Skip to main content

“Rückblick auf unsere Vergangenheit”

Erinnerungen zweier Friedenskämpfer
Von Doris und George Pumphrey*
12. Juli 2018
Uli Gellermann’s Interpretation und Vorführung eines Rubikon-Beitrags von Doris Pumphrey, die er in seiner Rationalgalerie veröffentlicht hat, ist kein Ruhmesblatt für linke Meinungsmacher. (http://www.rationalgalerie.de/kritik/rubikon-macht-trump-reklame.html.)  Demnach wäre Pumphrey eine Trump-Propagandistin! Dass Linke anderen Linken lustvoll schaden, gehört zu den deutschen Erbübeln. Wie sehr sich Gellermann da aber vertan hat, belegt die Vita von Doris und George Pumphrey.

Am frühen Morgen des 25. August 1994 standen mehrere Staatsschützer des Bundeskriminalamtes an unserer Wohnungstür und teilten uns mit: "Sie stehen unter Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit". Während der Jahre, in denen wir mit dem Risiko einer Verhaftung lebten, hatten wir natürlich öfter überlegt, wie es werden würde, wenn sie kämen. Und nun waren wir ruhig und selbstsicher. Unsere Verabredung lautete: Keinerlei Aussage zur Sache, wir bestimmen selbst, wann und was wir sagen.

Sie durchsuchten die Wohnung. Bei unserer Vernehmung beim Staatsschutz in Meckenheim zeigte der Beamte, der George verhören sollte, keinen allzu großen Eifer. Vielleicht machte er sich Gedanken über den Sinn einer strafrechtlichen Verfolgung von Geheimdiensttätigkeit für ein Land, das nicht mehr existierte. Der stramme Kriminaloberkommissar mir gegenüber hatte wohl seine Karriere im Blick. Er versuchte mich schließlich mit Einschüchterungen zur Aussage zu bewegen. Als ihn seine Drohung mit Gefängnis nicht weiterbrachte, legte er seinen Pistolenhalfter samt Pistole auf den Schreibtisch. Die Geste wirkte aufgesetzt und völlig deplaziert. Er machte sie auch beim Verhör unseres Führungsoffiziers während dessen Ermittlungsverfahrens. Schließlich gaben die Staatsschützer etwas frustriert ihre Bemühungen auf. Wie immer in heiklen Situationen waren wir gut aufeinander abgestimmt. Es war ja auch nicht das erste Mal in unserem politischen Leben, daß wir mit der Polizei zu tun hatten.

Statt in Vietnam in Nürnberg stationiert

George wurde 1946 in der Hauptstadt der USA geboren. Er wuchs als ältestes von drei Kindern in Silver Spring, Maryland auf. Sein Vater war Landarbeiter, seine Mutter Lehrerin. Auf ihrem Universitätsdiplom stand, sie sei befugt, "farbige Kinder“ zu unterrichten. Als kleiner Junge hörte er von einem Lynchmord an einem Schwarzen und seine Mutter erklärte ihm, daß es Weiße gibt, die Schwarze nicht mögen. Da beschloß er, niemals jemanden zu verachten, nur weil er eine andere Hautfarbe hat.

Georges Mutter, eine starke und mutige Frau, war sehr engagiert in der Kirche, die in der schwarzen Gemeinde immer auch eine wichtige soziale und politische Rolle spielte. Sich gegenseitig zu helfen, vor keiner Arbeit zurückzuschrecken, unabhängig zu denken, für seine Meinung einzustehen und bereit zu sein, dafür auch Konsequenzen zu tragen   – das waren Werte, die George vor allem von seiner Mutter vermittelt bekam.

Der Widerspruch zwischen dem Anspruch der USA und der Realität, wie sie sich Afroamerikanern bot, lehrte George frühzeitig, kritisch zu sein gegenüber der etablierten Ordnung und alles zu hinterfragen. Seine Mutter unterstützte ihn darin.

