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Eltern machen offenbar Kinder (unbeabsichtigt) dumm.

15. April 2007

Eltern machen offenbar Kinder (unbeabsichtigt) dumm.

von Karl Kollmann

Es klingt paradox, aber führt man aktuelle Studienergebnisse zusammen, sind es gerade die Eltern, die aus einer Art von postpubertärer «Kinderfreundlichkeit» und Mittelschicht-Pseudopädagogik ihre Kinder verdummen, da sie sie wohlmeinend mit Kommunikationselektronik zustopfen.

Claudia Wallner hat gerade eben ihre Diplomarbeit Jugend und Kommunikationselektronik1 an der Wirtschaftsuniversität Wien fertiggestellt, eine qualitativ orientierte empirische Arbeit, die sich zum erstenmal intensiver mit dem Thema «Jugend und Kommunikationselektronik» beschäftigt und sich dabei auf die elterlichen Motive, Kinder mit Kommunikationstechnik auszustatten, konzentriert: Die empirischen Ergebnisse sind aufs erste überraschend. Aber sie passen doch ins Bild unserer verrückten Gesellschaft.

Es sind gar nicht so sehr die Kinder (bzw. die heute typischen Einzelkinder), die ihren Eltern mit Konsumwünschen auf die Nerven gehen und quengelig (Stichwort: pester power) neue technische Gadgets einfordern. Die Eltern sind es, die in einer Art von wohlbehütendem und vorauseilendem Gehorsam für ihre Kinder bzw. ihr Kind nur das beste wollen.

Massstab sind dabei «die anderen Eltern», die die Meinung, die Einstellungen und das Verhalten der jeweiligen Eltern beeinflussen. Man möchte für den eigenen Nachwuchs all das auch haben, was andere Eltern ihren Kindern geben oder was andere Kinder haben. Den eigenen Fernseher im Kinderzimmer (rund die Hälfte der Kinder haben das), Notebook, Internetanschluss, Spielekonsole und anderes mehr.

Das Vermitteln von Medienkompetenz spielt keine Rolle im elterlichen Haushalt. Anschaffung und Besitz der Kinder zählen, was die damit tun, ist sekundär. «Haben» ist entscheidend, was Kinder mit ihren Sachen tun, bleibt weitgehend ihnen selbst überlassen.

Vermutlich kommen hier auch Zeitprobleme von Eltern mit ins Spiel, im Sinne von: Sie sollen haben, was die anderen auch haben, und Ruhe geben. Fernsehen oder Computerspiele beschäftigen das Kind und verschaffen den vom Erwerbsalltag und den Alltags­troubles gestressten Eltern Luft.

Weniger Einkommen im Haushalt bedeutet nicht, dass die wirtschaftlich schlechter gestellten Kinder auch sparsamer ausgestattet wären. Bei der Elektronik wird nicht gespart, findet die Autorin; im Gegenteil: Kinder in Familien mit unterdurchschnittlichem Einkommen sind mit Handy, Fernseher und MP3-Player sogar besser ausgestattet.

Kinder mit Eltern, die geringes Bildungsniveau haben, besitzen mehr an Kommunikationselektronik. Jedoch weder das Alter der Eltern noch der Umfang der Erwerbstätigkeit der Eltern bestimmen das Mass, in dem die Kinderzimmer mit Kommunikationselektronik zugemüllt werden.

Makaber dabei ist, dass gerade Eltern der unterdurchschnittlichen Bildungsschichten ihre Kinder (ungewollt) verdummen. Je mehr Kommunikationselektronikkonsum die lieben Kleinen haben, desto schlechter sind die schulischen Leistungen und das erreichte Bildungsniveau, so das Ergebnis einer umfangreichen, quantitativ orientierten Studie des KFN (Kriminologisches Forschungsinstitut Nieder­sachsen e. V.): Medienkonsum, Schulleistungen und Gewalt.2

Das bestätigen auch andere Erfahrungen: «Unsere Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass Kinder, die einen eigenen Fernseher im Zimmer haben, deutlich schlechtere Lesekompetenzen und auch Rechtschreibleistungen aufweisen.» So der Erziehungswissenschaftler Joachim Tiedemann von der Universität Hannover. («Analphabeten haben in der Wissensgesellschaft keine Chance»3

Quelle: Telepolis Artikel vom 15.04.2007
www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25067/1.html

Quelle: Nr.45, 12.11.2007
www.zeit-fragen.ch

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Beiträge zu Alfred Adler und Friedrich Liebling