"Ich habe Putin zu Sanktionen geraten"

Der Deutsche Stefan Dürr führt Russlands größten Milchproduzenten. Ein Interview über das Importverbot und sein Treffen mit dem russischen Präsidenten.
von Felix Rohrbeck
23. August 2014

DIE ZEIT: Herr Dürr, der russische Präsident Wladimir Putin hat ein Importverbot gegen westliche Lebensmittel verhängt. Hat Sie das überrascht?

Stefan Dürr: Nein, in Russland haben alle darauf gewartet, dass die Regierung mit Gegenmaßnahmen auf die Sanktionen der EU und der USA antwortet. Überrascht hat mich das nicht. Einen Tag vor dem verkündeten Importstopp saß ich sogar noch mit dem Präsidenten zusammen, und er hat mit mir auch über die Krise gesprochen.

ZEIT: Sie haben mit Putin gesprochen?

Dürr: Ja. Anfang des Jahres wurde mir für meine Verdienste für die hiesige Landwirtschaft die russische Staatsbürgerschaft verliehen. Nun wollte Putin, dass wir uns besser kennenlernen. Wir haben eine halbe Stunde zu dritt gesprochen, mit dabei war noch der Gouverneur von Woronesch, Alexej Gordejew, in dessen Arbeitszimmer das Gespräch stattfand.

ZEIT: Und wie ist das Gespräch verlaufen?

Dürr: Putin hat es auf Deutsch begonnen. Später sind wir dann ins Russische gewechselt, weil der Gouverneur nicht so gut Deutsch spricht. Mein Eindruck war, dass Putin die Eskalation der Krise gar nicht recht ist und sie ihm auch nahegeht. Putin ist nicht der harte Macher, als der er im Westen immer dargestellt wird. Auf der anderen Seite ist er aber auch der Letzte, der im aktuellen Konflikt klein beigeben würde.

ZEIT: Hat Putin Sie nach Ihrer Meinung zu den Sanktionen des Westens gefragt?

Dürr: Ja. Und ich habe ihm gesagt, dass ich an seiner Stelle dagegenhalten würde.

ZEIT: Sie setzen sich seit über 20 Jahren für den deutsch-russischen Agrardialog ein, sind dafür sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden und raten Putin nun zu Sanktionen?

Dürr: Ja. Ich habe Putin zu Sanktionen geraten. Gerade weil ich mich so intensiv für die deutsch-russischen Beziehungen einsetze, darunter leide, dass derzeit so viel Porzellan zerschlagen wird. Ich glaube, dass Gegenmaßnahmen dem Westen vor Augen führen, wie stark man in vielen Bereichen voneinander abhängig ist.

ZEIT: Wer hat Schuld an dem Konflikt?

Dürr: Ich glaube, dass der Westen die Hauptschuld trägt und immer wieder Öl ins Feuer gießt. Er lässt Putin doch gar keine andere Wahl. Hier bei mir auf dem Land kritisiert man ihn eher noch dafür, dass er zu weich sei. Er kann die Sanktionen nicht einfach hinnehmen. Dann wäre er innenpolitisch tot.

ZEIT: Und warum hat er nun ausgerechnet Sanktionen im Lebensmittelbereich verhängt?

Dürr: Dazu habe ich ihm nicht explizit geraten, aber es macht durchaus Sinn. Denn Putin schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er antwortet auf die Sanktionen des Westens, was, glaube ich, die Voraussetzung dafür ist, dass sich beide Parteien irgendwann wieder an einen Tisch setzen. Und er gibt der russischen Landwirtschaft die Chance, sich in einer geschützten Übergangszeit zu entwickeln. Ein Einfuhrverbot etwa für westliche Pkw hätte der heimischen Wirtschaft wenig gebracht, weil nicht absehbar ist, dass wir hier eine wettbewerbsfähige Automobilwirtschaft aufbauen. Bei der Landwirtschaft ist das anders.

"Ich denke, dass die europäischen Milchproduzenten durch südamerikanische ersetzt werden"

ZEIT: Spüren Sie Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf Ihr Unternehmen Ekoniva, das nicht nur der größte Milchproduzent Russlands ist, sondern auch mit Landmaschinen und Saatgut handelt?