George begann seine Schulzeit in der Segregation. Mit 13 Jahren wurde er Mitglied der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People), der größten Bürgerrechtsorganisation. 1964 nahm er als Delegierter der Jugendliga am Nationalkongreß der NAACP teil. Während des Kongresses erfuhren die Teilnehmer, daß Chaney, Goodman und Schwerner   – zwei Weiße und ein Schwarzer   – bei ihrem Einsatz im Bürgerrechtskampf in Mississippi verschwunden waren. Sie wurden später ermordet aufgefunden.

Nach der Schule studierte George Sport und Dramaturgie, arbeitete als Schauspieler und Theatertechniker an Bühnen in Maryland oder Kalifornien. 1968 wurde er von der US-Army eingezogen.

In jenem Jahr wurde Martin Luther King ermordet, die Ghettos brannten. Der Kampf gegen den Vietnam-Krieg brachte immer größere Menschenmengen auf die Straße.

Bei seinem Einberufungsverhör erklärte George, er werde nicht gegen die Vietnamesen kämpfen. Man kommandierte ihn in die BRD nach Nürnberg. Wie in vielen anderen US-Kasernen herrschte auch dort offener Rassismus. George organisierte den Widerstand gegen Krieg und Rassismus. Dabei lernten wir uns kennen.

Kampf gegen Krieg und Rassismus in der US Army

Ich wurde im Geburtsjahr der beiden deutschen Republiken geboren und wuchs als letztes von vier Kindern in Fürth auf. Mein Vater war Pfarrer, der religiöses Getue, das Zur-Schau-Stellen eines moralischen Sendungsbewußtseins und Heuchelei haßte.

Mit zwölf begann ich mich für den Kampf der Schwarzen in den USA zu interessieren. Im Gymnasium hatte ich viele Auseinandersetzungen mit Lehrern, die vom Faschismus geprägt waren. Über den faschistischen Krieg und die Massenmorde sprachen diese Lehrer nicht. Der Lateinlehrer erzählte "Judenwitze", die er "ja eigentlich nicht mehr erzählen durfte". Aus Protest hängte ich mir den Davidstern an meine Halskette.

Wenn Demonstrationen während der Schulzeit stattfanden, schrieb mein Vater dem Direktor, seine Tochter könne leider nicht in die Schule kommen, sie müsse demonstrieren   – gegen die Notstandsgesetze oder den Krieg in Vietnam. Als Demonstranten wurden wir angepöbelt: "Geht doch rüber!". Ich begann zu überlegen: Was ist dieses "Drüben", diese „Ostzone“, über die sich der Haß der Politiker und Medien ergoß und wohin uns jene, die gegen uns waren, schicken wollten?

Nach dem Abitur 1969 begann ich das Studium der Politischen Wissenschaften und Soziologie in Erlangen. Ich trat dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei und engagierte mich im Black-Panther-Solidaritätskomitee.

Im Herbst 1969 organisierten wir ein „Teach-in“ an der Uni in Erlangen und Nürnberg zum Kampf der Black Panther in den USA. Ein hochrangiger Vertreter der „Black Panther Party“ sollte dazu in die BRD kommen. Wir verteilten Flugblätter in Englisch, um US-Soldaten über die Veranstaltung zu informieren. Ich gab George ein Flugblatt, und er gab mir ein mehrseitiges Pamphlet, das er gegen den Rassismus in der Army verfaßt hatte. So begegneten wir uns.

Es war eine Zeit voller Auseinandersetzungen. Der antirassistische Kampf und der Widerstand gegen den Vietnamkrieg wurden auch innerhalb der US-Army immer heftiger. Wir produzierten Flugblätter und besorgten die Black Panther Zeitung für die Soldaten und halfen Deserteuren nach Schweden zu entkommen. George organisierte auf dem Militärgelände Protestveranstaltungen gegen den Krieg, gegen Rassismus und für die Bürgerrechte der Soldaten. Das ging nur eine Zeit lang gut. Er wurde vorzeitig als "unerwünscht" aus der US-Army entlassen und mußte von einem Tag auf den anderen in die USA zurückkehren.

