionale Macht zu werden oder zu bleiben. Deshalb ist nicht zu verstehen, dass man gegen Russland so eine Stimmung erzeugt. Die EU sei seiner Meinung nach nicht in der Lage, im Inneren Reformen zu vollziehen, deshalb habe sie sich auf die Ausdehnung auf die Länder im Osten Europas verlegt. Ihre Haltung in der Ostpolitik ist immer noch geprägt von den Jahren des Kalten Krieges und des Kommunismus’, als diese Länder unter der Kontrolle der Sowjetunion standen.
Die Rolle der Schweiz betrachtete er kritisch. Es ist das Denken des Kalten Krieges, wenn man sich in der Schweiz mit dem Westen solidarisch zeigen will; das ist vorbei, denn es ist kein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern ein Kampf um Interessen. Die Haltung des Bundesrats gegenüber Russland beurteilt er positiv, weil dieser – trotz Druck aus den USA und der EU – dem neutralen Kurs im grossen und ganzen treu geblieben ist.
Gerade jetzt, wo die Schweiz den Vorsitz der OSZE hat, ist es wichtig, dass sich die Schweiz völlig neutral verhält und sich auf keine der beiden Seiten stellt, sondern immer eine Plattform für Verhandlungen bietet. Das kann sie am besten, wenn sie sich strikt neutral verhält. In dieser aktuellen Situation kann es für die Schweiz nur darum gehen, diese Haltung einzunehmen. Gerade im Konflikt um Georgien bot die Schweiz sowohl der russischen als auch der georgischen Seite ihre Guten Dienste an und hat jahrelang zwischen beiden Staaten vermittelt.
Ständerat Filippo Lombardi plädierte ausdrücklich dafür, dass die Neutralität wieder ein grösseres Gewicht in der Politik der Schweiz spielen muss, denn das hat nicht nur Bedeutung für das Land selbst, sondern über unsere Grenzen hinaus auch für alle übrigen Staaten dieser Welt.
Die Sanktionen der EU und der USA haben keine gültige Rechtsgrundlage
Für National- und Staatsrat Oskar Freysinger sind neben der Neutralität die staatliche Souveränität und damit der Rechtsstaat von grösster Bedeutung. Und hier liege so manches im argen. Er zeigte auf, dass die Sanktionen der EU und der USA keine gültige Rechtsgrundlage haben und daher illegal sind. Es gibt nicht einmal eine Uno-Resolution, welche die von der EU und von den USA verhängten Sanktionen oder die Listen von Personen, die mit Einreisebeschränkungen und dem Einfrieren von Bankkonten bestraft werden, rechtfertigen könnte.
Dass die Schweiz sich indirekt an den Sanktionen beteiligt, ist für Freysinger völlig unhaltbar. Mit deutlichen Worten kritisierte er die Rechtlosigkeit, in die sich die Schweiz freiwillig begeben hat, indem sie Menschen sanktioniert, die in keinem rechtsgültigen Verfahren für ein Verbrechen irgendeiner Art bestraft wurden. Sanktioniert wird lediglich eine Konfliktpartei, deren Beziehungen zu einer dominanten Macht sich verschlechtert haben. Es handelt sich also um rein politische Sanktionen ohne Rechtsgültigkeit.
Weiter kritisierte Freysinger das Verhalten der Schweiz als einen Verstoss gegen die Neutralität. Dazu gehören für ihn die Ausladung des Parlamentspräsidenten der russischen Staatsduma Sergej Naryschkin und die Absage an die russische Kunstflugstaffel Russian Knights, die kurzfristig von der Militärflugshow Air14 ausgeladen wurden. Freysinger sprach von 3 «Ohrfeigen», die Russland von der Schweiz verpasst wurden. Diese Vorgänge haben ihn unter anderem veranlasst, eine Petition zu lancieren, um der Schweizer Regierung zu zeigen, dass die Bevölkerung mit der eingeschlagenen Politik, die EU-Sanktionen mitzutragen, nicht einverstanden ist.
