Buchempfehlung: «Erinnerungen einer Mutter»

Ein aussergewöhnliches Buch
Von Marcjanna Fornalska (3. Januar 1870 - 25. Dezember 1963)
17. Mai 2018
Das Buch über Malgorzata Fornalska* - Mitglied des Zentralkomitees der Polnischen Arbeiterpartei - die von der Gestapo 1944 im Gefängnis zu Tode gequält wurde - war als eine Niederschrift der Erinnerungen gedacht. Aber es ist zu einem Dokument der Epoche, zu einem Dokument der Menschlichkeit, zu einem Stück Geschichte geworden, wieder zum Leben erwacht in einem warmen Menschenherzen. Ich bin davon überzeugt, daß hinter den einfachen, herrlichen Worten der «Erinnerungen» jeder den Herzschlag der proletarischen Mutter fühlt, die fast zum Symbol geworden ist. Jeder wird Marcjanna Fornalska für ihre Arbeit, die - so sollte man meinen - für eine Frau ihres Alters zu schwer ist, tief dankbar sein — dafür, daß sie uns ein Werk geschenkt hat, das dem Leser zu einem echten, tiefen Erlebnis wird.

Buch Erinnerungen einer Mutter Fornalska Cover

 Die erstaunliche Entstehung des Buches erfahren wir in den beiden nachstehenden Vorworten:

Beim Lesen der «Erinnerungen von Marcjanna Fornalska»

Von Maria Rutkiewicz**

Immer wenn ich beim Abschied die schmächtige Gestalt von Marcjanna Fornalska umarmte, wenn mich die runzligen Wangen der Großmutter berührten, dachte ich: Um wieviel weniger wüßte ich von Güte und Edelmut, hätte ich sie nicht kennengelernt.

Und wie lange kannte ich sie schon? Durch diese Frage überrascht, würde ich antworten: schon sehr lange - ich kannte sie wohl schon immer.

Es war vor vielen Jahren.

Mit Malgorzata Fornalska - der Tochter von Marcjanna - verband mich herzliche Freundschaft: Gemeinsame Erlebnisse, gute und schlechte, die enge Zusammenarbeit während der Okkupation, ihre fast mütterliche Obhut und Fürsorge, dann die Begegnung im Pawiak-Gefängnis, ihr letzter Kassiber vor der Hinrichtung.

In Augenblicken der Ruhe während der illegalen Arbeit erzählte mir Malgorzata so manches Mal von ihrer kleinen Oleńka, wie sie aussah, wie sie “langsam und bedächtig" sprach, und von ihrem „Mütterchen". Anders nannte Malgorzata sie nicht.

„Wenn du mein Mütterchen kennenlernen könntet! Das ist eine einfache Frau, ohne Schulbildung, aber eine ungewöhnliche, eine ganz ungewöhnliche Frau . . .”

Sie sprach von ihr stets mit Hochachtung und wie von einem ewig jungen Menschen, dabei war doch Marcjanna damals schon eine ältere Frau. So wird übrigens später auch Oleńka, die Tochter von Malgorzata, von ihrer Mutter sprechen, die sie lange nicht gesehen hatte - „meine schöne Mutti". Sie wußte nicht, welche Spuren des Leids und wieviel Runzeln die Mühsale des Lebens und des Kampfes in das Gesicht ihrer tapferen Mutter gegraben hatten.

Wenige Monate nach der Befreiung veröffentlichte ich in einer Provinz-Zeitung meine Erinnerungen an Malgorzata.

Daraufhin meldete sich ihre Mutter. Wir schauten uns an, als kennten wir uns schon eine Ewigkeit und wären nur eine Zeitlang getrennt gewesen.

Eines Tages vor vielen Jahren besuchte ich sie, ohne mich vorher anzumelden.

In der Wohnung war es still, doch durch die geschlossene Zimmertür hörte man leises, unregelmäßiges Geklapper.

