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Die Ursprünge des Hamas/Israel-Kriegs

Andrew Napolitano im Gespräch mit John J. Mearsheimer
Judge Andrew Napolitano für Judging Freedom mit John J. Mearsheimer 12. 19. 2023
14. Oktober 2023

(Red.) Wenn man sich die Stellungnahmen unserer westlichen Politiker zu Israel in den letzten Tagen anhört, glaubt man seinen Ohren fast nicht. Wir sind ja schon viel gewöhnt, aber das ist wirklich nicht mehr zu ertragen. Angeblich habe "der Angegriffene" hier jedes Recht, sich zu verteidigen - und zwar auch auf Kosten unschuldiger Menschen, was letztlich zu einem Völkermord führt. Nicht nur wird hier jeder historischer Rückblick ausgelassen - auch aus menschenrechtlichen Aspekten ist diese Aussage absolut unfassbar: Es soll also wirklich derjenige, der ein unmenschliches Konzentrationslager eingerichtet hat und die Kontrolle darüber führt, ein "Notwehrrecht" haben, wenn sich die Insassen des Konzentrationslagers mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, aus diesem Konzentrationslager auszubrechen? Kriegsverbrechen unaussprechlichen Ausmasses sind von beiden Seiten verübt worden. Aber statt zur Mässigung aufzurufen, wird einseitig eskaliert und damit ein Massenmord an unschuldigen Menschen propagiert. Deutschland mit seiner Geschichte von Konzentrationslagern sollte es wirklich besser wissen, friedensfördernd handeln und zu sofortigem Waffenstillstand aufrufen.(am)

Die Übersetzung und das Transkript besorgte Andreas Mylaeus(am)

Andrew Napolitano:

Hallo zusammen, Judge Andrew Napolitano hier bei Judging Freedom. Heute ist Donnerstag, der 12. Oktober 2023. Professor John Mearsheimer von der Universität von Chicago ist jetzt bei uns.

Professor Mearsheimer, wie immer ein Vergnügen. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und uns aufklären. Sie sind natürlich ein weltweit anerkannter Politikwissenschaftler, Theoretiker und Historiker. Aber Sie sind auch Absolvent von West Point und haben einige Zeit in der US-Luftwaffe verbracht. Haben Sie irgendeine Idee, irgendeine Analyse, die Sie uns mitteilen können, wie der israelische Geheimdienst und das Militär am vergangenen Samstag so spektakulär versagt haben? Es war wie ein katastrophaler perfekter Sturm?

John Mearsheimer:

Ich habe den Eindruck, Judge, dass die Israelis in naher Zukunft mit einem Angriff gerechnet hatten. Ich meine, die Tatsache, dass die Hamas Israel angegriffen hat, ist an sich keine große Überraschung. Tatsächlich hat die Hamas Israel in den letzten zwei Jahrzehnten bei zahlreichen Gelegenheiten angegriffen. Dies ist also keine große Überraschung.

Ich denke, was eine große Überraschung war, ist der Umfang und die Art des Angriffs. Die Israelis hatten keine Ahnung, dass die Hamas eine Operation dieses Ausmaßes durchführen und Israel so viel Tod und Zerstörung zufügen könnte. Es war ein völliger Schock für sie, und die Wahrheit ist, dass es, glaube ich, für fast jeden, der diesen Konflikt verfolgt, ein völliger Schock war. Es ist also nicht die Tatsache, dass Israel angegriffen wurde, die die große Überraschung ausmacht. Es ist die Art des Angriffs, die die große Überraschung war, und im Übrigen waren sie auf das, was passierte, völlig unvorbereitet. Daran gibt es keinen Zweifel. Sie wurden wirklich mit heruntergelassenen Hosen erwischt.

Andrew Napolitano:

Nun, die mangelnde Vorbereitung wird meiner Meinung nach außerordentliche politische Konsequenzen in Israel haben. Es ist schwer zu glauben, dass der Premierminister, Netanjahus Premierministerschaft   – in Ermangelung eines besseren Ausdrucks oder Wortes   – dies überleben kann.

