Die Zukunft der Menschheit (Auszug aus: „Wie der Mensch zum Menschen wurde“)

Text zum besseren Verständnis der menschlichen Sozialnatur
ausgewählt von Willy Wahl
03. November 2015
Am 10. Juli 1976 um 6:53 nordostamerikanischer Ortszeit landete ein kleines, dreifüßiges Raumschiff weich auf der Oberfläche des Planeten Mars.

Nachdem der Staub sich wieder gesetzt hatte und das glatte Metall des Raumschiffes in der Sonne zu glänzen begann, nahmen die wissenschaftlichen Instrumente ihre Aufgabe in Angriff, das Geheimnis des roten Planeten zu erforschen, der so lange Gegenstand menschlicher Neugier gewesen war. Wenn man so will, hatte damit der menschliche Geist das erste Mal seinen Heimatplaneten verlassen und sich auf die Reise zu einem anderen Teil des Sonnensystems aufgemacht.

Ein Triumph des menschlichen Forschergeistes

Das Viking-Projekt, in dessen Verlauf zwei Sonden auf dem Mars landeten, war ein Triumph menschlicher Erfindungskraft und Entschlossenheit. Dieses Unternehmen war der unwiderlegbare Beweis für die unerschütterliche Kraft des menschlichen Intellekts, ein Produkt von Millionen Jahren menschlicher Evolution. Und doch hat uns gerade der Erfolg dieser Weltraumfahrt das gefährliche Paradoxon vor Augen geführt, dem die heutige Menschheit ausgesetzt ist. Intellektuell scheint der Mensch jedwedes Problem mit guter Aussicht auf Erfolg anpacken zu können, gleichzeitig ist er jedoch in erschreckendem Maße unfähig, die einfachsten menschlichen Probleme zu meistern. Es ist geradezu pervers, daß Haß, Vorurteile und Konflikte noch immer in einer Welt existieren, die ihre höchste materielle Vollendung dank der fast unbegrenzten menschlichen Erfindungskraft erreicht zu haben scheint.

Die künstliche Trennung der Menschen wegen ihrer Hautfarbe (oder ihrer Religion oder ihrer Herkunft oder ihrer Bildung/IQ-Testing [ww]) ist eine der grössten Bedrohungen des Weltfriedens und darf nicht aufrecht erhalten bleiben

Als die Sonde Viking 1 mit der atemberaubenden Erforschung des Mars begann, waren die Zeitungen der Welt voll von Nachrichten über einen weltweiten Konflikt. Der Anlaß dieser Unruhen schien eher geringfügig zu sein: es waren die Olympischen Spiele von Montreal. Sie waren bedroht durch die fortgesetzte und unverzeihliche Nichtanerkennung eines menschlichen Grundrechts, der Gleichheit aller Menschen. Dieses Grundrecht wurde dadurch verletzt, daß Menschen mit hellerer Haut angeblich solchen mit dunklerer Haut überlegen sein sollen. Und nur, wenige Wochen nach den Olympischen Spielen brachen blutige Unruhen in jenem Land aus, wo dieses Grundrecht am unverblümtesten mißachtet wird: in Südafrika. Dieser Ausbruch von Gewalt und Blutvergießen im Sommer 1976 in der südafrikanischen Stadt Soweto ist nur ein milder Vorgeschmack auf das, was die Menschheit zu gewärtigen hat, wenn diese künstliche Trennung zwischen den Menschen aufrechterhalten bleibt.

Die Einteilung der Menschheit in zwei solch starre Kategorien wie schwarz und weiss ist barer Unsinn

Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Unterscheidung zwischen sogenannten Weißen und sogenannten Schwarzen eine der größten Bedrohungen für den Frieden in unserer Welt darstellt. Ganz abgesehen von den sterilen und hohlen Argumenten, mit denen der Nachweis für Unterschiede der Intelligenz bei Schwarzen und Weißen erbracht werden soll, ist eine Einteilung der Menschheit in zwei solch starre Kategorien barer Unsinn.

Es gibt keine wirklich schwarzen oder weißen Menschen. Natürlich variiert der Grad der Pigmentierung innerhalb der verschiedenen Völker, und das muß auch so sein, weil das Pigment die Funktion hat, die Haut vor ultravioletten Strahlen zu schützen. Denn je mehr man sich dem Äquator nähert, um so unfiltrierter erreichen diese Strahlen den Körper und erhöhen damit die Notwendigkeit eines Schutzfaktors. Deshalb ist es ganz klar, daß Völker, die seit langen Zeiten in der Nähe des Äquators leben, eine stärker pigmentierte Haut haben als weiter entfernt lebende. Deshalb kann man nur von unterschiedlichen Brauntönen sprechen und nicht von einer Schwarz-Weiß-Trennung.

Alte Mythen dank wissenschaftlicher Forschung überwinden

Starke Pigmentierung ist in einer Umgebung, die intensiver ultravioletter Bestrahlung ausgesetzt ist, ein Ausdruck biologischer Harmonie mit eben dieser Umgebung, aber nie und nimmer ein Ausdruck unterschiedlicher intellektueller oder sozialer Fähigkeiten. Als frühe Volksstämme Richtung Norden in kältere Klimazonen zogen, war eine starke Pigmentierung nicht mehr erforderlich, und so wurde die Hautfarbe ganz allmählich heller. Als dann später Völker durch Nordamerika und bis nach Südamerika wanderten, wurde die Notwendigkeit eines Hautschutzes wieder stärker, und so nahm die Pigmentierung erneut zu.