Ich erhielt ein Schreiben des für die Army in unserer Region zuständigen US-Generals, in dem er mitteilte, daß mir jeglicher Zutritt in US-Einrichtungen fortan verboten sei. Kurz danach wurde mein Touristenvisum vom US-Konsulat für ungültig erklärt. Also beantragten George und ich ein Heiratsvisum. Dazu gehörte auch ein ärztliches Gutachten durch den Konsulatsarzt. Der „entdeckte“ eine Lungenkrankheit und beorderte mich in ein bestimmtes Labor in München zur weiteren Untersuchung. Ich ging stattdessen zu einem Lungenspezialisten der Uni-Klinik Erlangen und konfrontierte das US-Konsulat mit dem Ergebnis. Schließlich erhielt ich das Visum und flog im August 1970 in die USA.

Von „Berlin“ nach Montreal geflohen

Der Rassismus gegen Schwarze bestimmte jede Facette des gesellschaftlichen Lebens in den USA. Viele, die sich damals aktiv gegen den Rassismus engagierten, lebten unter ständiger physischer Bedrohung und auch Lebensgefahr. 1968 begann das FBI sein „geheimes Programm zur Vernichtung der Black Panther Party“, in dessen Folge die Black Panther auf allen Ebenen infiltriert, interne Auseinandersetzungen und Streitigkeiten mit anderen linken Organisationen geschürt, juristische Verfolgungen unter vorgeschobenen Beschuldigungen zur jahrelangen Inhaftierung Hunderter von Black Panthern führten und innerhalb von nur vier Jahren mehr als 30 Black Panther von Polizisten und FBI-Agenten erschossen wurden.

Wir lebten in „Berlin“, dem Ghetto der Washingtoner Vorstadt Rockville, benannt nach dem Besitzer aller Wohnblocks. Zusammen mit den Black Panthern von Washington organisierten wir die Ghettobewohner, um sich gegen den Rassismus und die soziale Ungerechtigkeit des Stadtrates und des Hausbesitzers sowie gegen die rassistische Polizei zu wehren. Die Tatsache, daß ich eine weiße Frau war, privilegierte mich gegenüber der Polizei. Bei jeder Auseinandersetzung war zu sehen, daß sie sich mir gegenüber zurückhaltender verhielten. Sie wußten, daß bei Übergriffen auf Weiße der Protest in der Öffentlichkeit größer sein würde.

George wurde unter allerlei Vorwänden mehrmals verhaftet. Das letzte Mal, als er gefesselt im Polizeiauto saß, hielt ein Polizist den Revolver an seine Stirn und erklärte "Nigger, das nächste Mal erschieße ich dich".

Im Sommer 1971 wollten wir in die BRD fliegen, damit meine Eltern George endlich kennenlernen könnten. Beim Zwischenaufenthalt in London eröffnete uns ein britischer Beamter, der bundesdeutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher betrachte George als Sicherheitsrisiko und habe Einreiseverbot erteilt, er rate uns deshalb, gleich in die USA zurückzufliegen. Wir glaubten an eine Verwechslung.

Als wir gegen Mitternacht in Frankfurt landeten, kamen schwer bewaffnete Grenzpolizisten in die Maschine. George wurde abgeführt. Die Grenzpolizisten inszenierten einen Zwischenfall: Sie „fanden“ eine Pistole, die George mit sich geführt habe, eine Behauptung, die sie später zurücknehmen mußten. Ich wurde einer Leibesvisitation unterzogen und nach draußen gebracht. Am nächsten Morgen wurde George nach London und von dort in die USA abgeschoben. Vor meinem Rückflug in die USA legte ich Beschwerde ein. In dem langwierigen Verfahren, das Frankfurter Rechtsanwälte für uns führten, erfuhren wir den Grund des Einreiseverbots: dem Verfassungsschutz lägen Informationen vor, George wolle seine Agitationstätigkeit als Black Panther unter den amerikanischen Truppen wieder aufnehmen, wodurch die Einsatzbereitschaft der in der BRD stationierten US-Streitkräfte beeinträchtigt werde. Seiner Einreise hätten darum die Sicherheit des Staates und die Belange der BRD in ihren Beziehungen zu den USA entgegengestanden.