John Mearsheimer:

Ja, ich denke, das ist vergleichbar mit dem Krieg von 1973, als Golda Meir Premierministerin von Israel war, und Israel wurde damals wie heute überrascht, und Golda Meir überlebte kurzfristig, weil es kurzfristig zu einem "Rallye-um-die-Flagge-Effekt" kam, und davon hat sie damals profitiert. Und Netanyahu profitiert jetzt davon. Aber wenn sich die Sache erst einmal beruhigt hat und zu einem gewissen Ende gekommen ist, wird es Schuldzuweisungen geben, und es ist, wie Sie sagen, schwer vorstellbar, dass Netanjahu das überlebt.

Andrew Napolitano:

Einige unserer Diskussionsteilnehmer, die Sie alle kennen, haben vorgetragen, dass sich ihre Ansichten um zwei Bereiche für diese Misserfolge drehen: Der eine ist die Arroganz, der Glaube, dass wir stärker, klüger, reicher, besser sind und deshalb unmöglich angegriffen werden können. Und der andere ist ein merkwürdiges   – relativ neues Phänomen   – ein merkwürdiges Vertrauen in die KI (künstliche Intelligenz) und nicht in die menschliche Intelligenz. Haben Sie eine Meinung zu einem dieser Themen oder zu einer dieser Erklärungen als rationale Grundlage für die mangelnde Vorbereitung? Die mangelnde Vorbereitung ist auch militärisch bedingt, da man sich so sehr auf die Feier eines religiösen Festes in der Wüste konzentrierte und in anderen Bereichen große Lücken hinterließ.

John Mearsheimer:

Nun, ich glaube nicht, dass es so sehr an KI lag, und ich glaube, dass es eine gewisse Arroganz unter den Israelis gibt. Aber ich denke, dass der Schlüssel hier mit der   – nennen wir es "Vorstellung"   – von dem, was wahrscheinlich passieren würde, zu tun hat, die die Israelis in ihrem Kopf hatten. Als die Agranat Commission das israelische Scheitern im Jahr 1973 untersuchte, machte sie die "Konzeption", die "Vorstellung" dafür verantwortlich, das Bild, das die Israelis von einem ägyptischen Angriff über den Kanal im Kopf hatten. Sie hatten die falsche "Vorstellung". Und wie ich Ihnen in meinen ersten Kommentaren sagte, glaube ich, dass die Israelis eine falsche Vorstellung davon hatten, was die Palästinenser, die von Gaza aus angreifen, ihnen antun könnten. Und deshalb waren sie auch so völlig überrascht.

Noch einmal: Die Tatsache, dass die Hamas Israel angreift, ist keine große Überraschung, und sie dachten, dass sie damit umgehen könnten, wenn es passiert. Aber was sie nicht wussten, war, dass die Hamas-Angreifer eine clevere Strategie hatten, mit der sie einfach nicht gerechnet haben und auf die sie nicht vorbereitet waren. Meiner Meinung nach ist das Konzept hier das Problem, wie schon 1973.

Andrew Napolitano:

Wie ist die Hamas entstanden? Wie kam es zu ihrer Existenz?

John Mearsheimer:

Nun, ursprünglich war es die islamische Bruderschaft in Israel und nach der ersten Intifada in den späten 1980er Jahren begann sie sich zu radikalisieren und verblüffte die Israelis im Laufe der Zeit   – vor allem die hartgesottenen Israelis, die gegen die Zweistaatenlösung waren...

Andrew Napolitano:

…wie Benjamin Netanyahu?

