Programmbeschwerde 22/11/15 wegen unqualifizierter und tendenziöser Berichterstattung über die Lage auf der Krim
von Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer
Herrn NDR-Intendant L. Marmor -- l.marmor@ndr.de
Betreff: http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-11279.html
Sehr geehrter Herr Marmor,
es wird Sie nicht überraschen. ARD-aktuell liefert ja mittlerweile notorisch schwerwiegende Gründe dafür:
Wir geben eine weitere Programmbeschwerde wegen Verletzung des Programmauftrags und der Programmrichtlinien des Rundfunkstaatsvertrags resp. des Staatsvertrags über den NDR ein. Wir beschränken uns dabei auf die Tagesschau um 20 Uhr, obwohl ARD-aktuell vergleichbare fehlerhafte Berichterstattung in allen seinen Formaten an diesem Tag vorzuwerfen ist.
Anmerkung zum einleitenden Sprechertext vor dem Korrespondentenbericht
Sprecher J. Hofer:
„....Die Krim war im vergangenen Jahr von Russland annektiert worden. (...)“
Verletzung der Pflicht zur Sachlichkeit und zum Bemühen um Objektivität.
Ob es sich bei der Loslösung der Autonomen Republik Krim von der Ukraine und der Angliederung an Russland um völkerrechtswidrige „Annexion“ gehandelt hat oder nicht, ist international nach wie vor umstritten. Eine alleingültige juristische Lehrmeinung gibt es dazu weltweit nicht, auch nicht in Deutschland. Gegensätzlicher, als die Überlegungen der beiden Hamburger Professoren Dr. Luchterhandt und Dr. Merkel sowie Prof. Dr. Schachtschneider sind kaum Positionen denkbar:
- http://www.ostinstitut.de/documents/Vlkerrechtswidrigkeit_der_Unabhngigkeitserklrung_und_des_Referendums_der_Krim.pdf
- http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-krim-und-das-voelkerrecht-kuehle-ironie-der-geschichte-12884464.html
- http://der-klare-blick.com/?p=36114
Die UN-Generalversammlung lehnte zwar im März 2014 mit Mehrheit eine Anerkennung des Sezessions-Referendums der Krim ab. Die entsprechende Resolution hat jedoch keine bindende Wirkung, sie ist als rein politische, nicht als eine völkerrechtliche oder gar als „moralische“ Wertung anzusehen. Erklärlich ist das Stimmergebnis (100 Ja, 11 Nein, 67 Enth), weil viele Staaten selbst mit Sezessionsbestrebungen zu kämpfen bzw. solche zu fürchten haben. Für eine völkerrechtlich relevante Entscheidung kämen nur der UN-Sicherheitsrat oder der Internationale Gerichtshof in Den Haag infrage. Von beiden Institutionen liegt aus unterschiedlichen Gründen kein Urteil dazu vor.
Dem Fairness- und Ausgewogenheitsgebot lt. Rundfunkstaatsverstrag (§11,e) und Staatsvertrag über den NDR (§§ 5,7,8) folgend hätte ARD-aktuell die fehlende Eindeutigkeit berücksichtigen und z.B. auch das Votum der Krimbewohner selbst bedenken müssen: Eine überwältigende Mehrheit hatte in geheimer Wahl für den Austritt aus der Ukraine und den Anschluss an Russland gestimmt. Zwar gehen auch über die Gültigkeit dieser Voten die Ansichten in Wissenschaft und Politik auseinander. Aber das erlaubt der ARD-aktuell-Redaktion trotzdem nicht, einfach einseitig „Russland hat annektiert“ zu berichten. Das ist unzulässige distanzlose Parteinahme.
Nun zum Korrespondentenbericht über die ukrainischen Sprengstoffanschläge auf die Stromversorgung der Krim:
G. Atai ( über Krimtataren und ukrainischen Nationalisten):
„(...) Seit zwei Monaten protestieren sie gegen Russlands Annexion der Krim. Gestern Abend noch versuchte die ukrainische Polizei, die Aktivisten zu vertreiben – einige wurden dabei verletzt. Seit der Annexion hat Russland die Rechte der tatarischen Minderheit auf der Krim beschnitten, Kiew solle deshalb den Handel mit der Krim und die Stromversorgung einstellen, fordert der Anführer der Proteste (...) Der von Russland eingesetzte Regierungschef sprach von einem Terrorakt (...) In Kiew: Krimtataren und andere Ukrainer protestieren gegen die Unterdrückung ihrer Blockade (...)“
Der Einfachheit und der Klarheit halber übernehmen wir hier nahezu wortgetreu die Kommentierung auf der Internet-Seite:
„(...) Bombenanschläge auf die Stromversorgung der Krim als das Werk von „Aktivisten“ zu verharmlosen (...) Tatsächlich kann von einer Unterdrückung der Krim-Tataren überhaupt keine Rede sein. Nach dem Wiederanschluss der Krim an Russland wurde ihre Sprache sogar zur dritten Amtssprache erhoben. Der russische Staat sagte ihnen zu, unter der Sowjet-Herrschaft enteignete Schulen, Kultstätten und Moscheen wieder in ihr Eigentum umzuwandeln
und Krim-Tataren genießen als geschützte MinderheitSitze in allen Machtorganen der Republik.
http://de.sputniknews.com/russland/20150404/301775666.html
Auch dass Sergej Aksjonow ein “von Russland eingesetzter Regierungschef” sein soll, ist unzutreffend. Tatsächlich wurde bereits vor über einem Jahr – am 14. September 2014 – auf der Kriem ein neues Parlament gewählt
https://en.wikipedia.org/wiki/Crimean_parliamentary_election,_2014
Die Partei von Aksjonow “Einiges Russland” gewann die Wahlen mit über 70%; das neue Parlament berief Aksjonow drei Wochen später, am 9. Oktober 2014, zum Ministerpräsidenten der Republik Krim.
Zu ergänzen ist noch, dass eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu gehört, die Proteste Kiewer Rechtsnationalisten gegen das ohnehin sehr zögerliche Vorgehen der ukrainischen Polizei als „gegen die Unterdrückung ihrer Blockade“ gerichtet zu interpretieren und nicht als faschistoide Unerstützung eines terroristischen Anschlags.
Wir ersuchen um Prüfung unserer Beschwerde
Höflich grüßen
Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer
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