In die „gravierendsten Informationen“ hatten unsere Rechtsanwälte zwar Einsicht, da sie aber geheim waren, durften sie nicht in das Verfahren eingebracht werden: Der Verfassungsschutz verdächtigte George und mich, Verbindungsleute zu sein zwischen der RAF, den Black Panthern in den USA und deren Vertretern im algerischen Exil. Wie sie sich das zusammenphantasiert hatten, bleibt ihr Geheimnis. Zwei Jahre später, als wir schon in Paris lebten, erklärte ein Richter das Einreiseverbot für rechtswidrig. Er hielt für nicht erwiesen, daß George bei seinem kurzen Familien-Besuch in der BRD eine Gefahr für den Staat hätte werden können.

Nach unserer Rückkehr in die USA wurden die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen uns intensiviert. Was wir jedoch zu spät merkten: Ein Freund, der einige Zeit bei uns wohnte, war in Wirklichkeit ein agent provocateur. Im Winter 1971/72 brachte er George in eine Situation, der er sich nur durch die Entwaffnung von vier weißen Polizisten entziehen konnte. Wir mußten aus den USA fliehen. In Montreal fand uns das FBI, der Polizeispitzel kannte die Adresse. Die kanadische Polizei verhaftete George..

Ein linker Rechtsanwalt erreichte nach zwei Monaten, daß George nicht in die USA abgeschoben wurde und das Gefängnis verlassen konnte. Er half uns, in Montreal unterzutauchen, da die USA nun eine Auslieferung anstrebten und die Polizei George erneut verhaften würde. Wir mußten heimlich aus Kanada verschwinden.

Freunde planten für uns, den Weg zu gehen, den schon andere politische Flüchtlinge gegangen waren: Die Besatzung eines chilenischen Frachtschiffes würde uns verstecken und ins Chile der Unidad Popular bringen, wo wir politisches Asyl beantragen könnten. Doch der Fluchtplan scheiterte im letzten Augenblick.

Henri Curiel   – Freund und politischer Lehrer

Wir haben oft darüber nachgedacht, was wohl nach erfolgreicher Flucht geschehen wäre. Hätten wir den faschistischen Putsch überlebt, ohne verhaftet zu werden, wäre für uns, wie für viele andere, der Versuch, in einer Botschaft Schutz zu suchen, die einzige Chance gewesen. Von der Bundesrepublik durften wir keine Solidarität erwarten. Vielleicht wären wir in die DDR-Botschaft geflohen. Unser Weg in die DDR wäre etwas anders verlaufen, über Santiago und nicht über Paris.

Schließlich gelang es uns im April 1972 mit Hilfe des Rechtsanwalts und seiner Verbindung zu einer französischen Organisation, Paris zu erreichen. Diese Organisation, die im Untergrund agierte, half uns, in Paris Fuß zu fassen. Ihr Leiter, Henri Curiel, wurde unser Freund und politischer Lehrer.

Als Sohn eines reichen jüdischen Bankiers in Ägypten konnte er den Widerspruch zwischen seinem Leben im Wohlstand und dem der armen Mehrheit der Bevölkerung nicht ertragen und schloß sich der internationalen kommunistischen Bewegung an. Nachdem er in Ägypten Gefängnis und Lager hinter sich gebracht hatte, war er ausgebürgert und des Landes verwiesen worden; er landete schließlich in Paris.

Nach unserer Legalisierung in Frankreich wurden wir selbst aktiv in der Organisation, der Solidarité. Sie war aus der französischen Untergrundbewegung entstanden, die konkrete Solidarität mit der algerischen Befreiungsbewegung organisiert hatte. Viele, die an dieser geheimen Front des Kampfes teilgenommen hatten, konnten auf ihre Erfahrungen in der französischen Résistance gegen die deutsche Besatzung zurückgreifen. Die Solidarité unterstützte Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika und teilte mit ihnen ihre eigenen praktischen Erfahrungen, die wichtig waren, wenn man gezwungen ist, im Untergrund zu kämpfen. Sie organisierte alles, von der medizinischen Hilfe bis zur Produktion oder Fälschung von Pässen.

