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Unsere Landwirtschaft erhalten  – Damit wir nicht vor leeren Tellern sitzen

Von Dr. Ariet Güttinger
16. Februar 2016
Fragt man Kinder in der Stadt oder in der Agglomeration, woher denn die Milch, das Jogurth oder der Käse kommen, erhält man nicht selten die Antwort: „Vom Lade“. Dass da noch eine Kuh mit Bauernhof dazugehört, bringt solche Kinder dann zum Staunen. Aber  – Hand auf’s Herz  – fehlt nicht auch uns Erwachsenen oft ein vertieftes Nachdenken über die Herkunft unserer Lebensmittel? Volle Gestelle in den Läden mit Lebensmitteln von bester Qualität sind so selbstverständlich, dass wir das Gefühl haben, es wird bis in alle Ewigkeit so bleiben.

Hinter vollen Gestellen steht aber eine grosse Arbeit: Unzählige fleissige Hände in bäuerlichen Familienbetrieben sorgen dafür, dass wir jeden Tag wertvolle, gesunde einheimische Lebensmittel auf unserem Tisch haben. Das dem so ist, hat damit zu tun, dass wir das in der Schweiz so wollen. Das steht in der Bundesverfassung im Artikel 104 zur Landwirtschaft: „Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft (...) einen wesentlichen Beitrag leistet zur

  1. sicheren Versorgung der Bevölkerung;
  2. Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft;
  3. dezentralen Besiedelung des Landes.“

Bäuerliche Familienbetriebe ermöglichen uns Städtern auch eine intakte, schöne Landschaft und Natur, in der man sich in seiner Freizeit so gut erholt. Selbstverständlich hat das auch seinen Preis: Direktzahlungen an die Landwirtschaft aus unseren Steuergeldern. Anders geht es nicht. Die Preise, die die Bauern von den Grossabnehmern für ihre wertvollen Erzeugnisse erhalten, sind kaum mehr kostendeckend. Das Geschäft machen die nachgelagerten Betriebe und nicht die Bauern. Viele Familienbetriebe sind heute   – existentiell   – darauf angewiesen, dass der Bauer oder die Bäuerin noch einem Nebenberuf nachgeht.

Nur so lässt sich der Fortbestand ihres Betriebes sichern. Eine Familienarbeitskraft in der Schweizer Landwirtschaft arbeitet 50 Stunden in der Woche und verdient durchschnittlich gerade einmal 48'000 Fr. im Jahr.

Viele Bauern haben schweren Herzens ihren Betrieb aufgeben müssen. Seit 1996 waren das in der Schweiz über 24'000 Bauernhöfe (-30%). Damit verschwanden auch 60'000 Arbeitsplätze in der Landwirtschaft (-27,5%). Die Folgen sind gravierend: Nur noch 55% unserer Lebensmittel werden von der Schweizer Landwirtschaft produziert. 45 % müssen importiert werden.

Es sind viele, die eine solche Entwicklung nicht wollen. Das zeigt die ‚Eidgenössische Volksinitiative für Ernährungssicherheit’, die im letzten Sommer eingereicht worden ist. In nur drei Monaten waren 147’812 Unterschriften zusammengekommen. Das zeigt, dass „die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion“, wie sie die Initiative verlangt, ein echtes Bedürfnis ist. Mit dieser Initiative aus der Bevölkerung erhält unsere Landwirtschaft wieder den nötigen politischen und wirtschaftlichen Rückhalt.

Mogelpackung aus dem Bundeshaus

Der Bundesrat reagierte auf die Volksinitiative im letzten Jahr mit einem Gegenvorschlag, der sich als echte Mogelpackung erwies. Zwar hatte der Gegenvorschlag den Titel „Ernährungssicherheit“. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich diese „Ernährungssicherheit“ als reine Worthülse, die mit der „Ernährungssicherheit“ der Volksinitiative nichts zu tun hat, im Gegenteil.

