Corona: Gesundheitsamtsleiter kritisiert Staatsregierung
Er ist nicht der einzige: In der Fachwelt gibt es eine Diskussion über die Bedeutung falscher Testergebnisse. Modellrechungen zufolge ist die Zahl "falsch Positiver" hoch. Der Virologe Christian Drosten dagegen sagt, in der Praxis komme das quasi nicht vor.
Pürner: andere Parameter beobachten
Gesundheitsamtschef Pürner plädiert trotzdem dafür, für den Inzidenzwert auch andere Parameter zu verwenden als positive Tests: "Ich würde beobachten, wie viele tatsächlich an Covid Erkrankte es gibt." Pürner schlägt "Sentinel-Praxen" vor, die es für Grippefälle schon gibt.
Die Meldepflicht von Corona-Fällen möchte Pürner erweitern: Auch die Stärke der Erkrankung sollte erfasst werden. Außerdem würde der Beamte und Mediziner berücksichtigen, wie viele Erkrankte ins Krankenhaus und auf die Intensivstation müssen.
Kritik am Kurs der Staatsregierung
Damit kritisiert er wesentliche Elemente der Corona-Politik von Ministerpräsident Markus Söder. Die Bundes- und die Staatsregierung haben sich darauf verständigt, ab bestimmten Inzidenzwerten die Anti-Corona-Maßnahmen zu verschärfen. Bei einem Wert von über 50 Infizierten gerechnet auf 100.000 Einwohner pro Stadt oder Landkreis gelten strengere Maßnahmen. Ab diesem Schwellenwert ist nach Einschätzung der "Superexperten von RKI und Universitäten" der Punkt, an dem die Nachvollziehbarkeit der Infektionsketten schwierig wird, argumentierte Söder vor einer Woche beim CSU-Parteitag.
Kritik auch von anderen Gesundheitsamtschefs
Bevor Pürner ans Gesundheitsamt Aichach ging, leitete er die Abteilung Epidemiologie und war Leiter der Taskforce Infektiologie am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Unterstützung erhält der Beamte auch vom Leiter des Frankfurter Gesundheitsamtes: René Gottschalk positionierte sich laut Medienberichten der vergangenen Tage ähnlich. Laut Gottschalk gibt es keine Übersterblichkeit bei Covid-19-Kranken.
Die Sterbestatistik, die die täglichen Sterbefälle erfasst, zeigt laut Gottschalk im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten, im Gegensatz zu der erkennbar höheren Sterbezahl während der Influenza-Zeiten 2017 und 2018 sowie während der Hitzeperiode im Juli 2018. Damit ist Covid-19 nach Gottschalks Einschätzung vergleichbar mit der Grippe. Er fordert eine breite gesellschaftliche Debatte, die mehr als nur virologische Aspekte mit einbezieht.
Pürner: Kinder ohne Maske in die Schule
Entscheidend war für die Staatsregierung auch die Maskenpflicht im Unterricht: "Gerade nach der Urlaubszeit war es wichtig, mit der Maske im Unterricht das Risiko fundamental zu reduzieren, damit nicht viele Schulen wieder geschlossen werden", sagte Söder vor einer Woche beim virtuellen CSU-Parteitag.
Auch hier widerspricht Pürner. Kinder sollten in der Schule keine Maske tragen müssen. Sie sollten in der Pause rausgehen und miteinander spielen dürfen. "Kinder brauchen das", sagt der Vater von drei Kindern. Und er verweist darauf, dass die Kinder sich ja nach der Schule auch privat ohne Maske träfen.
Beamtenrecht: Meinungsfreiheit und Zurückhaltungsgebot
Pürners Argumente sind nicht neu. Angeführt werden sie vor allem von denen, die sich mehr Lockerungen wünschen. Dass ein bayerischer Beamter, der als Leiter eines Gesundheitsamtes die Maßnahmen der Staatsregierung umsetzen muss, sich so deutlich gegen seinen Dienstherrn stellt, ist ungewöhnlich.
Wie das zuständige Finanzministerium mitteilt, gilt die Meinungsfreiheit auch für Beamte. Sie dürften daher auch Kritik an der Politik der Regierung oder Organen ihres Dienstherrn üben. Allerdings gebe es auch ein Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot.
"Weder Impfgegner noch rechtsradikal"
Pürner sagt, er sei weder Impfgegner, noch rechtsradikal. Er wolle nur seine fachliche Meinung äußern, auch als bayerischer Beamter. Intern kritisiere er einzelne Maßnahmen, die er fachlich unbegründet findet. "Remonstrieren" heißt das im Beamtenrecht. Dennoch setzt Pürner die Anweisungen aus dem Gesundheitsministerium nach eigenem Bekunden um. Er betont: "Ich will mich für keine Partei instrumentalisieren lassen, und am allerwenigsten für die AfD."
Vor allem auf Twitter verbreitet er seine von der Regierung abweichende Meinung. Er sei von Vorgesetzten darauf hingewiesen worden, den Titel "Leiter Gesundheitsamt" aus seinem Profil zu entfernen. Dem sei er auch nachgekommen.
Negative Konsequenzen fürchtet Pürner deshalb nicht. Er glaube an "Meinungsfreiheit und Demokratie".
Quelle: https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-gesundheitsamtsleiter-kritisiert-staatsregierung,SCRLYkJ
Weitere Beiträge in dieser Kategorie
- GfP: Die Konzentration der europäischen Rüstungsindustrie
- Kanzler Scholz braucht noch einen Wahrheitsminister
- Der Mord an Alfred Herrhausen - aktuell in der ARD-Mediathek
- Norbert Häring: Die Bundesbank beteiligt sich an der Verdrängung des Bargelds
- Verschiedene Stimmen zu den Wahlen in Deutschland vom 1. September 2024
- Neues vom Compact-Verbot – Die Krise der Pressefreiheit als Chance
- Pistorius ist ein Angstmacher, und Angst ist ein Gehirntöter
- Aya Velazquez: Was erfahren wir aus den RKI Files? - Teil 1
- Neues Magazin "Näncy" mit original COMPACT Texten aus 08/24!
- Aya Velazquez: RKI-LEAK: Alle Protokolle des RKI-Krisenstabs sind vollständig entschwärzt online
- Willy Wimmer: Trump zu unterstützen ist die erste Kanzlerpflicht
- Erinnerung an Wolfgang Jung, einen aufrichtigen Aufklärer und treuen Freund
- Friedensbewegung zwischen NATO-Mantra, Äquidistanz und Abgrenzung
- Willy Wimmer: Krieg oder Frieden: Wahlen in Ostdeutschland 2024
- Günter Verheugen: "Bei diesem Krieg wird so getan, als hätte es keine Vorgeschichte gegeben"
- Erklärung des Präsidiums des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden zur Friedensinitiave von Präsident Putin
- Wie ukrainisches Militär und deutsche Regierung gemeinsam die Rundfunkfreiheit aushöhlen
- Entschwärzte RKI-Protokolle: Die Behörden wussten, «das Hauptrisiko, an Covid-19 zu sterben, ist das Alter» – was bedeutet das nun?
- Verfassungsgericht erteilt Haldenwang und Faeser eine Lektion in Demokratie
- Vom Albtraum der Faeser-Demokratie
- Freispruch für den US-amerikanischen Autoren CJ Hopkins
- John Helmer: Wie die bösen Deutschen von ihren Generälen entlarvt wurden - und nicht nur von ihnen
- Das Berliner Kriegskabinett: auf Beutezug
- Meinungsterror wird deutsche Staatsräson