Henri hatte aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten mit einigen kommunistischen Parteien, aber er wandte sich nie gegen sie. Er sagte uns, egal in welchen Zusammenhängen wir kämpfen, die kommunistischen Parteien und die sozialistischen Länder seien unsere Verbündeten. Natürlich könne man vieles in den sozialistischen Ländern kritisieren, aber wir sollten nie vergessen: Der Sozialismus dort wird auch nur von Menschen gemacht, mit all ihren Schwächen und Fehlern, unter sehr schweren internationalen Bedingungen und umgeben von Ländern, die alles daran setzen, die sozialistische Staatengemeinschaft zu beseitigen.

Neben der Arbeit für Solidarité galt Henris Hauptengagement dem Dialog zwischen Israelis und Palästinensern. 1976 startete eine große französische Zeitschrift eine Hetzkampagne gegen ihn. Im Mai 1978 wurde er in Paris in einer offensichtlichen Geheimdienstaktion erschossen. Seine unmittelbar bevorstehende Reise in den Nahen Osten, um Arafat zu treffen, sollte wohl verhindert werden. Wir brauchten lange, um mit diesem Verlust fertig zu werden.

George hatte durch Mitglieder der Solidarité Arbeit in einer Möbelkooperative gefunden. Dort waren nicht nur Franzosen tätig, sondern auch Portugiesen, Spanier, Afrikaner, Jugoslawen, Araber und Lateinamerikaner. Es wurde viel über Politik diskutiert. Neben seiner Tätigkeit als Betriebsrat der CGT organisierte George unter den Arbeitern Solidaritätsaktionen mit Befreiungsbewegungen in anderen Ländern.

Wir waren Teil des weltweiten Befreiungskampfes. Neben Niederlagen, wie dem faschistischen Putsch in Chile am 11. September 1973, gab es wichtige Siege: 1974 siegte die antifaschistische Nelkenrevolution in Portugal, und 1975 besiegte das kleine Vietnam die mächtigen USA. Es waren unsere Niederlagen und unsere Siege. Wir hatten inzwischen Radio Moskau und Radio Berlin International entdeckt und bekamen von dort Informationen über die progressiven Kämpfe weltweit, Nachrichten, die die westlichen Medien meist verschwiegen.

Ich hatte zunächst Arbeit in einem Buchladen. Der Besitzer, Jean Berthet, war als Sohn eines reichen französischen Kolonialisten in Saigon geboren. Als Kurier der gaullistischen Résistance war er in Paris verhaftet worden. Das KZ Buchenwald hatte er als Kommunist verlassen. Später wechselte ich zur Informationsabteilung des ökumenischen Hilfswerkes Cimade, das Flüchtlingen und Immigranten bei ihrer Legalisierung in Frankreich half und Projekte in den Ländern des Trikont unterstützte.

1976 wurden vier Freunde in Paris verhaftet. Fünf schwarze Amerikaner hatten 1972 ein Flugzeug nach Algerien entführt, um aus den USA zu flüchten. Es war eine Zeit, in der kaum eine Woche ohne Flugzeugentführung aus den USA verging. Ihre war bereits die 44. in jenem Jahr, und es war erst Juli. Die fünf lebten   – nachdem die Black Panther sich in Algerien aufgelöst hatten   – bis zu ihrer Verhaftung (einer konnte entkommen) im Untergrund in Paris. Die USA verlangten die Auslieferung unserer Freunde.

Wir organisierten ein Solidaritätskomitee, das die unterschiedlichsten Menschen zusammenbrachte: Sozialisten, Kommunisten, Gaullisten, Pfarrer und Künstler. Die Auslieferung wurde verhindert. Ein internationales Abkommen sah vor, dass im Falle einer Nichtauslieferung von Flugzeugentführern diese in Drittstaaten strafrechtlich verfolgt werden müssen. Dieser Prozeß von 1978 fand große Aufmerksamkeit.

Viele bekannte Persönlichkeiten stiegen in den Zeugenstand, um ihre Solidarität mit den Angeklagten zu erweisen. Die international bekannten Filmschauspieler Simone Signoret und Yves Montand kamen in den Gerichtssaal, nachdem der Richter die Sitzung bereits eröffnet hatte. Der Richter unterbrach. Simone und Yves machten die Runde, schüttelten dem Richter und allen Geschworenen die Hand, umarmten demonstrativ die Angeklagten, setzten sich in die erste Reihe und verfolgten die Gerichtsverhandlung.

