Kampfbefehl trotz Rot-Kreuz-Binde
Kampfbefehl trotz Rot-Kreuz-Binde
Eine Sanitätssoldatin verweigerte mit Hinweis auf das Völkerrecht den Dienst an der Waffe – und wurde dafür von der Bundeswehr bestraft
Von Uwe Ritzer
Nürnberg – Christiane Ernst-Zettl sagt, es sei ein kühler, ungemütlicher Morgen gewesen, an dem ihr eine Frage an einen Offizier zum Verhängnis geworden sei. Mit einigen Kameraden war die Sanitätssoldatin im Rang eines Hauptfeldwebels um sechs Uhr früh in Reih und Glied an der Hauptwache von Camp Warehouse angetreten, dem Hauptquartier der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf in Kabul. Eigentlich hätte anstelle Ernst-Zettls ein junger Sanitätssoldat dort stehen sollen. Aber dann hätte der sich nicht um den ihm anvertrauten Operationssaal des Feldlagers kümmern können, sondern allen einbestellten Patienten absagen müssen. Um das zu vermeiden, tauschte die ranghöhere Christiane Ernst-Zettl mit ihm den Dienst. Es sollte sich bewahrheiten, was der Kollege gesagt hatte: Die Bundeswehr befiehlt Sanitätssoldaten in Afghanistan regulären Militärdienst an der Waffe. Nicht nur für Ernst-Zettl ein Bruch des Völkerrechts. Denn nach dem Genfer Abkommen dürfen Sanitätssoldaten Waffen prinzipiell nur zur Selbstverteidigung und dem Schutz von Verwundeten benutzen.
Dem Offizier widersprochen
So sei das auch bei ihren vorherigen Einsätzen in Bosnien und im Kosovo praktiziert worden, sagt die 37-jährige Münchnerin. Umso mehr sei sie verwundert gewesen, als sie der junge Soldat in Kabul gefragt habe:
"Was sagen Sie eigentlich meinen Eltern, wenn ich vom Wachturm runtergeschossen werde?" Zumal er an dem Maschinengewehr, hinter das man ihn regelmäßig setze, nicht einmal ausgebildet sei. Hauptfeldwebel Ernst-Zettl vermutete einen Irrtum bei der Diensteinteilung, denn: "Was haben Sanis am MG verloren?" Die Antwort erfuhr sie an jenem Morgen des 16. April 2005, als sich ein Oberleutnant vor den angetretenen Soldaten aufbaute und Aufgaben zuteilte. Ernst-Zettl wies er an, mit der Waffe alle Frauen, die das Camp Warehouse betreten wollen, zu durchsuchen.
"Unser Auftrag war, notfalls den Feind mit Waffengewalt zu bekämpfen", sagt Ernst-Zettl. Sie zeigte dem Oberleutnant ihre weiße Armbinde mit dem roten Kreuz und einen speziellen Ausweis, der sie als Sanitäterin im Sinne der Genfer Konvention legitimiert. "Ich habe ihm gesagt, dass ich den Dienst in der befohlenen Form nicht leisten darf." Und sie wollte wissen, auf Basis welcher Befehle Sanitätssoldaten zu Sicherungseinsätzen abkommandiert werden.
Diese Frage hatte sie bereits nach ihrem Gespräch mit dem jungen Soldaten dem Kommandeur des Sanitätseinsatzverbandes in Afghanistan gestellt. Schriftlich, in einem offiziellen "Antrag auf Überprüfung von Befehlsgebungen", wie das im Bundeswehrdeutsch heißt. Bis heute hat Ernst-Zettl keine Antwort erhalten. Stattdessen schickte man sie wenige Tage nach dem Vorfall zur Strafe nach Hause. Ins Marschgepäck steckte der bis dato so schweigsame Sani-Kommandeur noch eine Disziplinarbuße. 800 Euro musste Ernst-Zettl zahlen, weil sie allein durch den Hinweis auf ihren Status als Sanitätssoldatin und die Frage nach der Befehlsgrundlage den Oberleutnant "verunsichert und von seinen Aufgaben abgehalten und so den ordnungsgemäßen Ablauf des Sicherungsdienstes behindert" habe. Eine Beschwerde Ernst-Zettls dagegen wies später das Truppendienstgericht Süd zurück. Sie habe "gegen die Pflicht zum treuen Dienen verstoßen", heißt es in der Begründung. Verblüfft nahm Ernst-Zettl zur Kenntnis, "dass immer vom mündigen Staatsbürger in Uniform geredet wird und dann eine Frage reicht, um zu sagen, man diene nicht treu". Schließlich habe ihr die Bundeswehr nicht nur beigebracht, wie Verwundete geborgen und ein Hauptverbandsplatz aufgebaut werden. Auch Schießen mit Pistole und Gewehr hat sie gelernt, aber eben mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Genfer Konvention von 1949, die Kampfeinsätze verbietet.
