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«Wenn wir diesen Krieg nicht beenden, dann könnte es noch viel schlimmer werden, als wir uns vorstellen können»

Interview des ZDF mit der Aussenministerin Südafrikas, Naledi Pandor, über den Krieg in der Ukraine und die Haltung Südafrikas
ZDF-Interview mit Naledi Pandor . Zeit-Fragen Nr. 15 v. 12.07.2022
13. Juli 2022
zf. Am 27. Juni 2022 strahlte das heute journal ein Interview mit der südafrikanischen Aussenministerin Dr. Naledi Pandor aus, das in voller Länge in der ZDF-Mediathek zu finden ist.1 Naledi Pandor war geladener Gast bei der G-7-Konferenz in Elmau. Wir können an dieser Stelle nur Auszüge aus einer Mitschrift des Interviews abdrucken. Um so mehr empfehlen wir, das Interview auch nachzuhören  – denn so wird noch viel deutlicher, mit wieviel Würde und Aufrichtigkeit die südafrikanische Aussenministerin geantwortet hat.

Eingangs wird die Aussenministerin gefragt, welche Bedeutung sie der G7 bei der Lösung zentraler internationaler Probleme beimesse. Sie antwortet:

«Ich glaube, G7 ist ein sehr wichtiges globales Forum, insofern, als dort ja die mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt versammelt sind. Die politisch Verantwortlichen von G7 haben eine sehr wichtige Verpflichtung der Welt gegenüber, Lösungen zu finden für die Probleme, die Sie ansprechen, um sicherzustellen, dass Friede herrscht, dass die Menschen und ihre Gemeinschaften in Sicherheit leben können, ihr Leben leben können, in Stabilität und für den Fortschritt. Wir sprechen seit vielen Jahren über den Klimawandel, und doch wissen wir alle, dass die Verpflichtungen der Mächtigsten nicht erfüllt worden sind. Die Welt schaut nun auf die hochentwickelten Länder und will, dass sie die Verpflichtungen erfüllen, die sie auch in Glasgow bei COP 262 erneut bekräftigt haben. Ich glaube, die Welt erwartet zu Recht, dass G7 praktische Lösungen finden soll.»

Gleich danach meint der Interviewer, die G7 seien dabei, wegen des Krieges in der Ukraine «den Rest der Welt dazuzubekommen, um Russland zu verurteilen». Man habe aber «den Eindruck, dass Südafrika nicht so wirklich auf der Seite dieses Westens» stehe. Es folgt die Suggestivfrage, ob denn die Aussenministerin nicht der Meinung sei, «die Ukraine sollte diesen Krieg gewinnen». Darauf antwortet sie:

«Die Fragen, die den Kern des Konflikts ausmachen zwischen der Ukraine und Russland werden weltweit diskutiert seit mehr als zehn Jahren. Afrika wurde niemals an den Tisch gebeten, um über diese Fragen zu reden. Da können Sie an dieser Stelle nicht sagen: ‹Entscheidet euch für die eine oder andere Seite!› Wir waren nicht involviert in all diese Faktoren, die zur heutigen Situation geführt haben. Wir haben das klargestellt. Unsere Position besagt: Die Welt hat die Verantwortung, nach dem Frieden zu suchen und zu streben, und wir glauben, dass wirklich mächtige politische Führer   – egal, ob sie nun die Ukraine unterstützen oder gegen sie sind   –, dass sie die Fähigkeit haben und auch das Führungsvermögen, zusammenzuarbeiten an einer Lösung. Wir sind entsetzt zu sehen, dass in diesem Konflikt, wo Tausende ihr Leben verlieren, wo Infrastruktur zerstört wird, die Verantwortlichen nicht in der Lage sind zu tun, was Südafrika getan hat: Wir haben uns an den Tisch gesetzt, verhandelt und eine Lösung gefunden, dank derer der Krieg beendet wird. Das haben wir gefordert! Wir haben deutlich gesagt: Wir können nicht Partei ergreifen. Wir waren ja keine Partei bisher. Aber wir wollen Frieden!»

