Skip to main content

"System-Neige" im Westen

Immer mehr Menschen, Wähler, Bürger, ja Völker setzen Zeichen gegen Souveränitätsverlust
Von Willy Wimmer
09. Mai 2016
Für den informierten Beobachter ist es unübersehbar: Das über Jahrzehnte stabile westliche Werte- und Bündnisgefüge hat nicht erst seit der Flüchtlingskrise Risse bekommen, die Wähler haben genug vom Polit-Establishment und strafen ab, mehr und mehr Bürger sehen ihre Belange von den Volksvertretern nicht mehr hinreichend berücksichtigt. Der Bogen ist überspannt.

Ungeachtet dessen wird von den meisten Regierungen eisern am zu beschreitenden Weg festgehalten, koste es was es wolle. Dem nicht genug: Die Forderungen werden immer weltfremder. So etwa ließ der erste Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Kommissar für „Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta“, Frans Timmermans, jüngst verlauten, dass die Zukunft der Menschheit nicht länger auf einzelnen Nationen und Kulturen, sondern auf einer vermischten Superkultur beruhe. Das toppt er sogar noch das ohnehin krude „Replacement Migration“-Manifest der Vereinten Nationen. Der zurückgelassene Ureinwohner dieser Breiten, der zu keiner Zeit gefragt wurde, ob ihm das beliebt, bleibt ratlos, wenn nicht wütend zurück. Nicht wenige fragen sich: Wo ist die „feste Burg“?

Wohin das politische Auge in dieser Zeit auch blickt: zwischen San Francisco über Wien bis zum Van-See sind Veränderungen und möglicherweise Umstürze angesagt: in dem Gebiet also, das gemeinhin als „der Westen“ bezeichnet oder dazu gezählt wird. Es gibt untrügliche Zeichen dafür, dass die Dinge „kippen“. Fangen wir doch bei uns an: Über Jahrzehnte haben deutsche Bundeskanzler auf unserem Kontinent eine Politik betrieben, die uns zunächst mit unseren Nachbarn versöhnte und partnerschaftlich zusammenbrachte. Helmut Kohl wurde so zum „Ehrenbürger Europas“ und das aus gutem Grund. Wenn man sich heute die deutsche Politik ansieht, so wütet in Berlin derzeit gleichsam die „europäische Abrissbirne“, die   – ohne das deutsche Volk zu fragen   –, die Grundlagen unserer staatlichen und europäischen Existenz beseitigt. Notfalls mit Gewalt. Das soll keine Folgen haben? Sie sind doch schon in Warschau und an anderer Stelle zu „bewundern“, auch wenn es für polnische Irridenta gewiss auch andere Gründe und Triebfedern gibt.

Derzeit ringt man in Großbritannien um Identität. Die bevorstehende Volksabstimmung über den Verbleib des Inselstaats in der EU macht das ebenso deutlich wie die innere Lage in Schottland. Vorgeblich geht es in London und Glasgow darum, Herr im eigenen Haus sein zu wollen. Alleine dieser Wunsch macht deutlich, dass es entweder in London oder Brüssel nicht stimmt und die jeweiligen Verantwortlichen weite Teile ihrer Wähler und Mitbürger nicht davon überzeugen können, dass der eingeschlagene Weg zu ihrem Besten sein könnte. Statt die nicht nur Großbritannien erfassende Unruhe zum Anlass zu nehmen, die europäische Entwicklung, die auf die Auflösung der nationalen Identität gerichtet ist, zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wird in Brüssel auf „Borniertheit à la carte“ geschaltet. Alles soll auf die Spitze getrieben werden und jetzt ist sogar das geliebte Bargeld dran, über das sich die Menschen noch frei bewegen können. Aus historischen Gründen und unbeschadet der Schalmaien-Töne aus Washington sollten wir eines nicht verkennen: Wenn Großbritannien sich separiert, ist ein Rückfall in eine traditionelle Rolle, wie sie England seit hunderten von Jahren dem Kontinent gegenüber eingeschlagen hatte, fast unausweichlich. Ob das Großbritannien letztlich dient, wenn es auf dem Festland wieder einen gegen den anderen ausspielt, mag dahingestellt bleiben. Nicht auszuschließen ist, dass aber eine solche Haltung in den Kram des einen oder anderen in Washington gerade deshalb passt, weil die USA nichts anderes in Europa seit Anfang der Neunziger-Jahre zur Durchsetzung ihrer Interessen betreiben.

Statt die nicht nur Großbritannien erfassende Unruhe zum Anlass zu nehmen, die europäische Entwicklung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wird in Brüssel auf „Borniertheit à la carte“ geschaltet

Auch Moskau macht deutlich, dass es Herr im eigenen Hause sein will, seine nationalen Belange selbst definiert und an eigenen Interessen ausrichtet. Eine legitime Forderung, wenn man sieht, wie auch unsere europäischen Bündnispartner um ihre Identität ringen. Das bedeutet für Russland keinesfalls, sich in ein selbstgewähltes Schneckenhaus der Selbstisolation zurückzuziehen. Moskau ist ein aktiver Partner in den Vereinten Nationen, obwohl diese über zwei Jahrzehnte mehr und mehr auf NATO-Kurs gebracht worden sind. Nicht nur das Engagement in Syrien zeigt, dass in aktuellen Krisen und Kriegen auf der Grundlage des Völkerrechtes mit Russland in jeder Hinsicht zu rechnen ist.

Russland hat seit der „Charta von Paris“ mit ansehen müssen, was alles unternommen worden ist, dieses stolze Land auf die Knie zu zwingen. Selbst wirtschafts- und gesellschaftspolitisch hat man es versucht, von der Unterstützung spalterischer Terrororganisationen in der Kaukasus-Region ganz zu schweigen. Die Zahl der nachweislichen Versuche, das Land aufs Kreuz zu legen, ist so umfangreich, dass man von einem systemischen Vorgehen des Westens gegenüber Russland sprechen kann und muss. Moskau soll unter allen Umständen die Fähigkeit genommen werden, seine Belange in die eigene Hand zu nehmen. Dazu trägt äußerer Druck und ein eiserner militärischer Ring um Russland ebenso bei wie innenpolitische Angriffsformationen unter dem Deckmantel der von Washington aus gesteuerten sogenannten „Nichtregierungsorganisationen“. Diese dienen schon qua Definition nicht dem eigenen Land. Besonders perfide: Nicht selten spannt man dabei guten Glaubens Engagierte vor den eigenen Karren, so dass die „fünfte Kolonne“ nicht so leicht als solche erkannt werden soll. Belege dafür gibt es viele.

Weitere Beiträge in dieser Kategorie


Quelle: Zeitgeist Online
https://zeitgeist-online.de/exklusivonline/dossiers-und-analysen/1036-system-neige-im-westen.html