Grundsätzlich ging Menzius davon aus, dass die menschliche Natur gut sei (性善, xìngshàn)
publiziert: 19. Juli 2013
Mengzi (chinesisch 孟子 Mèngzǐ, latinisiert Mencius oder Menzius; um 370 v. Chr.; † um 290 v. Chr,)
Während sich Konfuzius nicht explizit zum Wesen der menschlichen Natur geäußert hatte, ist dieses Thema eines der wichtigsten in Menzius' Philosophie.
Geboren wurde Menzius in Zou (鄒), das im heutigen Shandong liegt in einem Ort ganz in der Nähe des Geburtsortes von Konfuzius. Menzius' Vater starb schon sehr früh und seine Mutter Zhang (仉) erzog ihren Sohn daraufhin alleine. In China allbekannt ist die Geschichte, dass diese zweimal ihren Wohnsitz wechselte, damit der junge Menzius in einer möglichst förderlichen Umgebung aufwachsen kann (孟母三迁, mengmu sanqian). Zunächst lebte die Familie neben einem Friedhof. Menzius spielte in der Nähe der Gräber und versuchte Bestattungen nachzuspielen. Die Mutter entschied sich daraufhin, in die Nähe eines Marktplatzes umzuziehen. Auch diese Umgebung des Geschäftemachens und des Marktgeschreis schien ihr aber auch für ihren Sohn unpassend. Letztendlich zog seine Mutter neben eine Schule.
Zur damaligen Zeit war es üblich, dass die Herrscher der einzelnen Reiche sich Gelehrte zur Unterhaltung an ihren Hof holten. Die Fürsten empfanden es als unterhaltsam, sich über philosophische Themen mit den Gelehrten auszutauschen. Ähnlich wie sein Vorbild Konfuzius reiste Menzius so von Reich zu Reich, um seine Ideen und Lehren zu verbreiten. Menzius allerdings versuchte dabei primär die jeweiligen Fürsten zu beeinflussen, die seine Lehren umsetzen sollten. Menzius Philosophie hat dadurch einen sehr praktischen Anspruch.
Wie Konfuzius bereiste auch Mengzi China für vierzig Jahre, um seinen Rat den Herrschern anzubieten. Er diente als Beamter von 319 bis 312 v. Chr. Um seinen Verpflichtungen als Sohn nachzukommen, ließ er sein öffentliches Amt für drei Jahre ruhen, um den Tod seiner Mutter zu betrauern. Enttäuscht davon, dass seine Bemühungen um Reformen so geringen Einfluss hatten, zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück.
Mengzi unterscheidet sich von seinem Vorgänger u.a. durch die Aussage, dass eine ungerechte Herrschaft nicht geduldet, sondern auch durch die Untertanen beendet werden darf, dem sog. Prinzip des Gémìng (革命 ‚Wechsel des Mandats, Revolution‘). Mengzi vertritt ein positives Menschenbild, nach seiner Überzeugung wäre der Mensch von Natur aus gut und nur die Umwelt und die Emotionen entfernen ihn davon. Ähnlich radikal und überraschend modern sind seine Ansichten zum Umweltschutz. So lautet sein Rat an Herrscher:
"Verbietest Du den Gebrauch feingeknüpfter Netze in großen Teichen, dann werden dort mehr Fische und Schildkröten sein, als die Menschen essen können. Wenn Du Äxte und Hacken im Wald nur zur richtigen Saison erlaubst, dann wird man dort mehr Holz ernten, als die Menschen benötigen."
Vor allem auf das Wirken von Mengzi ist es zurückzuführen, dass sich der Konfuzianismus nach dem Tod des Konfuzius im Widerstreit mit anderen philosophischen Schulen wie dem Daoismus oder dem Mohismus durchsetzen konnte.
