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von Friedrich Liebling 1956 - Autor: Polybios Zeitschrift: Freidenker Band (Jahr): 39 (1956) Heft 8
7. June 2025

Friedrich Liebling: Erziehung und Kultur - Eine Menschheitsfrage


Die Erziehung der Kinder gehört sicherlich zu den größten Anliegen, vor die sich der Mensch im Laufe seines Lebens gestellt sehen kann.
Friedrich Liebling (1893 - 1982) Gründer und Leiter der Zürcher Schule für Psychotherapie

Seit Jahrhunderten haben Dichter und Denker über dieses Problem nachgedacht und wertvolle Gedanken und Grundsätze hierüber geäußert. Da sie aber in der Regel nur von ihrer persönlichen Erfahrung ausgehen konnten, blieben ihre Einsichten lückenhaft und konnten trotz bewundernswürdiger Einfühlungskraft keine systematische Erziehungslehre aufbauen.

Erst durch die Tiefenpsychologie — vor allem durch die bahnbrechenden Untersuchungen von Sigmund Freud und Alfred Adler — wurden jene Erkenntnisse gewonnen, die den Zugang zur Seele des Kindes eröffneten. Traditionelle Irrtümer, die seit den Anfängen unserer Kultur das Verhältnis von Erzieher und Zögling vergiftet haben, wurden in ihrer ganzen Tragweite erkannt und durch tiefenpsychologisch fundierte Anschauungen ersetzt. Dadurch wurde es möglich, Erziehungsreformen einzuleiten, die eine grundsätzliche Neuorientierung bedeuten: es ist die große Aufgabe unserer Zeit, dieser neuen Erziehung zum Durchbruch zu verhelfen und ihre Erkenntnisse zum Allgemeingut der Öffentlichkeit zu machen.

Eine der ersten Einsichten, die wir der tiefenpsychologischen Forschung verdanken, mag für den Erzieher zunächst schmerzlich erscheinen; wir wissen heute, daß es keinen «erzieherischen Instinkt» im Menschen gibt, und daß die Liebe der Eltern zu ihrem Kinde durchaus nicht die Richtigkeit der Erziehungsmethode verbürgt. 

Beim Erziehen ist es sicherlich nicht so, daß man mit dem Amt auch den Verstand hinzubekommt. Die Tatsache, daß man selber erzogen worden ist, besagt keineswegs, daß man imstande ist, zu erziehen, und wir können uns nicht mehr vor der Erkenntnis verschließen, daß Erziehung — wie alles Wichtige im Leben — gelernt sein will. Wer einfach «aufs Geratewohl» erzieht, mißachtet die Verantwortung gegenüber der heranwachsenden Generation. Nur aus dem Verständnis für die kindliche Seele und — was ebenso bedeutsam ist — aus der Selbsterkenntnis des Erziehers erwächst das richtige pädagogische Handeln.

Fehlerhafte Erziehungsmethoden sind ein Verhängnis für die Kultur.

Es ist kein Zweifel, daß die Mißstände unserer Zeit und die geschichtlichen Katastrophen mit der Unvollkommenheit unseres Erziehungswesens zusammenhängen; die traditionelle Erziehung schuf einen Menschentypus, der den Egoismus im Leben des Einzelnen wie der Völker ermöglichte und die mannigfachen sozialen Übel bewirkte oder fortbestehen ließ. Ein Blick auf die Nöte unserer Zeit — Krieg, soziale Ungerechtigkeit, wirtschaftliches Chaos, Diktatur usw. — zeigt uns, wie wenig es die Pädagogik der letzten Jahrhunderte verstanden hat, die gemeinschaftliche Durchbildung des Menschen zu fördern. Darum müssen wir auf diesem Gebiet radikal umlernen: die Tiefenpsychologie hat uns nicht nur die Ursachen unserer Fehlschläge aufgewiesen, sondern auch die Mittel herausgearbeitet, die für eine Erziehung des Menschen zum wahren Kulturträger unerläßlich sind.

An dieser Stelle schon drängt sich uns die Frage auf, ob und wie weit man den Menschen erziehen kann.

Frühere Epochen standen unter dem Einfluß des Fatalismus und gingen von der Auffassung aus, daß die erzieherischen Möglichkeiten prinzipiell gering seien. Man nahm an, daß das Wesen des Menschen bereits vor der Geburt bestimmt sei, etwa in einem «Gesetz, wonach man angetreten» (Goethe). Beim Aufkommen der biologischen Vererbungslehre postulierte man dann auch die Theorie von der Vererbung seelischer Eigenschaften, wonach das Kind durch «angeborene» Charakterzüge der Eltern und Ahnen in seiner seelisch-geistigen Entwicklung als determiniert galt; der Erzieher konnte demnach nur «eindämmen» oder «mildern», aber die charakterliche Prägung des Kindes schien ihm versagt.

Tiefenpsychologische Erkenntnis hat uns gelehrt, daß es im Psychischen keine Vererbbarkeit gibt. Die seelisch-geistige Wesensart eines Menschen entspringt nicht einer unnachweisbaren Heredität; sie ist das Resultat seines frühkindlichen Lebenslaufes, seiner Auseinandersetzung mit seiner ersten mitmenschlichen Umgebung. Aus den Kindheitserlebnissen eines Menschen lassen sich alle seine Charakterzüge verstehen: sie sind die Antwort, die das Kind auf eine bestimmte Situation gegeben hat.

