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von Friedrich Liebling 1951
9. Februar 2025

Polybios: Mensch und Technik


Friedrich Liebling* (1893 - 1982) Gründer und Leiter der Zürcher Schule für Psychotherapie*

(Red.) Diese seinerzeit von Friedrich Liebling unter dem Pseudonym Polybios veröffentlichten Gedanken über das Wesen von Mensch und Technik sind nicht nur von historischem Interesse, sondern aktueller denn je: sie verdeutlichen Lieblings unerschütterlichen Optimismus im Hinblick auf die Fortentwicklung der Menschheit und geben einen gerade heutzutage angesichts der vielen Kriege und Konflikte der Menschen und der schnell fortschreitenden technischen Entwicklung dringend benötigten Ausblick, wie der Mensch sich hin zu wirklicher Freiheit und Kultur entwickeln kann. (bp)

1. Die Technik als einer der entscheidendsten Faktoren im Leben der Neuzeit

Man kann nicht daran zweifeln, daß die Technik einer der wichtigsten Faktoren im Leben der Neuzeit geworden ist. Das Dasein des modernen Menschen ist durch und durch technisch bestimmt. Mit einem Souveränitätsanspruch sondergleichen hat das technische Verfahren in alle Lebensbereiche eingegriffen und die ihm eigene Gesetzlichkeit in alle Möglichkeiten des menschlichen Denkens und Handelns getragen. Nicht umsonst spricht man seit einigen Generationen vom «Maschinenzeitalter». Wir können sozusagen nichts tun, ohne auf die Hilfe der Technik zurückzugreifen. Der amerikanische Autor Stuart Chase schildert in seinem Buche «Men and Machines» mit frappanter Ironie die totale Technisierung der Gegenwart anhand eines Tagesablaufes:

«Das erste, was ich in aller Morgenfrühe höre, ist eine Maschine — mein Wecker. Er ruft, und ich gehorche… Als nächstes stehe ich auf und gehe ins Badezimmer… Nacheinander drehe ich an verschiedenen Hähnen und einem Mischventil, und eine mit kleinen Löchern versehene Metallscheibe überbraust mich mit Wasser. Wenn es die Jahreszeit erfordert, schalte ich mir dazu auch noch das elektrische Licht und einen elektrischen Ofen an. Falls gerade der erste oder der fünfzehnte des Monats ist, steige ich dann in den Keller hinab, nehme eine Kanne mit langem Gießer und öle einen Elektromotor, der Brennstoff in die Zentralheizung pumpt, einen anderen, der die Waschmaschine, einen dritten, der den Kühlschrank treibt. Inzwischen bereitet mir die elektrische Kochplatte schon mein Frühstück, und der elektrische Toaströster auf dem Tische, aus dessen Innerem ein so angenehm anzuhörendes Summen kommt, klappt plötzlich selbsttätig auf, als der Toast die richtige Bräunung hat. Ehe ich das Haus verlasse...»

Die Schilderung Stuart Chases erhellt schlaglichtartig die Tatsache einer technisierten Welt. Der Triumphzug der Maschine hat nirgends haltgemacht. Die gesamte Waren- und Güterproduktion wird gegenwärtig mit technischen Mitteln bewerkstelligt. Die Industrialisierung ist ebensowohl in der Landwirtschaft als auch in den gewerblichen Berufen zu finden. Ihren Gipfel erreicht sie in den modernen technischen Großbetrieben, deren Organisation selbst ein technisches Problem ersten Ranges darstellt. Neben ihrem produktiven Einsatz hat sich die totale Technisierung auch in den Dienst der Destruktion gestellt. Die Kriege unserer Epoche sind technische Kriege. Maschinen ziehen gegen Maschinen in das Feld. Tanks und Panzerwagen spielen in den kriegerischen Auseinandersetzungen eine große Rolle; das Flugzeug ist gleichsam zu einem Geschütz mit unbegrenzter Schußweite geworden; die gigantischen Schlacht- und Flugzeugmutterschiffe bilden schwimmende Bastionen, die mit einem ungeheuren technischen Aufwand in Bewegung gesetzt werden. Der Krieg ist ein technisches Phänomen geworden — sein Ausgang wird nicht mehr durch «Tapferkeit» und andere altmodische «Tugenden» bestimmt, sondern durch die technische Über- oder Unterlegenheit.

Die technische Lebensform hat sich derart weitgehend durchgesetzt, daß auch das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen sich ihr angepaßt hat. Der moderne Staat verfügt über eine gewaltige Maschinerie, die seine Macht ins Überdimensionale vermehrt hat. Es scheint in der Tendenz der Zeit zu liegen, diese Machtfülle noch auszuweiten. Der Ruf nach einer totalen Planung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens kommt nicht zum Verstummen. Die Ökonomie der Länder, Kontinente und des ganzen Erdballs soll harmonisiert, rational durchdacht und technisch sinnvoll gestaltet werden. Der Machtbereich der Technik, heute schon unermeßlich, soll noch ausgeweitet werden. Wenn der Augenschein nicht trügt, gehen wir Zeiten entgegen, die noch mehr durch das technische Prinzip determiniert sein werden als die unsrige. Angesichts dieser Situation drängt sich eine Besinnung über das Wesen und die Grundlage des technischen Menschentums auf. Wie ist es überhaupt dazu gekommen, daß die Welt derart «technisiert» wurde? Welches sind die geschichtlichen Ausgangspunkte der heutigen technischen Welt? Was ist das Wesen der Technik und in welcher Beziehung steht sie zum Wesen des Menschen? Zu Religion, Kunst und Ethik? Was ist die Zukunft der Technik? Auf diese Fragen soll im folgenden knapp und andeutungsweise die Antwort gegeben werden.

