Was hat die NATO Kiew vor der Eskalation von 2022 versprochen, und was bedeutet das heute für Europa?
Anti-Spiegel: Ich behaupte immer wieder, die NATO habe Kiew militärische Unterstützung im Falle einer Eskalation mit Russland versprochen und die ukrainische Regierung 2022 so in den Krieg mit Russland getrieben. Hier zeige ich, warum ich dieser Meinung bin.
Letzte Woche habe ich Infrarot ein Interview gegeben, in dem ich mal wieder gesagt habe, dass ich der Meinung bin, die NATO habe Kiew vor 2022 militärische Unterstützung im Falle einer Eskalation mit Russland versprochen und die ukrainische Regierung 2022 so in den Krieg mit Russland getrieben. Da das für viele unglaublich klingt und weil diejenigen, die nur den Mainstream-Medien folgen, das für totalen Unsinn halten müssen, will ich hier aufzeigen, warum ich das behaupte.
Der Grund ist denkbar einfach, man muss sich nur an all die Erklärungen erinnern, die in Kiew Anfang März 2022, also unmittelbar nach der Eskalation, abgegeben wurden. Ich will hier an einige erinnern, dann wird klar, was ich meine.
Was hat die NATO Kiew versprochen?
Offensichtlich hat die NATO der Ukraine vor 2022 hinter verschlossenen Türen mehr versprochen, als sie nach der Eskalation umgesetzt hat. Öffentlich haben US-Präsident Biden und NATO-Generalsekretär Stoltenberg vor dem russischen Eingreifen in der Ukraine unermüdlich erklärt, dass die NATO die Ukraine nicht militärisch verteidigen werde, weil sie kein NATO-Mitglied ist.
Als der russische Präsident Putin im Februar 2022 die Donbass-Republiken anerkannt hat, hat er in seiner Rede an die Nation angekündigt, mit den Republiken Beistandsverträge abzuschließen und er hat die Rede mit folgenden Worten beendet:
„Von denen, die in Kiew die Macht übernommen haben und halten, fordern wir die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten. Andernfalls wird die Verantwortung für die mögliche Fortsetzung des Blutvergießens ausschließlich auf dem Gewissen des Regimes lasten, das das Gebiet der Ukraine regiert.“
Es war also absolut klar, dass ein weiterer Beschuss des Donbass zu einem russischen Eingreifen führen würde. Man kann das gut oder schlecht finden, aber es war allen bekannt.
Darüber, dass Russland dann auch eingegriffen hat, konnte niemand überrascht sein, der die OSZE-Berichte aus dem Donbass gelesen hat, denn die OSZE hat in den auf Putins Rede folgenden Tagen keine Abnahme des Beschusses gemeldet, sondern im Gegenteil noch einmal eine kräftige Zunahme des ukrainischen Beschusses.
Die Chronologie der entscheidenden Woche Ende Februar 2022 war also folgende: Am Montag hat Putin die Republiken anerkannt, am Dienstag und Mittwoch nahm der Beschuss der Ukraine auf den Donbass stark zu und am Donnerstag hat Russland militärisch eingegriffen.
Kiew musste wissen, dass es Russland mit dem Beschuss zu einem militärischen Eingreifen nötigt. Trotzdem hat Kiew genau das provoziert.
Das war nur der Auslöser, die Hauptgründe für Russlands Eingreifen waren sicherlich der damals drohende NATO-Beitritt der Ukraine und die Drohung Selenskys, die Ukraine nuklear zu bewaffnen. Aber Tatsache ist, dass Kiew alles getan hat, um Russlands Eingreifen zu provozieren.
Die Frage ist, warum er das getan hat, wenn nicht, weil er sich sicher war, dass die NATO ihm militärisch helfen würde.
Präsident Selensky sagte in den Tagen nach Russlands Intervention in praktisch jeder Rede, er habe alle NATO-Staaten um militärische Unterstützung gebeten und er war damals sichtlich überrascht, dass die alle abgelehnt haben. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die NATO der Ukraine Hoffnung gemacht hatte, sie werde Kiew gegen Russland militärisch unterstützen. Oder wie sonst kann man das erklären?
Selensky forderte von der NATO, nachdem sie ein militärisches Eingreifen abgelehnt hatte, Anfang März 2022, wenigstens eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten, aber auch da winkte die NATO ab, denn eine Flugverbotszone hätte bedeutet, dass NATO-Flugzeuge auf russische Flugzeuge schießen müssten. Die NATO wollte für die Ukraine aber keinen Dritten Weltkrieg riskieren und hielt daher die Füße still.
