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Das Projekt "Greater Eurasia": Brücken bauen und Barrieren überwinden

Wenn Sie damit rechnen, dass die vielen neuen Machtzentren Asiens miteinander konkurrieren und aufeinanderprallen, sollten Sie sich eines Besseren belehren lassen. Die Greater Eurasia Partnership soll sie alle integrieren  – von SCO, EAEU und BRICS bis hin zu den neuen Währungen  – um die "regelbasierte Ordnung" zu ersetzen.
Pepe Escobar 22. Juni 2023 - übernommen von thecradle.co
22. Juni 2023

https://media.thecradle.co/wp-content/uploads/2023/06/New-World-Order.jpgFoto: The Cradle

Am 4. Juli wird der Iran auf einem Gipfeltreffen in Neu-Delhi endlich Vollmitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organization   – SCO) werden.

Dies wird einer der wichtigsten Beschlüsse des per Videokonferenz abgehaltenen Gipfels sein, ebenso wie die Unterzeichnung eines Memorandums über den Weg Weißrusslands, ebenfalls Mitglied zu werden.

Parallel dazu hat der stellvertretende russische Ministerpräsident Alexej Overchuk bestätigt, dass der Iran und die von Russland geführte Eurasische Wirtschaftsunion (Eurasian Economic Union   – EAEU) bis Ende 2023 ein Freihandelsabkommen (free trade agreement   – FTA) unterzeichnen werden.

Das Freihandelsabkommen wird ein Interimsabkommen erweitern, das bereits die Zölle auf Hunderte von Warenkategorien senkt.

Russland und Iran   – zwei wichtige Pole der eurasischen Integration   – haben sich seit dem Sanktions-Tsunami des Westens, der auf Russlands militärische Sonderoperation (SMO) in der Ukraine im Februar 2022 folgte, geoökonomisch immer weiter angenähert.

Die EAEU ist   – ebenso wie die SCO und BRICS   – auf einem guten Weg: Es wird erwartet, dass mittel- bis langfristig Freihandelsabkommen mit Ägypten, Indien, Indonesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten abgeschlossen werden.

Overchuck räumt ein, dass die Verhandlungen "sehr schwierig" sein und "Jahre dauern" könnten, wenn man "die Interessen aller fünf EAEU-Mitgliedstaaten, ihrer Unternehmen und ihrer Verbraucher" berücksichtigt. Doch trotz der offensichtlichen Komplexität hat dieser geoökonomische Hochgeschwindigkeitszug den Bahnhof bereits verlassen.

Hier geht's zum SWIFT-Ausgang

Parallel dazu haben die Mitglieder der Asian Clearing Union (ACU) auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen im Iran beschlossen, noch in diesem Monat ein neues grenzüberschreitendes Finanznachrichtensystem als Konkurrenz zum westlich geprägten SWIFT zu starten.

Der ACU gehören die Zentralbanken Indiens, Pakistans, Bangladeschs, Bhutans, der Malediven, Nepals, Sri Lankas, Myanmars und des Iran an: eine gesunde Mischung aus Westasien, Südostasien und Südasien.

Es war die iranische Zentralbank   – die immer noch unter strengen Sanktionen steht   –, die das neue Banknachrichtensystem entwickelt hat, das so neu ist, dass es noch nicht unter einem eigenen Akronym bekannt ist.

Der Gouverneur der russischen Zentralbank nahm als Beobachter am ACU-Gipfel teil, ebenso wie Beamte aus Weißrussland, das vor zwei Wochen einen Antrag auf Mitgliedschaft in der ACU gestellt hat.

Der iranische Zentralbankgouverneur Mohammad Reza Farzin bestätigte nicht nur das Interesse potenzieller Mitglieder an einem Beitritt zur ACU, sondern auch das Bestreben, einen Währungskorb für die Bezahlung bilateraler Handelsgeschäfte einzurichten. Nennen wir es eine Abkürzung zur Entdollarisierung.

Irans erster Vizepräsident Mohammad Mokhber brachte es auf den Punkt: "Die Entdollarisierung ist keine freiwillige Entscheidung der Länder mehr, sondern eine unvermeidliche Reaktion auf die Nutzung des Dollars als Waffe."

Der Iran steht nun im Mittelpunkt aller multipolaren Entwicklungen. Die jüngste Entdeckung eines riesigen Lithiumfeldes, das etwa 10 Prozent der weltweiten Reserven birgt, in Verbindung mit der durchaus möglichen Aufnahme des Iran in die erweiterten BRICS   – oder BRICS+   – noch in diesem Jahr, hat Szenarien einer kommenden BRICS-Währung, die mit Rohstoffen wie Gold, Öl, Gas und   – unvermeidlich   – Lithium unterlegt ist, gestärkt.

All diese rasanten Aktivitäten des globalen Südens stehen in scharfem Kontrast zur stotternden Verlangsamung des Imperiums der Sanktionen.

Der Globale Süden hat die Nase voll davon, dass die USA zur Verteidigung einer verschwommenen, willkürlichen "regelbasierten internationalen Ordnung" Sanktionen und Verbote verhängen, gegen wen und was auch immer und wann immer sie wollen.

Ausnahmen werden jedoch immer dann gemacht, wenn die USA selbst dringend chinesische Seltene Erden und EV-Batterien kaufen müssen. Und während China ununterbrochen schikaniert und bedroht wird, drängt Washington das Land im Stillen, weiterhin amerikanischen Mais und Low-End-Chips von Micron zu kaufen.

Das nennt man in den USA heute "freien und fairen" Handel.