Wenn dabei Eltern oder engere Verwandte imitiert werden, so darf uns dies bei der Beeindruckbarkeit des Kindes und der ungeheuren Bedeutung von Mutter und Vater für das frühkindliche Leben nicht verwundern. Es besteht beim Kinde eine außerordentliche Plastizität und Formbarkeit, die durch das Verhalten der Erzieher ständig — im günstigen wie im ungünstigen Sinne — herausgefordert wird. Kennen wir die Kindheitsgeschichte eines Menschen, so begreifen wir seine Charakterentwicklung, den Grad von Mut und Elan, mit dem er sich den Lebensschwierigkeiten stellt. Unter dieser Perspektive wird jeder psychologischen Vererbungslehre die Daseinsberechtigung entzogen; wir haben Grund zu erzieherischem Optimismus, denn das Schicksal des Kindes ist weder in den Sternen noch in seinen Genen vorgezeichnet: es liegt beschlossen in der seelischen Reife und in der pädagogischen Sachkenntnis der Erzieher, weshalb man allerdings mit Goethe sagen darf:

«Man könnte erzogene Kinder gebären, wenn nur die Eltern erzogener wären!»

Die Fehlerquellen der traditionellen Erziehung entsprechen in der Regel kulturellen Mißständen, durch die sie hervorgebracht worden sind.

Verwöhnung und Verzärtelung des Kindes

Eine erzieherische Fehlhaltung, über deren Folgeerscheinungen uns die Tiefenpsychologie eingehend aufgeklärt hat, ist z. B. die Verwöhnung und Verzärtelung des Kindes. Diese Erziehungsweise, die ungemein weit verbreitet ist, ist dadurch gekennzeichnet, daß sie darauf tendiert, es dem Kinde möglichst leicht zu machen. Der verzärtelnde Erzieher nimmt dem Zögling die Lasten ab, selbst dann, wenn dieser sie bereits ohne Mühe tragen könnte. Die stillschweigende Voraussetzung hierbei ist, «daß es das Kind gut haben soll».

In diesen Bereich gehören auch die sog. «Affenliebe», Bewunderung des Kindes, seiner Launen, Aussprüche, Taten und Untaten, Ausnahmestellung in seiner mitmenschlichen Umgebung usw. Durch die Verwöhnung erhält das Kind ein «Zuviel» an Liebe, wobei mitunter das egoistische Motiv nicht fehlt, das Kind durch die Verwöhnung an die Erzieher zu fesseln. Sucht man nun die Auswirkungen dieser Erziehungsmethode auf das Seelenleben des Kindes, so wird man nicht fehlgehen, wenn man sich auf unerfreuliche Erscheinungen gefaßt macht.

Verzärtelte Kinder neigen dazu, das Leben aus dem Gesichtswinkel des Nehmenden, nicht aber des Gebenden zu betrachten. Sie haben früh gelernt, zu fordern, und wenn sie einmal diesen Lebensstil in sich aufgenommen haben, richten sie ihre Forderungen auf alles, sei dies nun Spielzeug eines anderen Kindes oder — im späteren Leben — Ruhm, Geltung, Anerkennung und Macht. Die Verzärtelung hindert das Kind, ein guter Mitspieler zu werden; da die Eltern Schwierigkeiten von ihm fernzuhalten suchen, hat es wenig Gelegenheit, seine Kräfte zu erproben und sein Selbstgefühl durch Leistungen zu stärken. Aus der Schwäche des verzärtelten Kindes stammt seine Anmaßung und seine Herrschsucht, die häufig die ganze Familie in Bann halten kann.

Das sog. «tyrannische» Kind ist ein Kunstprodukt der Verwöhnung; durch die Unsachlichkeit seiner Erzieher wird es dazu getrieben, selber unsachlich zu sein, und immer und überall sich selbst in den Vordergrund rücken zu wollen. Dies wird besonders deutlich, wenn man beobachtet, wie das verzärtelte Kind auf die von ihm verlangte Einfügung in die Gemeinschaft reagiert. Aus dem Hinterland der Familie, wo es auf eine Ausnahmestellung trainiert hat, gelangt es an die «Front des Lebens», an der seine Vorrechte in Frage gestellt werden. Daraus erwachsen viele Komplikationen, die den Lebensweg des verwöhnten Menschen charakterisieren.

In Kindergarten und Schule bereits äußert sich die soziale Unangepaßtheit in zahllosen Variationen; der Drang, die Erziehungspersonen auf sich aufmerksam zu machen, ihre Dienste in erhöhtem Maße in Anspruch zu nehmen, Isolierung von Gleichaltrigen oder mangelhafter Kontakt infolge Herrschsucht, Ängstlichkeit, Zänkereien usw. ist Ergebnis der Verzärtelung, die die Ichhaftigkeit des Kindes auf Kosten seines Gemeinschaftsgefühles stark erhöht. Egoistische Eigenschaften wie Ehrgeiz, Neid, Eitelkeit usw. werden dadurch aufgepeitscht und bringen das Kind in Gegensatz zu seinen Altersgenossen, wodurch es in sich keinen echten Kameradschaftsgeist entfalten kann. Verhaltungsweisen wie «Strebertum», «Angeberei» usw. haben hier ihren Ursprung.