Ich öffnete die Tür und blieb erstaunt stehen.

Am Tisch saß die Großmutter vor einer alten Schreibmaschine und schlug langsam und mit einem Finger auf die Tasten.

So wurde ich Zeuge der Geburt eines ungewöhnlichen Buches, an dem Marcjanna Fornalska fast acht Jahre gearbeitet hat.

Als die Großmutter mein Erstaunen bemerkte, nahm sie mich bei der Hand und sagte: „Denk dir nur, was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Ich bin doch schon eine alte Frau. Acht Jahrzehnte habe ich schon auf dem Buckel. Du weißt ja, daß ich eigentlich Analphabetin bin. Lesen habe ich von allein gelernt, aber schreiben kann ich nicht. Und nun möchte ich über mein ganzes Leben berichten ... Ich sehe schon schlecht, aber die Maschine hat deutliche Buchstaben, und so suche ich sie mir einzeln zusammen und schreibe. Das ist für Oleńka. Sie ist schon erwachsen und klug und wird alles gut verstehen. Sie allein ist uns geblieben, das einzige Kind Malgosias . . .”

Dann saß ich neben der Großmutter und sah die Blätter durch.

Das Lesen war nicht einfach. Die Wörter gingen ineinander über, im ganzen Text fanden sich kaum ein paar Punkte, von einer Rechtschreibung konnte keine Rede sein. Die Großmutter erlaubte mir, ein paar Seiten mit nach Hause zu nehmen.

Erst da begriff ich den Inhalt dieses ungewöhnlichen Manuskripts. Ich mußte es aber laut lesen, denn wegen der falschen Rechtschreibung war der Inhalt mit dem Blick kaum zu erfassen. Doch wenn man laut las, wurde die Rechtschreibung bedeutungslos. Ich las mit wachsender Verwunderung und Anteilnahme.

Der erste Gedanke, der sich aufdrängte: Welch ausgezeichnete, lebendige Prosa.

Ähnliche Rührung empfand ich nach jeder Unterhaltung mit der Großmutter. Ihre Gedanken waren erstaunlich klar, ihre Sprache einfach. Ich habe sie einmal in einer Frauenversammlung sprechen hören. Bevor der Beifall aufbrauste, saßen die Menschen einen Augenblick lang wie verzaubert.

Ich vertiefte mich mehr und mehr in den Text, der durch Authentizität und Ausdruckskraft besticht. Vor mir erstand ein einprägsames Bild der Kindheit der Großmutter, die sie im Hause ihres Vaters, eines eben erst von der Leibeigenschaft befreiten Bauern, verlebte. Dann die Erlebnisse des jungen Mädchens, das einen scharfen Verstand und einen aufrichtigen Charakter besaß und sehr empfindsam war. Der strenge und edelmütige Vater, die sich abrackernde Mutter, die ihre Liebe gleichermaßen den eigenen Kindern und denen aus der ersten Ehe ihres Mannes schenkte. Allmählich und unbemerkt verdichtete sich die Atmosphäre dieses Hauses, in der sich die ungewöhnliche Individualität von Marcjanna Fornalska formte.

Heute halte ich nun das viele hundert Seiten umfassende Manuskript mit den Erinnerungen aus dem Leben der Mutter und Bäuerin, der Mutter und Kommunistin in Händen.

Siebzig Jahre des Lebens einer einfachen, des Schreibens fast unkundigen Frau -Tagelöhnerin, Wäscherin, Bediensteten - die mit fünfzig Jahren von sich sagt: „Ich wurde noch einmal geboren." Durch das Erlebnis der Oktoberrevolution erwirbt Marcjanna Fornalska ein neues, bisher ungeahntes Wissen vom menschlichen Dasein. Sie wird Revolutionärin.