Grundsätzlich geht Menzius davon aus, dass die menschliche Natur gut sei (性善, xìngshàn). Diese These sollte später von Xunzi kritisiert werden, der die Auffassung vertrat, der Mensch sei von Natur aus schlecht ( 性惡, xìng’è). Menzius begründet seine Hypothese zunächst mit der Feststellung, dass alle Menschen einander ähnlich seien, weil sie zur selben Art gehören. Er argumentiert dabei mit den menschlichen Sinnen. Alle Menschen hielten ähnliche Speisen für schmackhaft, die Augen empfänden alle ähnliche Dinge als schön und die Ohren hören ebenfalls alle gerne ähnliche Töne und Musik. Menzius schließt daran die rhetorische Frage an, ob es dann sein könne, dass die Menschen einzig in ihrem Geist so unterschiedlich seien.
Daraufhin versucht er zu erklären, warum die Menschen so ähnlich sind und erklärt Vernunft (理, li) und Rechtschaffenheit (义, yi) (teilweise auch übersetzt als Pflicht) als die dem zugrunde liegende Prinzipien.
Menzius fährt in Kapitel 2A6 fort und erklärt, dass vier grundlegende menschliche Fähigkeiten in jedem Menschen wiederzufinden seien:
- Mitleid
- Scham
- Ehrerbietung
- und die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Schlecht.
Alle Vier wiederum führen jeweils zu einer der vier Tugenden des Menschen:
- Mitmenschlichkeit (仁)
- Gerechtigkeit/Pflicht (义)
- Höflichkeit/Sitte (礼)
- Weisheit ( 智)
Als herausgehoben stellt sich das Mitleid dar, was zu den drei anderen führt. Menzius stellt seine Behauptung, dass das Mitleid angeboren sei, mithilfe eines Bildes von einem Kind dar, das im Begriff ist, in einen Brunnen zu fallen. Er erklärt, dass jeder, der diese Szene sieht, sofort versuchen wird, das Kind zu retten. Dabei spielen Gedanken an eine mögliche Belohnung der Eltern oder ein höheres Ansehen im Dorf wegen der Rettungsaktion keine Rolle. Der Beobachter wird vielmehr spontan helfen wollen, ganz ohne Hintergedanken zu haben. Menzius schließt daraus, dass der Mensch dieses Gefühl von Geburt an hat. Er bezeichnet es als Fähigkeit des Mitleids.
Die allen gemeinsame gute Natur allerdings besteht von Geburt an. Äußere Einflüsse und Verhältnisse können aber zu Unterschieden führen und die ursprünglich guten Eigenschaften verändern. Dadurch werden die Menschen erst schlecht. Diese äußeren Umstände hängen mit der Zeit, den historischen Gegebenheiten und auch den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen zusammen.
Darüber hinaus verlieren die Menschen ihre angeborene Güte auch, wenn sie sie nicht ständig anwenden und trainieren. Auch erhält der Mensch eine gewisse moralische Erfrischung durch den Schlaf. Er regeneriert sich zumindest teilweise. Allerdings reicht diese Regeneration meistens nicht aus, um die schlechten Einflüsse, die sich über den Tag gesammelt haben, wieder auszugleichen. Menzius Vorstellung von der Tugend hat gewisse Parallelen zum Sport. Ganz verlieren kann er sie zwar nicht, aber ein regelmäßiges Training ist zwingend erforderlich. Es ist dabei nötig, seine Wünsche und Leidenschaften zu zügeln. Handelt man so, erlangt man „Gleichmut“ und „Seelenruhe“. Menzius behauptet, dieses mit 40 Jahren erreicht zu haben.
Bildung spielt bei Menzius die wohl wichtigste Rolle, um wieder zu einer guten moralischen Verfassung zurückzufinden, was er in der Aussage „Das Ziel des Studiums ist kein anderes, es sucht nur nach dem verlorenen Herzen.“ ( 學問之道無他,求其放心而已矣。) auszudrücken versucht. Die Möglichkeit zum Lernen ist für ihn auch der einzige Unterschied des Menschen zum Tier. Erst dadurch wird der Mensch zum Menschen.
