Skip to main content

Sind wir schon wieder so weit?

von Karl-Jürgen Müller
Karl-Jürgen Müller ist Lehrer im Süden Deutschlands. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde.
11. Juli 2015
Am 30. September 1938, wenige Tage nach der Einigung der deutschen, italienischen, französischen und britischen Regierung auf das «Münchner Abkommen», erklärte der tschechoslowakische Außenminister Kamil Krofta gegenüber dem britischen, dem französischen und dem italienischen Botschafter in seinem Land:

«Im Namen des Präsidenten der Republik sowie meiner Regierung erkläre ich, dass wir uns den in München ohne uns und gegen uns getroffenen Entscheidungen unterwerfen. […] Ich will nicht kritisieren, aber das ist für uns eine Katastrophe, die wir nicht verdient haben. Wir unterwerfen uns und werden uns bemühen, unserem Volk ein ruhiges Leben zu sichern. Ich weiss nicht, ob von dieser in München getroffenen Entscheidung Ihre Länder Vorteil haben werden. Allein, wir sind nicht die letzten, nach uns werden andere betroffen werden.»

Der Präsident des Landes, Edvard Beneš, fand, dass es im Falle einer Ablehnung einen Krieg geben werde, der zwar ehrenhaft sei, «bei dem wir aber nicht nur unsere Selbstbestimmung verlieren, sondern das Volk ermordet wird». Man wollte zumindest den Kern des tschechoslowakischen Staates retten.

Sind wir schon wieder so weit? Vor 2 Wochen hatte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras entschieden, ein Ultimatum der Kreditgeber abzulehnen und dem griechischen Volk zur Abstimmung vorzulegen. Die Griechen haben dieses Ultimatum mit mehr als 60 Prozent abgelehnt … und in Europa keimte die Hoffnung wieder auf, dass die Demokratie in EU-Europa doch noch nicht tot sei.

Aber schon die ersten Reaktionen aus den Regierungen der anderen Euro-Staaten waren eine kalte Dusche. Den Griechen wurde keine Achtung für ihre Entscheidung entgegengebracht. Statt dessen Zynismus. In einer deutschen Talk-Schau hiess es von Seiten eines deutschen «Politikberaters», nun hätten die Griechen ja gegen die Pläne der anderen Euro-Regierungen entschieden … und selbstverständlich sei es auch das Recht eines jeden Volkes, in Würde unterzugehen.

Anstatt nach einem so deutlichen Abstimmungsergebnis eines ganzen europäischen Volkes erst einmal innezuhalten und nachzudenken, war die Parole unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Ergebnisses bei den politischen Eliten der anderen Euro-Staaten und in fast allen Mainstream-Medien dieser Staaten: Jauche schütten! Die Daumenschrauben weiter anziehen! Dem einen Ultimatum ein anderes folgen lassen!

Einen Menschen, der ein politisches Gewissen, der Anstand und Menschenkenntnis hat, musste dies schon am Abend der Abstimmung anwidern und nichts Gutes ahnen lassen.

Nun hat die griechische Regierung selbst ein Programm vorgelegt, das in nahezu allen Punkten dem Ultimatum der anderen Euro-Regierungen entspricht. Warum hat sie das getan?

Manche behaupten, dies sei schon wieder einer dieser «Tricks» der griechischen Regierung   – der ehemalige deutsche Innen- und Landwirtschaftsminister und heutige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Hans-Peter Friedrich, nannte die gewählten Repräsentanten Griechenlands schon am 2. Juli «Spieler» und «Trickser», sprach von einer «wild gewordenen griechischen Regierung», die ihr Land «geplündert» habe   –, um die anderen Euro-Regierungen zu täuschen und um an neues Geld zu kommen.

In der Tat hat sich der neue griechische Finanzminister am 8. Juli mit einem Brief an den Direktor des ESM (das ist der sogenannte «Europäische Stabilitäts-Mechanismus») gewandt und Gelder aus diesem Fonds beantragt. Auch das am späten Donnerstagabend (9. Juli) bei den anderen Euro-Staaten eingegangene Schreiben der griechischen Regierung, das als Reaktion auf ein erneutes Ultimatum zustande gekommen war, ist mit dem Antrag auf ein neues «Hilfsprogramm» verbunden.

Aber wie soll das griechische Volk die nun von der eigenen Regierung den anderen Euro-Staaten angebotenen Maßnahmen ertragen können?

