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Für eine sachliche Aufklärung über Geschichte, Ursachen und Auswirkungen von Migration

Ein neues Buch von Hannes Hofbauer
Interview mit Hannes Hofbauer *
22. November 2018

«Hunderttausende von alleinstehenden muslimischen Männern, hunderttausende abgelehnte Asylbewerber sowie eine unbekannte Zahl illegal Aufhältiger schaffen sowohl in ihren jeweiligen Herkunftsländern als auch in den westeuropäischen Zielländern, allen voran in Deutschland, Österreich und Schweden, allergrösste demografische, soziale, kulturelle und politische Probleme. Die Auswirkungen in ihrer Heimat sind evident. Durch Kriege und Krisen zerstörte Staatlichkeiten, von gegenseitigem Hass auf den jeweiligen Feind durchdrungene Gesellschaften würden für einen Wiederaufbau jede hilfreiche Hand brauchen. Die Herstellung funktionierender ökonomischer Kreisläufe, ja die technischen Voraussetzungen dafür, angefangen vom Aufbau der Energieversorgung bis zum Schulwesen, wird ohne eine junge, agile Generation nicht gelingen können. Doch gerade diese hat sich, die Männer voraus, in fremde Gefilde begeben und fehlt bitterlich zu Hause; sie bildet einen Brückenkopf, der Folgewanderungen auslösen wird.»
Hannes Hofbauer. Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert. 2018, S.159

Hannes Hofbauer hat am 20. Oktober 2018 sein Buch «Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert?» in der Schweiz vorgestellt. Im Anschluss an seinen Vortrag führte Zeit-Fragen das folgende Interview mit ihm.

 Zeit-Fragen: Herr Hofbauer, Sie haben uns heute Ihr neues Buch «Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert» vorgestellt. Was ist Ihre Motivation, dieses doch ziemlich brisante Thema aufzugreifen?

Hannes Hofbauer: Das geht auf jahrelange Erfahrungen zurück, die ich mit dem Thema Migration gemacht habe: Einerseits bin ich der Überzeugung   – wie wahrscheinlich viele Menschen   –, dass Migration Ausdruck von Ungleichheit ist, von grosser regionaler Ungleichheit   – von weltweit immer stärker werdender Ungleichheit. Andererseits habe ich gesehen, dass in sehr vielen liberalen Milieus   – linken Milieus ohnedies   – Migration als etwas Positives dargestellt wird. Da habe ich mir gedacht, diesem Widerspruch möchte ich mich widmen, da versuche ich zur Aufklärung beizutragen. Ich sehe mir einmal die Geschichte an, und ich sehe mir einmal die Ursachen an. Und auch, welche Auswirkungen die Migration hat, sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Zielländern der Migranten.

Migration ist nicht eine Bedingung menschlichen Lebens

Sie haben in Ihrem Buch auch den Ausgangspunkt für Ihre Forschung beschrieben. Wie ist der Forschungsstand in bezug auf die Frage der Migration?

Es ist mir aufgefallen, dass von meinen sozial­wissenschaftlichen Zugängen her   – ich bin ja Wirtschaftshistoriker   – Migration in der Forschung eigentlich lange Jahrzehnte überhaupt nicht vorgekommen ist. Heute beschäftigen sich zunehmend Sozialwissenschaftler, auch Historiker, Politikwissenschaftler mit Migration. Das finde ich auf den ersten Blick interessant, das muss man wahrscheinlich auch machen. Dann gibt es allerdings die Feststellung, die in dieser neueren Migrationsforschung sehr zentral ist, die besagt: «Migration war immer.» Dem würde ich zustimmen, aber die neuere Migrationsforschung impliziert mit diesem Satz, dass Migration eine Bedingung menschlichen Lebens sei, und da trennen sich dann auch schon unsere Wege, die Wege der neueren Migrationsforschung und mein Blick auf die Migration, weil ich der Meinung bin, dass Migration zwar immer war, menschlich ist, aber nicht eine Bedingung für das menschliche Leben darstellt.