Auswirkung des «verzärtelten Lebensstils» auf Beruf, Liebe und Ehe als schwerer Hemmschuh 

Andererseits kann aber auch die Begegnung mit der Außenwelt für das verwöhnte Kind einen gefühlsmäßigen Schock erzeugen, indem es — an Widerstände nicht gewöhnt— durch die Schwierigkeiten rasch entmutigt wird und sich von der Nützlichkeitsseite des Lebens abwendet. Trägheit, Faulheit, scheinbarer Intelligenzmangel, Arbeitsunlust usw. machen sich dann in der Schule bemerkbar und führen häufig, trotz offenkundiger geistiger Regsamkeit in anderen Bereichen (Spiel, Sport), zu schulischen Fehlschlägen, die die Zukunft des Kindes in Frage stellen.

Wird die Lebenseinstellung des Kindes nicht korrigiert, so bleibt ungeachtet der ungünstigen Erfahrungen der «verzärtelte Lebensstil» erhalten und wirkt sich in Beruf, Liebe und Ehe als ein schwerer Hemmschuh aus. Vor allem das Liebesproblem erfordert eine Vorbereitung in der Mitmenschlichkeit; es kann nur gelöst werden, wenn in beiden Partnern der Wille zu Mitleben und Mitarbeit mächtig ist, wenn Ich und Du in der Gemeinsamkeit des Wir aufgehen. Darin liegt auch die Überwindung der Ich-haftigkeit, und der Volksmund hat recht in der Behauptung, daß zur Liebe das «Sich-selbst-vergessen» gehört. Gerade dies aber ist es auch, was dem verzärtelten Menschen unsägliche Mühe macht; er neigt dazu, das egoistische Moment in die Liebe hineinzutragen und trachtet, bewußt oder unbewußt, den Partner in seinen Dienst zu stellen. Überempfindlichkeit, Eifersucht, Geiz usw. bedeuten für ihn Leitlinien, auf denen er die Überlegenheit über seinen Lebens- oder Liebesgefährten sicherzustellen sucht.

Anstatt der Liebe entwickelt sich so ein «Kleinkrieg» um die persönliche Macht, grundlose Streitigkeiten verbunden mit dauernder Gereiztheit, deren wahre Ursache die seelische Unausgeglichenheit des verwöhnten Menschentypus ist. Es braucht nicht betont zu werden, daß diese Mentalität zahllose Ehen zum Scheitern bringt und in anderen Fällen das Glück der liebenden Gemeinsamkeit in die Tragödie des gegenseitigen Mißverstehens und Aneinandervorbeilebens verwandelt.

Auch in der Arbeit zeigen sich derartige Mißstände, indem der Mangel an sozialer Verwurzelung entweder die Arbeitsleistung oder die Solidarität mit den Mitarbeitern beeinträchtigt. Der Typus, der heute in Wirtschaft und Politik dominiert, ist häufig aus der verzärtelnden Erziehung hervorgegangen, und es darf uns nicht wundern, daß er sich durch Rücksichtslosigkeit und reduziertes Verantwortungsgefühl auszeichnet; indem die leitenden Positionen von Menschen besetzt werden, die von früher Kindheit an gelernt haben, ihr Mitgefühl bestenfalls auf ihre Familie und einen engeren Kreis der Gemeinschaft zu beschränken, wird es immer wieder möglich, das gesamte Gemeinwesen in Katastrophen hineinzuführen, in denen menschliches Leben und materielle Güter vergeudet werden. Der gegenwärtige Stand des sozialen Problems, die Langsamkeit des politischen Fortschritts und die Rückfälle in die Barbarei, die Unlösbarkeit der über- und internationalen Organisationsfragen stehen damit offensichtlich in engstem Zusammenhang.

Ideologischer Individualismus

Die verzärtelnde Erziehung, der wir das Fortbestehen manches Krebsschadens unserer Kultur zuschreiben müssen, entspringt aber selbst auch kulturellen Mißständen: Erziehung und Kultur entstammen demselben Geiste, und die Mängel der einen müssen an der anderen ihre Entsprechung finden. Die letzte Ursache der verwöhnenden Erziehungsmethode liegt im ideologischen Individualismus unserer Welt, der auf einer Geringschätzung der gemeinschaftlichen Bindung des Menschen basiert. Von der Wirtschaft her wird der «Kampf aller gegen Alle» propagiert; der Einzelne, der sich «durchsetzt», ist immer noch das Ideal der Epoche. Übergreifende soziale Zusammenhänge werden dadurch aufgelöst, und das Leitmotiv des individuellen Strebens ist nicht die allgemeine Wohlfahrt, der Fortschritt der Gesamtheit usw., sondern lediglich das eigene Wohlergehen, verbunden mit demjenigen der Familie.

