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Nach dem Parteitag der AfD  – Deutschland im Kampagnen-Wahn?

von Karl-Jürgen Müller
11. Mai 2016
Auf ihrem Bundesparteitag am 30. April und 1. Mai hat die noch junge Partei «Alternative für Deutschland» (AfD) ihr Grundsatzprogramm verabschiedet. Das Programm hat einen Umfang von mehr als 70 Seiten. Das Themenspektrum beginnt nach einer Präambel mit dem Kapitel «Demokratie und Grundwerte», es folgt das Kapitel «Euro und Europa»,

weiter geht es mit den Kapiteln «Innere Sicherheit und Justiz», «Aussen- und Sicherheitspolitik», «Arbeitsmarkt und Sozialpolitik», «Familien und Kinder», «Kultur, Sprache und Identität», «Schule, Hochschule und Forschung», «Einwanderung, Integration und Asyl», «Wirtschaft, digitale Welt und Verbraucherschutz», «Finanzen und Steuern», «Energiepolitik», «Natur- und Umweltschutz, Land- und Forstwirtschaft», schliesslich «Werterhalt vor Modernisierung und Neubau». Über alle diese inhaltlichen Punkte könnte berichtet werden, kann, darf und soll es andere Meinungen geben, müsste sachlich und auch kontrovers diskutiert werden.

Aber im Mainstream-Deutschland ist all dies nicht der Fall. Statt dessen gibt es abschätzige Etiketten: «plumper Populismus» (Gerda Hasselfeldt, CSU), «wirre Rechtsaussenpartei» (Ralf Stegner, SPD), «reaktionär» (Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen) usw. usw. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies hier ist keine Werbung für die AfD. Es geht um Gebote der politischen Kultur. In Deutschland macht sich politische Unkultur breit. Man lese nur die deutschen Medien-Kommentare und Politiker-Stellungnahmen nach dem Parteitag.

Der Parteitag hatte einen Gastredner: den ehemaligen Präsidenten der Tschechischen Republik Vaclav Klaus. Den mag im EU-Mainstream niemand so recht, weil er einen eigenen Willen hat, weil er die EU und den Euro kritisch sieht und weil er lange gezögert hat, den Vertrag von Lissabon zu unterzeichnen.

Martin Schulz (SPD) und Daniel Cohn-Bendit (Bündnis 90/Die Grünen) waren damals extra auf die Prager Burg gereist, um den Präsidenten massiv unter Druck zu setzen. So zeigten sie ihr Verständnis von Souveränität eines Landes und Unabhängigkeit eines Staatsoberhauptes. Dieser Vertrag von Lissabon war fast derselbe Text wie der von den Bürgern Frankreichs und der Niederlande in Volksabstimmungen mit Mehrheit abgelehnte.

Die EU hatte den Text weitgehend belassen, ihm nur einen anderen Namen gegeben und kein Volk mehr darüber abstimmen lassen, bis auf das irische   – weil es das einzige Land der EU ist, in dem dies so vorgeschrieben ist. Die Iren hatten zuerst auch diesen Text abgelehnt. Dann wurden den Iren die Daumenschrauben angelegt, unter anderem mit einer massiven Kampagne gegen die dortige katholische Kirche. In der Sache nicht ganz zu Unrecht, aber der Zeitpunkt war doch sehr auffällig. Die Iren sind in die Knie gegangen und haben ja sagen müssen.

Besagter Vaclav Klaus also war der Gastredner bei der AfD in Deutschland. Was er sagte, stimmt nachdenklich: nicht in erster Linie mit Blick auf die AfD, aber mit dem Blick auf Deutschland.