Dürr: Vergangene Woche war ich auf der Service-Website von einem europäischen Unternehmen, von dem wir als Händler Landmaschinen vertreiben. Dort stand der Hinweis: Aufgrund von EU-Sanktionen können wir keinen Support anbieten. Das ist für uns der Super-GAU! Bei modernen Landmaschinen ist es ja wie bei Autos: Man kann da nicht mehr mit Hammer und Schraubenzieher ran, sondern schließt einen Laptop an, der dann die Diagnose macht. Wenn die entsprechenden Programme nicht mehr freigeschaltet werden und Sie keine Ersatzteile bekommen, sitzen Sie als Händler auf millionenschweren Maschinen, können sie aber nicht mehr warten oder reparieren. Eine Katastrophe.

ZEIT: Die EU-Sanktionen beziehen sich nicht auf Landmaschinen. Warum waren Ihre betroffen?

Dürr: Von dem Unternehmen kaufen wir Fahrzeuge, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Die gleichen Fahrzeuge werden aber auch vom Militär eingesetzt, bloß dass sie dann tarngrün gestrichen sind. Deshalb wurden sie offenbar als "Dual Use"-Geräte klassifiziert, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können. Solche Güter stehen auf der Sanktionsliste. Das Unternehmen hat sich dann bei seiner Regierung beschwert und ein paar Tage später funktionierte der Service wieder.

ZEIT: Wie reagieren Sie auf die Sanktionen?

Dürr: Ich habe mich schon gefragt: Was ist, wenn der Konflikt weiter eskaliert, wenn ich keine Ersatzteile mehr für westliche Maschinen bekomme? Wäre es dann nicht besser, schon jetzt stärker auf russische Hersteller zu setzen? Oder auf chinesische? Ein großes Maschinenbau-Unternehmen hier aus der Region ist diesen Schritt gegangen. Die kaufen jetzt in China statt in Europa. Das ist eine Entwicklung, die vor der Krise begonnen hat, die sich nun durch die Sanktionen aber massiv beschleunigt. Ich weiß nicht, ob dem Westen wirklich klar ist, welche Türen er in Russland durch die Strafmaßnahmen für chinesische Unternehmen öffnet.

ZEIT: Planen auch Sie, auf russische oder chinesische Technik umzusteigen?

Dürr: Als Landmaschinenhändler arbeiten wir seit Jahren mit Herstellern wie dem amerikanischen Konzern John Deere zusammen. Mit deren Geräten kennen wir uns gut aus, die Kosten eines Wechsels wären sehr hoch. Einen Umstieg halte ich für eher unwahrscheinlich. Dagegen kann ich mir in unserem Landwirtschaftsbereich, also zum Beispiel bei der Milchproduktion, gut vorstellen, verstärkt auf russische und chinesische Maschinen zu setzen. Ich denke, das wird so kommen.

ZEIT: Profitieren Sie als russischer Produzent von Milch und auch Rindfleisch von den Importverboten für westliche Lebensmittel?

Dürr: Klar, alle in Russland produzierenden Hersteller von Lebensmitteln tun das. Nehmen Sie zum Beispiel das deutsche Unternehmen Hochland, das in Russland Käse herstellt. Das stand unter extremem Preisdruck von seinem Großabnehmer McDonald’s, auch weil das Konkurrenzunternehmen Schreiber Foods den Cheddar-Käse billig in Polen produziert. Schreiber ist jetzt erst mal draußen, was die Verhandlungsposition von Hochland nicht verschlechtert.

ZEIT: Die Abschottung führt zu höheren Preisen. Leidet darunter nicht vor allem die Bevölkerung?

Dürr: Ich glaube nicht, dass die Preise steigen. Ich denke eher, dass die europäischen Milchproduzenten durch südamerikanische ersetzt werden. Außerdem wird der Anteil russischer Milchprodukte zunehmen. Es gibt ja schon seit Jahren das Ziel, dass der Selbstversorgungsgrad bei Milchprodukten 90 Prozent betragen soll. Bisher gab es immer noch die wirtschaftsliberalen Stimmen im Land, die solche Quoten abgelehnt haben. Diese ganze Diskussion ist nun vorbei. Jetzt braucht man niemandem mehr zu erklären, dass wir eine gewisse Grundversorgung durch russische Lebensmittel brauchen.