John Mearsheimer:

Ja genau. Es ist schon erstaunlich. Sie mochten die Hamas, weil sie wussten, dass die Hamas extremistische Ansichten über eine Zweistaatenlösung hat. Mit anderen Worten: Keine Zweistaatenlösung. Und die Leute auf der rechten Seite in Israel wollten keine Zweistaatenlösung. Die Israelis verbündeten sich also in gewissem Maße   – wir müssen hier vorsichtig mit der Sprache sein   – mit der Hamas, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu untergraben, zunächst unter Arafat, dann unter Mahmud Abbas, weil diese an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert war. In einer sehr wichtigen Hinsicht war Israel also bereit, mit der Hamas zu leben. Und das ist der Grund, warum sie die Hamas nicht als so große Bedrohung ansahen, denn bis zu einem gewissen Grad   – auch hier müssen wir unsere Worte sorgfältig wählen   – war die Hamas ein Partner Israels bei der Unterminierung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die an einer Zweistaatenlösung interessiert war.

Andrew Napolitano:

Handelt es sich hier um einen intellektuellen, akademischen oder politischen Partner, oder gab es eine finanzielle Beziehung, indem Israel zu irgendeinem Zeitpunkt die Hamas finanziert hat?

John Mearsheimer:

Ich kenne keinen Beweis dafür, dass dies der Fall sein könnte. Ich denke, dass der Großteil der Finanzierung der Hamas von außerhalb kommt, aus Ländern wie Iran, Katar und so weiter und so fort. Ich glaube nicht, dass die Israelis es für nötig hielten, das zu tun. Sie hätten es vielleicht getan, wenn sie es für nötig gehalten hätten. Nochmals: Die Israelis sahen die Hamas als nützlich an, um eine Zweistaatenlösung zu untergraben, woran der Leute wie Netanjahu und viele andere Israelis seit langem interessiert sind.

Andrew Napolitano:

Wie ist das Verhältnis zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde, die von Mahmud Abbas geleitet wird?

John Mearsheimer:

Es ist schrecklich. Daran besteht kein Zweifel. Mahmud Abbas ist an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert. Die Hamas ist es nicht. Sie sind sich spätestens seit den Wahlen von 2006 uneinig. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dieses jetzige Ereignis sie gezwungen hat, zusammenzukommen. Ich könnte mir vorstellen, dass es unter den Palästinensern ein Zeichen der Einigkeit gibt, so wie es auch unter den Israelis zu diesem Zeitpunkt ein Zeichen der Einigkeit gibt. Aber wie sich das im Laufe der Zeit entwickeln wird, ist sehr schwer zu sagen.

Andrew Napolitano:

Kann man sagen, dass die Hamas nicht die Regierung des Gazastreifens ist, sondern die Palästinensische Autonomiebehörde, aber die Hamas ist ein Aspekt der Gesellschaft des Gazastreifens, den die Palästinensische Autonomiebehörde nicht kontrollieren kann, so wie die Drogenbanden in Mexiko, die man nicht kontrollieren kann. Sie sind nicht die Regierung Mexikos, aber sie sind auch nicht der Regierung Mexikos unterstellt?

John Mearsheimer:

Nein. Ich denke, es ist ganz klar, dass die Hamas den Gazastreifen kontrolliert. Sie regiert den Gazastreifen und die Palästinensische Behörde kontrolliert das Westjordanland. Sie sollten sich daran erinnern, dass dort das letzte Mal 2006 eine Wahl stattgefunden hat und die Israelis uns gewarnt hatten: "Haltet diese Wahl nicht ab!" Denn die Israelis rechneten damit, dass die Hamas gewinnen würde und dann nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland Einfluss haben würde. Die Amerikaner haben nicht auf die Israelis gehört. Wir haben die Wahlen abgehalten. Die Hamas hat gewonnen. Wir haben dann das Wahlergebnis untergraben, was wir im Westjordanland tun konnten, und haben dort Mahmud Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde eingesetzt. Aber in Gaza konnten wir das nicht tun, und das Ergebnis ist, dass die Hamas in Gaza die Kontrolle hat.