Indem nun die Familie als die höchste soziale Einheit erscheint, die tatsächlich im Leben des Durchschnittsmenschen eine Rolle spielt (Volk, Staat, Menschheit treten nur in Ausnahmesituationen in den Vordergrund), wird Stolz, Fürsorglichkeit und Verantwortungsgefühl in diesen außerordentlich engen Rahmen gebannt: die Kehrseite des Individualismus ist, daß man das eigene Kind behandelt, wie wenn es den Mittelpunkt der Welt bedeuten würde. Die mangelhafte soziale Durchbildung unserer Kultur tritt uns also in der Erziehung als Verwöhnung und Verzärtelung entgegen; eine Ideologie, die die Gemeinschaftlichkeit des Menschen mehr betont und ihn aus seiner Isolierung heraus in den Schnittpunkt sozialer Beziehungen hineinstellt, wird auch im Erziehungswesen den Kardinalfehler ausmerzen, der das kindliche Gemüt daran hindert, sich frühzeitig schon als Mitmensch, Mitarbeiter und Mitverantwortlicher im großen Spiele des Lebens zu erkennen.

Strenge und Härte in der Erziehung

Ebenso verhängnisvoll wie die verzärtelnde Erziehungsmethode ist deren Gegenteil: die Strenge und Härte in der Erziehung. Der strenge Erzieher schafft eine Distanz zwischen sich und seinem Zögling, die an Stelle gefühlsmäßiger Verbundenheit den absoluten Gehorsam setzt. Die Beziehungen zwischen Kind und Erziehern werden im Geiste der Autorität ausgestaltet, wobei die Rechte auf Seiten der Erzieher, die Pflichten auf Seiten des Kindes stehen. Die Erwachsenen meinen in ihrer guten Absicht, daß das Kind durch ihre Strenge auf den Weg der Tugendhaftigkeit und Pflichterfüllung geführt werde; in Wirklichkeit aber bewirkt die autoritäre Erziehung höchstens eine Moralität der Furcht, nicht aber echte Gewissensbildung, die das Gute um des Guten willen tut.

Die Strenge und Härte der Erzieher vertieft die kindlichen Minderwertigkeitsgefühle; da die Erwachsenen auf ihre Macht pochen, sieht sich das Kind einer Willkür ausgeliefert, die es mitunter gar nicht begreifen kann. Im Kinde verdichtet sich die Meinung, daß die Welt «Feindesland» sei, und daß die Gewalt die «ultima ratio» der menschlichen Beziehungen bedeute. Dadurch werden der Entwicklung seines Mutes und seines Selbstvertrauens, d. i. seines Gemeinschaftsgefühles, enge Grenzen gesetzt.

Frühzeitig infiziert durch die elterliche Aggressivität, nimmt das Kind den Kampf gegen seine Erzieher auf und versucht mit tausenderlei Mitteln, ihre Gewalt zu brechen oder zu umgehen. Die direkte Antwort auf die Strenge der Erzieher ist der Trotz, der sich auf alle Lebensgebiete — von der Nahrungsaufnahme bis zu den Schulleistungen — ausdehnen kann und den Geboten des Erwachsenen ein offenes «Nein!» entgegensetzt. Aus trotzigen Kindern werden dann später trotzige Erwachsene, die Mühe haben, mit ihrer Umwelt in Frieden zu leben. Aus ihrer Kindheit haben sie die feindselige, kämpferische Haltung in sich aufgenommen, und sie suchen immer wieder Situationen herzustellen, in denen sie ihre aggressiven Neigungen auslassen können. Streit, Jähzorn und Zanksucht, Spott, Nörgelei, usw. befriedigen diese Tendenzen, die zumeist nur teilweise bewußt sind und selten als asoziale Charakterzüge erkannt werden.

Sofern der strenge Erzieher Erfolg hat und sich das Kind willig seinen Anordnungen fügt, scheint dem oberflächlichen Betrachter die autoritäre Erziehungsmethode gerechtfertigt. Mit Stolz wird dann etwa darauf hingewiesen, wie folgsam die Kinder seien und sozusagen aufs Wort gehorchen. Dieser Sieg der strengen Erzieher über das Kind geht aber fast immer auf Kosten der kindlichen Spontaneität, Offenheit und Lebensfreude. «Brave Kinder» tragen mitunter einen abgründigen Groll in sich, und ihre Fügsamkeit überdeckt lediglich bösartige Neigungen, welche durch die Gewaltanwendung der Erzieher entstanden sind.

Sobald dann der erzieherische Druck — etwa in der Pubertät — aufhört, sieht man gelegentlich die vielbewunderte «Bravheit» zusammenbrechen und unter dem Firnis der Wohlerzogenheit erscheint der Trotz, der gewaltsam niedergehalten wurde. Wie immer sich auch die Folgen der strengen Erziehung manifestieren mögen: in allen Fällen trägt das Kind, welches bei seinen autoritären Erziehern nicht die Grundstimmung der Liebe, des Geborgenseins und des absoluten Vertrauens entfalten kann, bleibenden Schaden an seiner Seele davon. Im Umgang mit seinen Kameraden, in Freundschaft, Berufswahl und auch in Liebe und Ehe wird der streng und hart erzogene Typus durch ein Übermaß von Schwierigkeiten auffallen, die aus seiner seelischen Struktur hervorgehen.