Die heutige Verurteilung der Unabhängigkeitserklärung der Halbinsel Krim steht in völligem Widerspruch zur im Jahre 2008 sofort vollzogenen Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Es würde mit zwei verschiedenen Ellen gemessen, liess er verlauten, denn wenn die Abtrennung des Kosovo als völkerrechtlich legitim angesehen wurde, dann müsste jene der Krim ebenso als legitim betrachtet werden.
USA kein Rechtsstaat mehr
Die Neutralität der Schweiz könnte in solch heiklen Situationen einen wichtigen Beitrag als Mediator (Gute Dienste) leisten, und das Land muss seine Souveränität wahren, um glaubwürdig und unabhängig zu bleiben. Auch ist er der Meinung, dass die Menschen zur Kenntnis nehmen müssen, dass Russland nicht mehr, wie es im Kalten Krieg der Fall war, unser Feind ist und die Freundschaft der USA fragwürdig geworden ist.
Was sich die USA in den letzten 10 Jahren gegenüber der Schweiz geleistet haben, ist alles andere als freundschaftlich. Ihr Ziel ist eindeutig die Schwächung, wenn nicht gar Zerstörung des schweizerischen Finanzplatzes.
Von Russland sind, wie Herr Jatras sagte, noch nie irgendwelche Druckversuche ausgegangen, und trotzdem verhält sich die Schweiz, als hätte sie es mit einem Feind zu tun. Auch sind die USA für Freysinger kein Rechtsstaat mehr, sondern ein Weltreich, das aus drei Kreisen besteht. Der erste Zirkel ist das eigene Land, dann kommt der zweite Zirkel mit mehr oder weniger verbündeten Staaten, mit denen man in keinem bewaffneten Konflikt steht, und schliesslich der dritte Zirkel, wo Krieg herrscht.
Je nach Zirkel herrschen unterschiedliche Rechtslagen. Dieses Verhalten wirkt sich am Schluss negativ auf den eigenen Staat aus, weil das Recht auch dort zur Willkür wird, wenn man mit ihm spielt. Aus diesem Grund steht Freysinger mit allen Mitteln für die Erhaltung des Rechtsstaats ein. Es ist unbedingt notwendig, dass das Recht für alle Menschen, die im selben Staat leben, gleiche Gültigkeit haben muss. Bei der Auflösung der Grenzen besteht das Risiko, dass die grösste Weltmacht allen anderen ihr Recht aufdrängt und so eine globale Diktatur entsteht.
Der Dialog mit den Bürgern
In der nachfolgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Mehrheit der Anwesenden erleichtert war, eine so klare und eindeutige Stimme aus den USA zu hören. Der westliche Medieneinheitsbrei lasse kaum eine andere Auffassung zu, so dass wir hier in Europa völlig einseitig und antirussisch informiert werden.
Eine Teilnehmerin warf die Frage auf, was der Bürger gegen diese Desinformation und die verfehlte Politik der eigenen Regierung machen könne. Die beiden Parlamentarier waren sich darin einig, dass es gerade in der Schweiz mit seinen direktdemokratischen Elementen sehr viele Möglichkeiten gibt, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Sie würden auch versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Der Dialog mit dem Bürger, mit Mitgliedern von Verbänden und Vereinen ist ein wichtiger Prozess in der politischen Meinungsbildung, der auch von der «Grossen Politik» nicht übergangen werden kann. Die Bürger müssen untereinander den Dialog führen und sich so Klarheit über die Situation verschaffen.
Die Rechtsstaatlichkeit, die immerwährende Neutralität und die Souveränität können nur dann ihre Bedeutung und Wirkung entfalten, wenn die Schweiz ihre Unabhängigkeit und Souveränität auch verteidigen kann. Deshalb braucht das Land eine schlagkräftige und einsatzbereite Armee, die nach aussen abschreckt und nach innen Sicherheit gewährleistet. Diese Auffassung wurde vom Podium geteilt.
Dass die Schweiz in der OSZE den Vorsitz hat, wurde im gesamten als Chance gesehen, die in der jetzigen Situation ein neutraler Staat wahrnehmen kann. Bundesrat Burkhalter hat durch diese Präsidentschaft realisiert, wie Machtpolitik funktioniert und wie wichtig darin die Rolle der neutralen Schweiz ist.
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