Andrew Napolitano:

Ich möchte Ihnen einen Ausschnitt vorspielen, in dem Admiral Kirby, der offizielle Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Präsidenten, es ablehnt, die Frage zu beantworten, ob der ägyptische Geheimdienst von diesem Ereignis, diesem katastrophalen Angriff, vorher gewusst hat oder nicht. Das Band stammt aus einer Sendung auf Fox News. Mein Freund, Nachbar und ehemaliger Kollege Neil Cavuto hat Mike McCaul, den Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses, bei sich, der Kirby widerspricht und unverblümt erklärt, er wisse aufgrund der ihm vorliegenden Informationen, dass die Ägypter die Israelis gewarnt hätten. Hören Sie sich das an:

[eingefügter Videoclip]

Frage:

Können Sie etwas zu den Berichten sagen, dass Israel von Ägypten gewarnt wurde?

Admiral Kirby:

Das kann ich nicht.

Frage:

McCall vom Ausschuss für Auswärtiges hat diese Behauptung heute Morgen aufgestellt und gesagt, das sei etwas, was den Mitgliedern des Geheimdienstes oder des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten gesagt worden sei. Wurde das denn überhaupt besprochen? Ist das etwas, dem Sie nachgehen?

Admiral Kirby:

Ich kann mich nicht zu spezifischen Geheimdienstangelegenheiten äußern. Auch hier wird es eine Zeit geben, auf die wir zurückblicken werden, wie wir es immer tun, und das werden wir. Im Moment verschärfen wir das Sammeln von Geheimdienstinformationen und die Zusammenarbeit und den Austausch mit Israel, wie wir es tun sollten, da sie an aktiven Operationen beteiligt sind, und wir stellen sicher, dass sie die Werkzeuge bekommen, die sie brauchen.

[ein weiterer eingefügter Videoclip]

Neil Cavuto:

In Ordnung, also Ihre Geheimdienstinformationen sagen also das eine, Herr Vorsitzender. John Kirby hält seine Karten vielleicht verdeckt. Seine und die des Weißen Hauses Informationen sagen aber etwas anderes. Wer hat Recht?

Michael McCaul:

Nun, wir wissen, dass der ägyptische Geheimdienst dies an Israel weitergegeben hat, und ich kann das nicht weiter vertiefen.

(Ende des eingefügten Videoclips)

Andrew Napolitano:

Aber er muss   – als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses   – Empfänger einer geheimdienstlichen Unterrichtung gewesen sein, und dann hat er etwas von dem, was er erfahren hat, öffentlich preisgegeben. Lassen wir einmal beiseite, ob das ein Rechtsbruch ist oder nicht. Aber wenn die Ägypter es den Israelis gesagt haben, haben die Israelis es ignoriert?

John Mearsheimer:

Nun, alles hängt davon ab, was die Ägypter den Israelis gesagt haben. Haben sie ihnen gesagt, dass es in ein paar Tagen passieren würde, oder haben sie ihnen gesagt, dass es im Laufe des nächsten Monats oder so einen Angriff geben könnte? Das ist eine wichtige Frage. Die wichtigere Frage, die auf meine früheren Bemerkungen zurückgeht, lautet: Haben die Ägypter ihnen gesagt, welchen Umfang und welches Ausmaß diese Operation haben würde? Haben sie ihnen gesagt, dass dies ein noch nie dagewesener Angriff sein würde, der verheerende Folgen für Israel haben würde? Das glaube ich nicht. Ich würde eine Menge Geld darauf wetten, dass sie das nie gesagt haben. Und wenn sie das gesagt hätten, dann hätten die Israelis ernsthaft darauf geachtet.

Aber den Israelis nur zu sagen, dass die Hamas angreifen wird, ist keine große Sache. Denn was die Israelis in einem solchen Fall erwarteten, sind ein paar Raketen und vielleicht ein paar Einzelpersonen, die versuchen, den Zaun zu durchbrechen, und damit könnten sie ihrer Meinung nach umgehen. Womit sie nicht umgehen konnten, war diese clevere Strategie, mit der sie einfach nicht gerechnet haben und mit der niemand gerechnet hat, und ich wette, das gilt auch für die Ägypter.

