WE: Wenn wir alle Informationen und Äußerungen der letzten Tage Revue passieren lassen, vor allem die von der deutschen Seite, können wir davon ausgehen, dass es so ist wie die Außenministerin Annalena Baerbock gesagt hat, dass Deutschland sich im Krieg befindet?
Dem deutschen Volke. Gilt es noch?
Willy Wimmer: Das, was in den letzten Tagen, vor allen Dingen was der Sendung von Anne Will zu entnehmen war, ist sehr präzise zu beschreiben. Es gibt offensichtlich einen riesigen Riss, der quer durch die Bundesregierung geht. Der Bundeskanzler bemüht sich in Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine einen Kurs zu fahren, bei dem möglichst vieles, was man aus deutscher Sicht bedenken muss, auch wirklich bedacht wird. Das äußert sich auch in der zur Verfügungstellung von militärischem Gerät. Die Außenministerin ist offensichtlich der Meinung, das hat sie bei Anne Will so deutlich gesagt, man müsse die Ukraine unterstützen, damit sie zum Sieg kommt und dieser Sieg soll völlig der Definitionshochheit der Ukraine zugeordnet werden können. Das heisst, man gibt eigentlich seine eigene Verantwortung an der Klinke der ukrainischen Regierung ab. Und das macht deutlich, dass wir es mit einer Regierung zu tun haben, die in einer existenziellen Frage für Deutschland mit gespaltener Zunge spricht. Wobei ich der Auffassung bin, dass der Bundeskanzler mit seiner vorsichtigeren Politik — nicht, dass ich sie teile — aber mit seiner vorsichtigeren Politik der Mehrheit der deutschen Bevölkerung voll und ganz entspricht und aus der Seele spricht.
WE: Woran liegt diese Überzeugung der Außenministerin, dass sie denken würde wie viele andere, die einen Krieg wollen und gleichzeitig damit die deutsche Bevölkerung vernachlässigt? Ist das eine politische Linie oder ist da auch eine Art Fremdeinfluss dabei?
Willy Wimmer: Man muss in Zusammenhang mit den Erfahrungen, die wir im Kosovokrieg gemacht haben — dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien — davon ausgehen, dass die Grünen 100-prozentig oder 150-prozentig die amerikanische Politik exekutieren. Das haben wir auch schon bei Joschka Fischer gesehen. Und bei dem, was wir seit ihrem Amtsantritt mit der Frau Baerbock erleben, ist da wohl kein Unterschied. Das haben wir in dieser Sendung von Anne Will auch gesehen. Sie hat ja die ganze Agenda der Vorwürfe gegen Russland heruntergebetet, fast automatisch, muss man sagen. Ich habe mich erinnert gefühlt an die Dinge von Herrn Scharping in Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg und seinem Gerede vom „Hufeisenplan“ und den Auschwitz-Vorwürfen von Joschka Fischer. Das heißt, es ist nichts neues. Das haben wir schon beim Jugoslawienkrieg erlebt und das wird jetzt wieder durchgezogen, mit dem Ergebnis, dass wir offensichtlich in einen großen Krieg gegenüber Russland hineingezogen werden sollen. Verantwortungsloser kann man Politik, auch deutsche Politik, überhaupt nicht betreiben, denn eins ist ja zu berücksichtigen. Wir verlieren unsere nationale Identität, wenn wir den Zweiten Weltkrieg und die Konsequenzen für die Sowjetunion aus unserem Gedächtnis ausklinken. Wenn man daran denkt, dann muss man bestimmte Konsequenzen ziehen, auch gegenüber dem heutigen Russland. Und die Grünen, die grüne Außenministerin, vermisst das völlig — an diese Konsequenzen zu denken. Der israelische Präsident hat bei seinem Besuch in Berlin gesagt „Wir vergessen nicht“. Und ich bin der Auffassung, dass das auch das Motto der Bundesregierung in Zusammenhang mit dem „Plan Barbarossa“ und den Konsequenzen sein muss.
WE: Dem deutschen Volke. Gilt es noch?