2. Die geschichtlichen Grundlagen der Technik

Die Geschichte der Technik ist ebenso alt wie die Geschichte der Menschheit. Naturgemäß darf man hier nicht nur an die Maschinentechnik denken. Auch das Werkzeug, selbst das primitivste, ist schon ein technischer Gegenstand. Schon beim frühesten Auftreten des Menschen läßt sich, mittels Ausgrabungen, der Werkzeuggebrauch feststellen. Der Mensch ist «a tool-making animal» (Franklin)[1]. Der Beginn der Seßhaftigkeit, des Ackerbaus, der Viehzucht und des frühen städtischen Gemeinwesens bringen die ersten Fortschritte in den technischen Gestaltungsmöglichkeiten. Zum Feuer gesellen sich der Pflug, das Rad, der Hebel und eine Mannigfaltigkeit von technischen Gebrauchsgegenständen, die die Kräfte des Menschen vervielfachen. Die Naturbeobachtung erweitert die Kenntnisse des Menschen und gestattet ihm, in den Ablauf des Naturgeschehens einzugreifen, um sich diesen durch Steuerung dienstbar zu machen. Die Kraft des bewegten Wassers und des Windes werden ausgenützt. Mechanische Vorrichtungen, die sich der Triebkraft des tierischen oder menschlichen Organismus bedienen, kompensieren die schwache Zug- und Stoßkraft des menschlichen Armes. Die Antike gelangt bereits mittels ihrer noch äußerst unvollkommenen technischen Einsichten zu Leistungen, die uns immer wieder Bewunderung abnötigen.

Trotz diesen Kenntnissen und Fähigkeiten kann man weder dem Altertum noch dem Mittelalter eine eigentliche Technik zusprechen. Technik als dominierendes Phänomen der Lebensgestaltung ist ein Ereignis der Neuzeit, ein historischer Prozeß, der erst mit dem Zusammenbruch des mittelalterlichen Lebens und Denkens einsetzt. Zur Entwicklung der abendländischen Maschinentechnik, die sich in den letzten Jahrhunderten monumental entfaltet hat, gehört der Aufstieg des Frühkapitalismus, ein Machtlos-Werden des scholastisch-religiösen Denkens, die aufstrebende Naturwissenschaft, die rationalistische Philosophie und der Erfolg des Protestantismus, der dem katholischen Glauben eine neue Lehre von Gott, Welt und menschlichem Leben entgegensetzte.

Erst nachdem sich im 15., 16. und 17. Jahrhundert die fundamentalen Wandlungen in Philosophie, Wissenschaft, Religion, Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben vollzogen hatten, konnte die technische Entwicklung jene verblüffenden Formen annehmen, die in Tempo und Größe das Unmögliche möglich machten. Das veränderte Weltbild bedingt die Entstehung eines neuen Menschentypus et vice versa. An Stelle des auf Gottes Hilfe hoffenden Menschen tritt ein souveräner Gestalter der Welt. Die Erde ist nicht mehr ein Jammertal, eine Durchgangsstation für leidende Seelen — das Leben im Diesseits hat seinen eigenen Sinn, den der Mensch durch seine Werktätigkeit realisiert. Der Protestantismus liefert das Arbeitsethos, mit dem das kapitalistische Produktionssystem seine riesenhafte Leistungskapazität erreicht. Wissenschaft und Technik arbeiten einander in die Hände, indem der wissenschaftliche Fortschritt neue Erfindungen und Entdeckungen vorbereitet, während manche technische Neuerung zu veränderten naturwissenschaftlichen Hypothesen und Theorien führt.

Es liegt ein großartiges Pathos in den technischen Bestrebungen, mittels derer sich die anbrechende Neuzeit in ein gänzlich neues Verhältnis zur Natur, zur belebten und unbelebten Wirklichkeit setzt. Der Mensch versucht, dem von der Überlieferung genannten Gott und Schöpfer seinen Rang streitig zu machen. Er wird selbst zum Schöpfer und Schaffenden, der in prometheischer Weise von der Erde Besitz ergreift. Nichts hält seinen Forscher- und Gestaltungsdrang zurück. Alles will er wissen, erkennen, umwandeln, für seine Lebenssicherung brauchbar machen. Dieser homo factivus erfährt die Begrenztheit der Welt und fühlt in sich die Unbegrenztheit seines Willens, diese Welt nach seinem Maß und Bedürfnis zu prägen. Mit einem geradezu religiösen Enthusiasmus — im Sinne einer «Menschheitsreligion» — gehen Erfinder und Entdecker, Männer der Wirtschaft und der Wissenschaft daran, das Antlitz der Erde zu verändern und die Macht des Menschen auszuweiten.

Die das Menschentum der Neuzeit auszeichnende Grundhaltung, aus der Technik, Naturwissenschaft und philosophisches Denken der Moderne hervorgingen, kommt sehr schön zum Ausdruck in einer Stelle in den «Chemischen Briefen» des berühmten Chemikers Justus von Liebig; dieser schreibt: «Es war nötig, daß Tausende von Männern, mit allem Wissen ihrer Zeit ausgerüstet, von einer unbezwinglichen, in ihrer Heftigkeit an Raserei grenzenden Leidenschaft erfüllt, ihr Leben und Vermögen und alle ihre Kräfte daransetzen, um die Erde nach allen Richtungen zu durchwühlen, daß sie, ohne müde zu werden und zu erlahmen, alle bekannten Körper und Materien, organische und unorganische, auf die verschiedenartigste und mannigfaltigste Weise miteinander in Berührung brachten.»