Der ehemalige Präsident der Tschechischen Republik sagte: «Die Stufe der Dämonisierung Ihrer Partei in der deutschen Politik, in den deutschen Medien und in der akademischen und kulturellen Sphäre ist absurd und übermässig, falsch und lügenhaft, aber leider bei vielen Leuten wirksam.» Und er sagte weiter: «Die Brutalität der Angriffe zeigt, dass Sie Recht haben und dass Ihre Kritiker Angst bekommen haben. Diese Leute wollen keine Pluralität des politischen Denkens und keine Demokratie. Deshalb müssen Sie für die Pluralität, die die Basis der Demokratie ist, und für die Rechtfertigung verschiedener, sogar kontroverser Ansichten kämpfen. Ihre Partei muss die vernichtende politische Korrektheit ablehnen. Sie muss die heutige De-Demokratisierung der deutschen Gesellschaft als die fatale Bedrohung der bürgerlichen Freiheit in Deutschland bezeichnen.»

Und dann noch: «Ihr heutiger Kongress muss […] Grundlegendes sagen. Nicht alle Details, nicht alle Themen und Subthemen, nicht alle Gebiete des politischen Diskurses, aber die Rahmen der Parteiideologie müssen ganz eindeutig deklariert werden. Dazu gehört zum Beispiel, etwas zu Europa zu sagen, zur Migration, zu der stetig wachsenden Regulierung und Manipulierung nicht nur der Wirtschaft, sondern auch unseres Privatlebens, zu den vernichtenden Angriffen auf unsere Traditionen, Sitten, Bräuche und Werte, die zu uns gehören, die wir von unseren Eltern und Grosseltern geerbt haben. Sie müssen die hoffnungslose Sackgasse der heutigen europäischen Entwicklung beschreiben und den Weg daraus weisen.»

Es ist hier nicht wichtig, ob der AfD dies gelungen ist. Aber Vaclav Klaus geht von einer Analyse aus, die aufhorchen lassen muss. Und er charakterisiert einen politischen Umgang in Deutschland, der jeden Anstand und jeden demokratischen Grundsatz verloren hat.

Nun berichtete die Zeitung «Bild» am 3. Mai: «CDU-Chefin Angela Merkel deutete angesichts der AfD-Wahlerfolge erstmals eine Kurskorrektur an. ‹Bild› erfuhr: Im CDU-Präsidium sagte Merkel nach Angaben von Teilnehmern, die Union müsse verstärkt auch auf konservative Wähler rechts von der politischen Mitte zugehen. Sie rege auch eine neue Strategie im Umgang mit der AfD an. Es sei nicht sinnvoll, auf die AfD und ihre Wähler immer nur einzuprügeln. Das schaffe nur Solidarisierungseffekte.»

Eine neue Taktik in Anbetracht desaströser Wahlergebnisse der vergangenen Monate?
Indes: Schon einen Tag später meldete die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», die Kanzlerin sei falsch zitiert worden: «Aus Teilnehmerkreisen [des CDU-Präsidiums] erfuhr [die Nachrichtenagentur] AFP, die in dem Bericht [der Zeitung ‹Bild›] zitierten Aussagen seien so nicht gefallen. In der CDU-Zentrale wurde zudem betont: ‹Es gibt keinen Kurswechsel›.»

Bleibt als Fazit: So wie in einigen anderen europäischen Ländern wissen die bislang tonangebenden politischen Kreise auch in Deutschland nicht so recht, wie sie mit den Bürgern umgehen sollen, die ihnen nicht mehr folgen wollen. Alle Diffamierungen haben nicht verhindern können, dass immer mehr Bürger der «Alternativlosigkeit» der bisherigen Politik kein Vertrauen mehr schenken und nach Alternativen suchen.

«Knüppel aus dem Sack» im Umgang mit diesen ­Positionen jenseits des «politisch Korrekten» kommt nicht mehr gut an. Eine solche Politik wird auch Deutschland schaden und herbe Verluste bringen: an Reputation, aber auch an innerem Frieden. Kann daran jemand ein Interesse haben?

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Quelle: Zeit-Fragen
http://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2016/nr-11-10-mai-2016/nach-dem-parteitag-der-afd-deutschland-im-kampagnen-wahn.html