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Seymour Hersh: Der Plan zur Auslöschung von Hamas

Während sich Flüchtlinge an der Grenze zu Ägypten drängen, bereitet sich Israel darauf vor, Gaza-Stadt mit von den USA gelieferten Bunkerbombern zu beschießen
Von S. Hersh 15.10.2023 - übernommen von seymourhersh.substack.com
15. Oktober 2023

hersh.jpgPalästinenser gehen nach israelischen Luftangriffen am Samstag durch die Ruinen von Gaza-Stadt. / Foto von Ahmad Hasaballah/Getty Images.

Seit den schrecklichen Angriffen der Hamas auf Israel ist nun eine Woche vergangen, und die Form dessen, was von den israelischen Streitkräften kommen wird, ist klar und kompromisslos.

In der vergangenen Woche haben israelische Flugzeuge rund um die Uhr nicht-militärische Ziele in Gaza-Stadt bombardiert. Wohnhäuser, Krankenhäuser und Moscheen wurden ohne Vorwarnung und ohne jeden Versuch, die Zahl der zivilen Opfer möglichst gering zu halten, in Stücke gerissen.

Gegen Ende der Woche warfen israelische Flugzeuge auch Flugblätter ab, die den Bürgern von Gaza-Stadt und den umliegenden Gebieten im Norden mitteilten, dass diejenigen, die überleben wollten, sich besser auf den Weg nach Süden machen sollten   – notfalls zu Fuß, 25 Meilen oder mehr zum Grenzübergang Rafah, der nach Ägypten führt. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, ob das finanziell angeschlagene Ägypten eine Million Einwanderer, von denen sich viele der Hamas angeschlossen haben, passieren lassen wird. Von einem israelischen Insider erfuhr ich, dass Israel versucht, Katar, das auf Drängen von Premierminister Benjamin Netanjahu seit langem die Hamas finanziell unterstützt, davon zu überzeugen, gemeinsam mit Ägypten eine Zeltstadt für die mehr als eine Million Flüchtlinge zu finanzieren, die jenseits der Grenze warten. "Es ist noch nicht beschlossene Sache", sagte mir der israelische Insider. Israelische Beamte haben Ägypten und Katar gewarnt, dass die Flüchtlinge ohne einen Landeplatz "zurück nach Gaza" gehen müssten.

Ein möglicher Standort, so der Insider, ist ein seit langem verlassenes Stück Land im nördlichen Teil der Sinai-Halbinsel in der Nähe des Grenzübergangs zum Gazastreifen, auf dem sich eine israelische Siedlung namens Yamit befand, als die Halbinsel nach dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg von 1967 von Israel erobert wurde. Die Siedlung wurde von Israel geräumt und mit Bulldozern platt gemacht, bevor der Sinai 1982 an Ägypten zurückgegeben wurde. Israel hofft, dass Katar und Ägypten ihm die Flüchtlingskrise abnehmen werden.

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Karte mit freundlicher Genehmigung von Wikimedia Commons

Israels offensichtliche Missachtung des Wohlergehens der Bevölkerung des Gazastreifens inmitten der erzwungenen Migration von mehr als einer Million hungernder Menschen hat die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen und zu einer zunehmenden internationalen Verurteilung geführt, die sich größtenteils gegen Premierminister Benjamin Netanjahu richtet.

Die nächste Etappe muss also bald kommen. In meinen Gesprächen der letzten Tage mit Vertretern Israels und anderer Länder, darunter auch mit Vertretern, mit denen ich seit dem Vietnamkrieg in Europa und im Nahen Osten zu tun hatte, habe ich Folgendes über den israelischen Plan zur Beseitigung der Hamas erfahren.

Das Hauptproblem für die israelischen Kriegsplaner besteht darin, dass sie trotz der Mobilisierung von mehr als 300.000 Reservisten zögern, sich in Gaza-Stadt auf eine Straßenschlacht mit der Hamas einzulassen. Ein Veteran der IDF, der in einem hohen Posten diente, erzählte mir, dass die Hälfte der israelischen Armee in den letzten zehn Jahren oder mehr mit dem Schutz der zunehmenden Zahl kleiner Siedlungen im Westjordanland beschäftigt war, wo sie von der palästinensischen Bevölkerung erbittert angefeindet werden. "Die israelischen Planer haben kein Vertrauen in ihre Infanterie", sagte der Insider, und auch nicht in deren Bereitschaft, in den Krieg zu ziehen, was ein verhängnisvoller Mangel an Kampferfahrung sein könnte.

Da die ausgehungerte Zivilbevölkerung gezwungen ist, den Ort zu verlassen, sieht der israelische Einsatzplan vor, dass die Luftwaffe die verbleibenden Strukturen in Gaza-Stadt und anderswo im Norden zerstört. Gaza-Stadt wird es dann nicht mehr geben. Israel wird dann damit beginnen, 5.000-Pfund-Bomben aus amerikanischer Produktion, so genannte "Bunker Busters" oder JDAMs, auf die zerstörten Gebiete abzuwerfen, in denen Hamas-Kämpfer bekanntermaßen leben und ihre Raketen und anderen Waffen unterirdisch herstellen. Eine verbesserte Version der Waffe, die als GBU-43/B bekannt ist und von den Medien als "die Mutter aller Bomben" bezeichnet wird, wurde im April 2017 von den USA auf eine mutmaßliche ISIS-Kommandozentrale in Afghanistan abgeworfen. Eine frühe Version der Waffe wurde 2005 an Israel verkauft, angeblich für den Einsatz gegen mutmaßliche iranische Atomanlagen, und die verbesserte, lasergesteuerte Version wurde vor einem Jahrzehnt von der Obama-Regierung zum Verkauf an Israel zugelassen. Schon damals, so sagte mir der israelische Insider, war Netanjahu und seinen Beratern klar, dass Netanjahus Unterstützung für die Hamas gefährlich war, so als würde man sich einen Tiger als Haustier halten. "Er würde dich in einer Minute auffressen."