Andrew Napolitano:

Ich möchte Ihre Meinung, Professor Mearsheimer, zu einer interessanten Analyse des russischen Präsidenten Putin hören, der, wie Sie sich vorstellen können, in einer Erklärung, die wir gleich ausstrahlen werden, die amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten kritisiert hat. Aber seine Kritik ist sehr interessant.

[eingefügter Videoclip]

Wladimir Putin:

Leider können wir eine drastische Verschlechterung der Situation im Nahen Osten feststellen. Ich denke, viele werden mir zustimmen, dass dies ein klares Beispiel für das Scheitern der Politik der Vereinigten Staaten im Nahen Osten ist, die versucht haben, die Lösung des Konflikts zu monopolisieren, aber leider nicht darauf bedacht waren, für beide Seiten akzeptable Kompromisse zu finden. Im Gegenteil, sie förderten ihre eigenen Vorstellungen darüber, wie dies geschehen sollte, übten Druck auf beide Seiten aus, erst auf die eine, dann auf die andere Seite, ohne die grundlegenden Interessen des palästinensischen Volkes zu berücksichtigen, wobei dieses vor allem die Notwendigkeit im Auge hatte, den Beschluss des UN-Sicherheitsrates über die Schaffung eines unabhängigen, souveränen palästinensischen Staates umzusetzen.

[Ende des eingefügten Videoclips]

Andrew Napolitano:

Hat er recht?

John Mearsheimer:

Ja. Ich denke, was Putin sagt, ist etwas, was viele Amerikaner und viele Israelis schon lange sagen: Dass der einzige Ausweg aus diesem Schlamassel die Zweistaatenlösung ist, und das bedeutet, dass die Palästinenser ihren eigenen Staat im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem haben und Seite an Seite mit Israel in Frieden leben müssen. Die Vereinigten Staaten sind theoretisch schon seit langem an einer Zweistaatenlösung interessiert, denn die meisten amerikanischen Politiker, und dazu gehören sicherlich Leute wie Jimmy Carter, George H.W. Bush, George W. Bush und Barack Obama, haben die Bedeutung einer Zweistaatenlösung erkannt. Aber sie waren nicht bereit, die israelische Führung zu zwingen, eine Zweistaatenlösung zu akzeptieren, und das liegt zum großen Teil an der Innenpolitik der Vereinigten Staaten. Die pro-israelischen Kräfte in den Vereinigten Staaten waren dagegen, Druck auf Israel auszuüben. Dazu gehören auch viele Menschen, die eine Zweistaatenlösung für das richtige Ergebnis hielten, aber sie wollten nicht, dass wir Israel unter Druck setzen.

Ich denke also, dass das, was Putin sagt   – und noch einmal, es ist nicht nur Putin. Das ist ein gängiges Argument innerhalb Israels und der Vereinigten Staaten   – dass es zum Wohle Israels und zum Wohle Amerikas notwendig war, hart mit Israel ins Gericht zu gehen und auf eine Zweistaatenlösung zu drängen, denn die Alternative, Andrew, wäre ein "Großisrael", wie wir es jetzt haben. Und Sie sollten nicht vergessen, dass es über 7 Millionen Palästinenser innerhalb von "Groß-Israel" gibt.

Andrew Napolitano:

Richtig, und in Israel selbst leben neuneinhalb Millionen Menschen. Israel ist so groß wie New Jersey, und seine Bevölkerung ist so groß wie die von New Jersey. Es bekommt viel mehr Geld von der Bundesregierung als New Jersey.

Ich möchte zur Ukraine überleiten, solange Sie da sind, Professor Mearsheimer. Ist die Ukraine am Ende?

John Mearsheimer:

Ja, ich denke, dass die Äußerungen von Admiral Kirby, dass wir die Ukraine nicht längerfristig finanzieren werden, im Grunde genommen bedeuten, dass sie am Ende ist. Ich meine, wie jeder versteht: Wenn wir den Ukrainern den Geldhahn zudrehen, sind sie am Ende. Sie haben weder die Waffen noch die finanziellen Mittel, um diesen Kampf fortzusetzen, und die Russen werden sie überrollen.

