Gäbe es mehr ehrliche – ehrliche! – Historiker, wir wüssten, wie die gegenwärtige brandgefährliche geopolitische Lage zustande gekommen ist. Während in den frühen 1990er Jahren Russland unter Michail Gorbatschow die Wiedervereinigung Deutschlands erlaubte, den Warschauer Pakt – der, was man wissen muss, als Reaktion auf den Beitritt Westdeutschlands in die NATO gegründet worden war – auflöste und alle militärischen Truppen und Installationen in der früheren DDR abzog, blieb die NATO erhalten, die USA behielten ihre Militärbasen in Deutschland – inklusive dort gelagerter Atombomben! – und die NATO wurde entgegen den gemachten Versprechungen ostwärts erweitert und in Polen und Rumänien entstanden von den USA betriebene Raketenabschussrampen. – Zum Glück hat die Schweiz ein paar prominente Gelehrte, die es wagen, den historisch inakzeptablen Erzählungen in den großen Schweizer Medien entgegenzutreten.
Mittlerweile weiss man es: Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd, die in diesem Jahr zufällig auch Bundespräsidentin ist, betreibt ohne Auftrag des Volkes eine spürbare Annäherung an die NATO. In den Medien hat sie ihre prominenten Unterstützer. So etwa gestern Samstag, 22.6.2024, wieder Stefan Schmid, Chefredakteur des St. Galler Tagblattes, erschienen aber in allen CH-Media-Ausgaben, wörtlich: «Im Nationalrat sind die als Pazifisten und Neutralisten verkleideten Anti-Amerikaner jedenfalls in der Mehrheit. Sie unterlaufen die Solidarität mit der Ukraine und verhindern eine längst angezeigte Zusammenarbeit der Schweiz mit der Nato. Beides kann nicht im Interesse eines Kleinstaates sein, dessen Existenz nur garantiert ist, wenn in Europa nicht das von Putin propagierte Recht des Stärkeren eingeführt wird.»
«Eine längst angezeigte Zusammenarbeit der Schweiz mit der NATO?» Zum Glück gibt es noch geschichtsbewusste Gelehrte, die es wagen, sich gegen diese geschichtsklitternde Propaganda etlicher großer Schweizer Medien zugunsten der NATO öffentlich zu wehren. Einer davon ist der emeritierte Berner Professor Wolf Linder. Ein kurzes, weniger als drei Minuten dauerndes Video zeigt seine Argumentation:
Das Video entstand in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Pascal Lottaz, Associate Professor an der Universität Kyoto in Japan, der auf Neutralitätsstudien spezialisiert ist.
Noch hat die Schweiz die Chance, in einer über eine Volksinitiative zustande gekommene Volksabstimmung die Neutralität in der Verfassung festzuschreiben und damit auch den Beitritt der Schweiz zur NATO definitiv zu verhindern.
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Zum Thema Schweizer Neutralität hat Globalbridge.ch bereits mehrere Artikel publiziert, und es werden weitere folgen:
«Neutralität ist keine Schönwetteroption» (von Helmut Scheben)
«Jetzt propagieren 87 Schweizer Polit-Opportunisten eine ‹okkasionelle Neutralität›» (von Christian Müller)
«Die Schweizer Neutralität muss gefestigt werden» (von Hans Bieri)
«Die Schweiz ist als neutraler Staat für Vermittlungen prädestiniert – und die Welt braucht Vermittler!» (von Christian Müller)
«Die Schweizer Neutralität – ein Friedensprojekt erster Güte» (von René Roca)
«So tritt die Schweizer Verteidigungsministerin die Schweizer Neutralität mit Füßen» (von Christian Müller)
Die zehn wichtigsten Schritte zum Krieg in der Ukraine
- Der damalige Generalsekretär der UdSSR und russische Staatspräsident Michail Gorbatschow erlaubt im Herbst 1990 die Wiedervereinigung Deutschlands gegen das Versprechen, dass die NATO um keinen Meter nach Osten erweitert wird. In dessen Folge wird auch der «Warschauer Pakt», der als Reaktion auf den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO im Mai 1955 gegründet worden war, im Sommer 1991 formell aufgelöst. Die NATO aber bleibt bestehen! Russland zieht alle seine Truppen bis 1994 aus der ehemaligen DDR ab, während die westlichen Alliierten ihre Militärbasen in Deutschland sogar mit einsatzbereiten Atombomben aufrechterhalten!
