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16. Juni 2025 Von: Stefano di Lorenzo - übernommen mit Dank von globalbridge.ch
17. June 2025

Weltstadt Sankt Petersburg  – eine Liebeserklärung!


St. Petersburg  – wo sich Gegensätze zu einer Traumstadt vereinigen. (Photo Tripadvisor)

(Red. globalbridge) Nein, die Headline der folgenden Beschreibung der Stadt Sankt Petersburg stammt nicht von Stefano di Lorenzo, sondern von der Globalbridge-Redaktion. Sie kennt eben nicht nur Stefano di Lorenzo, der von dieser Stadt begeistert ist, es sind etliche weitere Personen in ihrem Umfeld, die sich von dieser phantastischen Stadt haben überraschen und faszinieren lassen. Und nicht zu vergessen dabei ist immer, dass die deutschen Nazis die Menschen dieser Stadt mit einer Nahrungsmittel-Blockade und dem damit verursachten Hunger haben ausrotten wollen … (cm)

Vom 18. bis 21. Juni findet in Russland das 28. Sankt Petersburg Internationale Wirtschaftsforum (SPIEF) statt — eine jährliche Veranstaltung, die häufig in den Medien als „russisches Davos“ beschrieben wurde, in Anlehnung an das Weltwirtschaftsforum (WEF). Einst besucht von westlichen Staatschefs, Konzernchefs und globalen Meinungsführern, findet das Sankt Petersburg Internationale Wirtschaftsforum heute in einem völlig veränderten Kontext statt. Westliche Sanktionen und die Ausgrenzung Russlands durch den Westen haben das Gesicht des Forums gewandelt: Weniger Europa und Nordamerika, dafür mehr China, Indien, die Türkei und Lateinamerika. Doch das Ziel bleibt unverändert: Sankt Petersburg als wirtschaftliche, kulturelle und symbolische Weltstadt eines Russlands zu präsentieren, das nach neuen globalen Horizonten sucht. Das Wirtschaftsforum ist nur die jüngste Erscheinungsform jener Rolle, die Sankt Petersburg seit über drei Jahrhunderten innehat: Bühne historischer Transformationen, ein ästhetisches, unruhiges Spiegelbild, Russlands Fenster nach Europa und der Welt.

Eine gegen die Natur gebaute Stadt

Sankt Petersburg ist keine Stadt wie jede andere. Sie wurde nahezu gegen die Natur errichtet — 1703 von Peter dem Großen auf einem unwirtlichen Sumpfgelände an der Mündung des Flusses Newa gegründet. Ein feuchtes, schlammiges, malariaverseuchtes Gebiet, in dem kein vernünftiger Stadtplaner eine stabile Siedlung errichtet hätte. Doch genau hier wollte der Zar sein „Fenster nach Europa“ öffnen — eine Stadt, die aus einer Idee entsprang. Fjodor Dostojewski lebte lange in Sankt Petersburg. Zu seiner Zeit war es Residenz der kaiserlichen Familie und Hauptstadt des Zarenreichs. Dostojewski nannte sie „die absichtlichste Stadt“ — keine organische Entwicklung aus russischer Architektur und Anthropologie, sondern eine gewaltsam aufgezwungene Utopie.

Innerhalb von weniger als zehn Jahren wurde die Hauptstadt des Reiches von Moskau an die Newa verlegt. Italienische, schweizerische, niederländische und deutsche Architekten wurden eingeladen, ein einzigartiges Sankt Petersburger Barock zu erschaffen, das sich später zum Klassizismus, zur Romantik und zur eklektischen Architektur des 19. Jahrhunderts weiterentwickelte. In drei Jahrhunderten hat Sankt Petersburg eine architektonische Dichte angehäuft, die nur wenige europäische Metropolen aufweisen.

Das Ergebnis ist eine Stadt, in der nichts zufällig und alles übertrieben wirkt: zu schön, zu geordnet, zu imperial. Dostojewski — der seine berühmtesten Romane gerade hier spielen ließ — schrieb, die Stadt sei „nach den Berechnungen der Vernunft und nicht nach dem Geist des Volkes“ entstanden. Er liebte sie nicht — und konnte sich doch nicht von ihr lösen. Wie viele Russen hatte auch er ein ambivalentes Verhältnis zu Petersburg.

Eine europäische Metropole auf russischem Boden

Die viertgrößte Stadt Europas nach Einwohnerzahl, mit ihren 5,6 Millionen Einwohnern ist Sankt Petersburg bevölkerungsreicher als das benachbarte Finnland, oder fast wie alle drei baltischen Staaten zusammen. Sie ist nach Moskau die wirtschaftlich bedeutendste Stadt Russlands, beherbergt einen der verkehrsreichsten Ostseehäfen und erwirtschaftet rund 5,5 % des russischen Bruttoinlandsprodukts. Hier haben Industriegiganten, Werften, Hightech- und Energieunternehmen ihren Sitz. Doch im Gegensatz zu Moskau besitzt die Stadt auch eine ganz andere Seele.

Man spürt es in den kleinen Dingen: in der mitteleuropäischen, nordisch kulturellen Prägung, in einer feinen, fast alltäglichen Ästhetik. Moskauer behaupten, die Petersburger sprächen langsam, zu langsam, und seien letztlich verträumte Zeitverschwender   – arm, unpraktisch, rückständig, Leute, die sich hinter einer kultivierten Fassade aufspielen. Umgekehrt sehen viele Petersburger in den Moskauern grobe, arrogante Geschäftemacher   – geistlos, kulturlos, geldgierig. Diese Rivalität spiegelt den Gegensatz zweier Sichtweisen auf das Land wider.