Präsident Biden und andere haben das Argument vorgebracht, wir stünden bis zum Ende hinter den Ukrainern und würden sie nicht im Stich lassen. Nun, wir lassen sie jetzt im Stich. Und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Ukraine nicht zusammenbrechen wird, vor allem angesichts der fehlgeschlagenen Gegenoffensive.

Andrew Napolitano:

Wir möchten Ihnen zwei Clips von Admiral Kirby vorspielen. Sie haben vorstehend beide sehr schön zusammengefasst. Aber ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Im ersten wiederholt er das Mantra von Präsident Biden: "Solange es nötig ist." Auf dem zweiten, das erst zwei Tage alt ist, sagt er: "Wow, wir können die Hilfe nicht fortsetzen, "wenn das Ende der Fahnenstange erreicht ist" ("when we're at the end of our rope").

[eingefügter Videoclip]

Frage:

Was meinen Sie damit: "So lange es braucht?" Was meinen Sie damit: "Wie sieht gewinnen aus" nach Ihrer Meinung wirklich?

Admiral John Kirby:

Nun, "solange es nötig ist" bedeutet "solange es nötig ist" und es bedeutet, dass ich nicht in der Lage bin, Ihnen ein bestimmtes Datum auf dem Kalender zu nennen, wann diese Unterstützung nicht mehr nötig sein wird. Sie ist jetzt notwendig. Sie wird in den kommenden Wochen und Monaten mit Sicherheit notwendig sein, und wir wollen sicherstellen, dass wir den Bedarf der Ukraine so gut wie möglich decken.

Und zu der Frage, "wie ein Sieg aussehen kann": Präsident Zelenksy wird bestimmen, wie ein Sieg aussieht.

(ein weiterer eingefügter Videoclip)

Admiral John Kirby:

…kurzfristig haben wir Mittel und Befugnisse für beides, für die Ukraine und für Israel. Aber man sollte nicht versuchen, langfristige Unterstützung einplanen, wenn man am Ende der Fahnenstange ist, und in der Ukraine, bei der Finanzierung der Ukraine, nähern wir uns dem Ende der Fahnenstange.

[Ende des eingefügten Videoclips]

Andrew Napolitano:

Für mich ist dies wirklich eine bemerkenswerte und erstaunliche Aussage von ihm, "wir nähern uns dem Ende der Fahnenstange", angesichts der Tatsache, dass er, der Außenminister, der Nationale Sicherheitsberater und der Präsident selbst diesen Satz, nach dem der Fragesteller fragte, "so lange es dauert", mehrfach verwendet hatten.

John Mearsheimer:

Es dreht einem tatsächlich den Magen um, wenn man das sieht. Ich meine, wie ich von Anfang an argumentiert habe, und ich weiß, dass Sie mir zustimmen, haben wir die Ukrainer auf den falschen Weg geführt (down the primrose path   – auf den Primelpfad).

[Anmerkung des Übersetzers: "Der Primelpfad" ist eine Redewendung aus Shakespeares Stück "Hamlet". Sie taucht im 1. Akt, Szene 3, auf, als Ophelia sagt: "Zeig mir nicht, wie manche ungnädigen Pastoren, den steilen und dornigen Weg zum Himmel wählen, während er selbst, wie ein aufgeblasener und leichtsinniger Wüstling, den primrose path of dalliance beschreitet."

In diesem Zusammenhang bezieht sich der "primrose path of dalliance" auf einen genussvollen und ausschweifenden Lebensstil, der voll von hedonistischem Streben und flüchtigen Vergnügungen, aber letztlich oberflächlich ist und zu negativen Konsequenzen führen kann. Er suggeriert einen Weg der Versuchung und der Sünde, im Gegensatz zu einem tugendhaften und rechtschaffenen Weg.