In der Liebe etwa wird er durch Herrschsucht oder — sofern die Erziehung an ihm «Erfolg» gehabt hat — Unterwürfigkeit die echte Gemeinschaft verunmöglichen. Ein kämpferischer Zug seines Seelenlebens wird ständig jene innere Harmonie stören, die die Voraussetzung für das Liebesgefühl bedeutet. Das durch die Aggressivität zerrissene Gemüt bringt nur Zerrformen der Liebe hervor, denn die Liebe wird gespeist durch das Vertrauen, und Menschen, die in der Atmosphäre der Gewalt aufgewachsen sind, haben es schwer, mit andern vertraulich zu werden. Das gilt dann auch für Arbeit und Sozialleben, wo sich der autoritäre Typus in seiner aktiven Form als Tyrann, in seiner passiven Form aber als Untertan erweist. Diese beiden Spielarten menschlichen Verhaltens, in Politik und Wissenschaft ungemein häufig anzutreffen, sind das Resultat einer Erziehung, die das Recht des Kindes auf eine Eigenpersönlichkeit verneint und den kindlichen Willen einfach in eine vorgegebene Form zu pressen versucht.

Schläge und Strafen ganz aus der Erziehung verbannen

In diesem Zusammenhang müssen auch einige Andeutungen über die Schläge und Strafen in der Erziehung gemacht werden. Jahrtausendelang hielt man es für ein unbezweifelbares Vorrecht der Erzieher, ihre Kinder nach Wunsch und Laune zu bestrafen. Die Prügelstrafe z. B. galt als ein wertvolles und wirksames Erziehungsmittel, und das Wahrzeichen des Schulmeisters war lange Zeit der Stock, mit dem er die Kinder schlug. Wir wissen heute, daß die Schläge gänzlich aus der Erziehung verbannt werden müssen, und daß auch die Strafe durch zweckmäßigere Maßnahmen ersetzt werden soll.

Durch das Schlagen zeigt der Erzieher dem Kinde, daß er es nicht als gleichberechtigt achtet, sondern es «nötigenfalls» durch die nackte und rohe Gewalt bezwingt. Angesichts der körperlichen Überlegenheit des Erwachsenen ist diese Bestrafung sicherlich weder Kunst noch Heldentat, und das Kind fühlt dunkel und halbbewußt, daß sein Erzieher um das Prestige kämpft und sich dabei mit billigen Hilfsmitteln zufrieden gibt. Das Gefühl der Ohnmacht treibt im Kinde einen Haß hervor, der oft verborgen bleibt, aber auch bei «bloß gelegentlichen» Züchtigungen das kindliche Gemüt verwüstet. Dazu kommt, daß die Schläge auch — häufiger als man annimmt — Perversionen des Gefühlslebens bewirken, und von Rousseau stammt eine der ersten Schilderungen, daß die Prügel im Kinde frühe Wollustgefühle erzeugen können («Bekenntnisse»). Ebenso wichtig ist aber auch, daß der Erzieher, der sich dem blinden Affekt überläßt, nicht nur die Freundschaft seines Kindes verliert, sondern auch sich der Möglichkeit beraubt, sein Kind zu verstehen und zu begreifen.

Die «Missetaten» der Kinder, oft eher ein Versehen als Böswilligkeit, entspringen nicht der Willkür, sondern sind die Reaktion auf Probleme und Konflikte, mit denen sich das Kind auf seine Weise auseinandersetzt. Daher gelangt die Tiefenpsychologie zu der Forderung, die Strafe überhaupt aus der Erziehung auszuschalten. Das Erziehungsmittel, das uns dann verbleibt, ist der vorübergehende «Liebesentzug», d. h. der Erzieher kann im Gespräch dem Kinde anzeigen, daß es durch sein Tun traurig stimmt und auch Leid hervorruft. Der Appell an die kindliche Einsicht muß schon sehr früh einsetzen, und wenn man prinzipiell auf die Gewalt verzichtet, wird man tausend Möglichkeiten finden, das Kind gewaltlos auf die Bahn der Gemeinschaft zu leiten. Auch die Tierdressur hat in neueren Zeiten auf die Schläge verzichtet und damit weit bessere Resultate erzielt.

Die Kinder sollen ihre Erzieher nicht fürchten müssen: dies ist nur möglich, wenn sich der Erzieher prinzipiell immer auf die Seite des Kindes stellt. Erziehen ist eine Kunst, und kein Kunstwerk wird durch Gewalt geschaffen. Geduld, Liebe, Sanftmut, Verstehen usw. allein bringen das Kunstwerk eines wohlerzogenen Kindes zustande, indes Walther von der Vogelweide sagt: «Niemand kann mit Gerten, Kindes Zucht behärten!»

Woher stammt die Neigung zu einer strengen, harten und aggressiven Pädagogik, die seit Jahrhunderten ihr Unwesen treibt und erst durch die Tiefenpsychologie in den Hintergrund gedrängt wird?