Die BRICS haben andere Ideen, um diesem Teufelskreis zu entkommen. Viele setzen auf eine stärkere Rolle ihrer Neuen Entwicklungsbank (New Development Bank   – NDB), der neben den fünf BRICS-Mitgliedern auch Bangladesch, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten angehören. Uruguay wird demnächst beitreten, und auch die Beitrittsanträge von Argentinien, Ägypten, Saudi-Arabien und Simbabwe wurden bereits genehmigt.

Laut der ehemaligen brasilianischen Staatschefin und jetzigen NDB-Präsidentin Dilma Rousseff sollen die Entscheidungen über neue Mitglieder offiziell auf dem BRICS-Gipfel im August in Südafrika bekannt gegeben werden.

Unterdessen fand in Astana, Kasachstan, die 20. Runde des langwierigen Friedensprozesses für Syrien statt, an der die Vize-Außenminister Russlands, Syriens, der Türkei und des Iran teilnahmen.

Dies sollte der entscheidende Schritt in einem "Normalisierungsfahrplan" sein, den Moskau im letzten Monat vorgeschlagen hatte, um die Rolle der türkischen Armee auf syrischem Gebiet endgültig zu regeln. Der russische Vizeaußenminister Michail Bogdanow bestätigte erneut, dass die USA alles daransetzen, eine Normalisierung zwischen Damaskus und Ankara zu verhindern, indem sie die ölraubenden kurdischen Milizen im Norden Syriens unterstützen.

Eine "breite integrative Konfiguration"

Alle miteinander verknüpften Entwicklungen in Bezug auf SCO, BRICS, EAWU und andere multilaterale Mechanismen, die sich derzeit in rasantem Tempo vollziehen, laufen in der Praxis in einem Konzept zusammen, das 2018 in Russland formuliert wurde: die Groß-Eurasische Partnerschaft.

Und wer könnte es besser definieren als der Rrussische Außenminister Sergey Lawrow: "Unser außenpolitisches Vorzeigeprojekt ist es, Unterstützung für das Konzept der Groß-Eurasischen Partnerschaft zu gewinnen. Es geht darum, den objektiven Prozess der Bildung einer breiten integrativen Konfiguration zu erleichtern, die für alle Länder und Vereinigungen auf unserem riesigen Kontinent offen ist."

Wie Lawrow bei all seinen wichtigen Treffen routinemäßig erklärt, umfasst dies die "Verknüpfung der komplementären Entwicklungspläne" der EAEU und Chinas BRI, die Ausweitung der Interaktion "im Rahmen der SCO unter Einbeziehung der SCO-Beobachterstaaten und Dialogpartner", die "Stärkung der strategischen Partnerschaft" zwischen Russland und der ASEAN und die "Herstellung von Arbeitskontakten" zwischen den Exekutivorganen der EAEU, der SCO und der ASEAN.

Hinzu kommt die entscheidende Interaktion zwischen den bevorstehenden BRICS+ und all den oben genannten; buchstäblich alle im gesamten globalen Süden stehen Schlange, um dem Club BRICS beizutreten.

Lawrow schwebt eine "für beide Seiten vorteilhafte, miteinander vernetzte Infrastruktur" und eine "Kontinent-Weite Architektur des Friedens, der Entwicklung und der Zusammenarbeit im gesamten eurasischen Raum" vor. Und das sollte auf den gesamten Globalen Süden ausgeweitet werden.

Es wird hilfreich sein, wenn andere brandneue Institutionen mit ins Boot geholt werden. Das ist der Fall bei einer neuen russischen Denkfabrik, dem Geopolitischen Observatorium für Russlands Schlüsselfragen (Geopolitical Observatory for Russia’s Key Issues   – GORKI), das von der ehemaligen österreichischen Außenministerin Karin Kneissl geleitet wird und als Abteilung der Staatlichen Universität St. Petersburg mit Schwerpunkt auf Westasienstudien und Energiefragen eingerichtet wird.

All diese Interpolationen wurden auf dem St. Petersburg Forum letzte Woche ausführlich erörtert.

Eines der Hauptthemen dieses spektakulär erfolgreichen, auf den Globalen Süden ausgerichteten Forums war natürlich die Reindustrialisierung und Neuausrichtung der russischen Export-Import-Kanäle weg von Europa und hin zu Asien, Afrika und Lateinamerika.

Die Vereinigten Arabischen Emirate waren in St. Petersburg stark vertreten und wiesen auf einen Schwerpunkt in Westasien hin, wo sich Russlands geoökonomische Zukunft zunehmend entwickelt. Der Umfang und die Breite der vom Globalen Süden geführten Diskussionen unterstrichen nur, wie der sich selbst marginalisierende kollektive Westen die Globale Mehrheit entfremdet hat, vielleicht unwiederbringlich.

In der äußerst populären politischen Talkshow von Wladimir Solowjow hat der russische Filmregisseur Karen Schachnasarow vielleicht den besten Weg gefunden, um einen so komplexen Prozess wie die Greater Eurasia Partnership kurz und bündig zu formulieren.

Er sagte, dass Russland nun wieder die Rolle des globalen Verfechters einer neuen Weltordnung einnimmt, die die Sowjetunion zu Beginn der 1920er Jahre innehatte. Vor diesem Hintergrund sind die Wut und die unkontrollierte Russophobie des kollektiven Westens reine Ohnmacht: Sie heulen ihre Frustration darüber hinaus, Russland "verloren" zu haben, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, es auf seiner Seite zu halten.

Pepe Escobar For theCradle.co
Pepe Escobar (* 1954 in São Paulo[1]) ist ein brasilianischer investigativer Journalist. Er analysiert geopolitische Zusammenhänge. 

Quelle: https://thecradle.co/article-view/26288/the-greater-eurasia-project-building-bridges-and-breaking-barriersMit freundlicher Genehmigung von thecradle.co
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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