Ich kann das auch mit Zahlen unterlegen, indem ich mir angesehen habe, was seit dem Zweiten Weltkrieg geschehen ist. Wie viele Menschen pro Jahr auf der Welt ihre Heimat verlassen müssen. Da kann man feststellen, dass es in den fünfziger bis siebziger Jahren ungefähr 0,6% der Weltbevölkerung waren und ab den neunziger Jahren 0,9%. Es werden also mehr, aber das ist noch lange kein Beweis dafür, dass Migration eine Bedingung menschlichen Lebens ist, sondern eher das Gegenteil: Die Norm ist nicht der Migrant, sondern die Norm ist der Sesshafte.

Politik der EU-Osterweiterung hat Migration angestachelt

Was sagen Sie im Zusammenhang mit der EU-Politik in der Frage der Migration? Sie haben von der «EU-Asylschiene» gesprochen …

Ich möchte ein wenig weiter zurückgehen, bevor ich zur «Asylschiene» komme. Ich finde, die Europäische Union hat bei ihrer Erweiterung eine Politik gemacht, die Migration befeuert und angestachelt hat, indem völlig unterschiedliche Lebens-, Arbeits- und Lohnniveaus   – bei der Erweiterung in Richtung Osten im Jahr 2004 und dann 2007 nochmals mit Rumänien und Bulgarien   – aufeinandergestossen sind. Die Europäische Union hat nichts unternommen, um diese Niveaus anzugleichen. Sie hat zwar als Gemeinschafts- und Wirtschaftsunion die ökonomische Sphäre harmonisiert   – man kann auch von einer Konvergenz der Ökonomie sprechen. Das heisst, der Warenaustausch, der Kapitalverkehr und die Dienstleistungen wurden sozusagen konvergent behandelt, nicht aber die sozialen Bereiche. Diese Bereiche wurden dem Nationalstaat anheimgestellt.

Das hat die Konsequenz, dass Länder, in denen die Lohnniveaus zehnmal so niedrig waren oder zwanzigmal, wie zum Beispiel in Bulgarien   – verglichen mit Deutschland   –, aufeinandergetroffen sind, die gänzlich unterschiedliche Lebensentwürfe haben. Ich finde, das war mobilitäts- und migrationsfördernd. Die Weltbank hat im Jahr 2012 festgestellt, dass 20 Millionen Menschen aus Osteuropa ihre Heimat in Richtung Westen verlassen haben. Sie hat später sogar festgestellt, dass dieser Aderlass an Massenmigranten ein Wachstumshindernis der osteuropäischen Länder in Höhe von ungefähr 7% des jeweiligen BIP im Durchschnitt bewirkt hat.

IWF gibt falsche Empfehlung

Der Internationale Währungsfond IWF hat dann aber daraus nicht die Konsequenz gezogen, dass das ein Fehler sei, sondern er hat die Empfehlung ausgesprochen, dass die Länder im Osten Migranten aus noch ärmeren, noch weiter östlich liegenden Ländern wie der Ukraine, Albanien oder Weissruss­land aufnehmen sollen. Das ist auch passiert: Polen hat in den letzten Jahren über eine Million Ukrainer «importiert» für billige Arbeitsplätze, die Slowakei für die Automobil­industrie ebenfalls.

Merkels Willkommensgruss öffnet Asylschiene für Migranten

Um auf die Frage zurückzukommen, weshalb sich die Europäische Union so schwertut, zwischen der Asyl- und der Migrationsdefinition zu unterscheiden: Ich glaube, das ist auch nicht ganz unabsichtlich geschehen. Die Europäische Union hat spätestens mit diesem Zuzug, der durch die Merkel-Äusserung des Willkommensgrusses vielleicht nicht ausgelöst, aber doch irgendwie befeuert worden ist, die Asylschiene für Migranten geöffnet, obwohl von Anfang an klar war, dass die Genfer Konvention für Kriegsflüchtlinge nicht zuständig ist. Die Genfer Konvention soll rassisch, politisch oder religiös Verfolgte schützen, aber kann nicht Menschen schützen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten flüchten.