Von dieser Leidenschaft in Forschung und Gestaltung, mit der der technische Mensch der Neuzeit ausgestattet ist, berichtet auch Bergius, der berühmte Erfinder der Kohleverflüssigung, in einer Rede vor der Schwedischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1931:

«... die einmal angefaßten Probleme reißen den, der von ihnen besessen ist, immer weiter fort, immer tiefer hinein und verstricken ihn in ihre Bande und in ihren Dienst mit Leib und Seele, mit Hab und Gut, bis die Probleme gelöst sind oder ihr Adept besiegt am Boden liegt.»

Man versteht die totale Technisierung der Neuzeit nur dann, wenn man sie in Beziehung bringt zu einer wesensmäßigen Wandlung der menschlichen Lebenseinstellung, der Haltung des Menschen gegenüber Welt, Mensch und Leben. Die Technik ist Ausdruck und Symbol eines spezifischen Menschentums. Sie ist etwas vom Menschen Hervorgebrachtes, ein Mittel des Menschen zu seiner Selbstverwirklichung. Ihr Wesen ist im Wesen des Menschen begründet. Aus diesem Grunde kann man das Wesen der Technik nicht definieren, ohne gleichzeitig auch auf das Wesen des Menschen selbst Bezug zu nehmen.

3. Das Wesen der Technik

Es gibt fünf Definitionen der Technik, auf die sich die von den meisten Autoren verfochtenen Meinungen über Sinn und Gehalt der Technik zurückführen lassen:

  1. Technik ist angewandte Naturwissenschaft.
  2. Technik ist Mittelbereitung zu wirtschaftlichen Zwecken.
  3. Technik ist ein zweckneutrales Mittelsystem.
  4. Technik ist Ausdruck des menschlichen Machtstrebens.
  5. Technik ist ein Derivat des christlichen Erlösungsglaubens, das sich als Streben nach Selbsterlösung äußert.

Die erste These hat insofern Berechtigung, als die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für die Technik stets von hoher Bedeutung sind. Ohne die exakte Naturwissenschaft wäre die Technik gar nicht zu denken. Nur wird man aber bezweifeln müssen, daß die Technik in dieser Wesensbestimmung schon aufgeht. Die Tatsache, daß technische Erfindungen der Naturwissenschaft zeitlich vorauseilten, bestätigt eine relative Unabhängigkeit des technischen Gestaltens von der naturwissenschaftlichen Forschung. Bei der Einweihung eines Denkmals für Stephenson gab der Thermodynamiker William Rankine diesem Tatbestand folgenden Ausdruck:

«Die Eisenbahn, vollständig und fertig, wie sie uns Stephenson hinterließ, ist ein Produkt der Notwendigkeit und des Geistes der Zeit. Das ungelehrte Talent, das gesunde, praktische Denken des Volkes, die schwielige Hand des Arbeiters, hat sie allein geschaffen; die Schulweisheit hat keinen Teil an ihr. Keine Formel ist bei der größten technischen Schöpfung unserer Zeit entwickelt, keine Gleichung dabei gelöst worden.»

Max Scheller sagt in «Die Wissensformen und die Gesellschaft»:

«Daß die Technik keineswegs nur eine nachträgliche ,Anwendung' einer rein theoretisch-kontemplativen Wissenschaft ist, die nur durch die Idee der Wahrheit (usw.) bestimmt wäre, daß vielmehr der je stark oder schwach vorhandene, auf dieses oder jenes Gebiet des Daseins gerichtete Wille zur Herrschaft und Lenkung schon die Denk- und Anschauungsmethoden wie die Ziele des wissenschaftlichen Denkens mitbestimmt — ... —, das halte ich für einen der wichtigsten Sätze, die die Wissenssoziologie auszusprechen hat...»

In Gottl-Ottilienfelds «Grundriß der Sozialökonomik» (1914) steht der Satz: «Technik ist um der Wirtschaft willen da, aber Wirtschaft nur durch Technik vollziehbar». Diese Auffassung ist hernach von ökonomischer Seite vertreten worden — auch Eduard Spranger schloß sich ihr an. Wenn man auch zugeben muß, daß Technik und Wirtschaft ein irgendwie komplementäres Verhältnis eingehen, kann man doch diese einseitige Anschauung nicht billigen. Die Technik ist nicht nur ancilla oeconomiae. Der in ihr enthaltene Gestaltungsdrang weist über diese Bestimmung hinaus, so daß sie uns kaum befriedigen kann.

«Technik als zweckneutrales Mittelsystem» ist eine Definition, die an den deutschen Lebensphilosophen Georg Simmel anknüpft. Simmel betrachtet das Werkzeug des Menschen als ein Mittel, dem eine relative Selbständigkeit abgeht. Es ist ganz das Geschöpf unseres Willens und wird von uns gemäß unseren Intentionen angewendet. Dasselbe, was für das Werkzeug gilt, ist auch für die Technik im Gesamten gültig. Sie hat keinen eigenen Zweck — ihre Finalität erwächst immer aus dem Gebrauch, den man mit ihr macht. Auch dieser Auffassung wird man eine gewisse Berechtigung nicht absprechen können. Dennoch scheint es, daß sie für die Definition des technischen Phänomens nicht zureichend genug sei.