Die Verteidigung plädierte dafür, die Tat vor dem rassistischen Hintergrund der USA zu sehen. Die Geschworenen folgten dem, und die Strafen waren milde.

Ende der 70iger Jahre begann der Kampf gegen die Aufstellung der US-Atomraketen Pershing II und Cruise. Wir publizierten ein regelmäßiges Informationsbulletin über den Friedenskampf. Durch diese Arbeit und die internationalen Friedenskonferenzen knüpften wir Kontakte zu Menschen aus der Friedensbewegung vieler Länder. Für mich als Deutsche war in jenen Jahren die Lektüre über den Krieg, den die deutschen Faschisten gegen die Welt geführt hatten, sehr wichtig geworden. Erst jetzt erfuhr ich, daß die UdSSR die Hauptlast bei der Befreiung vom Faschismus getragen hatte. Nahezu unbekannt geblieben war mir der deutsche Widerstand, solange ich in der BRD gelebt hatte. Eine ganz neue Welt des antifaschistischen Widerstandes eröffnete sich mir. Ich konnte mich zum ersten Mal mit der Geschichte des Volkes identifizieren, aus dem ich kam. George und ich wurden neugierig auf die DDR, in der der Antifaschismus eine so große Rolle spielte.

Durch unsere mannigfaltigen Kontakte zu Befreiungsbewegungen erfuhren wir von der großen Solidarität, die diese von der Sowjetunion, aber auch von der DDR erhielten. In den großen Kämpfen der damaligen Zeit, im Kampf um die Befreiung von kolonialer Unterdrückung, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Apartheid in Afrika wie gegen den Rassismus in den USA, immer befand sich die BRD auf der Seite der Ausbeuter, der Rassisten und Aggressoren, die DDR aber befand sich auf der Seite der kämpfenden Völker und progressiven Bewegungen. So war z.B. der ANC von der DDR als legitimer Repräsentant anerkannt, als Regierung und Medien der BRD Nelson Mandela und seine Mitkämpfer noch als "Terroristen" bezeichneten.

Politische Arbeit bei den Grünen

Wir beschlossen, in die DDR zu gehen und stellten an der DDR-Botschaft in Paris einen Antrag auf Übersiedlung. Im Frühjahr 1983 flog ich nach Berlin zu einem Gespräch. George konnte nicht mitkommen, er sollte erst 1986, als er die französische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, dazu in der Lage sein. Bei meinem Besuch in Berlin wurde mir gesagt, unserer Übersiedlung stehe nichts im Wege, doch es gebe für uns auch eine andere Möglichkeit der Verbundenheit mit der DDR. George und ich sollten uns Zeit nehmen für die Entscheidung im Westen zu bleiben und für die DDR tätig zu werden. Wir zögerten aber nicht.

Mit unseren neuen Genossen in Berlin überlegten wir, wie und wohin wir uns orientieren sollten. Unser Einsatz für die DDR sollte nicht in Frankreich sein. Unseren Berliner Genossen lag sehr daran, daß wir in die Bundesrepublik ziehen.

Unsere politische Vergangenheit war ja nicht gerade die beste Voraussetzung für diese Arbeit, denn sie hatte uns ins Visier der Polizei und Geheimdienste im Westen gebracht. Durch den „Freedom of Information Act“ in den USA hatte George Einsicht in seine Akten beim CIA, FBI und US-Militärgeheimdienst erhalten. Es wurde deutlich, wie sehr wir unter Beobachtung gestanden hatten und wie gut deren Zusammenarbeit mit den entsprechenden bundesdeutschen Behörden war. Wir mußten davon ausgehen, daß unser politisches Engagement in Frankreich auch bei den französischen Diensten nicht unbemerkt geblieben war.

In den 80iger Jahren entwickelte sich der Friedenskampf als Antwort auf den NATO-Doppelbeschluß. Die Regierung der Bundesrepublik und die anderen NATO-Staaten redeten vom Frieden und rüsteten auf. Jede neue Abrüstungsinitiative des Warschauer Vertrages wurde von der NATO abgeschmettert. Die DDR stand in ihrer Außen- und Friedenspolitik auf Seiten der Friedensbewegung.

