Lebenseinstellung steuert Risikogene
Hauptursachen für einen vorzeitigen Tod sind in den westlichen Ländern die Arteriosklerose, der Krebs und Demenzerkrankungen. Die Möglichkeiten der modernen Medizin, Herzinfarkte und Schlaganfälle, also die typischen Folgen der Arterienverkalkung zu behandeln, sind immens. Nicht anders verhält es sich mit den bösartigen Tumoren: viele Krebsarten sind mit den heute zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten sehr gut zu behandeln.
Selbst bei der Therapie der Demenzerkrankungen sind Fortschritte zu verzeichnen, auch wenn ein echter Durchbruch bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz noch aussteht. Doch wie es im Volksmund völlig zu Recht heißt: Vorbeugen ist besser als heilen. Eine Reihe neuerer Untersuchungen brachte jetzt einen Vorbeuge-Faktor ans Licht, dem man ein therapeutisches Potential kaum zugetraut hätte: Menschenliebe, Empathie. Doch der Reihe nach.
„Das empathische Gen“ von Joachim Bauer
Unbemerkt, heimlich, schleichend: Ausartende Entzündungen lassen Krankheiten entstehen
Die meisten Krankheiten haben eine längere, aber leider unerkannte Vorgeschichte. Anders als lange Zeit angenommen worden war, handelt es sich bei der Arteriosklerose nicht einfach nur um „Ablagerungen“. Zu Verkalkungen kommt es erst dann, wenn sich an den Innenwänden der Blutgefäße eine schleichende Entzündung entwickelt hat. Sie erst ist es, die das fatale Geschehen in Gang setzt, an dessen Ende sich Verengungen bilden, die den Blutfluss vermindern und dann, oft unerwartet, eine Angina pectoris, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall auslösen können.
Unbemerkte, „unter dem Radar fliegende“ Entzündungen bereiten auch vielen Krebserkrankungen den Boden: Wo ein Organ - sei es die Prostata, die Brust, der Darm, die Haut oder die Schilddrüse - in entzündlicher Unruhe gehalten wird, erhöht sich das Risiko für Entartungen. Fazit: Alles, was das heimliche Entzündungsgeschehen unter Kontrolle bringen könnte, würde das Risiko für Herz-Kreislauf-, Krebs- und Demenzerkrankungen erheblich senken.
Über den Gastautor
Joachim Bauer ist Facharzt für Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Er lebt, lehrt und forscht in Berlin. Nach seinem Medizinstudium war er viele Jahre zunächst in der Gen-, dann in der Hirnforschung tätig.
Innere Lebenseinstellung beeinflusst Risikogene
Erst vor kurzem gelang es Forschern, eine Gruppe von Genen zu identifizierten, die für die fatalen, weil schleichend und unerkannt ablaufenden Entzündungen verantwortlich sind. In der Fachwelt werden diese Risikogene als „CTRA-Response“ bezeichnet. An der Entdeckung eines dieser Gene mit dem Namen „Interleukin-6“ war ich vor einigen Jahren selbst beteiligt. Unter Anwendung moderner gentechnologischer Methoden gelang es, die Gesamt-Aktivität der Risikogene zu bestimmen.
Dabei zeigte sich, womit niemand gerechnet hatte: Zu Befriedung der Risikogene trägt nicht nur eine gesunde Lebensweise bei (also Abstinenz von Zigaretten und Alkohol, gesunde Ernährung, Reduktion von Umweltgiften). Ein echter Paukenschlag war die Erkenntnis, dass auch die innere Lebenseinstellung einen hemmenden Einfluss auf die fatale Aktivität der Risikogene hat. In Menschen, die prosozial und empathisch eingestellt sind und sich um ein sinngeleitetes Leben bemühen, ist die Aktivität deutlich vermindert. Demgegenüber ist bei Personen, die ausschließlich um das eigene Wohlergehen bemüht sind, die Aktivität des „CTRA-Response“ erhöht.
Entscheidend ist die Freiwilligkeit
Gesund zu leben, sich mehr zu bewegen, gesund zu essen, den Tabakkonsum zu beenden und Alkohol nur in Maßen zu sich zu nehmen – all das bleibt unverändert wichtig, um das Erkrankungsrisiko für Herz-, Krebs- und Demenzerkrankungen zu mindern. Doch wir können mehr tun als das: Bei Testpersonen, die man gebeten hatte, einem Mitmenschen jeden Tag eine kleine Freude zu bereiten, kam es zu einem signifikanten Abfall der Aktivität der Risikogene.
Die gleiche Beobachtung wurde bei Menschen gemacht, die sich für einen Einsatz als Schulbegleiter für Kinder in schwierigen Verhältnissen gemeldet hatten: Positiv verändert hatte sich nicht nur das Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen, sondern auch das Aktivitätsmuster der Risikogene. Entscheidend ist die Freiwilligkeit. Freiheit und Freiwilligkeit unterscheiden wahre Tugend vom Tugendterror. Letzterer ist Stress und macht krank.
Erziehung und Bildung wichtig für empathische Gesellschaft
Eine menschfreundliche, sozusagen philosophische Einstellung, die wir zum Leben haben, vermag also top-down Effekte auf unsere Gene auszuüben. Empathisch zu anderen eingestellt sein können Menschen allerdings nur dann, wenn sie selbst Empathie erlebt haben. Empathie selbst ist nicht angeboren, nur die Fähigkeit sie zu entwickeln! Wie sollen Kinder und Jugendliche Empathie entwickeln, denen es an liebevoller Fürsorge fehlte und die im Internet täglich gegenseitige Missgunst und Hass als Vorbild vorgeführt bekommen?
Daher sind Erziehung und Bildung wichtige Ansatzpunkte für die Schaffung einer empathischen Gesellschaft. Unsere Gesellschaft muss auch dann zusammenhalten, wenn sie sich den Problemen stellen muss, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen. Um die Empathie zu stärken, braucht es neben besserer Erziehung und Bildung auch ein reiches Kulturleben. Kultur ist der Kitt, der ein Land zusammenhält.
Es ist nie zu spät
Die neuen Befunde zur Bedeutung der Empathie sind nicht nur ein Aufruf an alle, die sich (noch) guter Gesundheit erfreuen dürfen und diese bewahren wollen. Die Botschaft geht auch an die bereits Erkrankten. Gefäß- und Krebserkrankungen sind kein endgültiges Urteil, Besserungen sind möglich, in Einzelfällen sogar Zurückbildungen. Wenn man solche erfreulichen, leider nicht sehr häufig gesäten Fälle auf Gemeinsamkeiten untersucht, dann zeigt sich, dass alle, die Besserungen erlebt haben, nach Erhalt der Diagnose ihr Leben radikal umgestellt haben.
Ernährungsumstellung, Vermeidung ungesunder Gewohnheiten, mehr Bewegung und Stressreduktion waren das eine. Das andere - und aus meiner ärztlichen Sicht gleichermaßen wichtig -- war, dass die „Glückspilze“ auch ihre innere Einstellung zum Leben geändert hatten. Egal ob wir (noch) gesund sind oder unser einer Krankheit gegenübersehen: Das Fazit lautet, dass wir auch dem eigenen Glück dienen, wenn wir anderen Gutes tun.
Quelle: https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/lebenseinstellung-steuert-risikogene-vermindert-empathie-das-krankheitsrisiko-wer-anderen-gutes-tut-lebt-laut-genforscher-gesuender_id_24331851.html
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