Herrschaft des Menschen über den Menschen

Wir werden hier daran erinnert, daß unsere gesamte Kultur einen autoritären Charakter hat und seit ihren Anfängen auf der Herrschaft des Menschen über den Menschen beruhte. An den Ursprüngen der Geschichte hat der Mensch den dämonischen Naturgewalten die Melodie der Gewalt abgelauscht und sie im gesellschaftlichen Leben zur Anwendung gebracht. König, Adel, und Klerus jeglicher Art regierte tyrannisch über den Menschen; die Grundform der sozialen Beziehung, selbst für das Verhältnis Mann und Frau gültig, war die Gegenüberstellung von Herr und Knecht. Jahrtausende der Herrschsucht und Unterwürfigkeit lassen sich nicht so rasch abstreifen. Staat, Militär und Wirtschaft sind durchdrungen vom uralten Geist der Autorität, und aus dem gesellschaftlichen Dasein infiltriert die Machtgier selbst die Familie, bestimmt auch die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Lehrern und Zöglingen.

Die autoritäre Kultur schafft autoritäre Erzieher, deren Erziehungsarbeit wiederum jene Massenepidemien der Gewaltanwendung vorbereitet, die wir im Krieg, nationaler und rassischer Verfolgung die entsetzlichsten Blüten haben treiben sehen. Die Demokratie selbst hat noch lange nicht die pädagogischen Konsequenzen aus ihrer Staatsverfassung gezogen, wie denn auch unsere heutige Form von Demokratie keineswegs schon «demokratisch genug» genannt werden darf. Die Voraussetzung eines demokratisch geordneten Gemeinwesens ist Vernunft, Freiheit und Selbstbestimmung seiner Bürger, welche von einem Verantwortungsgefühl für die Gesamtheit getragen sein müssen. Damit muß in der Kinder- und Schulstube angefangen werden. Der autokratische Erzieher, der über die Kinder regiert und ihren Gehorsam erzwingt, ist der Steigbügelhalter der Diktatur. Kinder, die geschlagen werden, sind später bereit, andere zu schlagen oder — sofern es Krieg gibt — andere zu morden, ohne viel zu fragen, ob die Staatsführung sie zu Recht oder zu Unrecht in das Massenverbrechen des Krieges geführt hat.

Abgesehen von diesen extremen Erscheinungen macht sich die Autorität aber auch im friedlichen Zusammenleben der Einzelnen und der Völker störend bemerkbar und schafft zahllose Hindernisse, die die Vereinigung der Menschen beeinträchtigen. Man könnte der Demokratie und ihrer Zukunft keinen wichtigeren Dienst erweisen, als die Beseitigung autoritärer Methoden aus der Erziehung; natürlich muß man hierzu auch phantastische Vorurteile aus der Welt schaffen, wonach der Mensch von Natur «sündig» sein soll: wir wissen heute, daß die Sündhaftigkeit des Menschen erst durch eine unsachgemäße Erziehung zustande kommt und daß man auf dem besten Wege ist, Kinder «sündhaft» zu machen, in dem man der Meinung anhängt, daß sie schon an sich zum «Satan» neigen. Demgegenüber erklärt die Tiefenpsychologie, daß der Mensch von Natur weder gut noch böse ist, sondern erst durch die Erziehung jene Grundrichtungen seines Strebens erhält, die ihn — sozial gesehen — «gut» oder «böse» werden lassen.

Sexualerziehung

Damit sei zum Problem der Sexualerziehung übergeleitet, an dem die traditionelle Erziehung auf der ganzen Linie gescheitert ist. Vor den bahnbrechenden Entdeckungen Sigmund Freuds hieß Sexualpädagogik nichts anderes als Sexualverdrängung, d. h. man bemühte sich darum, das kindliche Interesse für die Sexualität und die frühen Äußerungen des Sexualtriebes zu unterdrücken oder zu übersehen. Die etwas übertriebenen Schilderungen der Psychoanalyse haben den Vorteil mit sich gebracht, daß sie die Sexualfragen in das Bewußtsein der Öffentlichkeit eingeführt haben und die allgemeine Prüderie und Verlogenheit auf ein normales Schamgefühl reduzierten. Wir wissen heute, daß die Lehre von der «paradiesischen Unschuld des Kindes» ein Mythos ist — jedes normale Kind zeigt ziemlich früh das Verlangen, über seine Herkunft Bescheid zu wissen; es forscht nach dem Unterschiede der Geschlechter und gelangt auch im vorschulpflichtigen Alter schon dazu, sein Geschlechtsorgan als Lustquelle zu erkennen.

Die kindliche Selbstbefriedigung, früher als gräßliches Laster mit verheerenden Folgen angesehen, gilt uns Heutigen als ein normales Durchgangsstadium innerhalb der Entwicklung des Kindes; die Methoden der Furcht und Abschreckung machen mehr und mehr dem Verständnis Platz, welches naturgegebene Entwicklungsperioden ohne Unruhe und allzugroße Besorgnis verfolgt. Wenn das Kind Fragen an den Erzieher richtet, so soll er sie dem Alter und der geistigen Fassungskraft des Kindes gemäß offen und rückhaltlos beantworten. Soll das Kind seelisch und geistig gesund bleiben, so bedarf es einer vernünftigen Aufklärung, die entweder durch die Eltern, oder durch Lehrer, Ärzte und Psychologen durchgeführt werden muß. Das aufgeklärte Kind wird ohne Angst und Hemmung den richtigen Weg finden und im späteren Leben eine gesunde Sexualität aufweisen.