Doch diesen neuen Weg geht sie nicht allein. Sie hat sechs Kinder. In den Jahren der bittersten Not und des Verstoßenseins strebt sie unaufhaltsam danach, ihren Kindern Bildung, ein wenig Licht zu geben, dessen Fehlen sie selbst so schmerzhaft empfindet.

Das Streben nach Wissen ist wie ein tiefer innerer Strom, der ihr ganzes Leben, von der Kindheit bis ins hohe Alter, durchzieht.

Die Kinder wachsen heran. Die verständige und liebende Mutter läßt es nicht zu, dass zwischen ihr und den Kindern eine Kluft entsteht. Oft wiederholt sie: Alles, was das Leben bringt, wollte ich gemeinsam mit ihnen begreifen und erleben. Und sie erreicht etwas überaus Schwieriges: Das Vertrauen und die Freundschaft ihrer erwachsenen Töchter und Söhne.

Der Alltag der Familie Fornalska war ganz von dieser Freundschaft durchdrungen. Diese schwer mit dem Leben ringenden Menschen schützt untereinander etwas, das wertvoller ist als jegliches Gut: Die gegenseitige Liebe, ohne äußere Zärtlichkeiten, ohne überflüssige Worte.

Die Revolution, deren Sieg sie in Zarizyn erleben, spannt sie alle in ihren Dienst ein. Dieser Dienst wird hart und treu sein bis zu ihrem letzten Atemzug.

Marcjanna Fornalska, der Mutter der Kommunisten, sind weder die tiefsten Erschütterungen noch tragische Erlebnisse erspart geblieben: Von ihren sechs Kindern kamen fünf ums Leben.

Immer wieder kam die Großmutter in Unterhaltungen auf dieses Buch zu sprechen. Sie war tief bewegt. Es wollte ihr nicht in den Sinn, daß ihre Zeilen gedruckt als richtiges Buch erscheinen.

“Ich habe nie daran gedacht. Ich kann doch gar nicht schreiben; ich wollte das für Oleńka zurücklassen."

Marcjanna Fornalska konnte es nicht glauben, daß sie ein ganz ungewöhnliches Werk geschaffen hat, ein Werk, das zu Herzen geht und Bewunderung weckt, das aber auch unser Wissen bereichert, unser Wissen übcr das menschliche Leben und über die polnischen Kommunisten.
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Ein ungewöhnliches Buch

Wanda Wasilewska***

«Erinnerungen einer Mutter» von Marcjanna Fornalska ist ein wahrhaft ungewöhnliches Buch. Es wurde von einer achtzigjährigen Frau verfaßt, die vorher kaum ein Wort schreiben konnte. Mit einem Finger, jeden Buchstaben suchend, tippte sie es Wort für Wort auf der Schreibmaschine. Sie die Mutter der heldenhaften Kommunistin Malgorzata Fornalska, die von den Hitlerfaschisten umgebracht wurde - wollte ihrer Enkelin von der Mutter erzählen. Sie ahnte nicht, daß man ihre Erinnerungen drucken könnte, daß Tausende mit verhaltenem Atem und mit Tränen in den Augen das Buch lesen würden.

Marcjanna Fornalska schrieb Erinnerungen an eine wunderbare Frau, die umgekommen ist, und sie schrieb diese Erinnerungen für deren Tochter. Aber das Buch wuchs über die Absichten der alten Frau, die acht Jahre daran arbeitete, hinaus. In ihm spiegelt sich eine ganze Epoche: Widerschein aller Stürme, Niederlagen und Siege, deren Augenzeuge Marcjanna Fornalska im Laufe vieler Jahrzehnte war. Das schwere, ungewöhnliche Leben der Autorin und ihrer Angehörigen ist eng mit der Geschichte jener Jahre verknüpft.