Die NATO bewegte keinen Finger und Washington hat damals stattdessen ein rotes Telefon zum russischen Militär eingerichtet, um ungewollte Zwischenfälle zu vermeiden.
Der ukrainische Außenminister war von der NATO enttäuscht
Dass man in der ukrainischen Regierung offenbar geglaubt hat, die NATO würde militärisch eingreifen, wurde auch an Aussagen des ukrainischen Außenministers deutlich, der Anfang März 2022 im ukrainischen Fernsehen sagte:
„Ich möchte deutlich darauf hinweisen, dass in der NATO eine politische Vereinbarung besteht, wonach die Verbündeten der Ukraine auf bilateraler Ebene in jeder erdenklichen Weise helfen sollen. Aber das Bündnis selbst hat sich als Organisation im Grunde selbst abgeschafft. Wir müssen in diesem Punkt ehrlich sein. Die Ukrainer müssen klar und ehrlich erkennen, dass die NATO nicht wirklich das ist, was sich die Ukrainer darunter vorstellen, zumindest im Moment. Wenn sie morgen ihren Standpunkt ändern, toll. Aber bisher ruft ihre Position keinen Respekt hervor.“
Das reihte sich nahtlos in all die Erklärungen von Selensky ein und der ukrainische Außenminister hätte das kaum gesagt, wenn man in der ukrainischen Führung nicht der Meinung gewesen wäre, die NATO hätte der Ukraine im Falle einer Konfrontation mit Russland mehr versprochen, als die Lieferung alter und ausgemusterter Waffen, die damals, also Anfang März 2022, als einzige Hilfe aus dem Westen kamen.
Außenminister Kuleba sprach immerhin von einer „politischen Vereinbarung“. Die NATO dürfte der ukrainischen Regierung hinter verschlossenen Türen also tatsächlich mehr versprochen haben, denn öffentlich war von so einer Vereinbarung nichts bekannt.
Stattdessen lieferte die NATO alte und ausgemusterte Waffen an die Ukraine. Was die NATO damals in die Ukraine geliefert hat, können Sie hier nachlesen, es waren hauptsächlich alte Gewehre.
In Kiew gab es keine Überraschung über die Eskalation
Man muss mit der russischen Argumentation nicht einverstanden sein, aber man muss anerkennen, dass Russland sowohl seine Sorgen deutlich und öffentlich mitgeteilt hat und auch offen angekündigt hat, wie es auf weiteren Beschuss des Donbass reagieren würde. Spätestens zwei Tage nach der russischen Anerkennung der Donbass-Republiken war klar, dass Kiew den Russen – zumindest nach russischem Verständnis – mit dem erhöhten Beschuss des Donbass keine andere Wahl gelassen hat, als militärisch einzugreifen. Niemand muss der russischen Sicht zustimmen, aber das war die offen verkündete russische Sicht der Dinge. Und sie wurde offen kommuniziert.
Die NATO hat Kiew, das anscheinend an ein militärisches Eingreifen der NAO geglaubt hat, sehenden Auges in den Krieg getrieben und als Kiew den Beschuss des Donbass erhöht hat, war es für keinen Experten eine Überraschung, dass Russland eingreifen würde.
Und das ist der Witz: Überraschte Reaktionen über den Beginn der russischen Militäroperation hat man aus Kiew nicht gehört. Aber unmittelbar danach hörte man aus Kiew lauter überraschte Reaktionen über die Weigerung der NATO, der Ukraine militärisch zur Hilfe zu kommen.
Von Saakaschwili nichts gelernt
Offensichtlich hatte die NATO Kiew mehr zugesagt, oder zumindest berechtigte Hoffnung auf mehr gemacht, als die NATO dann umgesetzt hat. In Kiew hatte man aus dem Beispiel von Saakaschwili nichts gelernt.
Im August 2008 hat der georgische Präsident Saakaschwili russische Friedenstruppen angegriffen und dann die süd-ossetische Hauptstadt Zchinvali eine ganz Nacht lang mit Mörsern beschossen, wobei es viele zivile Opfer gab. Russische Kampftruppen tauchten erst einen Tag später dort auf und haben die Georgier schnell vertrieben. Der Krieg war nach fünf Tagen vorbei.
