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Die „Biden-Phase“ des Ukraine-Krieges beginnt

Der bekannte amerikanische Militärhistoriker, strategische Denker und Kriegsveteran Oberst a.D. Douglas MacGregor (der während der Trump-Administration als Berater des Pentagon diente) sagt voraus, dass eine neue "Biden-Phase des Krieges" bevorsteht.
M. K. Bhadrakumar 17. September 2023  – übernommen von indianpunchline.com
18. September 2023

Indian punch Angriff auf Sewastopol im 851223 1024x683Von Großbritannien und Frankreich gelieferte Langstrecken-Marschflugkörper treffen die russische Schwarzmeerflotte in ihrem Heimathafen Sewastopol, 13. September 2023

Der Bodenkrieg in der Ukraine ist zu Ende, eine neue Phase beginnt. Selbst eingefleischte Befürworter der Ukraine in den westlichen Medien und Think Tanks geben zu, dass ein militärischer Sieg über Russland unmöglich ist und eine Räumung des von Russland kontrollierten Gebiets die Möglichkeiten Kiews bei weitem übersteigt.

Daher der Einfallsreichtum der Biden-Administration, einen Plan B zu entwickeln und Kiew zu raten, den Verlust von Gebieten realistisch zu sehen und pragmatisch den Dialog mit Moskau zu suchen. Dies war die bittere Botschaft, die US-Außenminister Antony Blinken kürzlich persönlich nach Kiew übermittelt hat.

Aufschlussreich ist jedoch die bissige Reaktion von Präsident Zelensky in einem anschließenden Interview mit dem Magazin Economist. Er schlug zurück, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs immer noch gute Worte finden und versprechen, der Ukraine "so lange wie nötig" beizustehen (Bidens Mantra), aber er, Zelensky, hat bei einigen seiner Partner einen Stimmungswandel festgestellt: "Ich habe diese Intuition, ich lese, höre und sehe ihre Augen, wenn sie sagen: 'Wir werden immer bei euch sein.' Aber ich sehe, dass er oder sie nicht hier ist, nicht bei uns." Sicherlich liest Zelensky die Körpersprache richtig, denn ohne einen überwältigenden militärischen Erfolg in Kürze ist die westliche Unterstützung für die Ukraine zeitlich begrenzt.

Zelensky weiß, dass es schwierig sein wird, die westliche Unterstützung aufrechtzuerhalten. Er hofft jedoch, dass, wenn schon nicht die Amerikaner, so doch zumindest die Europäische Union weiterhin Hilfe leistet und möglicherweise sogar auf ihrem Gipfel im Dezember Verhandlungen über den Beitrittsprozess der Ukraine aufnehmen wird. Er drohte aber auch unverhohlen mit einer terroristischen Bedrohung Europas und warnte, dass es keine "gute Geschichte" für Europa wäre, wenn es "diese Menschen [der Ukraine] in die Enge treiben würde". Bislang waren solche ominösen Drohungen eher leise und stammten von rangniedrigen Aktivisten der faschistischen Bandera-Partei.

Aber auch Europa hat seine Beschränkungen. Die westlichen Waffenvorräte sind erschöpft und die Ukraine ist ein Fass ohne Boden. Vor allem fehlt die Überzeugung, dass weitere Lieferungen etwas an dem nicht zu gewinnenden Stellvertreterkrieg ändern würden. Die Rezession in Deutschland könnte in eine Depression abgleiten, mit tiefgreifenden Folgen der "Deindustrialisierung".

Es genügt zu sagen, dass Zelenskys Besuch im Weißen Haus in den kommenden Tagen ein entscheidender Moment sein wird. Die Biden-Administration ist in düsterer Stimmung, weil der Stellvertreterkrieg eine Vollgas-Strategie im indo-pazifischen Raum gegen China behindert. Bei einem Auftritt in der ABC-Sendung "This Week" erklärte Blinken jedoch zum ersten Mal ausdrücklich, dass sich die USA nicht dagegen wehren würden, dass die Ukraine von den USA gelieferte Raketen mit größerer Reichweite einsetzt, um tief in russisches Territorium einzudringen   – ein Schritt, den Moskau zuvor als "rote Linie" bezeichnet hat, was Washington zu einer direkten Konfliktpartei machen würde.

Der bekannte amerikanische Militärhistoriker, strategische Denker und Kriegsveteran Oberst a.D. Douglas MacGregor (der während der Trump-Administration als Berater des Pentagon diente) sagt voraus, dass eine neue "Biden-Phase des Krieges" bevorsteht. Das heißt, nachdem die Bodentruppen aufgebraucht sind, wird sich der Schwerpunkt nun auf Langstreckenwaffen wie Storm Shadow, Taurus, ATACMS-Langstreckenraketen usw. verlagern.

Die USA erwägen die von der Ukraine seit langem geforderte Entsendung von ATACMS-Langstreckenraketen, die tief im russischen Hoheitsgebiet einschlagen können. Das Provokanteste daran ist, dass bei solchen Operationen bemannte und unbemannte Aufklärungsplattformen der NATO zum Einsatz kommen sollen, was die USA quasi zum Mitkriegsgegner macht.

