(Red.) Es sei Zeit, so schreibt der US-amerikanische Historiker Norman J.W. Goda auf der US-Plattform «History News Network» HNN, die Ukraine daran zu erinnern, dass der im Jahr 2010 offiziell zum Helden der Ukraine erklärte OUN-Chef Stepan Bandera «tief in den Holocaust» verwickelt war. Denn die heutige Realität in der Ukraine ist, dass es zu Ehren dieses Kriegsverbrechers immer noch zahllose Denkmäler, Briefmarken, Strassen-Namen, Namen von Sportstadien und sogar eindrückliche Demo-Umzüge gibt. Hier die   – ins Deutsche übersetzte   – historische Analyse des US-Historikers Norman J.W. Goda. Daran anschliessend ein Kommentar des tschechischen Juristen Pavel Hasenkopf, in dem er die Bedingungen formuliert, unter denen er bereit wäre, der Ukraine zu helfen. Auch die EU sollte darüber nachdenken. (cm)

Norman J.W. Goda: «Who was Stepan Bandera?» «Wer war Stepan Bandera?»

Am 22. Januar 2010 ehrte der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko Stepan Bandera, indem er ihm posthum die staatliche Auszeichnung „Held der Ukraine“ verlieh. Bandera, ein ukrainischer Nationalist, wurde im Jahr 1959 im Exil vom sowjetische KGB ermordet. Viele Ukrainer, darunter auch ukrainische Emigrantengruppen in Kanada, drängten Juschtschenko, die Ehrung vorzunehmen, die, wie es in einer Erklärung hieß, „die Gerechtigkeit und die Wahrheit über Bandera und den von ihm angeführten Befreiungskampf wiederherstellen würde.“ Bis zum heutigen Tag betrachten viele Ukrainer Bandera als einen zu Unrecht verunglimpften Freiheitskämpfer. 

Als kompromissloser Anführer des militanten, terroristischen Zweigs der «Organisation Ukrainischer Nationalisten» OUN wurde Bandera zum Nazi-Kollaborateur, der nach Beginn des Zweiten Weltkriegs mit seinen Stellvertretern unter deutschem Schutz lebte. In Vorbereitung des Angriffs auf die UdSSR rekrutierten die Nazis Banderas Anhänger als ukrainischsprachige Polizisten und für den Dienst in zwei ukrainischen Freiwilligenbataillonen. Durch seine Zusammenarbeit mit den Nazis hoffte Bandera, die Ukraine von der sowjetischen Herrschaft zu befreien und dann eine eigene Regierung zu errichten. Eine unabhängige Ukraine, so versprach Bandera, würde Deutschland gegenüber freundlich gesinnt bleiben.

Der Historiker Karel Berkhoff hat unter anderem gezeigt, dass Bandera, seine Stellvertreter und die Nazis eine zentrale Obsession teilten, nämlich die Vorstellung, dass die Juden in der Ukraine hinter dem Kommunismus und dem stalinistischen Imperialismus standen und deshalb vernichtet werden mussten. „Die Juden der Sowjetunion“, hieß es in einer Erklärung der Banderisten, „sind die treuesten Anhänger des bolschewistischen Regimes und die Vorhut des moskowitischen Imperialismus in der Ukraine.“ Als die Deutschen im Juni 1941 in die UdSSR einmarschierten und die ostgalizische Hauptstadt Lemberg (heute Lwiw, Red.) einnahmen, gaben Banderas Offiziere in seinem Namen eine Unabhängigkeitserklärung heraus. Sie versprachen außerdem, eng mit Hitler zusammenzuarbeiten, und halfen dann bei einem Pogrom, bei dem innerhalb weniger Tage viertausend Lemberger Juden mit Waffen von Gewehren bis hin zu Metallstangen umgebracht wurden. „Wir werden eure Köpfe zu Hitlers Füßen legen“, verkündete ein banderistisches Pamphlet an die ukrainischen Juden.

Die Deutschen hatten die Absicht, die Ukraine für sich zu behalten. Sie verhafteten Bandera wegen seiner Unnachgiebigkeit in der Frage der Unabhängigkeit, ließen ihn aber 1944 wieder frei, als sich abzeichnete, dass seine Popularität bei den Ukrainern dazu beitragen könnte, den sowjetischen Vormarsch aufzuhalten. Doch unabhängig von ihrer Enttäuschung über die Deutschen waren die Banderisten mit der Judenpolitik der Deutschen in der Ukraine einverstanden, der schließlich über 1,5 Millionen ukrainische Juden zum Opfer fielen.

Dies ist eine Wahrheit, die viele in der Ukraine, insbesondere in den westlichen Landesteilen, einfach leugnen. In seinem Buch Erased (2007) beschreibt Omer Bartov die große Bronzestatue von Bandera, die in einem Park in der ostgalizischen Stadt Drohobych steht, in der die meisten der dort lebenden 15000 Juden ermordet wurden. Der Park befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Ghettos der Stadt, aber es gibt dort nicht einmal eine Gedenktafel für die jüdischen Toten im Park. Dieses und andere Beispiele machen es notwendig, Juschtschenkos Schritt (zur Erklärung Banderas zum Helden der Ukraine, Red.) scharf zu verurteilen.

Quelle und weiterlesen: https://globalbridge.ch/stepan-bandera-trotz-allem-noch-immer-offizieller-held-der-ukraine/

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