Der Gegenvorschlag wollte unter „c. eine wettbewerbsfähige Land- und Ernährungswirtschaft“und unter „d.“ den „Zugang zu den internationalen Agrarmärkten“ in der Bundesverfassung festschreiben. Damit sollte unsere produzierende Landwirtschaft auf den globalisierten Markt gezwungen werden, wo sie weder konkurrenz- noch überlebensfähig sein wird. Der Gegenvorschlag entpuppte sich damit als gezielter Schuss in den Rücken von Bevölkerung und Landwirtschaft.

Statt ‚Ernährungssicherheit’   – ‚Ausrichtung auf die internationalen Agrarmärkte’

Die Volksinitiative verlangt „Ernährungssicherheit“ im wahrsten Sinne des Wortes: „die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion“. Von Freihandel steht darin kein Wort. Die einheimische Landwirtschaft als Grundlage einer soliden Landesversorgung soll gestärkt werden. Der Gegenvorschlag beschränkte sich auf „eine standortangepasste und ressourceneffiziente Produktion von Lebensmitteln“. Von „einheimisch“ war keine Rede mehr. Als Konsument fragt man sich: Wo   – bitte sehr   – soll dann die Produktion stattfinden? Für’s Gemüse in Spanien?

Weil dort ‚standortangepasst’ die Vegetationsperiode früher beginnt und Arbeitssklaven aus Afrika effizienter   – sprich billiger abgespeist werden können? Fütterung aus industriellen amerikanischen landwirtschaftlichen Grosskonzernen weil ‚ressourceneffizienter’? Die SALS (Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor) bezeichnete den Gegenvorschlag des Bundesrates als trojanisches Pferd, das „unter dem Deckmantel der Ernährungssicherheit ein Agrarfreihandelsprojekt“ verstecke. (Fussnote: Schweizer Bauer vom 14.1.2015, Gegenentwurf SALS spricht von Trojanischem Pferd.) Der plumpe Trick mit dem Gegenvorschlag blieb ohne Erfolg.  

Die Vernehmlassungsantworten waren so ablehnend und zahlreich, dass der Bundesrat den Gegenvorschlag zurückziehen musste. Wer nun denkt, jetzt sei der Agrarfreihandel vom Tisch, täuscht sich jedoch gewaltig. Das Projekt Agrarfreihandel  steht nämlich schon lange und auch für die Zukunft auf dem Wunschzettel des Bundesrates.

Andocken an TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft USA   – EU)

Unter grösster Geheimhaltung und unter Ausschluss aller demokratischer Gremien laufen seit geraumer Zeit die Verhandlungen zu TTIP zwischen den USA und der EU. Die Konzerne haben Zugang zu den Verhandlungen. Die Parlamentarier der europäischen Länder nicht. Das ist beunruhigend und hat im Schweizer Parlament zu einer Interpellation geführt mit der Frage „Gefährdet die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA den Schweizer Lebensmittelstandard?“

Die Antwort des Bundesrates vom 15.5.14 ist interessant. Er spricht von konkreten „Optionen“ in Bezug auf die „Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft“ und von der „Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz“. „Zu diesen Optionen könnte auch die Möglichkeit zur Aushandlung eines FHA (Freihandelsabkommen) mit den USA oder ein Andocken an die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) gehören“   – so der Bundesrat. (Fussnote: Interpellation 14.3111 von Thomas Böhni vom 18.3.2014)

Nationalräte lobbyieren in Washington für TTIP

Unterdessen haben bereits einige Nationalräte „im Rahmen einer EFTA-Delegation in Washington für eine Teilnahme am Freihandelsabkommen USA-EU (TTIP) lobbyiert“   – so steht es im ‚Schweizer Bauer’. NR Thomas Aeschi (SVP) will zwar kein Abkommen mit der EU. Aber er will ein separates Freihandelsabkommen der EFTA mit den USA, das dem TTIP entspricht. NR Eric Nussbaumer (SP) findet, ein Abkommen wie TTIP könne sinnvoll sein. „Eine globalisierte Wirtschaft braucht globale Regeln.“ (Fussnote: NationalrätInnen lobbyieren für den Freihandel, Schweizer Bauer vom 3.5.2015)

Mit TTIP unter das Diktat der US-Konzerne?