Oskar Lafontaine hat dem Deutschlandfunk am 9. Juli ein Interview gegeben und zitierte darin den Nobelpreisträger Armatya Sen, der die bisherigen Programme der anderen Euro-Staaten für Griechenland als «Mischung aus Rattengift und Antibiotika» bezeichnet hatte. In der Tat hat kein Land Europas nach 1945 in Friedenszeiten einen derartigen Absturz erlebt wie Griechenland in den vergangenen 5 Jahren. Das Land befindet sich in einer immer mehr Lebensbereiche erfassenden Katastrophen-Situation. Jeder weiß, dass bei einer normalen griechischen Familie, bei einem normalen griechischen Bürger nichts von den zig Kreditmilliarden angekommen ist. Im Gegenteil, diesen Menschen geht es seit 5 Jahren immer schlechter. Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass der größte Teil des Geldes aus den «Kreditprogrammen» an internationale Finanzinstitute geflossen ist und lediglich die Gläubiger ausgetauscht wurden (früher Banken, heute Staaten) … aber diese Geschichte wurde schon tausendmal erzählt.

Es ist nicht nachvollziehbar, wie sich das Land erholen soll, wenn die Politik so weitergeht wie in den vergangenen 5 Jahren. Mehr denkt man an die Weimarer Republik zur Zeit des Reichskanzlers Brüning, der mit seiner rigiden Sparpolitik und im Auftrag seines Reichspräsidenten eine Verelendung des Volkes herbeiführen sollte … um politische Ziele zu erreichen. Eins davon war die Abschaffung der Demokratie und der Übergang zur Diktatur. Aber das war nicht das einzige …

Viele haben das Münchner Abkommen als Teil einer Appeasement-Politik gesehen, eines kritikwürdigen, weil irregeleiteten und fehlgeschlagenen Bemühens, den Frieden in Europa zu sichern. Im Lichte der Wissenschaften muss dies hinterfragt werden. Alle damaligen Regierungen der europäischen Großmächte planten den nächsten Krieg und wollten die Bedingungen dafür für sich am besten gestalten. Das nationalsozialistische Deutschland sollte die Speerspitze im kommenden Krieg gegen die bolschewistische Sowjetunion sein. Beide Länder sollten in diesem neuen großen Krieg ausbluten und auf Dauer geschwächt sein. Die angelsächsischen geostrategischen Überlegungen dafür waren schon damals ein paar Jahrzehnte alt. Italien nicht, Frankreich nicht und auch Großbritannien nicht, sie alle wollten 1938 nicht den Frieden in Europa sichern.

Und was ist mit Griechenland? Griechenland muss auf jeden Fall in der Euro-Zone gehalten werden, ist die Parole aus Washington. Griechenland hat eine große geostrategische Bedeutung. Russland ist die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA … sagte der designierte US-amerikanische Generalstabschef Joseph Dunford jr. bei seiner Anhörung vor dem US-Senat. Die Zeichen stehen auf Krieg. Da wird kein Pardon gegeben: keiner griechischen Regierung … und schon gar nicht irgendeinem Volk.

Und Deutschland? Jakob Augstein hat in einer Kolumne für Spiegel-Online (9. Juli) geschrieben, Angela Merkel führe sich wie Wilhelm II. auf. In der Tat gibt es zunehmend viele deutsche Politiker, die sich wie Kraftmeier gebärden. Hans-Peter Friedrich ist einer von ihnen. Augstein meint, die Deutschen träten «längst wieder ganz ungehemmt als Lehr- und Zuchtmeister in Europa auf». In der Tat, die Auftritte deutscher Politiker werden immer unerträglicher. Aber wer hat das Personal denn ausgewählt? Wer wählt das «Führungspersonal» in Vasallen-Staaten aus? Zbigniew Brzezinski hat in einem Interview mit dem Spiegel-Online (29.Juni) heftige Attacken gegen Russland geritten und von einem möglichen Krieg gesprochen. Er zeigte sich «überzeugt, dass die Deutschen kämpfen würden». Und dann fügte er noch hinzu: «Kanzlerin Merkel wäre bereit zu kämpfen und die Opposition wäre es auch.»

Alle Umfrageergebnisse, die bislang in eine andere Richtung gehen, bringen Brzezinski nicht von dieser Einschätzung ab. Irrt Brzezinski? Oder hat er nur den Plan formuliert? Und was werden die Deutschen tun, wo doch diese Pläne immer offener auf dem Tisch liegen?

Weitere Beiträge in dieser Kategorie