Während man die «Erinnerungen einer Mutter» liest, denkt man unwillkürlich an die «Mutter» von Gorki. Nur war jene Mutter eine andere: Nilowna ändert ihr Leben unter dem Einfluß ihres Sohnes, die Liebe zu ihrem Sohn führt sie zum revolutionären Kampf, aus Liebe zu ihrem Sohn lernt sie das verstehen, was sie früher nicht begreifen konnte, besiegt sie die zahllosen Zweifel, Vorurteile und Schwankungen in sich selbst.

Seit ihrer frühen Kindheit strebt Marcjanna Fornalska, Tochter eines leibeigenen Bauern, zum Licht. Als sie heranwächst und selbst Mutter wird, erzieht diese Frau, die selbständig lesen gelernt hat, aber bis ins hohe Alter fast nicht schreiben konnte, ihre Kinder so, daß sie alle Revolutionäre werden. Sie lenkt sie auf den Kampf, ohne sich dessen klar bewußt zu sein, mehr instinktiv, aber mit einer unerschütterlichen Beharrlichkeit und Konsequenz.

Es kommt die Zeit, da die Kinder heranwachsen und sie sich selbst Mühe geben muß, um mit ihnen Schritt zu halten, ihnen nicht nur Mutter zu sein, sondern auch Genossin und Helferin im Kampf. Anfangs aber haben nicht sie ihr, sondern sie hat ihnen den Weg gewiesen.

Ja, das sind Erinnerungen einer Mutter, einer ungewöhnlichen Mutter. Aber vor allem sind es Erinnerungen eines Menschen, eines wahrhaften Menschen. Aus den Seiten des Buches ersteht vor uns eine ungewöhnliche Persönlichkeit. An ihr ist alles ungewöhnlich: Die mütterliche Liebe, der unbeugsame Wille, das beharrliche Streben nach dem vorgezeichneten Ziel und die bewundernswerte Güte, die Liebe zur Wahrheit und der leidenschaftliche Haß gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, das Bewußtsein der eigenen Würde und die Liebe zu den Menschen und jene erstaunliche Standhaftigkeit des Herzens, mit der sie die schweren Schicksalsschläge trägt.

Ein ganzes Menschenleben zieht an uns in den Erinnerungen von Marcjanna Fornalska vorüber. Zusammen mit ihr durchleben wir diese Jahre, sehen sie mit ihren Augen. Ein Mädchen vom Lande. Das erste Buch brachte ihr der Vater vom Jahrmarkt. Soll die Tochter lesen lernen, sie kann dann das Gebetbuch lesen! Mehr braucht ein einfaches Bauernmädchen nicht. Und das Kind lernt selbständig lesen.

Aber bald wird das Lesen zu einer wahren Leidenschaft für das Mädchen und später für die Frau. Und gerade dank dem, so meint Marcjanna Fornalska selbst, begann sie das Leben und die Ereignisse anders zu sehen als andere Mädchen und Frauen im Dorfe. Es ziehen die freudlosen Jahre der Kindheit vorüber, die schweren Jahre der Jugend, angefüllt mit hoffnungsloser, ihre Kräfte übersteigender schwerer Arbeit. Marcjanna wird mit einem Menschen verheiratet, den der Vater für sie ausgesucht hat. Ein Kind nach dem andern kommt zur Welt.

Da reift in dem Herzen der Mutter ein Entschluß: Sie tut alles, was in ihren Kräften steht, damit ihre Kinder nur nicht dem Elend und der Rechtlosigkeit des damaligen Dorflebens preisgegeben sind, dass sie nicht beim Gutsbesitzer arbeiten und den Hohn des Verwalters erdulden, müssen.

Lange Jahre beherrscht dieses Streben uneingeschränkt alle ihre Gedanken. Zusammen mit ihrem Mann und ihren Kindern verläßt sie das Dorf, den Boden, auf dem sie aufgewachsen und mit dem sie verwachsen ist, und zieht dorthin, wo ihre Kinder die Schule besuchen können.