- Viele weltweit bekannte Politiker und Politologen warnen vor der Osterweiterung der NATO, darunter der damalige russische Staatspräsident Boris Yelsin Ende 1994, der damals berühmte US-Historiker und -Diplomat George F. Kennan 1997 – «would be the most fateful error of American policy in the entire post-cold-war era» –, der ehemalige US-Botschafter in der Sowjetunion Jack F. Matlock Jr und etliche andere prominente Politiker und Politologen aus aller Welt.
- Die NATO erweitert sich trotzdem 1999 (unter US-Präsident Bill Clinton) um Polen, Tschechien und Ungarn und 2004 (unter US-Präsident George W. Bush) um Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen – und kommt damit immer näher an Russland.
- An der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hält Russlands Präsident Wladimir Putin eine Rede, in der er sich für eine friedliche multipolare Welt ausspricht und den Anspruch der USA auf eine weltweite Hegemonie kritisiert. Das nimmt Deutschlands selbsternannter medialer Opinon Leader Josef Joffe zum Anlass, eine allgemeine Anti-Russland-Stimmung und -Politik zu erzeugen und zu betreiben und fortan immer wieder lautstark eine verstärkte Militarisierung Deutschlands zu fordern.
- Im Jahr 2014 verhelfen die USA mit ihrer für die Ukraine zuständigen Diplomatin Victoria Nuland und mit ihrem Senator McCain und mit finanziellem Einsatz in Milliardenhöhe den Demonstranten auf dem Kiewer Maidan zum Putsch gegen den demokratisch gewählten ukrainischen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch und zum Einsatz einer streng nationalistischen Regierung unter Beteiligung auch von bekennenden Neonazis.
- Nach der von der Bevölkerung der Krim mit Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewollten Wiedervereinigung der Krim mit Russland kommt es mit einem äusserst knappen Entscheid der UNO zu internationalen Sanktionen, in deren Folge vor allem die Bevölkerung der Krim zu Schaden kommt.
- Auch die Mehrheit der Bevölkerung im Südosten der Ukraine, im Donbass – Oblate Donezk und Luhansk – fühlt sich nach dem Putsch auf dem Maidan von der neuen Regierung in Kiew nicht mehr vertreten und erklärt sich deshalb als von der Ukraine unabhängig. In Minsk wird beschlossen, dass der Donbass eine verstärkte Autonomie erhalten soll, was von Kiew nicht eingehalten wird. Im Gegenteil: Der Donbass wird von der ukrainischen Armee ab 2014 immer wieder beschossen mit in der Summe um die 15000 Toten.
- März 2021: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verrät, dass die NATO ihre Statuten zu ändern beabsichtigt, damit sie künftig schon aufgrund einer Bedrohung ein anderes Land angreifen darf, nicht erst bei einem militärischen Angriff auf ein NATO-Land gemäß §5 der Statuten.
- Nachdem in Polen und in Rumänien von den USA Raketenbasen installiert worden sind und nachdem die NATO immer größere Manöver an der russischen Grenze durchführt und Russland mit verschiedensten Maßnahmen immer wieder aufs Neue provoziert, verlangt Russland m Dezember 2021 von den USA und von der NATO Sicherheiten. Beide, die USA und die NATO, lehnen dies aber kategorisch ab.
- Russland reagiert darauf am 24. Februar 2022 mit der militärischen Sonderaktion und bombardiert militärische Objekte in der Ukraine.