Sehr geehrter Herr Dr. Bertolaso,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir - die einhundertsiebenundvierzig (147) Unterzeichner dieses Schreibens - Unterstützer und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, die versuchen, die Öffentlichkeit über die Hintergründe des Nahost-Konflikts aufzuklären, haben es regelmäßig mit Offiziellen - Kommunal-, Landes- und teilweise Bundespolitikern - zu tun, deren Unwissenheit über den Nahen Osten geradezu erschreckend ist.
Dies ist nach unserem Eindruck auch darauf zurückzuführen, dass die Medien im Nahost-Umfeld eine Filter-Blase errichtet haben, durch die fast ausschließlich Informationen dringen, die zu dem israelischen Narrativ passen, demzufolge Israel das Opfer der von ihm seit über einem halben Jahrhundert unterdrückten Palästinenser sei.
An dieser Filterblase ist leider auch Ihr Haus beteiligt, wie dieser Beitrag - Tote bei Protesten an Gaza-Grenze - vom 30. März zeigt, dessen Verfasser sich über journalistische Grundsätze freizügig hinweggesetzt haben, wie wir nachfolgend zeigen.
Angesichts dieser Defizite und deren Konsequenzen möchten wir Sie hiermit darum bitten, uns zu erklären, wie es zur Veröffentlichung dieser Nachricht kam - sowie darum bitten, in Ihrem Haus auf die Einhaltung journalistischer Standards zu drängen - natürlich nicht nur, wenn es um den Nahost-Konflikt geht.
Journalistische Defizite in "Tote bei Protesten an Gaza-Grenze":
Tatsächlich standen auf der einen Seite unbewaffnete Demonstranten und auf der anderen Seite eine Armee, die mehr als fünfzehn Demonstranten kaltblütig niederschoss und mehrere hundert Verletzte.
Die Formulierung "schweren Auseinandersetzungen" verstößt somit gegen den journalistischen Grundsatz der Angemessenheit und der Sorgfaltspflicht.
Das ist ein Verstoß gegen den journalistischen Grundsatz der Sorgfaltspflicht.
Siehe Wikipedia: "Unter dem Rädelsführer einer Gruppe versteht man ihren Anstifter bzw. Anführer. Der Ausdruck wird ausschließlich in negativem Zusammenhang verwendet."
Es liegt somit ein Kommentar in einer Nachricht vor - was nach üblichen journalistischen Standards unzulässig ist.
Die dort vorliegende indirekte Rede ist nach unserem Erachten nicht "indirekt" genug, um die notwendige Distanz zu den israelischen Verlautbarungen zu schaffen.
Hier findet also keine Auseinandersetzung zwischen Staaten oder staatlichen Akteuren statt - sondern in einem Staat. Israel hat Gaza abgeriegelt, eingezäunt und das Gebiet zum Feindstaat erklärt - und belagert es seit zehn Jahren. Das ist völkerrechtlich illegal. Gaza ist bereits qua seiner Existenz ein Kriegsverbrechen - und israelische Soldaten, die auf unbewaffnete Demonstranten schießen, sind Kriegsverbrecher.
Ohne das Wissen um die obigen Punkte ist es praktisch unmöglich, die Ereignisse vom Karfreitag politisch einzuordnen. Und die Vermittlung dieses Wissens ist doch nach unserem Wissen eine der Aufgaben Ihres von unseren Gebühren finanziertem Hauses.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Siemon <siemon@ipk-bonn.de>
Stellvertretender Vorsitzender Institut für Palästinakunde e.V. Bonn Weissenburgstrasse 11, 53175 Bonn
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