Auf Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht fußend, versuchte Oswald Spengler im «Untergang des Abendlandes» und in «Der Mensch und die Technik» (1931), das Wesen der Technik auf das menschliche Machtstreben zurückzuführen. Er bestimmt die Technik als eine, beziehungsweise die «Taktik des Lebens» und läßt auch die Tierwelt an ihr Anteil haben. «Die Technik ist die Taktik des ganzen Lebens. Sie ist die innere Form des Verfahrens im Kampf, der mit dem Leben selbst gleichbedeutend ist.» Jede Tätigkeit, die ein Ziel hat, benützt eine Technik. Das Ziel des Menschen ist die Selbstbehauptung, die Machtausdehnung: Werkzeug, Maschine und alle Praktiken des Lebens sind hierzu Mittel.

Der Mensch ist nach Spengler ein «Raubtier». Das gibt ihm eine gewisse Vornehmheit, einen hohen Rang — denn das animalische Leben gliedert sich auf — neben der Einteilung in Gattungen und Arten — in die beiden Kategorien Raub- und Beutetiere. «Die Welt ist die Beute des Menschen, und aus dieser Tatsache ist letzten Endes die menschliche Kultur erwachsen.»

Gegenüber der animalischen «Gattungstechnik», die weder erfinderisch noch lernbar noch entwicklungsfähig ist, steht die «Menschentechnik», die allein unabhängig vom Leben der Gattung bleibt. «Die Technik im Leben des Menschen ist bewußt, willkürlich, veränderlich, persönlich, erfinderisch.» Der Mensch ist Schöpfer seiner Lebenstaktik. Die Schöpfungen des Menschen sind Ausdruck eines Daseins in persönlicher Form.

Der Ursprung der Technik liegt in der menschlichen Hand. Hand und Werkzeug gehören zusammen. Die «denkende Hand» — Zweck und Mittel koordinierend — hat Zivilisation und Kultur geschaffen.

Die Gemeinschaftsbildung begründet geschichtlich «das planmäßige Tun zu mehreren», wodurch die ganze Taktik des Lebens sich wandelt. Die Wortsprache entsteht als Mittel der Verständigung. Nun erst wird Umweltsgestaltung in größerem Maßstab möglich. Aber, mit dem Schritt vom Gebrauch persönlicher Werkzeuge zum Unternehmen von mehreren steigert sich die Künstlichkeit des Verfahrens. Diese kann nur durch den Gedanken geleitet werden — dem entspringt die Zweiteilung zwischen Ausdenken und Ausführen. Damit ergeben sich die sogenannte «Führerarbeit» und die sogenannte «ausführende Arbeit», nach Spengler für «alle kommenden Zeiten die technische Grundform des gesamten menschlichen Lebens». Dieser Zweiteilung entsprechend soll es, von Natur aus, befehlende und gehorchende Menschen geben. Beide kommen in der «Organisation» zusammen, in Volk, Stamm, Stand und Staat. Das Schicksal der Menschheit ist, daß die Gehorchenden sich mehren, die Zahl der Befehlenden sich verringert. Das ist die Vermassung. Der Ausgang ist für Spengler: «Aufstieg und Ende der Maschinenkultur». Wir nähern uns der Katastrophe mit Riesenschritten. Das technische Leben ist gegennatürlich geworden. Die faustische, westeuropäische Kultur ist im Abstieg begriffen. Der fünfte Akt beginnt. Die Mechanisierung des Lebens hat sich selbst ad absurdum geführt. Das «faustische Denken» erlahmt, der leblose technische Apparat erstickt jegliche lebendige, krafterfüllte Regung. Arbeit und Produktion desorganisieren sich. Die «weiße Rasse» ist nicht mehr fähig, ihre eigene Schöpfung » — die Maschinenwelt — zu beherrschen. Das Mittel überwuchert die Zwecke; die Dekadenz bricht herein. «Junge, unverbrauchte Rassen» bereiten sich vor, die Weltherrschaft zu übernehmen.

Mit dieser Zukunftsvision schließt Spenglers «Mensch und Technik», das neben einigen interessanten Anregungen der uferlosen Spekulation freien Raum läßt und mit phantastischen Konstruktionen nicht zurückhält. Der Wert dieser Untersuchung wird erheblich reduziert durch den Rassenmystizismus und eine extrem romantische Lebensphilosophie, die das Wunschbild an Stelle der Wirklichkeit setzt.

Wie Spengler, hat auch Max Scheler die Technik als einen Ausdruck des menschlichen Machtwillens bezeichnet. Man muß sich jedoch fragen, ob die Technik allein auf das Machtstreben zurückgeführt werden könne. Auf diese Frage wollen wir weiter unten die Antwort geben.

In seiner Studie «Mensch und Technik — Grundzüge einer Philosophie der Technik» stellt Donald Brinkmann, dessen Darstellung wir die obigen Definitionen der Technik entnommen haben, die These auf, daß Technik «einer Glaubenssehnsucht Ausdruck gebe», und daß sie «Erlösung durch werktätiges Gestalten der Wirklichkeit» herbeiführen wolle. Drei Maximen sollen für die technische Arbeit gelten:

«Überwinde die natürlichen Schranken von Raum und Zeit! Überwinde die natürlichen Schranken der Kausalität! Überwinde die natürlichen Schranken der Substanzialität!»

