Bücher der Woche: Plumper Mann, kluge Frau
Für die Rechte der Frauen: Humanist Erasmus. Bild: 1532 © akg-images
Erasmus von Rotterdam: Vertrauliche Gespräche. Übersetzt und herausgegeben von Kurt Steinmann. Diogenes TB. 368 S., Fr. 21.90
Vom 9. bis 15. September findet in Basel die zweite Ausgabe des Erasmus-Festivals «Erasmus klingt» statt. Stand vor zwei Jahren «Das Lob der Torheit» im Zentrum der Konzerte, Lesungen und Colloquien, ist es diesmal «Die Klage des Friedens» / «Querela Pacis» (1517). Die Thesen des Humanisten zur Schaffung und Erhaltung des Friedens sind trotz der fundamental verschiedenen Komplexität der Probleme von einst und jetzt in vielerlei Hinsicht noch immer und für immer gültig.
Hier soll es nicht um diese einflussreiche pazifistische Schrift gehen, sondern um den Themenkreis «Frauen und Bildung» und die Stellung der Frau in der Kirche. Anlass zur Erörterung ist das kategorische «Nein» von Papst Franziskus zu einem möglichen Frauendiakonat in der katholischen Kirche in einem Interview mit dem US-Sender CBS im Mai dieses Jahres. Weihen für das weibliche Geschlecht werde es nicht geben: «Frauen sind grossartig im Dienst als Frauen, aber nicht im Dienst mit Weihe.» Der Protest von Frauenseite war gross, besonders von synodal engagierten Frauen.
Flucht in Gemeinplätze
Zu den für die heutige Leserschaft am leichtesten zu fassenden und amüsantesten Werken des Erasmus gehören neben seinem Meisterwerk «Das Lob der Torheit» (1511) auch die «Colloquia familiaria», «Vertrauliche Gespräche» oder «Gespräche unter Freunden» (Ausgabe von 1524). Sie erreichten im Verlauf der Jahre, in denen ihre Zahl stetig anwuchs, über sechzig Auflagen. Die Gespräche finden meist unter zwei Teilnehmenden statt, entwickeln sich aber im Umfang zu regelrechten theatralischen Kurzszenen, wir würden heute sagen: moralisierenden Einaktern. Diese munteren Dialoge sind prallvoll von Realität, sind geschrieben in einem leichtfüssigen, eleganten Latein, unterhalten bestens, bringen aber auch voller Ernst die bedeutenden Anliegen des Verfassers zum Ausdruck; Fragen der Bildung, der Moral und der Religion.
Um 1500 beginnt die Neuzeit, das Zeitalter der Entdeckungen und Erfindungen. Alles Bestehende gerät, wie durch ein Erdbeben, in Bewegung, viele Überzeugungen werden in Frage gestellt. In den reissenden Strudel der Kritik geraten auch die Veräusserlichung und Verrohung des kirchlichen Lebens und die Unbildung der Kleriker. Die Reformation kündigt sich an und bricht sich Bahn. Erasmus will keine neue Kirche zwischen Rom und Luther, er erkundet vielmehr einen dritten Weg. Im Einklang mit der humanistischen Bewegung spiegeln das Wirken und Kämpfen des Erasmus den Triumph des selbständigen über das dumpfe, autoritätsgläubige, dogmatische, konfessionell und politisch gefesselte Denken eindrucksvoll wider.
Unter den «Colloquia» sticht das Gespräch unter dem Titel «Der Abt und die gebildete Frau» («Abbatis et eruditae») hervor durch Witz, entschiedene Verfechtung der Frauenposition und Verheissung künftiger Entwicklungen. Im Zwiegespräch zwischen dem Würdenträger und der gebildeten Frau, die dieser aufsucht, kritisiert Erasmus die Dummheit, Arroganz, eitle Heilsgewissheit und Unmoral von Kirchenmännern, diesmal von Mönchen, deren Leben er ja aus eigener Anschauung kennt.
Im plumpen Abt Antronius, dessen Name an das griechische antron («Höhle») anklingt, kristallisieren sich die Vorurteile des Mannes, des angeblichen Herrn der Schöpfung, der der Frau von Natur aus geistig überlegen zu sein glaubt, ihren Wirkungskreis auf «Spindel und Rocken» und ein «angenehmes Leben» beschränkt sehen will und Haushaltsführung und Kindererziehung als anspruchslose Tätigkeiten geringschätzt. Wenn er im Verlauf des Gesprächs in die Enge getrieben wird, flüchtet er sich in Gemeinplätze und verketzert das dialogische Geschick der Frau als Sophisterei. Was uns an diesem fetten Abt so schrecklich aufregt, ist, abgesehen von seiner Bildungsfeindlichkeit und seinem hedonistischen Lebenswandel, seine bis zum Schluss durch nichts zu erschütternde Selbstsicherheit.
Was uns an diesem fetten Abt so schrecklich aufregt, ist seine unerschütterliche Selbstsicherheit.
In Magdalia, der weiblichen Hauptfigur, als deren Vorbild die Lieblingstochter von Thomas Morus angenommen wird, die Erasmus seit vielen Jahren kannte, tritt keine «femme savante» auf, wie sie Molière mehr als ein Jahrhundert später auf die Bühne bringen wird, ebenso wenig eine Adlige, sondern eine bürgerliche Frau mit Verstand, Anstand und Bildung. Bildung erwirbt man sich im nimmermüden Gespräch mit den klassischen Autoren, Bildung erheischt Anstrengung, Bildung ist auch ein Ferment ehelicher Beziehung.
Nicht ohne drohenden Unterton entwirft Magdalia die Vision einer Zeit, da die Frauen theologische Schulen leiten, in den Kirchen predigen und höchste geistliche Ämter bekleiden werden. Dieser gedankliche Entwurf sollte in der reformierten Kirche bald Wirklichkeit werden, und auch in der katholischen Kirche wird der Ruf nach Zulassung der Frau in kirchliche Ämter und Würden immer lauter. Der Forderung nach gleichberechtigtem Zugang für alle Frauen hat Erasmus / Magdalia vor genau 500 Jahren eine starke Stimme gegeben. Sie wird nicht verstummen, ebenso wenig wie auch die Diskussion um die Priesterehe, für die Erasmus ebenfalls Partei ergriff.
Die Schlusszeilen des Dialogs lauten:
Magdalia: Wenn ihr nicht auf der Hut seid, wird es noch so weit kommen, dass wir in den Theologenschulen den Vorsitz führen und in den Kirchen predigen. Wir werden eure Mitren an uns reissen.
Antronius: Das verhüte Gott!
Magdalia: Nein, an euch wird es liegen, es zu verhüten. Macht ihr weiter so wie bisher, so werden eher die Gänse auf die Kanzel steigen, als dass sie noch länger euch stumme Hirten ertragen. Ihr seht: Die Weltszene wandelt sich («videtis iam inverti mundi scenam») von Grund auf. Entweder muss man seine Maske ablegen und abtreten, oder jeder muss seine Rolle spielen.
Antronius: Warum bin ich nur an diese Frau geraten? Wenn du uns einmal besuchst, will ich dich angenehmer empfangen.
Magdalia: Wie denn?
Antronius: Wir werden tanzen, tüchtig zechen, auf die Jagd gehen, spielen und lachen.
Magdalia: Mir ist schon jetzt zum Lachen.
Kurt Steinmann, Altphilologe
Quelle: https://weltwoche.ch/story/plumper-mann-kluge-frau/
Mit freundlicher Genehmigung von weltwoche.ch
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