Die Tatsache, daß die Haut von Äquatorialamerikanern im allgemeinen etwas heller ist als die von Afrikanern auf dem gleichen Breitengrad ist vermutlich nur eine Folge des vergleichsweise kurzen Zeitraums, in dem sich die stärkere Pigmentierung auf dieser Seite der Erdkugel neuerlich entwickeln konnte.

Die unterschiedliche Graduierung des Pigments reflektiert also den Grad der Anpassung der einzelnen Völker an ihre Umgebung. Die allgemeine Mobilität des zwanzigsten Jahrhunderts hat diese Anpassungsfähigkeit natürlich durchbrochen und einige Probleme aufgeworfen. Wenn hellhäutige Menschen sich in heißen Ländern aufhalten, verlangt die brennende Sonne ihren Tribut: ihre Haut ist im wesentlichen   – trotz teuerster Cremes   – ungeschützt. Leben dagegen dunkelhäutige Menschen in sonnenarmen Klimazonen, so müssen sie im allgemeinen ihrer Nahrung Vitamin D zusetzen, weil dieses durch ihre pigmentgeschützte Haut nicht genügend produziert wird.

Klappentext

Ein Hauptanliegen der Autoren ist es darüber hinaus, die These vom angeborenen Aggressionstrieb des Menschen zu widerlegen, die gerade heute oft genug als Entschuldigung für alle möglichen menschlichen Verhaltensweisen herhalten muß. Ihrer Ansicht nach ist im Gegenteil die Kooperationsbereitschaft das Hauptcharakteristikum des Menschen, das sich während der über Millionen Jahre dauernden Existenzform als Jäger und Sammler herausgebildet hat. Erst seit der neolithischen Revolution vor 10 000 Jahren, also zu der Zeit, als der Übergang zum Ackerbau stattfand und damit auch die Möglichkeit gegeben war, Besitz anzusammeln und zu verteidigen, kam es zu vereinzelten Konflikten. Daraus aber den Schluß abzuleiten, daß der Mensch von Natur aus zur Aggression neige, um sein Territorium zu verteidigen, ist nach Ansicht der Autoren falsch. Dies würde letztlich bedeuten, die gerade in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse der Paläoanthropologie und ihr nahestehender Disziplinen zu verleugnen, die in diesem Buch auf so eindrucksvolle Weise dargestellt werden.

In diesem Buch versuchen die Autoren. den Gang unserer physischen und psychischen, unserer sozialen und kulturellen Entwicklung nachzuzeichnen. Dieses Bild wird wohl immer unvollständig bleiben. da sich nur wenig versteinerte Überreste aus dieser fernen Vergangenheit erhalten haben.

Die Suche nach Fossilien und Steinartefakten konzentriert sich heute vor allem auf Ostafrika. Dort sind die Schlüssel für eine Vergangenheit verborgen, die wohl als einmalig gelten kann. Sie reicht in eine Zeit bis vor fünf oder sogar sechs Millionen Jahren zurück, während man vor einem Jahrzehnt noch der Meinung war. daß unsere frühesten Vorfahren erst vor einer, höchstens vor zwei Millionen Jahren lebten. Außerdem steht heute fest, daß sie zur gleichen Zeit wie die ihnen nah verwandten Australopithecinen lebten, die jedoch eines Tages von der Evolution vergessen wurden und ausstarben.

Warum sich gerade unser Vorfahr zum heutigen Homo sapiens weiterentwickelte, und zwar nur in Afrika. was Charles Darwin schon vor hundert Jahren annahm. können wir heute nur noch vermuten. Sicher ist nur, daß einer der Hauptantriebe der menschlichen Evolution die kombinierte Lebensweise als Jäger und Sammler war. eine Existenzform also, die ein Maß an sozialem Zusammenhalt und Verständnisbereitschaft erforderte. wie es unter den uns nah verwandten Primaten nicht seinesgleichen gibt. Dies war auch die Voraussetzung für die Entwicklung des menschlichen Gehirns und damit zusammenhängend der Ausbildung von Sprache und abstraktem Denken.

Mehr zum Buch finden Sie hier:
Wie der Mensch zum Menschen wurde

Die Autoren

Richard Leakey

Richard E. Leakey, Paläontologe und Anthropologe, ist Direktor des Nationalmuseums in Nairobi, Kenia. Er ist der Sohn von Mary und Louis Leakey, die durch ihre Ausgrabungen in der Olduvai-Schlucht bekannt wurden. Richard E. Leakey leitet heute das Forschungsteam am Rudolfsee in Kenia.

Roger Lewin

Roger Lewin, Biochemiker, ist wissenschaftlicher Herausgeber der Zeitschrift New Scientist" und Verfasser von drei populärwissenschaftlichen Büchern zum Thema Biochemie.

Beiträge zu Alfred Adler und Friedrich Liebling


Quelle: Auszug aus „Wie der Mensch zum Menschen wurde“, Richard E. Leakey/Roger Lewin, Hoffmann und Campe 1978, Seiten 240/241