Bildung ist für Menzius nur rein moralische Bildung und hat somit nichts mit dem modernen Konzept zu tun. Anhäufung von Wissen ist nicht in seinem Sinne. Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sind damit auch vielmehr moralische Erziehungsheime.
Li (利) und Yi (义) – Profit und Rechtschaffenheit
Menzius stellt sich gegen den Utilitarismus der Mohisten. Er begründet dies ebenfalls mit seiner Theorie von den vier angeborenen Fähigkeiten bzw. Tugenden. Da sie von Beginn an da sind, dürfen sie auch nicht ausgeübt werden, um sich damit nur materiellen Profit zu erarbeiten. Menzius sieht die Sachlage andersherum: Wenn sich die Menschen tugendhaft nach dem Prinzip der Rechtschaffenheit ( 义) verhalten, wird der Profit automatisch kommen. So wie ein Künstler in erster Linie ein Kunstwerk herstellt und die Ideen und Gefühle des Künstlers selbst ausdrückt. Nur quasi als Nebenprodukt gefällt es dann seinen Betrachtern.
Menzius definiert allerdings nirgendwo in seinem Werk den genauen Unterschied zwischen Profit und Rechtschaffenheit. Trotzdem kann man insgesamt von einer Einstellung gegen den puren Utilitarismus ausgehen, was am Beispiel seiner Äußerungen zu Bestattungen deutlich wird. Während sich dabei die Mohisten auch vielmehr mit eher simplen Begräbnissen zufriedengeben, spricht sich Menzius für eine größere Ehrung der Toten aus, denn nur diese stelle die Hinterbliebenen auch wirklich zufrieden.
Übersetzungen
Die wichtigste deutsche Übersetzung fertigte Richard Wilhelm unter dem Titel 'Mong Dsi, (Mong Ko)' bereits im Jahre 1916 an. Wichtige englische Übersetzungen stammen von D. C. Lau und James Legge.
Die neueste deutsche Auswahl in Gestalt eines Menzius-Lesebuches: Henrik Jaeger: "Den Menschen gerecht", Zürich, Ammann 2010, ISBN 978-3-250-10528-2.
Mehr zum Buch:
http://www.henrikjaeger.de/chinesische-philosophie-das-lesebuch-projekt/menzius.html
Eine Rezension zum Buch:
Henrik Jäger: Den Menschen gerecht : Sein Pfeil trifft immer
Von Mark Siemons, FAZ, Aktualisiert am 17.03.2010-06:06
Er ist einer der wichtigsten Interpreten des Konfuzianismus: Der chinesische Denker Menzius lehrt keine Philosophie, sondern das Bogenschießen.
Dass das klassische chinesische Denken derzeit so wenig in den westlichen Kulturraum einbezogen ist, liegt wahrscheinlich auch daran, dass man es für eine „Philosophie“ im von den Griechen, Deutschen und sonstigen Abendländern gemeinten Sinn hält und dann für zu leicht befindet (von „Sittensprüchen“ sprach Kant, „die unerträglich sind, weil sie ein jeder herplappern kann“). So landen die Chinesen zwischen sinologischer Philologie einerseits und Esoterikregalen andererseits in einem intellektuellen Niemandsland, in dem sie für die allgemein interessierte Hochkultur verloren sind. Philosophen in diesem westlichen Sinn wollten die Chinesen aber gar nicht sein. Jetzt hat der Trierer Sinologe Henrik Jäger ein „Lesebuch“ des frühen Konfuzianers Menzius vorgelegt, das nicht einfach eine Blütenlese einprägsamer Formulierungen bietet, sondern die spezifische Denkbewegung nachzuvollziehen versucht, mit der die Klassiker in China selbst aufgenommen wurden. Zentral ist die Methode des „gar Lesens“, der durch wiederholte Lektüre und Erkundung wechselseitiger Bezüge in Gang gebrachten Umkreisung der Texte, bis sie „verdaut“ sind.
