«Fünfzehn Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt» – Wozu?
Ein Großteil dieser Menschen kam aus Flüchtlingslagern der Türkei oder über die Türkei und dann weiter über die sogenannte Balkanroute, das heißt von der Türkei weiter nach Griechenland, Mazedonien, Serbien, dann Ungarn oder Slowenien oder Kroatien, schließlich Österreich und von da ins Zielland Deutschland. In den Monaten zuvor hatten viele Regierungen, auch die deutsche, die Hilferufe internationaler Organisationen, dringend mehr Geld für die Flüchtlingslager in der Türkei und im Nahen Osten zur Verfügung zu stellen – es ging um Beträge im Millionenbereich – unerhört gelassen. Nachdem die große Zahl der Migranten nach Deutschland gekommen war, war es nun aber der Regierung möglich, Milliardenbeträge in zweistelliger Höhe bereitzustellen.
Migrationspolitik mit politischer Agenda
Bekannt wurde, nicht zuletzt durch ein Buch von Friederike Beck («Die geheime Migrationsagenda. Wie elitäre Netzwerke mithilfe von EU, UNO, supereichen Stiftungen und NGOs Europa zerstören wollen», 2016), dass es nicht nur humanitäre Motive waren, die die deutsche Migrationspolitik bestimmten. Viele Hinweise und Belege sprechen dafür, dass mit der deutschen Migrationspolitik eine politische Agenda verfolgt wurde.
Hinzu kommen die ganz konkreten alltäglichen Probleme, die in wohlformulierten Proklamationen (siehe unten) keine Erwähnung finden. Aber sie sind sehr wohl mit dieser Migrationspolitik verbunden. Jeder, der vor Ort mit der Situation konfrontiert ist, weiß, was damit gemeint ist: von den sich nur schwerlich mindernden Sprachproblemen über die schier uferlosen Mühen mit zig Tausenden minderjährigen Migranten ohne Begleitung von Erwachsenen bis hin zur selbst von der deutschen Regierung eingestandenen Prognose, dass in 5 Jahren immer noch die Hälfte der Migranten ohne geregelte Arbeit sein wird. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass all die Menschen, die nach Deutschland kamen, eigentlich ein anderes Zuhause hatten.
Diese Politik und die damit einhergehende Polarisierung hat kurzzeitig die politische Landschaft in Deutschland verändert. Die Partei der Kanzlerin erlitt eine Reihe herber Wahlniederlagen, und eine neue Partei zog mit beachtlichen Wahlerfolgen in verschiedene Landesparlamente ein. Frau Merkel hat ihre Politik vom Sommer 2015 deshalb retuschiert. Aber sie hat sie niemals in Frage gestellt. Mittlerweile, so scheint es, hat sie sich damit auch durchgesetzt. Davon könnten die Landtagswahlergebnisse im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen zeugen.
Gleichklang der politischen und gesellschaftlichen Eliten …
Dass dies so möglich war, lag und liegt nicht zuletzt daran, dass es zwar großen Unmut innerhalb der Bürgerschaft gab, nicht aber innerhalb der oberen Ebene der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionäre. Diese haben von Beginn an den Kurs von Frau Merkel mitgetragen, und deshalb liegt auch die Vermutung nahe, dass die Kanzlerin zwar ohne Absprache mit den zuständigen Staatsorganen, aber sehr wohl mit großer Rückendeckung gehandelt hat. Warum sie diese Rückendeckung hatte und hat, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Sehr wahrscheinlich muss dabei berücksichtigt werden, welche Rolle Frau Merkel (verstärkt nach den US-amerikanischen Präsidentenwahlen) in der Weltpolitik zugedacht ist. Deutschland ist allem Anschein nach dafür prädestiniert, bei der Auflösung der bisherigen europäischen Staatenwelt und den dafür als notwendig erachteten Konflikten eine Vorreiterrolle zu spielen – gegen die Länder, die etwas anderes wollen als «Global governance» und «Global citizenship und denen Völkerrecht und Uno-Charta nach wie vor wichtig sind.
Nun, fast zwei Jahre nach der Entscheidung der Kanzlerin und wenige Monate vor den für sie entscheidenden Bundestagswahlen, hat die «Initiative kulturelle Integration» innerhalb des Deutschen Kulturrates «Fünfzehn Thesen zu kultureller Integration und Zusammenarbeit» vorgelegt. Mit der Vorstellung der Thesen am 16. Mai 2017 stellte sich sogleich alles, was gesellschaftspolitischen Rang und Namen in Deutschland beansprucht, als Autoren der Thesen vor:
ARD, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, Bundesministerium des Inneren, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Deutsche Bischofskonferenz, Deutscher Beamtenbund und Tarifunion, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutscher Journalisten-Verband, Deutscher Kulturrat, Deutscher Landkreistag, Deutscher Naturschutzring, Deutscher Olympischer Sportbund, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutscher Städtetag, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Evangelische Kirche in Deutschland, Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen Wohlfahrtsverband, Koordinationsrat der Muslime Kultusministerkonferenz, Neue Deutsche Organisation, Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, Verband Privater Rundfunk und Telemedien, ZDF, Zentralrat der Juden in Deutschland.