Der Interviewer behauptet, Russland sei doch «der Aggressor». Ihre Antwort:

«Ich sagte schon, wir werden den Verlockungen nicht erliegen, die Sprache anderer zu sprechen, um uns für eine Seite zu entscheiden. Was wir sagen, ist dies: Es gibt eindeutig Probleme, die strittig sind seit Jahren, diese Probleme müssen gelöst werden. Und ich sagte auch schon: Die Angelegenheiten, welche die Ukraine betreffen, ihre Sicherheit, die müssen gelöst werden, aber die Fragen, die Russland betreffen und dessen Sicherheit, müssen auch gelöst werden. […] Abwertende Begriffe zu benutzen, im Hinblick auf Russland oder die Ukraine, ist nicht hilfreich, bringt den Frieden nicht. Die Verantwortung politischer Führer   – Nelson Mandela hat das gezeigt   – ist es, für den Frieden zu verhandeln, sich hinzusetzen, zu reden. Wir wurden doch ermutigt durch alle Welt, mit unseren Feinden zu reden, die unsere Eltern ins Gefängnis geworfen haben, unsere Familien umgebracht haben. Und man hat uns gesagt: ‹Sprecht mit denen, findet eine Lösung!› Und das erwarten wir jetzt auch, das sagen wir nun. Das ist der Ansatz Südafrikas.»

Der Interviewer versucht, die Aussenministerin umzustimmen. Südafrika habe doch gegen das Apartheidsregime, dass er als Aggressor bezeichnet, viel Unterstützung bekommen, und nun brauche die Ukraine dieselbe Unterstützung von seiten Südafrikas. Ihre Antwort:

«Ich sagte es immer wieder in der Vergangenheit: Südafrika hat immer seine Wertschätzung ausgedrückt gegenüber der internationalen Gemeinschaft für die Solidarität, die sie uns bewiesen hat gegen die Apartheid. Aber Sie werden sich erinnern, dass man uns nie Waffen geliefert hat, niemand, dass wir nicht unterstützt wurden in diesem bewaffneten Konflikt, in diesem Kampf. Nein, man hat uns Terroristen gescholten, als nur sehr wenig gekämpft wurde, bewaffnet, in Südafrika. Die Art von Unterstützung, die Sie heute sehen für die Ukraine, die hat kein Freiheitskämpfer in Afrika jemals genossen. Also, es gehört zu den Dingen, die wir immer wieder gesagt haben, dass wir alle Länder, die unterdrückt werden, auf gleiche Weise behandeln. Wir müssen genau so beunruhigt sein über Shirin Abu Aklis Ermordung3, wie wir entsetzt sein sollten über die fehlende Freiheit für das palästinensische Volk. Wir behandeln verschiedene Sachen nicht unterschiedlich. In der Tat sagen wir: Der Einbruch in die Souveränität eines Landes auf feindselige Art und Weise ist ein Verstoss gegen die UN-Charta. Das haben wir öffentlich immer wieder gesagt. Aber wir beharren darauf, dass ein solcher Konflikt   – ein Krieg dieser Art!   – nur gelöst werden kann auf dem Verhandlungsweg. Ich bin überzeugt, dass am Ende alle am Tisch sitzen werden.»