Prinzipiell gelten diese natürlich, heißt es im Bundesverteidigungsministerium. Allerdings nur im Konfliktfall, sagt ein Sprecher. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr seien aber "Friedens- und Stabilisierungseinsätze", und daher dürften auch Sanitätssoldaten zu Wach- und Sicherungsdiensten herangezogen werden, allerdings nicht ohne vorher ihre Rot-Kreuz-Binden vom Ärmel zu streifen. Der Sprecher räumt zugleich ein, dass bis heute im afghanischen Kundus, in Masar-i-Scharif und Feyzabad Sanitätssoldaten derart eingesetzt sind.
"Vor dem Hintergrund der Wirklichkeit dort ist das ein Skandal", sagt der Oberstleutnant der Reserve, Helmut Prieß. Er ist Sprecher des "Darmstädter Signals", eines Arbeitskreises kritischer Soldaten, in dem sich neuerdings auch Ernst-Zettl engagiert. Nach seiner Ansicht hat die Bundeswehr ein Tabu gebrochen: "Sanitätssoldaten genießen nur dann besonderen Schutz, wenn keine Zweifel daran bestehen, dass sie sich strikt an ihren Auftrag halten und nicht an militärischen Aktivitäten beteiligen." Ernst-Zettl hat aus amtlichen Bundeswehr-Einsatzberichten detailliert herausgeschrieben, was allein zwischen dem 22. und 28. März 2005 in Kabul alles geschah: diverse Raketenangriffe, mehrere Schießereien und Feuergefechte, ein Anschlag auf ein Auto. Und immer gab es Verwundete, bisweilen auch Tote. "Spricht das für einen Friedenseinsatz?", fragt sie.
Sie hat noch mehr zusammengetragen, was in ihrem fragwürdigen Fall der Argumentation von Ministerium und Bundeswehr widerspricht. So habe der UN-Sicherheitsrat den Isaf-Einsatz ausdrücklich "unter die strenge Einhaltung des humanitären Völkerrechts" gestellt. Kann die Bundeswehr dies nun unterlaufen, indem sie argumentiert, es sei ein Friedenseinsatz, bei dem das Völkerrecht in letzter Konsequenz nicht gelte? Warum steckt die Armeeführung dann aber ihren Soldaten für den Auslandseinsatz ein Büchlein zu, in dem steht: "Das ausschließlich für Sanitätszwecke verwendete Sanitätspersonal steht unter dem besonderen Schutz des humanitären Völkerrechts"? Und wenn Afghanistan so friedlich ist, warum zahlt die Bundeswehr ihren Soldaten dort besonders hohe Auslandszuschläge, mit der Begründung, dort würde "konkrete Gefährdung durch Kampfhandlungen, Beschuss oder Luftangriff" herrschen?
Karriere wohl am Ende
All das hat Ernst-Zettl dem Petitionsausschuss des Bundestages geschrieben. Sie wollte wissen, was die Politiker davon halten, dass "Sanis im schlimmsten Fall zuerst auf Menschen schießen und sie hinterher im OP wieder zusammenflicken". Der Petitionsausschuss erklärte sich aber für nicht zuständig, da es um eine rechtliche Frage gehe. Auch der Wehrbeauftragte mochte sich nicht auf ihre Seite schlagen, mahnte aber zumindest das Ministerium, Rechtssicherheit für die Sanitätssoldaten zu schaffen. Inzwischen hat die Münchner Soldatin das Bundesverwaltungsgericht angerufen. Das Verteidigungsministerium sagt, es habe am Dienstag die Klage zurückgewiesen. Offiziell ist das noch nicht, und eine Begründung steht auch noch aus.
Ernst-Zettl betont zum Selbstschutz, ihre öffentlichen Äußerungen über ihren Fall treffe sie als Privatperson und nicht namens der Bundeswehr. Ungeachtet dessen, wie der juristische und politische Streit ausgeht: Die Soldatin ist davon überzeugt, dass ihre Karriere an jenem Morgen des 16. April 2005 zu Ende ging.
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.277, Samstag, den 01. Dezember 2007 , Seite 8
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