Es schien eine unsinnige und nie zu verwirklichende Idee zu sein, sechs Kindern Bildung geben zu wollen, ohne irgendwelche Mittel zu besitzen, ohne jedwede Erfahrung und ohne auch nur über die geringsten Möglichkeiten zu verfügen.

Marcjanna Fornalska aber ist zu allein bereit, damit ihre Kinder nicht bis an ihr Lebensende auf gutshcrrlichcm Boden den Rücken krümmen müssen. Für dieses Ziel, das sie sich selbst stellte, ist sie auch bereit, Entbehrungen, Hunger und Not auf sich zu nehmen, die allerschwerste und ermüdendste Arbeit zu verrichten.

Sie arbeitet als Waschfrau, als Dienstmädchen, als Reinemachefrau, sie lebt in einer Kellerwohnung, hungert, läuft fast zerlumpt herum - nur um ihren Kindern Bildung zu geben.

Das Jahr 1914. Der Krieg ist ausgebrochen. Im Lubliner Gebiet, ihrer Heimat, tobt der Kampf. Zusammen mit den kleineren Kindern begibt sie sich auf eine weite Reise und gelangt mit Mühe bis zum Don und dann weiter nach Zarizyn. Hier, in Zarizyn, erlebt sie die Oktoberrevolution. Und hier hört sie zum erstenmal die feierlichen Worte der Arbeiterhymne: „Steh auf, erheb dich, du Arbeitsvolk!"

Eine neue Welt tat sich vor mir auf, schreibt sie selbst. Ihr untrüglicher Instinkt sagte ihr, das ist die Revolution - ihre Revolution. Und in Zarizyn bitten die fünzigjährige polnische Bäuerin und ihre fünfzehnjährige Tochter Malgorzata um Aufnahme in die Partei.

Dieser Revolution bleibt sie ihr ganzes Leben treu. Obgleich sie 1937 drei Kinder verliert und das vierte erst viele Jahre danach zurückkehrt (was ihr mütterliches Herz nie begreifen konnte), - blieb sie dem Kommunismus für immer treu, ohne Schwanken und Zweifel.

Es ist erstaunlich, wie diese einfache Frau vom Lande auf die großen Veränderungen, die das Leben mit sich bringt, innerlich vorbereitet ist. Frei von jeglichen religiösen Vorurteilen, ist sie von tiefem, echtem Internationalismus beseelt, ihr echter proletarischer Instinkt führt sie stets auf den richtigen Weg.

Als Kommunistin kehrt sie nach Polen zurück, und seit dieser Zeit hilft sie ständig ihren Kindern, die Kommunisten wurden, in der illegalen Arbeit. Die Sowjetunion, wo sie später viele Jahre verbrachte, wird ihr für immer eine zweite Heimat.

Mit offenen Augen und scharfem Blick sieht Marcjanna Fornalska die Welt. Sie sieht sie durch die Brille der Mutterliebe, aber das macht sie nicht kurzsichtig; die Ereignisse jener Zeit lassen sie ihre Kinder besser verstehen. Unbeugsam geht sie ihren vorgezeichneten Weg; sie fürchtet sich nicht vor den Verfolgungen der Polizei; ruhig, tapfer sitzt sie ihre Gefängnishaft ab, tapfer trägt sie die Trennung von ihren Angehörigen und alle Schicksalsschläge des Lebens.

Ihren Kindern ist sie nicht nur Mutter, sondern auch Freund, der nächste Helfer, der beste Kampfgefährte. Diese einfache Frau hat einen scharfen Verstand und ein wunderbares Herz. Vor uns steht eine prächtige Mutter und ein vortrefflicher Mensch. Einfach und schlicht erzählt sie aus ihrem Leben, vom Schicksal ihrer Familie, vom Schicksal der Menschen, mit denen sie zusammentraf, von den Ereignissen des ersten und des zweiten Weltkrieges, von der Revolution, von den Jahren zwischen den Kriegen. Die Interessen ihrer Familie werden nicht begrenzt durch die Wände ihres Hauses, denn Marcjanna Fornalska lebt immer das Leben ihrer Kinder - das schwere und heldenhafte Leben von Revolutionären.