Die Erfahrungen der psychotherapeutischen Praxis geben Aufschluß darüber, welche Folgen eine unvernünftige Sexualerziehung zeitigt. Wir wissen heute, daß das Ausweichen vor den kindlichen Fragen nach seiner Herkunft eine Erschütterung des Vertrauens in die Eltern mit sich bringt. Sieht das Kind, daß man es mit Fabeln abgespeist hat, so lernt es «Geheimnisse» haben und sein Innenleben in sich zu verschließen.

— Ein anderes Problem erwächst aus der Tatsache, daß die Kinder keine Scheu vor der Nacktheit haben und sie mitunter unschuldig zur Schau stellen. In früheren Zeiten war man in dieser Hinsicht außergewöhnlich prüde und suchte dem Kinde möglichst bald beizubringen, daß es seine Scham zu verbergen habe. Diese anerzogene Schamhaftigkeit führt dann im späteren Leben oft dazu, daß die Menschen überhaupt schüchtern und scheu werden; wir sind heute der Meinung, daß zwischen Eltern und Kindern keine ängstliche Prüderie vorwalten muß und daß der menschliche Körper nicht so schamhaft verhüllt werden muß. Man muß nicht befürchten, daß dadurch die kindliche Sexualneugier gesteigert würde; im Gegenteil, die Unbefangenheit der Eltern wird sie reduzieren, indes das Verstecken und Verhüllen sie gelegentlich zu Formen steigert, die dann im späteren Leben seelische Krankheiten, bzw. Sexualperversionen hervorbringen können. —

Im Hinblick auf die kindliche Onanie hat sich heute der Standpunkt durchgesetzt, daß sie völlig «normal» ist und — sofern sie nicht übertrieben wird — keinen Anlaß zur Beunruhigung bietet. Das Onanieverbot, früher mit großer Strenge aufgestellt und durch Einschüchterungen aller Art bekräftigt, wirkt sich auf die seelische Entwicklung äußerst schädlich aus. Im Widerstreit zwischen seinen natürlichen Neigungen und dem elterlichen Gebot wird das Kind irritiert und muß einen Kampf gegen sich selbst führen, in dem es seine Kräfte verbraucht. Die Angst vor der Selbstbefriedigung und den Folgen, die ihm dabei angedroht werden («Du wirst krank werden»; «Dein Glied wird dir abgeschnitten» usw.), wirkt sich lähmend aus und mit der Onanie wird dann auch ein Stück der kindlichen Aktivität überhaupt unterdrückt. Auch hier können spätere Perversionen oder psychische Impotenz, bzw. Frigidität ihren Ursprung haben und das zukünftige Sexualleben empfindlich beeinträchtigen.

In der Pubertät erntet man bereits die Früchte, die man in der Kindheit gesät hat; die Komplikationen, die sich hier einstellen, werden in der kindlichen Sexualerziehung, d. h. in der Erziehung des Kindes im gesamten vorbereitet. In dieser Entwicklungsperiode vor allem bedarf der junge Mensch der seelischen Führung, wenn er sich selber finden soll. Die seelischen Wirren dieser Zeit, in denen der Trieb erwacht und sich die zahllosen Probleme des selbstverantwortlichen Lebens zu stellen beginnen, können nur in befriedigender Weise überwunden werden, wenn die Jugend in ihrer erwachsenen Umgebung verstanden wird; unnütz zu sagen, daß in den meisten Fällen dieses Verständnis nur mangelhaft ist und Gegensätze zwischen Kind und Eltern heraufbeschwört, die zu unerfreulichen Erscheinungen führen. Bei antiautoritärer, psychologischer Erziehung könnte z. B. der sogenannte «Generationenkonflikt», den man gelegentlich als ein gesetzmäßig auftretendes Faktum betrachtet, gänzlich zum Verschwinden gebracht werden; nur wo Kinder unter Druck aufgezogen worden sind, werden sie sich gegen diesen Druck wenden, sofern sie genügend Kräfte in sich zu fühlen beginnen.

Triebfeindschaft dringt in die Kultur ein

Die Unnatürlichkeit der traditionellen Sexualpädagogik entstammt dem unnatürlichen Sexualverhalten unserer gesamten Kultur. In den Anfängen der abendländischen Geistesgeschichte hat die Idee der Triebverdrängung die Oberhand bekommen und ist zu einem Leitmotiv des sozialen Lebens geworden. Das hängt u. a. auch damit zusammen, daß zahlreiche Repräsentanten des Geistes eine krankhafte Trieb- und Charakterstruktur gehabt haben müssen, was wir etwa an ihrer asketischen Mentalität, ihrer Weltflüchtigkeit und ihrer Verdammung der Triebhaftigkeit erkennen. Von solchen Persönlichkeiten, an denen die Geschichte bei genauerem Zusehen sehr reich ist, drang dann die Triebfeindschaft in die Kultur ein: der Trieb wurde als ein Verhängnis angesehen, das den Menschen von seiner höheren Bestimmung abzieht und ihn gleichsam den Fallstricken Satans ausliefert. Menschen, die den Himmel gewinnen wollten, begannen gegen ihren Körper zu wüten, und ihr Haß gegen ihre Sinnlichkeit weitete sich aus zu einem Selbsthaß, von dem uns die Geschichte der Askese schreckenerregende Beispiele berichtet.

