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Begegnung am Fudschijama  – Ein Dialog

14. Mai 2013

Begegnung am Fudschijama   – Ein Dialog

eine Rezension

Begegnung Aitmatow Ikeda

Buch von Tschingis Aitmatow / Daisaku Ikeda

Der Titel suggeriert, dass sich der Kyrgyse Aitmatow und der Japaner Ikeda am Fudschijama mal eben so begegneten und dann losplauderten   – über Gott und die Welt. Aber in einer editorischen Notiz am Schluss des Buches wird uns kund, dass sich die beiden großen Geister in keiner für beide verständlichen Sprache unterhalten können. Was Aitmatow schrieb, wurde ins Japanische, und was Ikeda schrieb, ins Russische übersetzt.

Aitmatow

Aitmatow

"In meiner Jugend", erzählt Aitmatow*, "habe ich mich oft über die alten Kirgisen im Ail gewundert, die sich beklagten, daß sie niemand hätten, dem sie ihr Herz ausschütten könnten. Jetzt kann ich sie verstehen: die Sehnsucht nach dem richtigen Gesprächspartner. Früher oder später mußte ich den Menschen finden, nach dem ich mich insgeheim sehnte, in dem ich mich selbst klarer und genauer erkennen könnte." Vor einigen Jahren war der weltberühmte kyrgysische Schriftsteller Tschingis Aitmatow nach Japan gereist. An der Universität von Soka Gakkai in Tokio begegnete er Daisaku Ikeda zum ersten Mal und entdeckte in ihm, meilenweit entfernt von seiner Heimat, den Menschen, der ihm der ersehnte Gesprächspartner wurde.

daisaku small

Daisaku Ikeda

Daisaku Ikeda, Philosoph, Theologe und Schriftsteller, gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten Japans. Er ist seit 1960 Stiftungsvorstand der internationalen Vereinigung "Soka Gakkai", die 1937 zur Erneuerung des Buddhismus gegründet wurde und heute in einhundertfünfzehn Ländern wirkt. Ihm, das fühlte Tschingis Aitmatow, konnte er Bilanz über sein Leben und Werk ablegen. Der sonst eher wortkarge und verschlossene Dichter erzählt in diesem Buch offen und leidenschaftlich, denn "das Wort stirbt, wenn wir es nicht mit anderen teilen".

Über Persönliches hinaus sprechen der Kyrgyse und der Japaner   – beide Jahrgang 1928   – nahezu über alle Lebensbereiche: über Geburt, Alter, Krankheit und Tod, über Liebe und Freundschaft, über Religion, die Jugend, die Liebe zur Heimat, über die Kraft der Selbsterkenntnis, die Zerstörung der Umwelt, über Krieg und Frieden, über die Wechselbeziehungen von Literatur und Politik und auch darüber, ob ein Stein Schmerz empfinden kann... Was hier an Gedanken, Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten geäußert wird, verbindet sich bei Aitmatow immer auch mit persönlichen Erinnerungen. Beide Gesprächspartner mahnen und denken über Auswege nach und wenden sich an "alle Menschen, die der Feindschaft, der Leiden und des Blutvergießens müde sind".

Aber: Kein Dialog, wie im Untertitel versprochen, kein Zwiegespräch mit Wider- und Wechselrede, sondern ein Briefwechsel mit teils längeren wörtlich wiedergegebenen Absätzen zitierter Personen (wie sie in einem mündlichen Gespräch nicht möglich wären, es sei denn man hätte alle Zitate, die angeblich spontan geäußert werden, vorbereitet griffbereit). An einigen Stellen wird versucht (vom Übersetzer?) den Anschein eines Dialogs zu erwecken, wenn zum Beispiel Aitmatow Ikeda ins Wort fällt, als dieser über Natascha Rostowa spricht, die Heldin in Tolstojs "Krieg und Frieden". Überhaupt hat wohl der Übersetzer Friedrich Hitzer**seine ordnenden Hände im Spiel, wenn es in der editorischen Notiz heißt, dass die deutsche Fassung den Dialog (der keiner ist) in systematisierter, konzentrierter Form wiedergibt.

Im Altertum war der Dialog eine selbständige literarische Form, die als Mittel der philosophischen Belehrung entwickelt und von den Sophisten (Sokrates, Platon, Cicero, Seneca...) verwandt wurde, um theoretische Erörterungen zu führen. Seit dem 19. Jahrhundert erhielt der Dialog mehr und mehr essayistische Züge und wurde schließlich fast ganz vom Essay abgelöst. Erfreulich, dass die über Jahrhunderte bewährte Form des Dialogs von Aitmatow und Ikeda (wenigstens schriftlich) wieder aufgenommen wurde.

Quelle der Rezension:
http://www.reller-rezensionen.de/belletristik/aitmatow-begegnung_am_fudschijama.htm