Wenn also jemand vom "Primelweg" spricht, meint er in der Regel einen Weg der Bequemlichkeit, des Vergnügens oder des Genusses, der auf lange Sicht zu Problemen oder negativen Folgen führen kann. Es ist eine Warnung vor den möglichen Gefahren des Strebens nach unmittelbarer Befriedigung, ohne die Konsequenzen zu bedenken].

Andrew Napolitano:

Ja.

John Mearsheimer:

Absolut furchtbar. Ich meine, wir haben dieses Land in diesen Krieg getrieben. Wir sind in erster Linie dafür verantwortlich, weil wir versucht haben, die Ukraine zu einem westlichen Bollwerk an Russlands Grenzen zu machen, und wir haben die Gegenoffensive gefördert. Wir haben sie gezwungen, Woche für Woche anzugreifen, obwohl sie enorme Verluste erlitten haben, und jetzt, wo sie wirklich in Schwierigkeiten stecken, ziehen wir ihnen den Stecker. Da dreht sich einem der Magen um. Es ist wirklich furchtbar.

Andrew Napolitano:

Wie wird das Ihrer Meinung nach enden? Ich meine, wenn wir buchstäblich am Ende unserer Kräfte sind und wir die Hilfe für die Ukraine aussetzen oder zurückfahren? Ich meine, er (Joe Biden) hat eine Menge Neocons in beiden Parteien im Kongress, die mehr Geld für die Ukraine wollen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er sein Veto einlegen wird. Aber wir werden sehen, was hier innenpolitisch passiert, sobald das Repräsentantenhaus seine Arbeit aufgenommen hat. Aber was für eine Art von Ausweg ist das, nachdem man Hilfe versprochen hat, "so lange es dauert", nachdem man hundert Milliarden Dollar ausgegeben hat   – theoretisch von den Chinesen geliehen   –, deren Zinsen in von der FED künstlich  geschaffenem digitalem Bargeld bezahlt wurden... Wie könnte das politisch gerechtfertigt werden?

John Mearsheimer:

Ich weiß es nicht. Ich meine, es ist einfach sehr schwer herauszufinden, was die beste Politik für die Ukrainer zu diesem Zeitpunkt ist. Ich meine, man könnte argumentieren, dass es für sie besser wäre, jetzt Verhandlungen aufzunehmen und alles zu tun, was sie können, um ihre Beziehungen zum Westen zu kappen, bevor der Westen die Finanzierung einstellt. Denn wahrscheinlich würden sie jetzt einen besseren Deal bekommen, als wenn sie weiter kämpfen.

Ich meine, die Wahrheit ist   – wie Sie schon sagten   –, dass wir den Ukrainern noch mindestens eine Weile Waffen und Geld geben werden, und das wird sie ermutigen, weiterzukämpfen, und die Frage ist, ob sie, sagen wir, in einem Jahr besser dran sind, wenn sie weiterkämpfen und dann versuchen, ein Abkommen zu schließen, als wenn sie jetzt ein Abkommen schließen. Meines Erachtens wären sie besser dran, wenn sie jetzt einen Deal aushandeln würden. Sie werden kein gutes Abkommen bekommen. Das ist eine Katastrophe für die Ukrainer. Aber angesichts der Situation, in der sie sich befinden, ist es fast unmöglich, vielleicht sogar tatsächlich unmöglich, eine Geschichte zu erzählen, die ein Happy End für sie hat.

Andrew Napolitano:

Richtig. Bevor wir zum Schluss kommen... Nur um zum Anfang zurückzukehren: Wie wird das enden? Wird Gaza zu einer Wüste dezimiert? Gewinnt die Hamas, indem sie am Leben bleibt, die Kontrolle behält und im Untergrund bleibt? Kommt Bibi Netanjahu deswegen ins Gefängnis?