Brinkmann gelangt in der «Schlußbetrachtung seiner Untersuchung zu folgendem Ergebnis:

«Hinter den technischen Erfindungen und Konstruktionen steckt, trotz allem Anschein äußerer Rationalität, eine irrationale Sehnsucht des Menschen, ein Streben nach Selbsterlösung. Nicht ein Wille zur Macht, sondern die Sehnsucht nach Selbsterlösung treibt den homo factivus zur werktätigen Gestaltung der Wirklichkeit in Technik und Industrie. Seit dem Beginn der älteren Neuzeit bedient sich der Mensch in zunehmendem Maße naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die seine Wirkungsmöglichkeiten in ungeahntem Maße erweitert haben. In der Erlösungssehnsucht selbst sehen wir eine Abwandlung des ursprünglichen christlichen Erlösungsglaubens. Diesem Ethos verdanken die grandiosen Leistungen der modernen Technik ihr Entstehen. In ihm wurzeln aber auch all die verheerenden Konsequenzen, die vor unsern Augen im totalen Krieg, in nie gesehener Schrecklichkeit gezogen werden. Die Technik bestimmt das Schicksal der abendländischen Menschheit.»

Und an anderen Orten:

«Die wichtigste Aufgabe einer Philosophie der Technik sehen wir darin, hinter allen Erfindungen und Konstruktionen das technische Menschentum aufzudecken und die verhängnisvolle Sehnsucht nach Selbsterlösung zu durchschauen. Aus dem Eingeständnis der Notlage heraus kann dann in aller Bescheidenheit der Boden für ein echt menschliches Handeln und Erkennen vorbereitet werden, das sich nicht mehr vom utopischen Größenwahn des ‚homo factivus‘ verführen läßt».

Den fünf im obigen dargestellten und umschriebenen Definitionen der Technik sehen wir uns genötigt, eine sechste beizufügen:

Technik ist Ausdruck des sieghaften Sicherungsstrebens des Menschen. Diese unsere Auffassung läßt sich durch einen anthropologischen Exkurs belegen.

4. Philosophisch-anthropologischer Exkurs: Das menschliche Sicherungsstreben

Jegliche Definition der Technik geht aus von einem bestimmten Menschenbild, von einer Auffassung über Wesen und Natur des Menschen, seiner Stellung im Kosmos, seiner physisch-psychisch und geistigen Wesensart und seiner Angrenzung gegenüber allem übrigen Seienden. Welches ist nun aber das Hauptcharakteristikum jenes rätselhaften Wesens «Mensch»? Was ist der tiefste und letzte Grundzug in der menschlichen Existenz; was ist der wesenhafte Ausdruck ihrer fundamentalsten Anliegen, Bedürfnisse und Intentionen, mit einem Wort: ihr Wesen selbst? Ist es der «Wille zur Macht», das «Erlösungsbedürfnis», die ökonomische Daseinssicherung, das Erkenntnisstreben («homo sapiens» und animal rationale) Nach unserer Auffassung liegt die wesenhafte Manifestation des Menschlichen im Sicherungsstreben, demgegenüber alle anderen Bestimmungen lediglich als Derivate und Abwandlungen der ursprünglichen Tendenz zu betrachten sind. Erkenntnis und Bemächtigungswillen sind Mittel der Sicherung, genau so wie alle ökonomische Anstrengung letztlich die «securitas» des Menschen gewährleisten soll.

Mit der freien Beweglichkeit im Raume, die mit dem animalischen Leben einsetzt, beginnt das Problem der Sicherung zur Hauptfrage des Daseins zu werden. Ortsverändernde Organismen sind immer auf dem Weg ins Ungewisse, Gefahrendrohende und Beängstigende. Mit dem Einsetzen der Beweglichkeit wird es notwendig, vorauszusehen und im Voraus zu planen. Wenn die Bewegung nicht vorsichtig durchgeführt wird, kann sie zum Verhängnis werden. Zur Ortsveränderung gehört unweigerlich ein steter «psychischer Kontakt» mit der Umwelt, ein Erkennen, Begreifen und Erfassen der Umweltssituation. Die seelischen Funktionen haben dem Organismus diesen Dienst zu leisten. Sie verbinden Lebewesen und Welt. Was sie letzten Endes ermöglichen und ermöglichen müssen, ist die Sicherheit — Sicherung vor allem Neuen, Unerwarteten, Überraschenden, das dem Leben beim Wechsel seiner Stellung im Raum entgegentreten kann.

Die «insecuritas» innerhalb des Tierreiches ist weit geringer als diejenige des Menschen. Das Tier hat seine Umwelt; in allen seinen instinktiven Bereitschaften, die es vererbt mitbringt, liegt schon der Anschluß an eine spezifische Umwelt, in die das Tier hineinpaßt wie ein Schlüssel in ein Schloß. Die Umweltsforschung seit D. v. Uexküll (zum Beispiel «Die Welt der Stubenfliege») hat auf diesen Tatbestand mit einer unwiderleglichen Klarheit hingewiesen. Instinkt und natürliche Umwelt sind für das Tier ein Korrelationssystem, das durch uralte Arterfahrung eingespielt ist, und damit die Sicherheit des animalischen Lebens weitgehend erlaubt.

Anders beim Menschen. Der Mensch ist das einzige Wesen, das keine adäquate «Umwelt» hat, dem allerdings auch jene ausgeprägte Instinktgrundlage fehlt, mittels derer er sich zu einer spezifischen Umwelt in Beziehung setzen könnte. Der Mensch lebt in einer «Welt». Für diese Welt ist er keineswegs vorbereitet; im Gegenteil: die ihm von der Natur gewährte Ausstattung ist durchaus mangelhaft und unzulänglich. Im Hinblick auf die natürliche Bewaffnung, Kraft und Sicherung ist der Mensch das ärmlichste aller Wesen. Er ist es, der die Ungewißheit des Daseins zutiefst erfährt. Den Mächten der Natur hilflos ausgeliefert, dem Zufall und der Willkür natürlicher Gewalten preisgegeben, muß er versuchen, sich selber zu erhalten; das heißt jene Mittel und Methoden zu finden, um seine Mängel auszugleichen, damit sein Dasein Schutz und Sicherung habe. Die «Sorge» ist eine der wesentlichsten Charakteristiken des Daseins.