Willy Wimmer: Solange wir mit der Regierung in Bonn waren, gab es in Deutschland einen sehr selbstbewussten Staatsbürgertyp. Die Leute haben sich kein x vors u vormachen lassen, waren selbstbewusst und der Staat hat das respektieren müssen. Mit dem Umzug nach Berlin sind wir in eine andere Republik gewandert und wir haben es nicht mehr mit dem Staatsbürger zu tun, sondern der Staatsbürger ist jetzt der unterste Teil einer Schichttorte. Über dem Staatsbürger sind die Nicht-Regierungs-Organisationen, darüber kommt die Europäische Union, darüber haben wir die NATO. Das heißt, der deutsche Staatsbürger, wie er am Reichstag verewigt ist als „Dem deutschen Volke“, hat, von all denen, die in diesem Staat etwas zu sagen haben, das wenigste zu sagen. Das politische Berlin ist insoweit der Untergang des Staatsbürgers in Deutschland. Und das wird sich auch bei dieser Politik, die wir von Berlin aus jeden Tag erleben, jeden Tag so umsetzen. Das ist leider die Wirklichkeit, mit der wir es jeden Tag zu tun haben. Wenn es anders wäre, dann würden wir Kriege nicht führen, das ist sicher, denn das ist die Empfindungslage der deutschen Bevölkerung. Wir wollen keinen Krieg. Krieg ist für uns der Tod und der Untergang.
WE: Wenn wir die besagte Sendung von Anne Will genauer betrachten. Da kommt einem der Eindruck, dass die Grünen und die CDU eigentlich keine Lust mehr auf diese Regierung, auf diese Koalition haben und auf einen Bruch hinarbeiten. Ist es nur ein Gefühl oder ist es vorstellbar?
Willy Wimmer: Das ist aus meiner Sicht die logische Konsequenz aus der Sendung. Und nicht nur daraus, sondern auch aus dem Auftreten der CDU/CSU, der Liberalen und den Grünen im Deutschen Bundestag. Das kann man ja mit den Händen greifen, dass das, was sie gesagt haben, der Wirklichkeit entspricht. Und man muss vor diesem Hintergrund förmlich sehen, dass der Bundeskanzler sich in der eigenen Koalition in einer schwierigen Position befindet. Wenn in dieser existenziellen Frage die anderen Koalitionsmitglieder mit der Opposition in der CDU/CSU gemeinsame Sache machen. Das ist ja doppelt schwer, weil wir es in Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Ukraine damit zu tun haben, dass wir, die deutsche Seite, unter Führung von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, einen Kurs gefahren haben, der auf die Befriedung der Ukraine mit ihren inneren Spannungen ausgerichtet war. Anders kann man „Minsk 2“ und die ganzen Bemühungen ja gar nicht verstehen. Während die Politik der Vereinigten Staaten darauf gerichtet gewesen ist und immer noch ist, und es immer stärker exekutiert, die Ukraine als ihr Instrument im Kampf gegen die Russische Föderation und das Vertreiben Russlands aus Europa zu benutzen. Diese deutsche Politik von Angela Merkel zusammen mit Mitterand und Macron ist krachend gescheitert. Nicht, weil die Deutschen nicht dahinter gestanden sind oder die Franzosen. Sondern, weil die Vereinigten Staaten ihr Drehbuch brutal durchziehen. Und deswegen sind wir in einer Situation, wo die CDU/CSU, aus meiner Sicht, die vernünftige, europaangemessene Politik der Angela Merkel aus dem Fenster schmeisst.
WE: Kann man es so sehen, dass ein direkter Krieg zwischen Deutschland und der Russischen Föderation billigend in Kauf genommen wird?
Willy Wimmer: Wenn man die Äußerung der Außenministerin zum Nennwert nimmt — ich will es ihr ja nicht unterstellen — und die Dame schwadroniert vom Krieg und ähnlichen Dingen, dem endgültigen Sieg der Ukraine, da kann ich nur sagen, dann nimmt man jedenfalls den großen Krieg in Europa billigend in Kauf. Und wir sehen ja jetzt schon an den Stellungnahmen aus Polen, Rumänien und anderen Staaten in dieser Region, dass sie sich jetzt schon bemühen die Themen vorzubereiten, die die logische Konsequenz von Trianon und des Zweiten Weltkrieges in dieser Region zur Folge hatten. Das heißt, man muss sich nicht wundern, wenn die Grenzziehungen die es gibt in Ost- und Mittelosteuropa zur Disposition gestellt werden, mit der Konsequenz, dass wir in einem europäischen Blutbad landen. Und dazu haben die Grünen dann einen entscheidenden Beitrag geleistet.
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