Russland hat sich bei Angriffen auf die Quelle solcher feindlichen Fähigkeiten bisher zurückgehalten, aber wie lange diese Zurückhaltung noch andauern wird, kann man nur vermuten. Auf eine gezielte Frage, wie Washington die Angriffe auf russisches Territorium mit amerikanischen Waffen und Technologien sehe, antwortete Blinken, dass die zunehmende Zahl von Angriffen auf russisches Territorium durch ukrainische Drohnen darauf abziele, "wie sie [die Ukrainer] ihr Territorium verteidigen und wie sie daran arbeiten, das zurückzuerobern, was ihnen entrissen worden ist. Unsere [amerikanische] Rolle und die Rolle von Dutzenden anderer Länder auf der ganzen Welt, die sie unterstützen, besteht darin, ihnen dabei zu helfen."

Russland wird eine solche dreiste Eskalation nicht einfach hinnehmen, zumal diese fortschrittlichen Waffensysteme, mit denen Russland angegriffen wird, in Wirklichkeit von NATO-Personal bedient werden   – von Auftragnehmern, ausgebildeten Ex-Militärs oder sogar dienenden Offizieren. Präsident Putin erklärte am Freitag vor den Medien, dass "wir ausländische Söldner und Ausbilder sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in den Ausbildungseinheiten entdeckt haben. Ich glaube, gestern oder vorgestern wurde wieder jemand gefangen genommen."

Die USA gehen davon aus, dass Russland irgendwann zu Verhandlungen gezwungen sein wird und es zu einem eingefrorenen Konflikt kommen wird, bei dem die NATO-Verbündeten die Möglichkeit hätten, die militärische Aufrüstung der Ukraine und den Prozess, der zur Mitgliedschaft des Landes in der Atlantischen Allianz führen soll, fortzusetzen, so dass sich die Biden-Regierung auf den indopazifischen Raum konzentrieren könnte.

Russland wird sich jedoch nicht mit einem "eingefrorenen Konflikt" zufriedengeben, der weit hinter den Zielen der Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine zurückbleibt, die die Hauptziele seiner speziellen Militäroperation sind.

Angesichts dieser neuen Phase des Stellvertreterkriegs bleibt abzuwarten, welche Form die russische Vergeltung annehmen wird. Es könnte mehrere Möglichkeiten geben, ohne dass Russland NATO-Gebiete direkt angreift oder Atomwaffen einsetzt (es sei denn, die USA führen einen Atomangriff durch   – wofür die Chancen derzeit gleich null sind).

Schon jetzt kann man die mögliche Wiederaufnahme der militärisch-technischen Zusammenarbeit zwischen Russland und der DVRK (möglicherweise einschließlich der ICBM-Technologie) als eine natürliche Folge der aggressiven US-Politik gegenüber Russland und ihrer Unterstützung für die Ukraine sehen   – ebenso wie der aktuellen internationalen Lage. Heute geht es um die Demokratische Volksrepublik Korea, morgen könnte es um den Iran, Kuba oder Venezuela gehen   – was Oberst MacGregor als "horizontale Eskalation" durch Moskau bezeichnet. Die Situation in der Ukraine ist inzwischen mit den Problemen der koreanischen Halbinsel und Taiwans verflochten.

Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte am Mittwoch im Staatsfernsehen, dass Russland "keine andere Wahl" habe, als einen Sieg in seiner militärischen Sonderoperation zu erringen, und dass es bei seiner Hauptaufgabe, die Ausrüstung und das Personal des Feindes niederzumähen, weiter vorankommen werde. Dies deutet darauf hin, dass der Zermürbungskrieg weiter intensiviert wird, während sich die Gesamtstrategie auf einen totalen militärischen Sieg verlagern könnte.

Das ukrainische Militär sucht verzweifelt nach Soldaten. Allein in der 15-wöchigen "Gegenoffensive" wurden über 71.000 ukrainische Soldaten getötet. Es ist davon die Rede, dass Kiew sich um die Rückführung seiner Staatsangehörigen im wehrfähigen Alter aus den Reihen der Flüchtlinge in Europa bemüht. In Erwartung eines länger andauernden Konflikts geht die Mobilisierung in Russland hingegen weiter.

Putin teilte am Freitag mit, dass sich 300.000 Menschen freiwillig gemeldet und Verträge unterschrieben haben, um den Streitkräften beizutreten, und dass neue Einheiten gebildet werden, die mit fortschrittlichen Waffentypen und Ausrüstungen ausgestattet sind, "und einige von ihnen sind bereits zu 85-90 Prozent ausgerüstet".

Sobald die ukrainische "Gegenoffensive" in einigen Wochen als massiver Fehlschlag endet, werden die russischen Streitkräfte höchstwahrscheinlich eine groß angelegte Offensive starten. Denkbar ist, dass die russischen Streitkräfte sogar den Dnjepr überqueren und die Kontrolle über Odessa und die Küstenlinie zur rumänischen Grenze übernehmen, von wo aus die NATO Angriffe auf die Krim unternimmt. Die Einkreisung Russlands im Schwarzen Meer hat für die anglo-amerikanische Achse immer höchste Priorität gehabt.

Sehen Sie sich das hervorragende Interview von Oberst Douglas MacGregor mit Professor Glenn Diesen von der Universität Nordost-Norwegen an.

Quelle: https://www.indianpunchline.com/bidens-phase-of-ukraine-war-is-beginning/
Die Übersetzung besorgte Andreas Mylaeus

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