Diesen allgemeinen «insecuritas» des Menschen hat Blaise Pascal Ausdruck zu geben verstanden:

«Das ist unser wahrer Zustand. In ihm sind wir unfähig, sicher zu wissen und absolut nichts zu wissen. Wir treiben über einen weiten Mitten-Raum dahin, stets unsicher und schwankend, von einem Ende zum andern getrieben. Wo immer wir an eine Grenze geraten und festen Fuß zu fassen vermeinen, gerät sie in Bewegung und entgleitet uns, in ewiger Flucht vor uns. Nichts bleibt vor uns stehen. Das ist der Zustand, der uns natürlich ist und trotzdem zu unseren Neigungen im größten Widerspruch steht; wir verbrennen vor Sehnsucht, einen festen Ort und ein endgültiges, bleibendes Fundament zu finden, um einen Turm darauf zu bauen, der sich bis ins Unendliche erhebt; aber alle unsere Fundamente bersten, und die Erde tut ihre Abgründe auf.»

Was Pascal über die spezifische religiöse Situation des Menschen sagt, gilt für die menschliche Existenz schlechthin. Man kann das Tun und Lassen des Menschen, des Individuums wie der Gattung, nur dann sinngemäß verstehen, wenn man die Elemente der Sicherung bloßzulegen vermag. Das Sicherungsstreben hat die Gedanken und Taten der Menschen seit dem Ursprung des Menschengeschlechtes gelenkt und geleitet. Hinter aller theoretischen und praktischen Aktivität ist dieses eine Fernziel: securitas.

In der Frühzeit der Geschichte sucht der Mensch seine Sicherung gegenüber dem Naturganzen mittels magischer Bewußtseinsformen zu bewerkstelligen. Die Magie besteht aus einer Reihe von Verfahren, die dem Menschen Macht über die Natur vermitteln sollen. Die Zauberformel und die Beschwörung gelten der Natur- oder Menschenmacht, die sich demjenigen unterwerfen sollen, der um ihr Geheimnis weiß. Magie ist ein Streben nach Kraftgewinnung, damit nach Sicherheit. Der Mensch von heute zweifelt nicht daran, daß sie in ihrer direkten Auswirkung nichts vermag. Indirekt jedoch, indem sie dem Menschen einen Glauben an seine eigene Macht gibt, festigt sie zum Teil seine Stellung innerhalb der Natur und befriedigt so teilweise das Streben nach Sicherung.

Auch in den großen Menschheitsreligionen spielt das Problem der Sicherung eine entscheidende Rolle. Der Gott der Liebe soll das Dasein des Menschen von der Ungewißheit befreien; als Schöpfer und Erhalter der Welt soll er dem Menschen Schutz bieten und ihn vor den mannigfachen Gefahren des Lebens bewahren. Der Mensch erhofft von seinem Gott, daß er ihn vor den Naturgewalten, vor Krankheit, Krieg und dem allgemeinen Chaos schütze. Das Gebet ist die Bitte um den Beistand des «Allmächtigen». In Gott liegt die erträumte Sicherung des Menschen.

Wie immer man sich zum religiösen Problem stellen mag, eines steht fest: die Sicherung des Menschen durch die «Religion» ist illusionär. Abgesehen davon, ob Gott existiert oder nicht existiert — wir wissen (wenn wir nicht an Wunder glauben!), daß er nicht unsere Existenzsicherung abnimmt und uns die gewünschte Sicherheit nicht gewährt. Das Gebet schützt kein Schiff vor den stürmischen Wellen, es hält keine Überschwemmungen auf, es vermag den Blitz nicht vom ungeschützten Hause abzuleiten, es schaltet die Dürre und Trockenheit nicht aus, es heilt keine Krankheiten, wenn der Arzt fehlt, es verhindert nicht den Ausbruch von Kriegen, es löst nicht die Probleme, die der menschlichen Lebenssicherung aufgegeben sind. Auch die Religion vermag dem Menschen nicht die securitas zu geben, die er in seiner gefahrendräuenden Welt so dringend benötigt.

Erst die Technik, und die mit ihr parallellaufende Wissenschaft und Industrialisierung, haben den Menschen mit jenen Hilfsmitteln versehen, mittels derer er die Daseinssicherung realiter vollziehen kann. Die Technik ermöglicht der Menschheit, sich mehr und mehr von der Willkür der Naturgewalten unabhängig zu machen. Das Haus des Menschen wird so fest gebaut, daß selbst das Erdbeben es nicht zum Einsturz zu bringen vermag. Die industrialisierte Bebauung des Bodens vergrößert die Menge der erzeugten Produkte; Kohle, Dampf, Elektrizität und Atomenergie vervielfachen die Kräfte des Menschen. Die Natur hat durch den technischen Fortschritt fast ihre ganze Bedrohlichkeit verloren. Furcht und Zittern sind, was die Natur anbetrifft, aus der Welt geschwunden. Nun erst faßt der Mensch festen Fuß auf der Erde und kann souverän das Leben gestalten. Jetzt ist er der «Gott seiner Welt». Zieht man dies in Betracht, so erkennt man in der Technik eine antireligiöse Bewegung. In ihr steckt die Selbstherrlichkeit des Menschen. Sie ist völlig diesseitsgerichtet, auch wenn viele ihrer Vertreter an Gott und die Unsterblichkeit glauben. Nichts hat dem Menschen so sehr das Selbstbewußtsein gesteigert, wie seine technisch-wissenschaftlichen Errungenschaften. Aus diesem Grunde gelangen wir zu unserer Definition:

Technik ist der Ausdruck des sieghaften Sicherungsstrebens des Menschen.