Trotzdem hat die Europäische Union   – und vor allem Deutschland   – so getan, als ob diese Menschen asylberechtigt wären. Im Nachgang hat man gesehen, dass mittlerweile schon die Hälfte oder sogar mehr als die Hälfte der Menschen, die in Deutschland um Asyl ersucht haben, einen abschlägigen Asyl-Bescheid erhalten haben, in Österreich sind es sogar 70%. Das heisst, es war von vornherein ersichtlich, dass es völlig unsinnig war, diese Massenmigration über die Asylfrage überhaupt behandeln zu wollen.

Das passierte aber im Jahr 2015 mit der   – wie ich es nenne   – grossen Wanderung der Muslime.

Aufkündigung des Lomé-Abkommens mit verheerenden Folgen für Dritte Welt

Welche Folgen hatte die Aufkündigung des Lomé-Abkommens in diesem Zusammenhang?

Die Europäische Union hat ab dem Jahr 2000 sogenannte Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen und karibischen Staaten abgeschlossen. Das sind bilaterale Freihandelsabkommen   – wie Zölle, die bis dahin über das Lomé-Abkommen von 1975 verschiedenen Ländern der Dritten Welt die Möglichkeit eingeräumt haben, ihre Märkte vor europäischen Importen zu schützen, um beispielsweise eine eigene Industrie zu entwickeln. Das ist mit diesen Partnerschaftsabkommen aus den Jahren 2000 und folgende gestrichen worden. Seitdem herrscht eben Freihandel, und der Freihandel   – wie wir alle wissen   – bevorzugt immer den ökonomisch Stärkeren.

Man sieht es ja jetzt in der grossen Auseinandersetzung zwischen den USA und China: China ist plötzlich die Macht, die für den Freihandel plädiert, und die USA beginnen, protektionistische Mass­nahmen zu ergreifen. Für die Dritte-Welt-Länder in Afrika bedeutet das, dass sie jetzt den überproduzierten Agrarprodukten aus Europa ausgesetzt sind, ohne sich schützen zu können. Das zerstört dort die Landwirtschaft und die Bauern und nimmt ihnen ihre Subsistenz-Grundlage. Dies wiederum hat zur Folge, dass sich ihre Söhne oder auch sie selbst aufmachen müssen, um woanders ein besseres Leben zu suchen.

Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel?

Angefangen hat das in Ghana, das war eines der ersten Länder, mit dem so ein Partnerschaftsabkommen geschlossen worden ist. Da war es zum Beispiel am Geflügelmarkt so, dass vor dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und Ghana 95% des Geflügels auf dem lokalen Markt von lokalen Bauern angeboten worden ist und nach dem Abkommen nur noch 11%.

Kriege verursachen Migration

Sie haben gesagt, dass Frau Merkels Willkommensgruss im Jahr 2015 und ihre Äusserung «Wir schaffen das» zwar eine Migrationswelle in Gang gesetzt hat, dass aber die eigentlichen Ursachen schon wesentlich länger zurückliegen.

Ich glaube, Merkels Willkommensgruss war nur das Tüpfelchen auf dem i. Die Migrationsursachen für die muslimische Welt   – für viele der Millionen von Menschen   – gehen weiter zurück. Ich denke da zum Beispiel an die Kriege, die vor allem die USA begonnen haben, oft mit Nato-Unterstützung, manchmal auch nur mit einer Koalition der Willigen wie im Falle des Iraks, wo ja zum Beispiel Deutschland und Frankreich nicht mitgemacht haben. Diese Kriege haben extreme Auswirkungen gehabt in bezug auf die Destabilisierung dieser Länder. Ich spreche vom Irak ab 1991, da war der erste sogenannte «Desert Storm», bis Afghanistan 2001 als vermeintliche Rache für 9/11, obwohl da wenig Evidenz vorgelegen hat. Mittlerweile sind Länder wie der Jemen, Mali und Libyen mit Kriegen überzogen worden, und auch in den syrischen Bürgerkrieg hat man sich eingemischt.