Jägers Lesebuch stellt die von ihm ausgewählten und übersetzten Zitate in ein Geflecht von Beziehungen, gewoben aus zeitgenössischen Kommentaren, den Originaltexten in chinesischen Schriftzeichen, der Erläuterung der möglichen Bedeutungsebenen einzelner zentraler Zeichen, parallelen Texten aus der Tradition und einer eigenen Deutung. Dadurch rückt er die Texte nicht bloß in ihren historischen Zusammenhang. Die Pointe des „gar Lesens“ ist, dass es die methodische Bewegung der Texte selbst rekonstruiert, die von deren Gegenständen nicht zu trennen ist. „Der Weg des Lernens besteht allein darin, den verlorenen Kontakt zum Herzen zu suchen“, lehrte Menzius. Er definierte nicht, was er unter „Herz“ versteht, und genauso wenig gab er eine präzise Begriffsbestimmung dessen, was er mit „Himmel“, „wirklichem Gefühl“ und anderen immer wieder von ihm gebrauchten Wörtern meint. Mehr noch, oft werden die gleichen Begriffe auch noch in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. Man versteht auf Anhieb, weshalb sich eine solche Sprache ebenso gut für sentimentale Lebensratgeber wie zum Hassobjekt für ernsthafte Philosophen eignet.
Kluges Arrangement
Doch im Unterschied zur „Philosophie“ geht es Menzius gar nicht um Definitionen, um eine Wahrheit, die sich begrifflich immer exakter eingrenzen ließe, sondern um die Darstellung von Prozessen, die ihre „Wahrheit“ erst dadurch erweisen, dass der Leser sich in sie einfügt. Die Wechselwirkung zwischen Lehrer und Schüler ist gemäß diesem Verständnis also gar nicht zu trennen von den übrigen Wechselwirkungen des Lebens, die die Schriften zum Gegenstand haben. Wenn man dies nicht berücksichtigt und die Texte umstandslos in die westliche Philosophiegeschichte einordnet, verkennt man nicht bloß ihre Eigenart, sondern womöglich ihre Aussage.
Eine Schulbuch-Weisheit verkündet zum Beispiel, Menzius habe die natürliche Gutheit des Menschen beweisen wollen, so, als wäre er eine Art chinesischer Rousseau. Diese Auffassung gründet sich auf Sätze wie diesen: „Die menschliche Natur tendiert in derselben Weise zum Guten, in der das Wasser abwärts- strömt.“ Ebenso wie man das Wasser durch Dämme stauen kann, sagt Menzius, könne man auch den Menschen manipulieren; doch dies sei kein Argument gegen die natürlichen „Keime“ etwa jenes Mitgefühls, das jeden Menschen unwillkürlich überkommt, wenn er ein Kind am Rand eines Brunnens balancieren sieht. Der Ausgangspunkt dieser Beschreibung ist eine schlichte Alltagsbeobachtung; ihr Fluchtpunkt aber lässt sich nur in Verben ausdrücken: Dem „Fließen“ des Wassers entspricht das „Wachsen“ des Keims, das nur durch ein beständiges „Nähren des Herzens“ zu erreichen sei. Es geht Menzius also darum, den Resonanzboden für eine reale Erfahrung herzustellen, die beim Leser schon begonnen hat, aber eben noch nicht abgeschlossen ist. Jäger formuliert: „Würde jemand behaupten, gut zu sein, dem würde Menzius antworten, dass man immer nur gut werden kann: Ein statisches Verständnis des Guten würde er als Blockade, im schlimmsten Fall als ein ‚Hochpumpen‘ oder ‚Stauen‘ empfinden.“
Quellen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mengzi
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/henrik-jaeger-den-menschen-gerecht-sein-pfeil-trifft-immer-1957798.html