Das Buch über Malgorzata Fornalska - Mitglied des Zentralkomitees der Polnischen Arbeiterpartei - die von der Gestapo zu Tode gequält wurde, war als ein Buch der Erinnerungen gedacht. Aber es ist zu einem Dokument der Epoche, zu einem Dokument der Menschlichkeit, zu einem Stück Geschichte geworden, wieder zum Leben erwacht in einem warmen Menschenherzen.

Ich bin davon überzeugt, daß hinter den einfachen, herrlichen Worten der „Erinnerungen" jeder den Herzschlag der proletarischen Mutter fühlt, die fast zum Symbol geworden ist. Jeder wird Marcjanna Fornalska für ihre Arbeit, die - so sollte man meinen - für eine Frau ihres Alters zu schwer ist, tief dankbar sein — dafür, daß sie uns ein Werk geschenkt hat, das dem Leser zu einem echten, tiefen Erlebnis wird.

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1964: Brief der Tochter und der Enkelin von Marcjanna Fornalska

Geehrte und liebe Freunde!

Es ist schwer auszudrücken, mit welch großer Rührung wir diese deutsche Ausgabe in die Hand nahmen, die unser liebes Mütterchen und Großmütterchen mit Ungeduld erwartet hatte. Leider traf sie das Buch nicht mehr am Leben an. Großmütterchen - so nannten wir sie alle seit vielen Jahren - verließ uns plötzlich am 25. Dezember 1963. Wie hatte sie sich auf das Erscheinen ihres Buches in deutscher Sprache gefreut! Sie bewunderte die deutsche revolutionäre Bewegung und empfand große Hochachtung für ihre Führer und Genossen.

Sie hatte viele gute Freunde unter den deutschen Kommunisten, mit denen sie vor dem Kriege in Moskau und während des Krieges in dem internationalen Kinderheim in der Sowjetunion zusammengetroffen war. Sie freute sich, daß sie dank diesem Buch imstande sein würde, die Verbindungen zu den deutschen Genossen zu erneuern und ihre freundschaftlichen Gefühle ihnen gegenüber auszudrücken.

Heute nun lächelt sie uns nur noch vom Umschlag Eurer schönen Ausgabe zu. Welche Freude hätte ihr dieses Buch gegeben! Aber obwohl es sehr schmerzhaft für uns ist, daß sie diese Freude nicht erlebt hat, ist es doch gleichzeitig ein Trost in unserer Trauer, daß ihre Gedanken und Gefühle zu den deutschen Lesern gelangen werden. Dafür möchten wir Euch unsere tiefste Dankbarkeit ausdrücken.

Wir übersenden Euch unsere herzlichsten Grüße und wünschen Euch Erfolg in Eurer Arbeit.

Warschau, am 5. April 1964

Felicja und Oleńka,
Tochter und Enkelin von Marcjanna Fornalska,
und unsere Freundin Maria Rutkiewicz
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Bild Margolzata Buchbild 4
* Małgorzata Fornalska (*Juni 1902; † 26. Juli 1944) war Lehrerin, Publizistin und Organisatorin der polnischen Arbeiterpartei. 1944 wurde sie im Serbia-Gefängnis in Warschau von der Gestapo erschossen.

Maria Rutkiewicz
**Maria Rutkiewicz (*22 July 1917; † 27 June 2007) was a Polish communist and an editor. During the Nazi occupation of Poland, she was a radio operator with the Polish resistance. (Von Maria Rutkiewicz konnten wir kein persönliches Foto finden).

Wanda Wasilewska 2
*** Wanda Wasilewska (* 21. Januar 1905 in Krakau; † 29. Juli 1964 in Kiew) war eine polnische und sowjetische Politikerin und Schriftstellerin

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