Wenn ich nur an Länder wie Syrien und den Irak denke, die vor diesen Interventionen eigentlich stabile Länder waren, zumindest in dem Sinne, dass keine Migrationswellen ausgelöst wurden, und dann diese Länder völlig destabilisiert, zerstört, territorial zersplittert sind und sich die Menschen aufmachen müssen, weil sie vor dem Krieg fliehen, weil sie keine Lebensgrundlage mehr haben, dann waren das die eigentlichen auslösenden Ursachen für die Migration.

Uno-Flüchtlingslager wurden finanziell ausgedünnt

Hinzu kam dann noch, dass gerade im syrischen Bürgerkrieg die Menschen versucht haben, nicht allzu weit davor zu fliehen, sondern in der Nähe ihrer Heimat zu bleiben. Die allermeisten sind ja in Syrien «displaced persons», haben sich also sozusagen an andere Orte begeben müssen. Mehrere Millionen sind ausserhalb des Landes gegangen, nach Jordanien, in die Türkei. Das ist auch noch ungefähr zwei Jahre so geblieben, bis dann diese Lager, die von der Uno verwaltet worden sind, finanziell ausgedünnt wurden. Das hat wiederum damit zu tun, dass die USA und andere Länder ihre Beiträge gekürzt haben, und dann   – das war vielleicht der auslösende Effekt   – kam Angela Merkels Willkommen, so dass die Menschen gewusst haben, sie haben die Chance, nach Deutschland oder noch weiter nördlich zu gehen, und haben sich auf den Weg gemacht.

Aufnahme junger wehrpflichtiger Syrer: «Man wollte damit die Regierung von Assad schwächen …

Sie haben sich die Balkan-Route genauer angesehen und Beobachtungen gemacht. Können Sie hierzu noch etwas sagen?

Ja, das kann sich jeder noch immer auf Youtube anschauen, weil diese Filme ja verfügbar sind. Ich selbst war zum Beispiel am Wiener Westbahnhof und habe mir dieses Elend angesehen. Das war natürlich herzzerreissend und wirklich ein Problem. Aber auch Youtube-Filme von den Budapester Bahnhöfen, wo man sieht, dass ungefähr 90% der Angekommenen junge Männer waren. Ganz wenige Familien oder Frauen - einzelne, so gut wie gar keine. Und diese jungen Männer waren ungefähr zwischen 18 und 25 Jahre alt   – aus welcher Schicht sie kamen, kann man natürlich nicht wissen   –, aber was sie sichtbar dargestellt haben, war, dass sie wehrpflichtige Männer für die syrische Armee waren.

Und weil sie eben nicht in der syrischen Armee waren, waren viele von ihnen im Prinzip Deserteure. Dieser Umstand   – wehrpflichtige Männer, die nicht in jener Armee waren, die den islamischen Staat, der ja 2015 auf seinem Höhepunkt war, bekämpft hat   – diese Tatsache finde ich für jeden einzelnen verständlich: Wer will sich schon in den Krieg schicken lassen? Aber das stellt natürlich auf der anderen Seite ein Strukturproblem dar, und man muss sich auch fragen, warum die europäischen Länder oder Deutschland diese Männer aufgenommen haben. Hier kommt dann auch eine geopolitische Frage ins Spiel: Man wollte damit die Regierung von Assad schwächen.

… und den europäischen Arbeitsmarkt aufstocken»

Man wollte natürlich auch diese jungen Menschen für den europäischen Arbeitsmarkt gewinnen oder sich zumindest einige aussuchen. Ich erinnere mich an eine Situation, wo litauische Unternehmer irgendwo nach Ungarn in ein Lager gefahren sind und sich ein paar tausend Syrer ausgesucht haben. Also, das war teilweise schon ziemlich unappetitlich. Ich finde es wichtig, diese Dinge bei der Migrations-Frage auch zu diskutieren und nicht zu verschweigen.