In den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit halfen wir der DDR Aufklärung, Gruppen, Tendenzen und Entwicklungen in der nichtkommunistischen westeuropäischen Friedensbewegung besser einzuschätzen. Es wurde deutlich, daß auch viele nichtkommunistische Friedenskräfte trotz all ihrer Kritik an den sozialistischen Staaten durchaus Gemeinsamkeiten mit deren Friedenspolitik sahen.

Die enge Zusammenarbeit mit unserem Führungsoffizier Rolf Keßler beruhte auf großem politischem und persönlichem Vertrauen. Bei langen Gesprächen kamen wir überein, uns langfristig auf die Partei „Die Grünen“ zu orientieren. Unsere politische Vergangenheit stand dem auch nicht im Wege, denn die Grünen waren zu jener Zeit noch ein Sammelbecken für viele Linke.

1987 gelang uns schließlich der Schritt von Paris direkt nach Bonn in die Grüne Bundestagsfraktion. Die Auseinandersetzungen um die künftige Linie der Grünen, zwischen den Linken, den „Fundis“, die auf starke Opposition setzten, und den „Realos“, die mit Regierungsbeteiligung liebäugelten, wurden immer heftiger. Natürlich waren die „Realos“ für die DDR-Aufklärung wichtiger. Deren Anpassungskurs an die herrschende Politik rückte Grüne Regierungsbeteiligung in den Bereich des Möglichen. Unsere Sympathie galt den Linken, unsere Aufmerksamkeit den Realos. Die Arroganz und die Herrschsüchtigkeit eines Joseph Fischer und der Opportunismus seiner Gefolgschaft waren nur schwer zu ertragen. Daß in der Folge ein Grüner als Außenminister den ersten Aggressionskrieg der Bundesrepublik mitzuverantworten hatte, lag in der Logik von Fischers Haltung, die damals schon deutlich war.

Friedenskampf braucht differenzierende Sicht

Für die HVA erarbeiteten wir Analysen über Positionen, Tendenzen und die Entwicklung des internen Kräfteverhältnisses bei den Grünen. Die DDR-Regierung hatte zu den Grünen ein sehr distanziertes Verhältnis. Durch unsere Diskussionen mit Rolf wußten wir aber auch, daß die DDR-Aufklärung die Grünen differenzierter sah. Uns lag sehr daran, daß die DDR besser verstehen konnte, mit welchen Entwicklungen sie in der Friedensfrage und in der Deutschlandpolitik der Grünen rechnen mußte. Die DDR hatte ein legitimes Interesse, die politischen Kräfteverhältnisse in der BRD   – und was uns betraf, bei den Grünen   – genau zu kennen.

Der Zusammenbruch der DDR und des sozialistischen Lagers hatte eine Schwächung der linken und progressiven Kräfte zur Folge. Die Konterrevolution siegte in Deutschland und begann ihren Rachefeldzug. Die DDR solle mit juristischen Verfahren gegen ihre Hoheitsträger delegitimiert werden, forderte der damalige BRD-Justizminister Klaus Kinkel. Und während in der DDR rechtmäßig verurteilte BRD-Agenten rehabilitiert wurden, begann die Jagd auf DDR-Aufklärer.

Im Juli 1996 wurden wir angeklagt. Die Rechtsanwälte Jürgen Strahl und Frank Osterloh vertraten uns nicht nur vor Gericht, sie standen politisch auch hinter uns. Wir beschlossen, in die Offensive zu gehen und die politische Motivation für unsere Zusammenarbeit mit der HVA darzulegen. Vor Gericht erklärten wir zur Diffamierungskampagne gegen die DDR u.a.:

„Eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR war von besonderer Bedeutung für die Erhaltung des Friedens in Europa. Darum pflegten alle Parteien ihre inoffiziellen Kontakte zur DDR. Es gibt genügend Politiker aller Parteien, die über Jahre hinweg eine andere Einstellung zur DDR hatten, die auf unterschiedlichen, aber doch diskreten Wegen Gespräche mit Vertretern der DDR, darunter auch der Staatssicherheit führten, weil sie dies im Sinne einer Verbesserung der Beziehungen zwischen der BRD und der DDR für richtig hielten, die die Kompliziertheit und die Vielschichtigkeit der Verbindungen von DDR und BRD lebten, aber heute nichts mehr davon wissen wollen. Es erstaunt schon, wie sie zu jeder noch so primitiven Diffamierungskampagne, jene Zeit betreffend, heute schweigen können.“

Von der Politik des Kalten Krieges und dem Revanchismus der Bundesrepublik, vom großen Unrecht in ihrer 40-jährigen Geschichte wurde erfolgreich abgelenkt. Zynischerweise hieß es, man wolle gegen das „DDR-Unrechtsregime“ nicht noch einmal so inkonsequent vorgehen wie gegen das Nazi-Regime. Tatsächlich ist dies aber die Fortsetzung der damaligen Politik, die die alten Nazis schonte, SS-Kriegsverbrechern Opferrenten zugestand, bewährten Faschisten neue Karrieren verschaffte und Kommunisten, Antifaschisten und KZ-Häftlinge wieder ins Gefängnis brachte und 11 000 Berufsverbotsverfahren gegen Linke einleitete.

Der Schwur der Häftlinge des KZ Buchenwald „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ bestimmte auch das Bewußtsein vieler in der alten Bundesrepublik. Doch aus „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ wurde 1999 „Nie wieder Auschwitz“ als Vorwand für Deutschlands Beteiligung am Krieg der NATO gegen Jugoslawien   – vorgetragen von Joseph Fischer. Vergessen werden soll, daß nicht Auschwitz der Grund für den Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland war, sondern der Krieg Nazideutschlands gegen andere Länder.

Die Reduzierung der faschistischen Verbrechen auf den Völkermord an Juden   – eine Selektierung der Opfer   – dient heute der Rechtfertigung neuer Aggressionskriege ebenso wie der Unterstützung der völker- und menschenrechtswidrigen Politik Israels.

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“   – der Schwur der Überlebenden von Buchenwald   – er wurde von der DDR gelebt. Dafür trat sie ein, dafür und für ihre antiimperialistische Solidarität wurde sie international geschätzt.

Viele, die sich für die DDR eingesetzt hatten, wurden gefragt: Hat sich der Einsatz gelohnt? Die Frage ist unhistorisch. Wissen wir, ob sich unser Einsatz heute lohnt, im Kampf gegen den Terror des Kapitals und des Imperialismus? Nie hätte es Fortschritte gegeben, denn   – wußten die Millionen von Menschen, die im Lauf der Menschheitsgeschichte für Gerechtigkeit und Frieden kämpften, ob sich ihr Einsatz auch lohnt?

Erst wenn die Erkenntnis wieder zum Durchbruch kommt, daß es eine Alternative zum Kapitalismus, zu seiner Barbarei, seinem Unrecht, seinen Kriegen, seinen Lügen und seiner Heuchelei gibt, werden die DDR und das damalige sozialistische System den historischen Platz finden, der ihr, der ihm gebührt. Die Pariser Kommune währte nur 100 Tage. Und doch war sie nicht umsonst. Sie wurde schließlich Inspiration und ein wichtiger Lehrmeister im weiteren Kampf für den Sozialismus.

Wie der berühmte französische Politiker Jean Jaurès schrieb:„Aus der Vergangenheit übernehmen wir das Feuer, nicht die Asche“.

*Doris (* 1949 in Bayern) und George Pumphrey (* 1946 in Washington D.C.) arbeiteten mit der HVA seit 1983 zusammen. Sie leisteten Aufklärungsarbeit in der internationalen Friedensbewegung (1983-1987) und als Mitarbeiter in der Bundestagsfraktion der Partei "Die Grünen" (1987-1990). 1998 wurden sie zu sieben Monaten Gefängnis, ausgesetzt auf Bewährung für drei Jahre, verurteilt.

(Quelle: Top-Spione im Westen - edition ost im Verlag Das Neue Berlin, 2008)

Weitere Beiträge in dieser Kategorie