ZEIT: So eine Umstellung wird lange dauern. Wie weit ist Russland denn mit dem Vorhaben, sich selbst mit Milchprodukten zu versorgen?

Dürr: Ich schätze, dass es noch zehn Jahre dauern wird, bis wir das 90-Prozent-Ziel bei der Milch mit einer kostengünstigen Produktion erreichen.

"Diese Krise tut mir in der Seele weh"

ZEIT: Sie sind der größte Milchproduzent Russlands. Wie kam es dazu?

Dürr: Mein Großvater hatte einen kleinen Hof im Odenwald, den wollte ich eigentlich übernehmen. Doch nach der Wende war ich einer der ersten Praktikanten in Russland. Damals hatten Helmut Kohl und Michail Gorbatschow gerade eine Zusammenarbeit im Agrarbereich vereinbart, Teil davon war ein Austauschprogramm für Studenten. Für mich klang das nach Abenteuer. Vor Ort habe ich dann die Möglichkeiten in der Landwirtschaft gesehen. In Deutschland hatte unser Familienbetrieb 14 Hektar, die Kolchosen in Russland waren oft mehr als 5.000 Hektar groß. Damals war noch völlig unklar, was mit ihnen passieren würde. Alles war im Umbruch, als ich durch Zufall in die Agrarpolitik gerutscht bin.

ZEIT: Wie rutscht man denn als Praktikant zufällig in die Agrarpolitik?

Dürr: Ich habe damals den Vorsitzenden des russischen Bauernverbandes der privaten Landwirte kennengelernt. Der hat mich mit zu einigen Treffen genommen. Schließlich wurde ich gefragt, ob ich eine Reise nach Deutschland organisieren möchte. Zusammen mit dem stellvertretenden russischen Landwirtschaftsminister bin ich dann als 28-jähriger Geoökologie-Student in einem Kleinbus durch Thüringen gefahren, wir haben uns angesehen, wie dort die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften reformiert wurden. Später habe ich dann das russische Parlament bei den Bodenreformen beraten, weil man dort ja vor ähnlichen Problemen stand wie in Ostdeutschland. Ich wollte verhindern, dass das Land, wie beim Öl, in die Hände weniger Oligarchen fällt.

ZEIT: Heute gehören Sie selbst zu den großen Landbesitzern in Russland. Ihr Unternehmen bewirtschaftet eine Fläche von rund 200.000 Hektar, das entspricht drei Vierteln Luxemburgs. Haben Sie von einem System profitiert, das Sie nach der Wende selbst mitgeprägt haben?

Dürr: Nein, das kann man so wirklich nicht sagen. Ich war damals gegen Privateigentum an landwirtschaftlichen Flächen. Mein Geld habe ich zunächst mit dem Handel von Saatgut und Landmaschinen verdient. Erst ab 2002 war es für Investoren möglich, das Land, das nach der Wende unter den Dorfbewohnern aufgeteilt wurde, zu erwerben. Da habe ich dann auch gekauft. Sonst hätten es andere gemacht.

ZEIT: Wie erleben Sie den Konflikt zwischen Russland und dem Westen persönlich?

Dürr: Manchmal fühle ich mich wie ein Kind, dessen Eltern sich streiten und von Scheidung sprechen. Ich habe sowohl die deutsche als auch die russische Staatsbürgerschaft. Diese Krise tut mir in der Seele weh.

ZEIT: Unser Gespräch klingt, als hätten Sie sich für eine Seite entschieden: die russische. Spielen dabei auch geschäftliche Überlegungen eine Rolle?

Dürr: Auf der rationalen Ebene stimmt das. Da unterstütze ich eher die russische Seite, aber weniger wegen des Geschäftlichen, sondern weil ich finde, dass Putin eher recht hat. Auf der emotionalen Ebene möchte ich mich aber nicht entscheiden müssen. Ich wünsche mir nach wie vor, dass die Spannungen um die Ukrainekrise sich wieder legen, dass Russland ein ganz normales Land in der europäischen Staatengemeinschaft wird und nicht irgendwann mit China auf der anderen Seite des Zauns steht.

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