Provozierend wird sie gefragt, was denn verhandelt werden solle. Sie antwortet:

«Das weiss ich nicht! Man weiss nie, was Verhandlungen, wenn sie begonnen haben, am Ende erbringen. Aber die Menschen haben einen Wunsch, eine Hoffnung. Eines der Anliegen für die Ukraine muss ihre Integrität sein, ihre Sicherheit. Was sind die Merkmale, die das gewährleisten können? Das muss sich am Tisch ergeben. Und was Russland betrifft: Russland hat bestimmte Sorgen und Befürchtungen immer wieder geäussert. Wie soll man damit umgehen? Und meine Argumentation ist nun diese: Die grossen politischen Führer dieser Welt, die die grössten Volkswirtschaften führen, haben doch sicherlich das Arsenal von Möglichkeiten, eine Lösung zu finden, und ich sehe da noch nichts, noch keine starke diplomatische Offensive! Wir glauben, da müssen die Vereinten Nationen, der Generalsekretär, an Bord sein, und eine solche diplomatische Vorgehensweise, die muss installiert werden. Zum Beispiel haben wir verlangt, dass eine Reihe von vertrauenswürdigen Gesprächspartnern von international hohem Ansehen gebeten werden soll, einen solchen Prozess auf Kiel zu legen. Wir sollten das nicht den Raketen überlassen und dem Töten, das im Moment dort stattfindet. Wir sollten eine Feuereinstellung anstreben als sofortiges Ergebnis und dann einen detaillierten Prozess der Verhandlungen um eine Lösung, die Sicherheit und Frieden bringt.»

Der Interviewer fragt, was die Aussenministerin von Sanktionen gegen Russland halte. Südafrika würde bislang nicht bei diesen Sanktionen mitmachen. Er kritisiert dies. Darauf antwortet die Aussenministerin:

«Südafrika ist eine sehr kleine Volkswirtschaft in der Welt. In Afrika sind wir von Bedeutung, aber weltweit gesehen sehr klein, und Russland ist ein sehr kleiner Handelspartner Südafrikas. Die grossen Handelspartner für uns sind Westeuropa, Amerika und natürlich China. Diese Regionen sind von grossem Interesse für uns, handelstechnisch betrachtet. Aber darf ich zurückkommen zum Thema der Sanktionen mit der Feststellung: Im Augenblick verursachen die verhängten Sanktionen grossen Schaden, nicht nur in Russland, sondern in der ganzen Welt, in der ganzen internationalen Gemeinschaft. In meinem Land wird protestiert gegen die Entwicklung der Ölpreise, die sich massiv erhöht haben. Die Preise für Speiseöl fast verdoppelt in drei Monaten. Ganz eindeutig haben Sanktionen Wirkungen, die hinausgehen über die intendierten Ziele. Und das ist etwas, was man möglicherweise nicht immer so bedenkt, wenn man Sanktionen verhängt. Es gibt Länder, die kein Brot mehr haben, andere haben kein Getreide. Ganz kleine Unternehmen, ganz normale Mikrounternehmen, wo Frauen, die davon leben, nicht mehr arbeiten können, weil sie kein Speiseöl haben, um die Speisen zu produzieren, die sie auf der Strasse verkaufen möchten. Also, das ist eine breite Palette von Auswirkungen, die durch Sanktionen entstehen und national politische Instabilität verursachen in vielen Ländern   – das sehen wir jeden Tag! Ich bin schon der Meinung, dass wir uns tatsächlich anschauen sollten, wie wir einen Prozess initiieren können, einen, der zur Feuereinstellung führt und zweitens zu einem dezidierten Verhandlungsprozess, damit eine Lösung, die beide Länder beruhigt, erreicht werden kann, und die ganze Region, nicht nur diese beiden Länder.»

Erneut provozierend fährt der Interviewer fort mit der Frage, wer denn verantwortlich für den Hunger in der Welt sei, der jetzt droht. Ihre Antwort:

«Das ist ein facettenreiches Geschehen mit vielen Ursachen. Nehmen Sie Afrika. Wir haben riesige Regionen von Ackerland, und da wird kein Getreide angebaut, was eigentlich sein sollte. Also sind die afrikanischen Politiker verantwortlich, dass sie sich nicht ausreichend in der Landwirtschaft engagieren. Ansonsten haben die Sanktionen eine Auswirkung, weil es auch keinen Getreideexport gibt. Aber ich muss Sie schon auf den Umstand hinweisen, dass ich keine tadelnden Wörter benutzen werde, weil das niemanden voranbringt. Sie und andere Journalisten würden das gerne von mir hören ‹Russland hat das gemacht›, ‹die Ukraine das›. Das ist aber nicht der Ansatz, für den wir uns entschieden haben. Wir möchten, dass die Ukraine und Russland wissen, dass Südafrika   – und der ganze afrikanische Kontinent   – bereit sind, jede mögliche Rolle zu spielen, um den Frieden zu sichern. Das ist unser Interesse. Keine Beschimpfungen, keinen Tadel, das bringt nichts, das hilft nicht. Das, was wir tun sollten, bei dem, was wir äussern und artikulieren, sollten wir die Sprache benutzen, die zu einem solchen Ergebnis führt, das das Leben der Menschen rettet.»

Die Aussenministerin wird gefragt, ob Südafrika als Verhandler auftreten möchte. Sie antwortet:

«Südafrika ist so winzig im Vergleich mit den mächtigen politischen Führern in der G7, aber Südafrika hat gewisse Erfahrungen im Umgang mit einem Prozess der Konfliktlösung, und deswegen sagen wir: Wir sind bereit, wenn uns jemand einlädt und bittet. Wir gehören nicht zum Club, wenn ich das so sagen darf, aber wir sind bereit, unsere Rolle zu spielen in der weltweiten Gemeinschaft.»

Der Interviewer versucht weiterhin, die Aussenministerin aufs Glatteis zu führen. Er unterstellt, der ANC habe «besonders romantische Vorstellungen gegenüber Moskau, weil die Sowjetunion damals den Schwarzen bei Ihnen sehr geholfen hat zur Zeit der Rassentrennung.» Und er fährt fort: «Aber die Ukraine war damals auch Sowjetunion. Gilt sozusagen dann nicht auch die Sympathie der Ukraine?» Ihre Antwort:

«Sie beantworten die Frage ja selbst: Russland ist nicht die Sowjetunion. Die Ukraine gehörte zur Sowjetunion. Die Ukraine hat unseren Kampf unterstützt, sie hat einige unserer Leute geschult. Und dafür sind wir ewig dankbar. Aus diesem Grunde eben sagen wir: Das Volk der Ukraine verdient den Frieden. Und wir alle, die wir die Macht haben, sollten uns darauf konzentrieren, den Frieden herbeizuführen. Ich glaube nicht, dass das Problem so riesig ist wie im Zweiten Weltkrieg zum Beispiel. Wenn wir aber diesen Krieg nicht beenden, dann könnte es noch viel schlimmer werden, als wir uns vorstellen können. Was wir meiner Ansicht nach tun sollten als Zivilgesellschaft, als Medien, ist, an diejenigen Führer zu appellieren, die alles Mögliche sagen in dieser Angelegenheit, die auch tatsächlich involviert scheinen, dass eben für sie die Zeit gekommen ist, nicht nur zu reden, sondern ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um eine Lösung zu finden.»  •

1 https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal-update/g7-suedafrika-verlangt-diplomatische-loesung-100.html
Video 17 min, Datum: 27.06.202, Verfügbarkeit: Video verfügbar bis 26.06.2023

2 Im November 2021 fand in Glasgow die 26. Weltklimakonferenz (COP 26) statt.
3 Shirin Abu Aklis war eine engagierte palästinensische Journalistin, die im Mai 2022 getötet wurde, sehr wahrscheinlich von einem israelischen Soldaten.

(Übersetzung ZDF)

Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2022/nr-14-28-juni-2022-1/wenn-wir-diesen-krieg-nicht-beenden-dann-koennte-es-noch-viel-schlimmer-werden-als-wir-uns-vorstellen-koennen

Mit freundlicher Genehmigung von Zeit-Fragen

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