John Mearsheimer:

Nun, ich denke, das ist sehr schwer vorherzusagen, denn vieles hängt davon ab, ob die Israelis mit Bodentruppen in den Gazastreifen einmarschieren. Es wurde viel darüber geredet, dass sie in den Gazastreifen einmarschieren und den Ort auseinandernehmen, die Hamas finden und sie auslöschen. Ich glaube aber, dass die Israelis   – das ist nur eine Vermutung   – erkannt haben, dass das keine kluge Idee ist, dass ein Einmarsch in den Gazastreifen und der Versuch, die Hamas zu eliminieren, mehr Ärger verursacht, als es wert ist, und dass am Ende, selbst wenn man die Hamas auslöschen würde, nur eine neue radikalisierte Gruppe an ihre Stelle treten würde.

Man wird das Problem nicht mit militärischer Gewalt lösen. Dies ist ein politisches Problem. Eine Frage ist also: Gehen sie rein oder gehen sie nicht rein? Aber sie befinden sich in einer "verdammt, wenn sie es tun   – verdammt, wenn sie es nicht tun"  –Situation, denn wenn sie nicht reingehen, lebt die Hamas weiter, und wird später weiter kämpfen, und sie ist gut bewaffnet und wird weiterhin Probleme verursachen. Und wenn sie nicht reingehen, bombardieren sie Gaza. Aber das ist eine totale Katastrophe. Nicht nur, weil es aus menschenrechtlicher Sicht eine absolut schreckliche Sache ist, wenn Zivilisten getötet werden.

Aber es ist auch strategisch nicht sinnvoll. Es löst das Problem nicht. Es macht die Menschen in der palästinensischen Welt, in der arabischen Welt wütend und verliert mit der Zeit sogar die Unterstützung für Israel im Westen. Bombardierungen sind also auch keine Lösung. Die Israelis befinden sich also wirklich zwischen Hammer und Amboss. Ich weiß nicht, was sie tun können, um das Problem zu lösen. Und damit komme ich auf meinen früheren Punkt zurück, dass die Lösung für dieses Problem eine Zweistaatenlösung wäre.

Andrew Napolitano:

Das stimmt. Ich muss Sie das fragen, weil Sie international so hoch angesehen sind. Was würden Sie tun, wenn Bibi Netanyahu Sie anruft und sagt: Professor Mearsheimer, geben Sie mir Ihre Ratschläge?

John Mearsheimer:

Nun, ich habe über diese Frage nachgedacht. Ich würde ihm raten, die Bombardierungen so schnell wie möglich einzustellen und diesen Weg nicht weiter zu beschreiten. Und ich würde ihm raten, nicht in den Gazastreifen einzumarschieren. Und ich würde ihm sagen, dass er und seine Kollegen den Rückwärtsgang einlegen und eine Zwei-Staaten-Lösung anstreben sollten. Aber das wird er niemals akzeptieren. Er steht einer Regierungskoalition vor, der eine Reihe von Leuten angehören, die viel weiter rechts stehen als er selbst.

Andrew Napolitano:

Richtig.

John Mearsheimer:

Und wenn man sich die demografische Entwicklung in Israel im Laufe der Zeit ansieht, dann wird dieses Land mit der Zeit immer Falken-mässiger (hawkish) und anti-palästinensischer. In Verbindung mit den gegenwärtigen Ereignissen ist eine Zwei-Staaten-Lösung fast unmöglich zu erreichen. Ich glaube, ich könnte ihm diesen Rat geben, und selbst wenn er bereit wäre, auf mich zu hören, was er nicht sein wird, könnte er ihn nicht umsetzen, weil die Politik innerhalb Israels eine Zweistaatenlösung nicht mehr zulässt. Dieser Zug ist abgefahren.

Andrew Napolitano:

Professor John Mearsheimer, es war wie immer ein Vergnügen. Vielen Dank für Ihre Einblicke und für Ihre Zeit   – das Publikum und ich wissen das sehr zu schätzen, vielen Dank.

John Mearsheimer:

Gern geschehen, Judge.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=ZUtkCbQpw-0

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