… und eine gut gelaunte Kanzlerin
Eine Pressemitteilung der Bundesregierung zeigt eine sichtlich gut gelaunte Kanzlerin dabei, wie ihr von zahlreichen Vertretern der oben genannten Verbände und Institutionen das Thesenpapier überreicht wird. Frau Merkel hat allen Grund, so zu schauen. Denn es geht ja darum, dass ihre Politik bestätigt wird.
Auf die Thesen selbst muss an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden. Vieles ist für jeden verfassungstreuen Bürger Deutschlands eine Selbstverständlichkeit, auch wenn es in den Thesen anders gewichtet und zielgerichtet umgedeutet wird. Nicht zu übersehen sind aber auch die polemischen Spitzen gegen alle, die die Migrationspolitik der Kanzlerin kritisiert haben, und die politische Stoßrichtung der Thesen.
Die politische Stoßrichtung der 15 Thesen
Man muss die Formulierungen nur richtig lesen. So heißt es schon in der Präambel: «Deutschland ist ein vielfältiges Land. Seit Jahrhunderten leben hier Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern. Die Mehrzahl derjenigen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, fühlt sich hier zuhause, viele sind inzwischen Deutsche.» Muss man aber nicht auch an die 63 Prozent der in Deutschland lebenden Türken denken, die für die neue türkische Verfassung und damit indirekt gegen das deutsche Grundgesetz gestimmt haben? … «Zuwanderung verändert eine Gesellschaft und erfordert Offenheit, Respekt und Toleranz auf allen Seiten. […] Das Schüren von Ängsten und Feindseligkeiten ist nicht der richtige Weg – wir stehen für eine weltoffene Gesellschaft.» Wer, bitte, schürt «Ängste und Feindseligkeiten»? Gibt es nicht auch berechtigte «Ängste» in Anbetracht der vielen Probleme, die mit der massenhaften Migration verbunden sind? Und wer definiert, was «weltoffen» ist? … «Der europäische Einigungsprozess ist nicht nur ein Garant für Frieden in Europa […], er steht zugleich für kulturelle Annäherung sowie für gemeinsame europäische Werte – wir wollen ein einiges Europa.» … Sie meinen die verkorkste EU und vergessen, dass sie nicht Europa ist.
In den Thesen heißt es unter anderem: «Umgangsformen, kulturelle Gepflogenheiten und traditionelle Gebräuche sind […] nicht starr, sondern unterliegen dem Wandel. Sie müssen sich im gesellschaftlichen Diskurs bewähren und weiterentwickeln, um ihre Berechtigung zu behalten.» … «Konstruktive Aushandlungsprozesse setzen Kompromissfähigkeit voraus. Sie sind das Gegenteil von Populismus, dessen Vertreterinnen und Vertreter nur die eigene Ansicht gelten lassen.» … «Integration ist ein Prozess, der beide Seiten, die Aufnahmegesellschaft und die Migrantinnen und Migranten, fordert. Hierzu gehört auch, Zugewanderte als selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft anzusehen. Deutschland ist ein Einwanderungsland.»
Von der «Formierten Gesellschaft» zum «Soft-Totalitarismus»
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) wollte in Anbetracht erster krisenhafter Entwicklungen in Wirtschaft und Politik Mitte der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts aus der Bundesrepublik Deutschland eine «formierte Gesellschaft» machen. Sein Konzept sah vor, nur noch die Interessen und Meinungen gelten zu lassen, die sich aus «gemeinschaftlichen» Zielvorstellungen herleiten. Gegenläufige Tendenzen, so heißt es in einem zeitgenössischen Lexikon, sollten durch eine starke staatliche Autorität gebremst werden.
Interessant ist, was die Wochenzeitung Die Zeit in einer Buchbesprechung vor fast 20 Jahren hierzu schrieb: Das Konzept der «formierten Gesellschaft» habe in den sechziger Jahren «die eher liberalen und linken Gemüter erregt.» Diese «witterten in der formierten Gesellschaft die autoritäre Versuchung der Deutschen, eine gewollte Disziplinierung der pluralistischen Gesellschaft». Nun, heute geben genau diese Kreise den Ton an … und erweisen sich als diejenigen, die genau das umsetzen, was sie Mitte der sechziger Jahre kritisierten und sich damals nicht durchsetzen ließ. Die Anhänger von Herbert Marcuse nennen es «repressive Toleranz».
Zur «formierten Gesellschaft» im Jahr 2017 gehören die «Fünfzehn Thesen zu kultureller Integration und Zusammenarbeit». Sie treten mit dem Anspruch auf – deshalb die vielen Unterzeichner –, dass niemand mehr widersprechen soll. Die Aura der «Alternativlosigkeit», mit der sich die deutsche Politik unter der Kanzlerin Merkel schon seit Jahren umgeben will, soll auf die Spitze getrieben werden. Von der heutigen «formierten Gesellschaft» ist es nur ein kurzer Weg hin zum «Soft-Totalitarismus». Wer mag da noch widersprechen?
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