Buchempfehlung «Wird unser MUT langen?»
In diesem Essay geht Alice Grünfelder der Frage nach, warum die Bevölkerung vor Ort größtenteils zur Stationierung der Pershing II schwieg, das Dorf aber bis heute Symbol für gewaltfreien Widerstand ist. In welchem Spannungsfeld entsteht Zivilcourage, und was kann Mutlangen bedeuten als Symbol des zivilen Ungehorsams? Insbesondere heute wieder, da soziale Bewegungen sich erneut gegen vermeintlich Unausweichliches wehren. Welche Strategien wurden damals erarbeitet, welche könnten und sollten heute wieder zur Anwendung kommen?
Die Kriminalisierung der Friedensbewegung in Deutschland hat Tradition, das war auch in Schwäbisch Gmünd und Mutlangen so. Widerstand organisierte sich lokal und regional – oder eben auch jahrelang gar nicht. Denn schließlich wurden die Atomraketen Pershing I bereits seit den 1960er Jahren auf der Mutlanger Heide stationiert, ohne dass es Protest gegeben hätte. Schwäbisch Gmünd war eine Garnisonsstadt mit zwei amerikanischen Kasernen, diversen Bunkeranlagen versteckt in Wäldern und einem Militärflughafen. An die amerikanische Besatzung hatte man sich seit den 50er Jahren zu gewöhnen, zumal in weiten Bevölkerungskreisen die Amerikaner durchaus als Sieger willkommen geheißen wurden.
Im Jahr 1979 wurde der NATO-Doppelbeschluss unterzeichnet und die Stationierung der Pershing II, die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal entwickelt war, beschlossen. Und auf einmal regte sich nach der Bekanntgabe der Stationierungsorte 1981 Widerstand, deutschlandweit und in Schwäbisch Gmünd.
Mit welchen Gegenkräften musste gerechnet werden? Welche Bedrohungsszenarien wurden von Friedensaktivisten und insgeheim auch der NATO entwickelt? Welche Rückschläge gab es, nachdem die größten Demonstrationen Deutschlands gegen die Stationierung der Pershing II vergebens waren, selbst die Prominentenblockade Anfang September 1983 nichts bewirkt hatten?
Nicht nur die pensionierte Lehrerin Luise Olsen und andere Senioren setzen sich gemeinsam mit ihren Söhnen und Töchtern auf die Zufahrtsstraßen, um die mit Raketen beladenen Sattelschlepper zu blockieren. Für solcherart «verwerfliche Nötigung» wurden 3000 Menschen festgenommen, zu Geldstrafen verurteilt, andere wiederum gingen ins Gefängnis. Doch dieser zivile Ungehorsam vor Ort, von einer kleinen Gruppe aufrechterhalten, führte neben weiteren Faktoren letzten Endes u.a. dazu, dass die Raketen abgezogen wurden.
Die zentrale Frage aber, die diesem Essay zugrunde liegt, lautet: Warum engagieren sich die einen, warum schauen andere weg?
«Alice Grünfelder wählt eine bemerkenswerte Konkretisierung, um all das in Erinnerung zu rufen, zugleich aber von den Umbrüchen zu erzählen, die zur Formierung einer starken Gegenbewegung für den Frieden in Deutschland führten. Mutlangen, ein verschlafenes baden-württembergisches Dorf, steht nicht nur im Zentrum ihres zwischen Reportage, essayistischer Betrachtung und persönlicher Erinnerung changierenden Textes. Es stand 1983 einen Sommer lang auch im Zentrum der europäischen Friedenspolitik, als dort von einer kleinen Gruppe gewaltfreie Protestmärsche und Sit-ins gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen organisiert wurden.»
Hier gehts zur Leseprobe, Auszüge aus einigen Kapiteln.
Wird unser MUT langen?
Alice Grünfelder
Edition Weite Felder
ISBN 978-3750-41744-1
Broschur, 140 Seiten, 12 Euro
Auch als ebook
Szenen aus dem Film „Unser Mut wird langen“ (mit interessantem Archivmaterial) zeigt die Beweggründe der Demonstranten und Blockierer.
*Alice Grünfelder, geboren 1964 im Schwarzwald, aufgewachsen in Mutlangen, lebt in Zürich, studierte nach einer Buchhändlerlehre Sinologie und Germanistik in Berlin und China. 1997 –99 Lektorin beim Unionsverlag in Zürich, für den sie 2004 –2010 die Türkische Bibliothek betreute. Von 2001 –2010 eigene Literaturagentur für Literaturen aus Asien. Unterrichtet Jugendliche und ist als freie Lektorin tätig. Sie leitet diverse Workshops rund ums Thema Schreiben und seit fünf Jahren den Kinderschreibworkshop „Wortschatz“ im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg. Als Herausgeberin und Übersetzerin aus dem Chinesischen und Englischen publizierte sie Bücher über Asien, zuletzt Sri Lanka. Geschichten und Berichte (2014) und Flügelschlag des Schmetterlings. Tibeter erzählen (2009). (Unionsverlag) 2018 erschien ihr erster Roman Die Wüstengängerin (Verlag editino 8).
Quelle: https://www.literaturfelder.com/wird-unser-mut-langen/
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