Im Januar gab es in verschiedenen Zeitungen ein Interview mit Martin Naville, dem Geschäftsführer der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer. Naville vertritt die wirtschaftspolitischen Interessen von 2200 amerikanischen und schweizerischen Firmen. Sein Ziel ist, dass die Schweiz an das TTIP-Abkommen mit den USA und der EU „andockt“. Etwas zu sagen hätte die Schweiz dabei nicht: „Der Vertrag als solches ist à prendre ou à laisser“.

Auf die Frage, ob sich unsere Landwirtschaft zurecht vor der Konkurrenz mit „den Grossbauern in der EU und den USA“ fürchtet, antwortet Naville: „Zurecht. Die Öffnung der Landwirtschaft wird sicher Bestandteil sein von TTIP. (...) die Bauern sind für lediglich 0,7 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung verantwortlich. Es kann nicht sein, dass eine so kleine Gruppe dem Rest der Wirtschaft im Weg steht.“

Hier macht ein Herr Naville seine Rechung ohne die Bevölkerung: Ein Andocken an TTIP kommt für unsere Landwirtschaft nicht in Frage!!! Diese 0,7 % bäuerliche Wirtschaftsleistung ist in unseren Tellern: Am Morgen, am Mittag und am Abend. Weil wir das so wollen! Unterdessen kennen wir nämlich die katastrophalen Folgen von Freihandelsverträgen für die Landwirtschaft aus Lateinamerika, Afrika und Asien: Sie wurde ruiniert. Hunger-, Mangel- und Unterernährung sowie Landflucht waren die Folgen.  

Schutz der Landwirtschaft schützt unsere Ernährung

Gesunde Nahrungsmittel sind die Grundlage unserer Existenz. Aus diesem Grund braucht die Nahrungsmittelproduktion und damit die Landwirtschaft   – insbesondere die bäuerlichen Familienbetriebe   – einen besonderen staatlichen Schutz. Die Volksinitiativen zur ‚Ernährungssicherheit’ und Ernährungssouveränität’ werden diesen Schutz in der Bundesverfassung festschreiben. Daran haben sich dann die gewählten Politiker zu halten.

Aber auch von der Basis her braucht es ein entschiedenes ‚Zämä hebä’ (Zusammenhalten): Einen Schulterschluss der Bevölkerung mit unseren Bauern. Dazu kann jeder seinen Beitrag leisten.

Für den “Verein Interessengemeinschaft zum Schutz und zur Förderung der bäuerlichen Familienbetriebe”:
Ariet Güttinger
roli.guettinger@bluewin.ch

Freihandelsabkommen USA-EU: Tödliche Umarmung?

(...) Da die übrige Welt sich zunehmend der US-Finanzherrschaft entzieht (...), ist das noch immer wohlhabende und willfährige Europa der einzige Platz, an dem die Unersättlichen noch abschöpfen können.  (...) Ein weiterer aktiver Sektor ist die Landwirtschaft. Der Vorvorgänger des gegenwärtigen US-Agrarministers hat dies wie folgt auf den Punkt gebracht: «Die Landwirtschaft ist der grösste Devisenbringer. Europa ist unser Zukunftsmarkt. Wir können alles billiger produzieren. Wenn die reichen Europäer sich ihre unrentable Landbewirtschaftung weiter leisten wollen, dann sollen sie sich entsprechend gut bezahlte Landschaftsgärtner halten. Wir liefern die Nahrungsmittel.» In einer Freihandelszone wird diese Strategie schlagend werden. Die langfristige europäische Ernährungssouveränität und die Versorgung im Fall gestörter Zufuhren sowie nicht zuletzt die gewachsene Agrikultur würden dadurch geopfert.

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