Volker Bräutigam zum Siebzigsten

29. März 2013

Volker Bräutigam zum Siebzigsten

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25. Juli 1988, kurz vor 8 Uhr abends. Der Zeiger der ARD-Tagesschau-Uhr krabbelt auf Zwölf   – und aus. Kein Bild, kein Ton.

Auf dem Sofa versteht man die Welt nicht mehr (ein Bekannter verschüttet seinen Abendtrunk). 41 quälende Sekunden verstreichen. Dann meldet sich der Bayerische Rundfunk, kündet von „höherer Gewalt“ und „Technikausfall“ und serviert statt Tagesschau sein Regionalprogramm Rundschau.

Am 1. August wußte Der Spiegel: „Ein Warnstreik verhinderte die Tagesschau (...) Volker Bräutigam, 47, Personalrat der Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) beim NDR, wollte die Forderung seiner Gewerkschaft nach kürzerer Arbeitszeit und mehr Planstellen mal mit ein paar Streiks untermauern (...) Fast unbemerkt schlich der freigestellte Tagesschau-Redakteur durchs Funkhaus (...), um 14.30 Uhr brachte er die Botenmeisterei zum Stehen, um 15 Uhr verließen die Cutterinnen ihre Schneidetische, um 17.15 Uhr drosselten die Versorgungstechniker die Stromzufuhr und die Klimaanlage.“

Den schleichenden Urheber „höherer Gewalt“ lernte ich Jahre später am Tatort Funkhaus kennen, und ich erfuhr, wie gemobbt und behindert wird, wenn es einer ernst meint mit den Rechten seiner Kollegen und dem Auftrag unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten überhaupt. Diese Praktiken konnten aber den gelernten Journalisten Bräutigam nicht erschüttern. Hart im Nehmen nach krassen Jugendjahren im Westen und mit objektivem Blick für die Lage aller Deutschen hüben und drüben seit frühen Aufenthalten in der DDR, bekümmert ihn unser soziales Gegeneinander bis heute. Vor allem die Pervertierung der öffentlich-rechtlichen Medien. Da teilt er aus, zum Beispiel in seiner „Falschmünzer-Republik   – Von Politblendern und Medienstrichern“ (2009).*

Wir trafen uns wieder in Taiwan, wo er als Lehrbeauftragter seinem zweiten Interessenschwerpunkt frönte, dem fernen Osten und dessen korrekter Gewichtung und Vermittlung. Er stand mit heißen „Bauzi“ (Teigbällchen) am Flughafen. Wir waren zu Hause   – und exzellent informiert.

Sollten Sie mal ins idylische Städtchen Mölln kommen und auf dem Ziegelsee ein kleines Boot orten (am Heck den DDR-Stander und aus der Kabine Lieder von Ernst Busch ), so ist da nicht Till Eulenspiegel , sondern Volker Bräutigam. Auch er ist jetzt in Mölln zu Hause, ehrlich und unbequem wie einst der große Schalk.

Am 21. Juni wird er 70 Jahre alt. Dem Kollegen und Freund unseren Dank und Glückwunsch!

Wolf Gauer

Volker Bräutigam

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Volker Bräutigam schreibt regelmässig für die Zeitschrift Ossietzky, Nachfolgerin der «Weltbühne», die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. Ossietzky orientiert sich strikt an diesem Vorbild.

Im Oktober 2009 erschien sein Buch "Die Falschmünzer-Republik" Von Politblendern und Medienstrichern.

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