Was beim keynesianischen und liberalen Diskurs über Migration falsch läuft

Was läuft Ihrer Meinung nach beim Diskurs über die Migration bisher falsch?

Es gibt mehrere Diskurse. Ein Diskurs zum Beispiel, der so ein bisschen sozialdemokratisch ist, ist ein keynesianischer Diskurs. Der sagt: Man kann mit dieser Massenmigration die Nachfrage durch den Staat lösen beziehungsweise stimulieren, indem man für die Migranten Wohnraum schafft, indem man für die Migranten Deutschkurse und Wertekurse und vieles andere macht, also eine sogenannte Migrationsindustrie aufbaut. Das helfe eventuell auch, Export-Dellen   – die es ja immer wieder gibt   – zu konterkarieren oder zu überwinden.
Dieser keynesianische Diskurs übersieht, dass die volkswirtschaftlichen Kosten dafür extrem hoch sind. Der deutsche Ökonom Konrad Schuler schätzt, dass das deutsche Budget in den nächsten vier, fünf Jahren jährlich mit 47 Milliarden Euro belastet sein wird auf Grund dieser Migration 2015/2016. Das sind 15% des deutschen Budgets, und das schlägt sich natürlich an anderen Orten nieder, wo auf Grund dessen gespart werden wird.

Dann hat der keynesianische Diskurs noch einen besonderen Fehler: Er zieht nämlich nicht die Kosten ins Kalkül   – und das ist mir sehr, sehr wichtig   –, die dieser Abzug der jungen Menschen in den jeweiligen Ländern verursacht. Denn wie stellt man sich vor, dass Syrien oder Afghanistan oder afrikanische Länder wieder aufgebaut werden nach diesen ökonomischen Krisen oder den Kriegen? Der keynesianische Diskurs ist also ein vollkommen eurozentrischer Diskurs.

Ein weiterer Diskurs ist der liberale. Er geht davon aus, dass wir die ständige Migration und auch diese grossen muslimischen Wanderungen brauchen, um unsere Arbeitsmärkte wieder zu füllen und ständig in Bewegung zu halten. Sein Hauptargument ist, dass doch kein Einheimischer (in Deutschland, Österreich und der Schweiz) eine Schmutzarbeit machen wolle. Dem kann man entgegenhalten, dass es auch hier um eine Frage geht, die zwischen Arbeit und Kapital zu entscheiden ist: Wie entlohnt man Arbeit, die schwer oder schmutzig ist?

Es gibt Beispiele, wo man schwere Arbeit gut entlohnen kann. Bei den Kanalarbeiten in gewissen Städten wie in Wien oder die Müllabfuhr in gewissen Gemeinden braucht man eben keine billigen ausländischen Arbeitskräfte. Dort werden die heimischen Arbeiter nicht nur gut bezahlt, sondern sie haben auch einen würdigen Arbeitsplatz, der allgemein anerkannt ist. Das wäre sozusagen die Gegenposition dazu, und die müsste man einnehmen.

Alternativen zum Ausbau von Mobilität und Migration

Wo könnte Ihrer Meinung nach ein konstruktiver Diskurs in der Migrationsfrage ansetzen? Sie haben von «progressivem Protektionismus» gesprochen.

Das Stichwort ist mir begegnet, als ich das Buch von Colin Hines, «Progressive Protectionism», gelesen habe. Da geht es um eine Zusammenführung eines ökologischen Diskurses, der im Prinzip mobilitätskritisch ist. Der Wiener Verkehrsexperte Hermann Knoflacher hat einmal gesagt: «Mobilität reflektiert einen Mangel an Ort.» Umgelegt auf die Migrationsfrage heisst das, dass man kritisch gegenüber der Migration sein muss.