Die derzeitigen israelischen Kriegsplaner sind überzeugt, so der Insider, dass die verbesserte Version der JDAMs mit größeren Sprengköpfen tief genug in den Untergrund eindringen würde, bevor sie detoniert   – dreißig bis fünfzig Meter   –, wobei die Explosion und die daraus resultierende Schallwelle "alle im Umkreis von einer halben Meile töten" würde.

Der Insider sagte, er gehe davon aus, dass die Hamas-Führung wolle, dass einige Zivilisten vor Ort bleiben, weil sie "menschliche Schutzschilde" bräuchten. Der neue israelische Plan des erzwungenen Abzugs bedeute, dass "zumindest nicht alle Menschen getötet würden". Das Konzept, so fügte er pointiert hinzu, gehe auf die frühen Jahre des Vietnamkriegs in Amerika zurück, als die Regierung von Präsident John F. Kennedy den Strategic Hamlet Plan genehmigte, der die Zwangsumsiedlung vietnamesischer Zivilisten in umkämpften Gebieten in eilig errichtete Wohnungen in Gebieten vorsah, von denen man annahm, dass sie von den Südvietnamesen kontrolliert würden. Das verlassene Land wurde dann zu "Free Fire Zones" erklärt, in denen alle, die sich dort aufhielten, von den amerikanischen Truppen ins Visier genommen werden konnten.

Die systematische Zerstörung der verbleibenden Gebäude in Gaza-Stadt werde in den nächsten Tagen beginnen, sagte der israelische Insider. Als Nächstes könnten die bunkerbrechenden JDAMs kommen. Im Szenario der Planer, so wurde mir gesagt, wird die israelische Infanterie dann mit Aufräumarbeiten betraut: Suche und Tötung der Hamas-Kämpfer und Arbeiter, die die JDAM-Angriffe überlebt haben.

Auf die Frage, warum die israelischen Planer glaubten, dass die ägyptische Regierung, wenn auch unter dem Druck der Biden-Administration, zustimmen würde, die mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem Gazastreifen aufzunehmen, sagte der Insider: "Wir haben Ägypten bei den Eiern." Er bezog sich dabei auf die jüngsten Anklagen gegen den demokratischen Senator Robert Menendez aus New Jersey und seine Frau wegen Korruptionsvorwürfen, die aus seinen Geschäften mit hochrangigen ägyptischen Beamten und der angeblichen Weitergabe von Informationen über Personen in der US-Botschaft in Kairo herrühren. Der ägyptische Präsident Abdul Fatta el-Sisi, der 2014 durch einen Staatsstreich die gewählte Muslimbruderschaft an die Macht brachte, ist ein General im Ruhestand, der von 2010 bis 2012 den ägyptischen Militärgeheimdienst leitete.

Nicht jeder teilte die Annahme, dass nach den JDAM-Angriffen, sofern sie stattfinden, alles gut gehen würde. Ein ehemaliger europäischer Geheimdienstmitarbeiter, der jahrelang im Nahen Osten tätig war, sagte mir: "Die Ägypter wollen nicht, dass die Hamas nach Ägypten kommt, und sie werden das Minimum tun."

Als er von den israelischen Plänen zum Einsatz von JDAMS erfuhr, sagte er, dass "eine Stadt in Trümmern genauso gefährlich ist wie zu jeder anderen Zeit. Das Gerede über JDAMS ist das Gerede von Leuten, die nicht wissen, was sie tun sollen. Die Hamas sagt: 'Her mit dem Ding.' Sie warten nur darauf." Der Einsatz von JDAMS "ist das Gerede einer Führung, die von ihren Füßen gestoßen wurde. Dies war eine sorgfältig geplante Operation, und die Hamas wusste genau, wie die israelische Reaktion ausfallen würde. Städtische Kriegsführung ist furchtbar."

Der frühere Beamte sagte voraus, dass die israelischen Bunkerbomben nicht tief genug eindringen würden: Die Hamas operiere in Tunneln, die 60 Meter unter der Erde gebaut seien und den JDAM-Angriffen standhalten könnten.

Darauf angesprochen räumte der israelische Insider ein, dass unterirdische Felsen und Gesteinsbrocken die Fähigkeit der Raketen, tief einzudringen, einschränken würden, aber die unterirdische Oberfläche in Gaza-Stadt sei sandig und würde wenig Widerstand bieten, vor allem wenn die JDAMs von einem möglichst hohen Punkt aus abgeworfen würden.

Der Insider sagte auch, dass die derzeitige Planung vorsieht, dass der JDAM-Angriff, falls er genehmigt wird, bereits am Sonntag oder Montag erfolgen soll, je nachdem, wie effizient die gewaltsame Vertreibung der Bevölkerung von Gaza-Stadt und dem Süden abläuft, wobei eine Bodeninvasion sofort folgen soll.

Quelle: https://seymourhersh.substack.com/p/the-plan-to-wipe-out-hamas

Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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