Westliche Politiker und Medien erzählen bis heute die Lüge, dass das eine russische Aggression gewesen sei. Ich sage bewusst „Lüge“, weil der Europarat schon 2009 in einem Untersuchungsbericht zu dem Schluss gekommen ist, dass es sich dabei um einen völkerrechtswidrigen Angriff Georgiens gehandelt hat und dass Russlands Verteidigung und Reaktion vom Völkerrecht gedeckt war. Es gibt also keinerlei Zweifel, was damals abgelaufen ist, trotzdem werfen westliche Medien und Politiker Russland bis heute eine „Aggression“ gegen Georgien vor. Weitere Details finden Sie hier.
Die USA haben Saakaschwili seinerzeit die Hoffnung gemacht, sie würden Georgien notfalls beistehen. Als der Krieg dann lief, war davon keine Rede mehr. Aber ohne die Hoffnung, die USA im Rücken zu haben, hätte Saakaschwili kaum einen Krieg gegen das übermächtige Russland riskiert.
In Kiew ist man Anfang 2022 offensichtlich in die gleiche Falle getappt, wie 14 Jahre zuvor der georgische Präsident Saakaschwili.
In beiden Fällen hatten die damaligen US-Regierungen ihr Ziel erreicht, Russland in Stellvertreterkriege zu stürzen. Und in beiden Fällen haben die USA ihre “Freunde” danach alleine gegen Russland kämpfen lassen.
Und die NATO?
Daran muss ich immer denken, wenn ich die Aussagen der europäischen Politiker höre, die Russland und seinen Präsidenten wüst beschimpfen, weil sie glauben, die USA würden ihnen dank der NATO schon militärisch helfen, wenn sie einen Konflikt mit Russland provozieren.
Wenn ich die reden höre, frage ich mich immer, ob die Politiker und Journalisten, die behaupten, Artikel 5 des Nato-Vertrags verpflichte die Mitgliedsländer zu irgendetwas, den Artikel 5 überhaupt gelesen haben. Der verpflichtet nämlich zu gar nichts.
Laut NATO-Vertrag müssen zunächst alle Mitgliedsländer einstimmig beschließen, dass der sogenannte Bündnisfall vorliegt, erst danach greift Artikel 5. Und der Artikel 5 verpflichtet die NATO-Länder de facto zu gar nichts, denn darin heißt es, dass jede Vertragspartei des NATO-Vertrages in diesem Falle „die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet“.
Mit anderen Worten: Wer es nicht für erforderlich erachtet, irgendwie zu helfen, der tut es einfach nicht. Ich habe das vor einiger Zeit ausführlich erklärt, Sie können es hier nachlesen.
Natürlich wäre die NATO politisch tot, wenn sie den Bündnisfall ausruft und dann nicht alle NATO-Länder geschlossen in den Krieg ziehen, aber trotzdem ist so ein Fall nicht ausgeschlossen und im NATO-Vertrag ausdrücklich vorgesehen.
Auf dieser Formulierung haben bei der Gründung der NATO übrigens die USA bestanden, weil sie sich nach der Gründung der NATO nicht von irgendwem gegen ihren Willen in einen Krieg mit der Sowjetunion ziehen lassen wollten. Und so kann es auch heute jedes NATO-Land im Ernstfall ablehnen, in einen Krieg zu ziehen, den es nicht will.
Und wie viele NATO-Länder wären wohl bereit, für die Ukraine in einen Krieg gegen Russland zu ziehen? Die Antwort ist bekannt, dazu wäre kein NATO-Land bereit, oder ist irgendein NATO-Land der Ukraine bisher militärisch zu Hilfe gekommen?
Und glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Trump-Regierung (oder oder irgendeine andere US-Regierung) im Falle einer militärischen Eskalation europäischer Länder mit Russland für Europa in einen Krieg mit Russland ziehen und Washington für Warschau opfern würde?
Darüber sollten all die Kriegstreiber namens Merz, Macron, von der Leyen und so weiter mal in Ruhe nachdenken, anstatt verbal und mit Drohgebärden weiterhin eine Eskalation mit Russland zu riskieren. Die Europäer würden in dem Falle sicher genauso alleine gegen Russland stehen, wie einst Georgien und heute die Ukraine – während die USA an den für den Krieg nötigen Waffen Geld verdienen würden.
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Quelle: Anti-Spiegel - Mit freundlicher Genehmigung übernommen