Sankt Petersburg war von Anfang an das kulturelle Herz Russlands. Hier befindet sich die Eremitage   – eines der größten Museen Europas, mit über drei Millionen Exponaten. Hier steht das Mariinski-Theater, Wiege des klassischen Balletts und der Oper. Die Stadt besitzt eine große Auswahl an Theatern. Sie beherbergt über 88 Hochschulen. In Sankt Petersburg lebten und studierten nicht nur Wladimir Putin, sondern zum Beispiel auch die Wissenschaftler Iwan Pawlow und Dmitri Mendelejew.

Doch Kultur bedeutet hier nicht nur Institutionen. In den 1980er Jahren war Sankt Petersburg das Epizentrum des sowjetischen Rock, Heimat der Band Kino und von Viktor Tsoj, und bis heute bleibt die Stadt ein künstlerisches Labor. Sankt Petersburg gilt unter jungen Leuten als Mekka der Hipster und hat einen gewissen rebellischen Geist. „Arm aber sexy“, wie man in Berlin sagen würde. In den berühmten „Dworý“   – den Innenhöfen   – finden sich literarische Cafés, illegale Buchhandlungen, Künstlerateliers. Die Stadt zeigt sich nicht auf den ersten Blick   – man muss sie suchen, durch bröckelnde Tore gehen, dunkle Treppen hinaufsteigen.

Kaum eine andere Stadt hat so viele Wandlungen durchlebt. Sie war Symbol des Imperiums, dann Experimentierfeld der Revolution. Sie war Sankt Petersburg, dann Petrograd, dann Leningrad   – und wieder Petersburg. Hier begann 1905 die erste russische Revolution und das Experiment mit dem Parlamentarismus in Russland, hier wurde 1917 der Zar gestürzt, hier scheiterte die erste Republik. Sankt Petersburg war das Herz der Macht   – und auch ihr Gegner.

Im 20. Jahrhundert erlebte Sankt Petersburg oft reinen Schmerz. Zwischen 1941 und 1944 wurde Leningrad im Zweiten Weltkrieg 872 Tage lang von den Nazis belagert. Über eine Million Zivilisten starben an Hunger, Kälte, Bomben. Es war eine der größten Tragödien des Jahrhunderts   – und zugleich ein Symbol des Widerstands. Eine Wunde, die bis heute das Selbstverständnis der Stadt prägt.

Heute erzählt jeder Stein zwei oder drei Geschichten. Hinter einer pastellfarbenen Barockfassade verbirgt sich ein ehemaliges Sowjet-Schlafhaus. Ein kaiserliches Museum steht neben einer verfallenen Fabrik. Die Zeitschichten überlagern sich, widersprechen sich, jagen einander.

Sankt Petersburg lebt von seinem Paradox. Eine Stadt, die gebaut wurde, um Europa zu ähneln, aber einen der unruhigsten und originellsten Teile der russischen Kultur hervorgebracht hat. Sie war Schaufenster des Imperiums   – und Zufluchtsort freier Geister. Diese Ambivalenz macht ihren Reiz aus.

Ein Spaziergang über den Newski-Prospekt genügt, um das zu spüren: ein Fastfood-Lokal neben einer barocken Kathedrale, ein verfallenes klassizistisches Palais gegenüber einem SUV, ein Punk mit grünem Irokesenschnitt raucht neben einer elegant gekleideten Dame, die etwas altmodisch spricht. Alles gleichzeitig, in Widerspruch und Gleichgewicht.

Eine weltoffene Stadt

Im Jahr 2019 zählte Sankt Petersburg über acht Millionen Touristen. Auch wenn die Zahl europäischer Besucher stark zurückgegangen ist, wurde der Rückgang teilweise durch einen wachsenden Zustrom chinesischer, indischer und arabischer Touristen kompensiert.

In Sankt Petersburg geht man zu Fuß. Trotz des brutalen Verkehrs lädt die Stadt zur Langsamkeit ein. Die Brücken über die Newa, die Parks auf der Wassiljewski-Insel   – alles fordert zum kontemplativen Blick heraus. Spazieren wird zu einem Akt des Erkennens, fast ein philosophischer Vorgang. Man verliert sich in den Innenhöfen. Die Stadt gibt sich nicht demjenigen preis, der es eilig hat.

Legendär sind ihre „Weißen Nächte“ im Sommer. Die Sonne geht erst gegen Mitternacht unter, um kurz nach drei wieder aufzugehen   – wirklich dunkel wird es nie. Das streifende Licht streichelt die Fassaden, die Brücken öffnen sich für die Schiffe, die Stadt scheint in der Schwebe. In solchen Momenten wirkt Sankt Petersburg wie ein Traum, der trotz allem weitergeht: trotz Kriegen, Krisen, Isolation.

Wer ein Symbol sucht, um Russland zu begreifen, wird nichts Ausdrucksvolleres finden als Sankt Petersburg. Es ist nicht Moskau, nicht der Osten, nicht Vergangenheit, nicht Zukunft. Es ist die Spannung zwischen alldem. Es ist der Widerspruch aus Stein.

Und gerade deshalb — mit seinen Narben und Triumphen, mit seiner Nostalgie und seinen Ambitionen   – bleibt es eine der faszinierendsten Städte der Welt. Eine wahre Weltstadt.

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