Das wiederum würde beinhalten, dass man anstelle des Ausbaus von Mobilität und Migrationsverhalten   – wie das jetzt die Uno im Migrationspakt durchsetzen will an ihrer Marrakesch-Sitzung im Dezember   – eher auf autozentrierte Entwicklung setzt, auf Importsubstitution, auf faire wirtschaftspolitische Verträge und nicht auf Freihandel, auf Widerstand gegen Freihandelsverträge. Ich nenne das auch ein Konzept der ökonomischen Subsidiarität, dass man Wege kürzer macht, Produktionsketten verkleinert und Güterketten nicht verlängert   – also letztlich lokale Märkte stärkt gegenüber dem Globalismus.

Vielen Dank, Herr Hofbauer, wir wünschen Ihrem Buch die nötige Aufmerksamkeit. Es ist dringend nötig, dass es dieses Buch gibt, und wir hoffen, dass die Diskussion über die Migration die Sachlichkeit, die es braucht, auch bekommt.

«Die Statistiker des IWF haben sich in ihrer im Juli 2016 publizierten Studie die Mühe gemacht, die Folgen dieser Massenmigration für die Herkunftsländer auch makroökonomisch zu quantifizieren. Ihr Befund legt den ganzen Widersinn der strukturellen Ungleichheit zwischen Ost und West offen und weist dabei der Migration die entscheidende Bedeutung zu. Ohne Wanderungsbewegung, so der IWF, stünde Osteuropa mit einem signifikant höheren Bruttonationalprodukt (BNP) da; konkret: ‹Hätte es zwischen 1995 und 2012 keine Emigration gegeben, läge das reale BNP durchschnittlich (von Land zu Land ein wenig unterschiedlich, d. A.) um 7 Prozent höher.› Diese Aussage zerstört die Erzählung vom bereichernden Charakter der Migration, zumal das Wachstum in den Zielländern wegen der Wanderungsströme keineswegs um 7 Prozent höher ausfiel.
Doch es kommt noch schlimmer. Laut IWF-Studie hemmen die monetären Rücküberweisungen der Emigranten in ihre Heimat die dortige Wirtschaft. […]
Das Fehlen der Jungen und Gesunden und damit der überproportional hohe Anteil alter Menschen in den Herkunftsländern der Migranten verursachen zudem explodierende Kosten im Gesundheits- und Pensionssystem, die die Staaten nicht decken können. ‹Der Weggang einiger der Jüngsten und Klügsten macht Osteuropas Aufholprozess gegenüber den fortgeschrittenen Ländern zu einer grossen Herausforderung›, übt sich der IWF abschliessend in diplomatischer Sprache.» (Hofbauer, S. 211f.)

«Wer es moralisch und politisch verwerflich findet, dass bengalische Näherinnen in einsturzgefährdeten Fabriken zusammengepfercht um einen Hungerlohn für den Weltmarkt roboten, kann den ständigen Import von Menschen aus dem ‹globalen Süden› in die Zentralräume dieser Welt nicht posi­tiv konnotieren. Zu sehr ähneln einander die Auslagerung von Arbeitsplätzen an Billiglohnstandorte und die Masseneinwanderung entwurzelter Arbeitskräfte in den ‹globalen Norden› in ihrer Ausbeutungsstruktur.» (Hofbauer S. 8

Buch Kritik Migartion Hofbauer
 
 

ISBN 978-3-85371-441-6 (Buch) ISBN 978-3-85371-864-3 (E-Book)

Bild Hofbauer

*Hannes Hofbauer wurde 1955 in Wien geboren. Er ist Wirtschafts- und Sozialhistoriker und arbeitet als Publizist und Verleger. Zahlreiche Publikationen beim Promedia Verlag, u.a.: Verordnete Wahrheit   – Bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument (2011); Slowakei. Der mühsame Weg nach Westen (gemeinsam mit David Noack, 2012); Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter (2014, 2. Auflage 2015); Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung (2016, 5. Auflage 2017); Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert (2018)

Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-26-20-november-2018/fuer-eine-sachliche-aufklaerung-ueber-geschichte-ursachen-und-auswirkungen-von-migration.html

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