Diese Definition ist einleuchtend, ruft aber sofort nach einem gewichtigen Einwand, an dem man nicht vorbeigehen kann. Hat nicht die Technik auch die Unsicherheit des Menschen erneut hervorgebracht? Sind nicht an Stelle der nunmehr gesteuerten Naturgewalten die Mächte der Technik getreten — grauenhafter, gefährlicher als diejenigen der Natur? Ist nicht die Atombombe ein Zeichen, daß der Mensch in absehbarer Zeit seiner eigenen Schöpfung «Technik» zum Opfer fallen wird? Auf diese Fragen können wir nur Antwort geben, indem wir die ethische Problematik des technischen Menschentums erörtern.

5. Die Technik und das Ethos

Von James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine, wird gesagt, daß er alle Erfindungen verflucht habe, die er im Laufe seines Lebens machte. Rudolf Diesel schrieb kurze Zeit vor seinem Tode: «Es ist schön, so zu gestalten und zu erfinden. Aber ob die ganze Sache einen Zweck gehabt hat, ob die Menschen dadurch glücklicher geworden sind, das vermag ich heute nicht mehr zu entscheiden.» Diese Zeugnisse stehen nicht allein. Die verheerenden Anwendungen der Technik in der Wirtschaft und im Kriege haben manchen veranlaßt, vom «Fluch der Technik» zu sprechen. Unseres Erachtens ist dieser Pessimismus nicht am Platze. Die Technik ist nicht schuld daran, daß die Menschen sie nicht richtig in Gebrauch nehmen. Sie wird nur deshalb gefährlich und schädlich, weil das Ethos der Menschlichkeit noch nicht feststeht. Die Hilfsmittel und Kräfte des Menschen sind gewachsen — sein Ethos hat mit diesem Wachstum nicht Schritt gehalten. In der Wirtschaft wurde die Technik verwendet, um einige wenige mit unermeßlichen Reichtümern auszustatten und die große Mehrheit der Not, dem Elend und einer zermürbenden Maschinenfron preiszugeben. Im Kriege dienten die technischen Errungenschaften dazu, ein dumpfes Massensterben zu bewirken und den Tod über ganze Städte und Völker zu verhängen. Das unbegrenzte Profit- und Machtstreben nützt die Technik aus, um die Natur zu verunstalten, den Menschen zu einem Werkzeug zu degradieren und die Maschine zu einer Mordwaffe umzuwandeln.

Diese Entwicklung war und ist weder zwangsläufig noch notwendig. Es liegt in der Hand des Menschen, über seine Schöpfungen in Verfügung und Gebrauch zu entscheiden. Darin ist Heil und Unheil der Technik beschlossen. Nach dem englischen Historiker Arnold Toynbee ist die Geschichte ein dialektisches Spiel von «challenge and response» (Herausforderung und Antwort) Jeder Generation ist durch das Erbe, das sie antritt, eine gewisse Herausforderung gegeben; im Schoße der Epoche liegen Möglichkeiten, die die Menschen ergreifen oder verfehlen können. Das ist eine Sache ihrer Einsicht und ihrer Einstellung. Der Aufstieg der Menschheit vollzieht sich nur durch das jeweils richtig erkannte «Challenge»; durch die richtige Antwort auf die Aufgaben und Erfordernisse der Zeit. Wie verhalten sich «challenge and response» in unserem, dem technischen Zeitalter? Wo liegen Ethos und Aufgabe der technischen Ära?

Die Technik hat die Menschen aller Erdteile einander räumlich nähergebracht. Die Welt ist eine untrennbare Einheit geworden. Alle Menschen gehören nunmehr schicksalsmäßig zusammen. Eine koordinierte Weltwirtschaft ist nicht mehr Utopie, sondern reales Erfordernis. Die technischen Mittel haben den Streit unter den Völkern zu einer unrentablen, allgemeinen Vernichtung herbeirufenden Angelegenheit gemacht. Ein siegreicher Krieg ist oft auch wirtschaftlicher Ruin. Man wird sich in der Zukunft keine Kriege mehr leisten können. Dazu kommt, daß die räumliche Annäherung der Völker auch einer generellen Verständigung das Wort spricht. Was zu lernen sein wird, ist die Zusammenarbeit; das co-operare im Leben der Einzelnen, Gruppen und Völker, das soziale Problem harrt seiner Lösung. An Stelle des individualistischen Wirtschaftssystems, das auf Kosten der großen Massen besteht und um wirtschaftlicher Vorteile die Auslösung von Kriegen nicht scheut, werden gemeinschaftliche Produktions- und Lebensformen treten müssen. Die gegenwärtige Krise ist ein eminent ethisches Problem. Sie kann nur durch ein Wachsen des Gemeinschaftsethos überwunden werden. Wir schließen uns hier der Auffassung an, die Eugen Böhler in «Technik und Wirtschaft in den geistigen Entscheidungen der Gegenwart» vertritt:

Nachdem er feststellt, daß die Technik ein ethisches Problem sei, weil alle Wirtschaft und Politik auf einer Gemeinschaft von Menschen aufbaue, fährt er fort:

«In enger Verbindung damit steht die weitere Einsicht, daß die Gemeinschaft, die Verbundenheit der einzelnen Individuen, der Nationen, der Klassen, der Unternehmungen ebenso real ist wie ihre Selbständigkeit. Das zeigt eine objektive Betrachtung auf allen Gebieten. Durch die wirtschaftliche Arbeitsteilung ist die ganze Welt zu einer einzigen, unteilbaren Werkstatt geworden, und ihre Erzeugnisse sind Sozialprodukte, so daß niemand mehr sagen kann: das ist mein Produkt, weil in Wirklichkeit Millionen von Menschen an seiner Herstellung mitgewirkt haben. Die Verbundenheit der Menschen ist also nicht ein «soll», sondern eine Tatsache, deren Ignorierung die Menschheit mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, mit Kriminalität, Irrsinn und Massenneurosen bezahlt.»

