Deutscher Staat und deutsche Parteien

von Karl-Jürgen Müller
Karl-Jürgen Müller ist Lehrer an einer deutschen Schule. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde.
29. April 2017
Artikel 1 der Verfassung der ehemaligen DDR lautete: «Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.»

Das deutsche Grundgesetz formuliert demgegenüber in Artikel 21: «Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.»

Das macht den Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie aus: In einer Diktatur beanspruchen eine oder mehrere Parteien (auch zur DDR-Einheitsliste gehörten verschiedene Parteien) die Führung des Staates, die staatlichen Entscheidungen werden in den Parteizentralen getroffen (in der DDR war es das ZK der SED), die Führungspositionen im Staat sind zwingend mit Parteikadern besetzt.

In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat sind Parteien und Staat grundsätzlich voneinander getrennt.

Souverän ist das Volk, die Staatsgewalt geht vom Volke aus, keine Partei ist Staatspartei, und der Staat ist auch keine Verfügungsmasse der Parteien. Die Staatsorgane verhalten sich gegenüber allen Parteien neutral. Es gilt der Grundsatz der Gleichberechtigung aller zugelassenen Parteien und der Gleichbehandlung durch staatliche Institutionen. Mit einer Besonderheit in Deutschland: Im Rahmen der «wehrhaften Demokratie» können verfassungswidrige Parteien vom staatlichen Verfassungsschutz beobachtet und gegebenenfalls vom Bundesverfassungsgericht verboten werden.

Das real existierende Deutschland hat sich von diesen Grundsätzen immer weiter entfernt. Schon lange spricht die Wissenschaft vom Parteienstaat. Aber es sind damit nicht alle Parteien gemeint. In der real existierenden Bundesrepublik Deutschland maßen sich CDU, CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke an, die alleinigen «Staats»parteien zu sein.

Jüngstes Beispiel für den diskriminierenden Umgang von staatlichen Institutionen mit anderen Parteien, die nicht zu diesem Kartell gehören, ist das Heft 1-2017 von «Bürger & Staat», herausgegeben von der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung.

Diese Einrichtung ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und dem Landtag von Baden-Württemberg zugeordnet. Diesem Landtag gehören derzeit 5 Parteien an: Bündnis 90/Die Grünen, CDU, AfD, SPD und FDP.

Das neue Heft der Landeszentrale mit dem Thema «Rechtspopulismus» enthält einen tendenziösen Artikel gegen eine der Parteien im Landtag, die AfD. Damit macht sich die Landeszentrale zum Gehilfen der mit der AfD konkurrierenden Parteien und verstößt somit gegen die ihr obliegende parteipolitische Neutralität.

Sollte dies niemandem außer dem Verfasser dieser Zeilen aufgefallen sein, so muss sich die Landeszentrale für politische Bildung die Frage gefallen lassen, wie es denn um die politische, demokratische und rechtsstaatliche Bildung in Baden-Württemberg bestellt ist. Sollte dies hingegen vielen aufgefallen sein, so müsste es deutliche Proteste geben. Die Forderung, das neue Heft (Redaktionsschluss war der 25. März 2017) zurückzuziehen, ist das mindeste. Deutschlands Rückkehr zu freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen ist der Ausblick.

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