Nicht in der Veredlung des Triebes, sondern in seiner Ausrottung sah man das große Ideal des Menschen; der Begriff der Heiligkeit verband sich mit demjenigen des unnatürlichen, triebentfremdeten Lebens. Jahrhundertelang galt der Mensch, der die Natur in sich verneinte und einzig und allein im Dienste der Gottheit aufging, als das bewunderungswürdige Vorbild; Mönche und Nonnen, die in klösterlicher Abgeschlossenheit ihr Triebleben unterbanden, wurden als nachahmenswert empfunden. Diese Einstellung verdarb die gesunde Sinnenfreude, und bis auf den heutigen Tag sind wir noch weit davon entfernt, in dieser Hinsicht «natürlich» zu empfinden. Die sogenannten «weltüberwindenden Ideologien», die es in fast in allen Kulturen gibt, haben unermeßlichen Schaden angerichtet und haben verursacht, daß jener Lebensbereich, für den die Natur die größten und stärksten Glücksmöglichkeiten vorgesehen hat, in den Geruch des Satanisch-Dämonischen geriet.

Noch heute krankt die Menschheit am Probleme der Sexualität mehr als an anderen Problemen, und die sexualkranke Kultur ist zugleich auch eine Kultur der allgemeinen Feindseligkeit, des wirtschaftlichen Egoismus, des Völkerhasses und des Krieges. Man muß die Menschen glücklicher machen, um sie zu bessern. Der befreite Trieb wird weder eingeschüchtert noch maßlos; er allein kann sich der Kontrolle durch die Vernunft unterstellen und jene Sublimierungen erreichen, von denen die Tiefenpsychologie lehrt, daß sie mit den Kulturleistungen im Zusammenhang stehen. Man muß lernen, den menschlichen Körper ebenso hoch zu schätzen wie die Seele, und seine triebhaften Ansprüche als einen unveräußerlichen Bestandteil seiner Natur anzuerkennen. Die Sexualität ist nicht nur ein «notwendiges Übel» oder ein irritierendes Gefühl anläßlich der Kinderzeugung: sie ist an sich etwas Schönes und Erhabenes, ein Quell der Freude, die die Vereinigung zweier Menschen mit unaussprechlichen Empfindungen begabt.

Anwendung der Tiefenpsychologie in Erziehung und Kultur

Überall, wo wir Mißstände und Mängel des Erziehungswesens ins Auge fassen, erkennen wir den kulturellen Hintergrund, der die Entstehung derartiger Fehlhaltungen begünstigt. Die egoistische, herrschsüchtige und kriegerische Kultur hat auch eine Pädagogik ausgebildet, die sie am Leben erhält und sie in die Zukunft fortzusetzen trachtet. Unglücklicherweise ist sich die Demokratie, dieser Versuch eines Lebens in der Freiheit und Zusammenarbeit, dieser Zusammenhänge wenig bewußt. Die demokratischen Gemeinwesen konservieren heute noch Erziehungsmethoden, die den Geist des Absolutismus in sich tragen. Damit wird es der Diktatur leicht gemacht, drohend ihr Haupt zu erheben; der Rückfall in die Barbarei, den wir in unserem Jahrhundert oft und schmerzlich erleben mußten, ist in den Kinder- und Schulstuben vorbereitet, so daß es nur der «massenpsychologischen Auslösung» bedarf, um den Menschen für jeden kollektiven Wahn zu ereifern. Eine freie Welt kann nur durch eine freiheitliche, tiefenpsychologisch orientierte Erziehung kommen; der Fortbestand und die Höherentwicklung unserer Kultur wird davon abhängen, inwieweit wir imstande sein werden, die Erkenntnisse der Tiefenpsychologie auf Erziehung und Kultur in möglichst umfassender Weise anzuwenden. 

Warum wählte Friedrich Liebling Polybios zu seinem Pseudonym?


Polybios war ein alt-griechischer Historiker um 200 v. Chr.  Er verfasste die Historien, eine Universalgeschichte in 40 Büchern für die Zeit von 264 bis 146 v. Christus.   Es ging ihm um die Einsicht in Ursachen und Zusammenhänge. Als Historiker entwickelte er Standards für die pragmatische Geschichtsschreibung (pragmatike historia). Diese zielt auf eine Belehrung durch Präsentation von Tatsachen und Verhalten. Quelle: https://www.frag-machiavelli.de/polybios/ 

 

  • Quelle: Autor: Polybios Zeitschrift: Freidenker Band (Jahr): 39 (1956) Heft 8
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