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Wer hat Wahnvorstellungen?

Eine Analyse von Gilbert Doctorow
Von Gilbert Doctorow 18.05.2023 - übernommen von gilbertdoctorow.com
18. Mai 2023
In den letzten Monaten habe ich erlebt, wie das Wort "wahnhaft" auf diejenigen angewandt wurde, die wie ich nonkonforme, nicht dem Mainstream entsprechende Nachrichten und Ansichten über Russland und den Ukraine-Krieg an die Leserschaft bringen. Die Sprache entwickelt sich ständig weiter, und die abgenutzte Bezeichnung "Handlanger Putins" wurde nun durch diese allgemeinere, aber ähnlich abfällige ad-hominem-Bezeichnung ersetzt.

Erlauben Sie mir daher die Frage, ob es nicht die Ankläger sind, die wirklich "wahnhaft" sind, indem sie auf einem Washingtoner Narrativ beharren, das tagtäglich zunichte gemacht wird, so wie Deutschlands Leopard-Panzer und Amerikas Patriot-Luftabwehrsysteme in der Ukraine durch technisch überlegene russische Militärtechnik.

Diese militärische Abrechnung ist eine Geschichte für sich. Unwillkürlich denke ich an eine zufällige Begegnung mit Russland-Amerikanern zurück, die ich vor vier Jahren während eines touristischen Besuchs in einer kleinen, malerischen Stadt in der schwäbischen Region Süddeutschlands mit ihren typischen Fachwerkhäusern auf dem Hauptplatz hatte. Wir kamen beim Einkaufen in einem Souvenirladen ins Gespräch, und dieser Zahnarzt strahlte vor Stolz auf sein neues Vaterland. Irgendwie kam das Gespräch auf die neu angekündigten strategischen Waffensysteme, von denen der Kreml behauptete, sie hätten die Tests bestanden und seien auf dem Weg zur Serienproduktion. Der Zahnarzt war außer sich vor Lachen und beharrte darauf, dass dies alles reine Erfindung, reine Propaganda sei und dass Russland nicht in der Lage sei, ein Waffensystem zu entwickeln und herzustellen, das eine Bedrohung für die guten alten USA darstellen könnte.

Aber dieser Spott über russische Dinge ist ein Thema für einen anderen Tag. Ich werde hier zunächst über die wahnhafte Gestaltung und Umsetzung der heutigen US-Außenpolitik sprechen, die die Vereinigten Staaten in Bezug auf ihr Ansehen und ihren Einfluss auf der Welt teurer zu stehen kommt als alles, was Donald Trump und sein "Rohdiamant" Außenminister Pompeo während seiner Präsidentschaft erreicht haben. Und ich möchte die Aufmerksamkeit auf ein Gesicht in dem riesigen Gruppenporträt der führenden Politiker der Welt lenken: Kassym-Jomart Tokajew.

Tokajew ist der Präsident von Kasachstan und wurde in den letzten Monaten vom US-Außenministerium umworben, in der Hoffnung und Erwartung, dass Kasachstan dazu gebracht werden könnte, sich von Russland zu trennen und sich dem amerikanischen Team von Ländern anzuschließen, die Moskau wegen seines "Angriffskriegs" in der Ukraine sanktionieren. Außenminister Blinken stattete ihm sogar einen Besuch ab, um ihn dazu zu bewegen oder zu drohen, sich der amerikanischen Führung anzuschließen, worüber die amerikanischen Mainstream-Medien begeistert berichtet haben.

Diese US-Politik kann nur als "wahnhaft" bezeichnet werden, da sie keine Kenntnis davon hat, wer Tokajew ist und wie die geopolitischen Gegebenheiten in Kasachstan wirklich sind. Die Politik beruht auf der vorsätzlichen Ignoranz der Berater, die sie formuliert haben, und diese wiederum auf der Annahme der überlegenen Stärke Amerikas und seiner Fähigkeit, seinen Willen auf Biegen und Brechen durchzusetzen, wo immer in der Welt und wann immer es ihm beliebt.

Die russische Diplomatie ist anspruchsvoller.

Am 9. Mai stand Tokajew zusammen mit allen anderen Präsidenten der zentralasiatischen Republiken auf der Tribüne des Roten Platzes. Gemeinsam mit ihnen und mit Präsident Wladimir Putin schritt er dann zum Alexandergarten, um eine rote Nelke vor dem Denkmal für den Unbekannten Soldaten niederzulegen. Das mag zufällig von dem einen oder anderen westlichen Fernsehsender aufgegriffen worden sein. Was im Westen nicht gezeigt wurde, war der für Tokajew arrangierte Abstecher in die Stadt Rzhevsk, wo er das Andenken seines Onkels Kassym Tokajew, nach dem er benannt ist, würdigen konnte, der in der Schlacht von Rzhev als Soldat der Roten Armee fiel und dort begraben ist. Dieser Besuch wurde auf Russisch und im kasachischen Staatsfernsehen übertragen. Tokajew hatte keine andere Wahl, als zu hingehen, und sein Volk hatte keine andere Wahl, als die historische Verbindung mit Moskau im Kampf gegen Nazideutschland zu sehen.

Gestern Abend wurde im russischen Fernsehen ein weiteres Video von Tokajew gezeigt. Es wurde gezeigt, wie er in Peking aus seinem Flugzeug steigt, wo er zusammen mit allen anderen Staatschefs Zentralasiens an einem Gruppentreffen mit der chinesischen Führung teilnimmt. Wir sahen sein Tête-à-Tête-Gespräch mit einem hohen Beamten des chinesischen Außenministeriums, das in Mandarin und ohne Übersetzer stattfand. Wie man seinem Wikipedia-Eintrag leicht entnehmen kann, studierte Tokajew ab 1970 Chinesisch am renommierten Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) und absolvierte in seinem letzten Studienjahr einen sechsmonatigen Lehrgang an der sowjetischen Botschaft in China. Anschließend diente er im russischen Außenministerium und setzte 1983 seine Sprachausbildung am Pekinger Sprachinstitut fort. Später wurde er an die sowjetische Botschaft in Peking versetzt und übernahm dort nach und nach höhere Aufgaben.

Ich will damit sagen, dass Tokajew die Landkarte seiner Region sehr gut kennt. Er und sein Land befinden sich zwischen zwei Mühlsteinen. Sie haben nicht viel Spielraum. Irgendwie entgehen diese Tatsachen den wahnhaften politischen Entscheidungsträgern Amerikas.

Ich könnte noch weiter darauf eingehen, wie die Ignoranz und Selbstgefälligkeit hoher Beamter in der Biden-Regierung auch an anderer Stelle zu einer selbstzerstörerischen Politik führt. Ein Beispiel dafür, was ich meine, ereignete sich erst vor ein paar Tagen, als Amerikas Botenjunge in der Europäischen Kommission ein ähnlich wahnhaftes Verhalten an den Tag legte. Josep Borrell gelang es, seine Gastgeber in Indien zu verärgern und sich selbst zu demütigen, indem er darauf bestand, dass Indien seine Käufe von russischem Öl einschränkt, damit die EU nicht die Einfuhr von raffinierten Erdölerzeugnissen, hauptsächlich Dieselkraftstoff, aus Indien verbietet. Die Folge seiner ignoranten Warnung, die im Widerspruch zu den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften steht, war Borrells Ausschluss von den Handelsgesprächen, die die EU-Delegation in Delhi führen sollte.

Gilbert Doctorow is an independent political analyst based in Brussels.
Quelle: https://gilbertdoctorow.com/

Mit freundlicher Genehmigung von Gilbert Doctorow
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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