Das ist die «Herausforderung», das «challenge» unserer Zeit. Mit ihm steht oder fällt die Menschheit. Es gilt, die Technik zu einem Segen für die Menschheit zu machen. An dieser Aufgabe hat jeder Anteil zu nehmen. Jeder Mensch ist für alle Menschen verantwortlich. Die Technik hat die Lösung der sozialen Frage, die Zusammenarbeit der Völker auf friedlicher Grundlage, zu einem dringenden, unaufschiebbaren Anliegen gemacht.

6. Die Zukunft der Technik

Entgegen allen düsteren Prognosen, die sich an die Konstruktion der Atombomben und anderer moderner Waffen heften, glauben wir in bezug auf die Zukunft der Technik — und damit der Menschheit — optimistisch bleiben zu können. Die Menschheit wird sich nicht selbst vernichten. Es wird nicht der Fall eintreten, den eine schweizerische Tageszeitung in einer ironischen Bilderfolge karikiert hat: eine explodierende Atombombe, Bilder der Zerstörung und Verwüstung und — als letztes Bild — ein Affenpaar, das sich die Frage stellt: «Hast du den Mut, noch einmal von vorne anzufangen?» Das Sicherungsstreben des Menschen wird verhüten, daß solche Konsequenzen Realität werden. Die Vernunft wird in der Geschichte siegen. Die Geschichte ist nicht nur ein blindes Hin- und Herwogen von Machtkämpfen, die einen eschatologischen Ausweg nehmen. In ihr wächst langsam, aber mit eiserner Beharrlichkeit, der menschliche Gemeinschaftsgedanke — die Erkenntnis, daß alle Menschen des Erdballs zusammengehören.

Wir wissen nicht, welchen Verlauf die Zukunft der Menschengemeinschaft nehmen wird, da es von den individuellen und kollektiven Entscheidungen abhängt, wie die Welt von morgen und übermorgen aussieht. An einem aber dürfen wir keinen Zweifel hegen: die Technik wird in den kommenden Jahrhunderten in ihrer schicksalhaften Macht noch wachsen und an Einfluß gewinnen. Aus dieser Entwicklung führt kein Weg zurück. Er ist Menschheitsschicksal. Die Gewalt der Natur muß vollends gebrochen werden, damit der Mensch seine Herrschaft über die Erde errichten kann.

Aber, zur Beherrschung der äußeren Natur muß auch die Beherrschung des inneren Menschen treten, an der allein der Bestand der Kultur hängt. Das ist das Kernproblem der heutigen Situation. Es müssen Lebensformen gefunden werden, die der technisierten Welt adäquat sind — dies erfordert politische, wirtschaftliche und geistige Umstellungen. Wir schließen mit einem Appell Prof. E. Böhlers in seiner oben zitierten Schrift:

«Denn durch die Entwicklung der Technik und durch die Entfaltung der wirtschaftlichen Arbeitsteilung ist die faktische Solidarität der Menschheit in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Hinsicht und damit auch ihre Verantwortlichkeit ununterbrochen gewachsen. Das politische, wirtschaftspolitische und individuelle Handeln erfolgt aber heute noch immer so, als ob die einzelne Nation, die einzelne Unternehmung, der einzelne Mensch politisch, wirtschaftlich und geistig ein selbstgenügsamer Organismus wäre, der die Kontrolle seiner Lebensbedingungen in seiner Hand hätte, der sein Schicksal selbst bestimmen könne, der autonom wäre… Die Unfähigkeit, …die ethischen Konsequenzen der faktischen Solidarität der Menschheit zu ziehen, ist die Ursache der gegenwärtigen Situation, und die Lösung dieser Krise kann nur dadurch erreicht werden, daß das Format des Menschen dem Format seiner Schöpfungen angepaßt wird, damit zu der äußeren Freiheit von der Natur, die die Technik ermöglicht, die innere Freiheit… tritt, die das Wesen wirklicher Kultur ausmacht.»

Literatur:

  • D. Brinkmann: Mensch und Technik. 1946.
  • Oswald Spengler: Der Mensch und die Technik. 1931.
  • Friedrich Dessauer: Mensch und Kosmos.
  • Eugen Böhler: Technik und Wirtschaft in den geistigen Entscheidungen der Gegenwart. 1931.
  • «Zürcher Student», Heft 5, 1949. - Thema: Mensch und Technik, mit Beiträgen von Prof. Dr. R. Durrer, Prof. D. Brinkmann, Andre Cusenier, Prof. F. Tank, C. G. Jung, Prof. W. von Gonzenbach, u. a.
  • Stuart Chase: Men and machines. Neuyork, 1929. 262 


[1] «Der Mensch ist ein Tier, das Werkzeuge macht.»
**Friedrich Lieblings Schule im Winter auf Gran Canaria - Eine Reportage


Quelle: Autor: Polybios Zeitschrift: Rote Revue: sozialistische Monatsschrift Band (Jahr): 30 (1951) Heft 6