Verfassungsschutz gegen AfD: Wie eine Geheimpolizei?

(Red.) Der deutsche Verfassungs"schutz" versucht, ca. 10 Millionen deutsche Wähler zu kriminalisieren. Der renommierte Staatsrechtslehrer Professor Murswiek ordnet diesen politischen Anschlag gegen die Demokratie rechtlich ein. Es lohnt sich, auch die verlinkten Quellen genau anzuschauen um sich ein unabhängiges Bild zu machen. (am)
Maximilian Tichy:
Wird die AfD nun verboten?
Dietrich Murswiek:
Auf keinen Fall. Die Entscheidung des Verfassungsschutzes, die AfD als gesichert rechtsextrem einzustufen hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht. Die Voraussetzungen für eine solche Feststellung sind auch nicht dieselben wie diejenigen für ein Verbot.
Maximilian Tichy:
Herzlich willkommen zu dieser Sendung bei Tichys Einblick. Eine Sondersendung, denn der Bundesverfassungsschutz hat jetzt entschieden, die AfD öffentlich auf Bundesebene als gesichert rechtsextrem zu bezeichnen. Bei mir zu Gast ist Dietrich Murswiek, Professor Dietrich Murswiek, einer der wichtigsten Staatslehrer in Deutschland für das Thema Verfassungsrecht.
Herr Murswiek, was bedeutet das denn jetzt konkret, dass der Bundesverfassungsschutz gesagt hat, die AfD sei gesichert rechtsextremistisch?
Dietrich Murswiek:
Das ist im Grunde genommen eine interne Einschätzung des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz hat sich selbst die Rechtsauffassung gebildet, die AfD sei gesichert rechtsextrem und diese Auffassung wurde zugleich heute der Öffentlichkeit mitgeteilt. Die Auswirkung einer solchen Feststellung oder einer solchen der Veröffentlichung einer solchen Feststellung ist zunächst mal nur politischer Natur. Natürlich ist das jetzt Wasser auf die Mühlen derer, die schon immer gesagt haben, die AfD sei verfassungsfeindlich. Jetzt kriegen sie das vom Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt und insofern ist diese öffentliche Einschätzung, die das Bundesamt abgibt, natürlich für die Gegner der AfD ein Instrument für ihre öffentlichen Kampagnen gegen die AfD.
Maximilian Tichy:
Die Frage, die ich mir stelle: Ist dieses Gutachten, über das heute berichtet wurde, dass es veröffentlicht wurde, dieses Gutachten ist geheim. Ein tausendseitiges Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das sagt, die AfD ist gesichert rechtsextremistisch, und dieses Gutachten ist geheim. Aber das Bundesamt gibt trotzdem diese Information heraus. Wie kann es sein, dass wir quasi ohne Gerichtsverfahren, ohne dass wir uns wehren können, quasi kafkaesk, hier von einem Geheimdienst verurteilt werden können?
Dietrich Murswiek:
Na ja es ist keine Verurteilung. Es ist eine Stellungnahme und die AfD hat auch die Möglichkeit, sich rechtlich dagegen zu wehren. Das Problem ist nur: Wenn die AfD jetzt Klage erhebt beim Verwaltungsgericht, dann dauert so ein Verfahren mehrere Jahre und bis das Verfahren mal zum Abschluss gekommen ist, steht die AfD natürlich unter diesem Verdikt, gesichert rechtsextrem zu sein. Das ist ein ganz massiver politischer Nachteil, den der Verfassungsschutz da der AfD aufgeladen hat. Insofern ist das schon ein starker Eingriff in die Chancengleichheit der politischen Parteien.
Maximilian Tichy:
Na ja, also es ist ja kein Urteil im gerichtlichen Sinne. Aber es ist ja durchaus, sagen wir mal, eine Art proaktive polizeiliche Maßnahme, könnte man fast sagen. Das ist, als würde die Polizei zu uns nach Hause kommen und uns die Laptops wegnehmen, weil wir irgendwas Böses gesagt haben, ohne dass ein Gericht das abgesegnet hat. Genauso ist es, wenn also der Geheimdienst oder der Inlandsgeheimdienst mit fast polizeilichen Maßnahmen da sich hinstellen kann und sagen kann: Das sind Rechtsextreme und ich kann mich dann in 5 oder 6 Jahren in dem Urteil dagegen wehren. Das ist ja irgendwie eine Umkehr dessen, wie ein Rechtsstaat funktionieren soll, oder?
Dietrich Murswiek:
Das kann man so sehen. Es ist ein Eingriff in die Parteienfreiheit, in die Chancengleichheit der politischen Parteien, und ein vorbildliches rechtsstaatliches Verfahren würde so aussehen, dass die betroffene politische Partei zunächst mal zumindest gehört wird, bevor ein solcher massiver Eingriff stattfindet. Es gibt ja den Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei belastenden Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Der Verfassungsschutz meint, für seine Aktivität gelte dieser Grundsatz nicht.
Das ist übrigens auch ein Punkt, den die AfD angegriffen hat in dem Verfahren gegen die Beobachtung als Verdachtsfall. Darüber wird das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden haben. Es ist auf jeden Fall ein aus meiner Sicht sehr, nicht nur problematischer, sondern rechtsstaatswidriger Punkt, dass hier ein schwerwiegender Eingriff vorgenommen wird, ohne dass die betroffene Partei die Möglichkeit hatte, vorher zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Sie kennt ja nicht einmal die Vorwürfe im einzelnen. Sie kennt nur diese Pauschalbehauptungen in der zweiseitigen Pressemitteilung, die das Bundesamt heute herausgegeben hat. Aber diese 1.100 Seiten Gutachten, die dem nach Auskunft des Verfassungsschutzes zugrunde liegen, kennt niemand im außerhalb des Verfassungsschutzes. Wie soll man sich dagegen wehren, wenn man das nicht kennt?
Natürlich, wenn die AfD jetzt klagt, dann wird sie einen Anspruch auf Akteneinsicht haben. Dann kommt sie auch an dieses Gutachten ran und kann sich dann äußern. Aber die Möglichkeit, sich dagegen zu verteidigen, erfolgt erst viel später als die Mitteilung an die Öffentlichkeit. Insofern ist ihre Frage vollkommen berechtigt.
In einem Verfahren das sozusagen mustergültig rechtsstaatlich wäre, sollte es umgekehrt sein. Erstmal sollte der Betroffene oder hier die betroffene Partei Gelegenheit haben, sich zu äußern, sich gegen Vorwürfe zu wehren, und erst am Schluss einer Überprüfung auch durch Gerichte sollte dann die Öffentlichkeit informiert werden, wenn sich die Vorwürfe auch gerichtlich bestätigen lassen.
Maximilian Tichy:
Eigentlich haben wir in Deutschland, so ist die Idee unserer Verfassungsväter und Mütter, der Grundgesetzväter und -mütter keine Geheimpolizei. Das war nie vorgesehen hier in diesem Land. Aber es gibt durchaus Leute, die sagen: Na ja, so wie der Verfassungsschutz einseitig aus sich selbst heraus seine Kompetenzen erweitert und jetzt auch ganz aktiv in die politische Willensbildung mit eingreift, bildet sich da eine solche Art Geheimpolizei heraus. Ist das eine richtige Einschätzung oder sagen Sie, das sieht noch ein bisschen anders aus?
Dietrich Murswiek:
Es geht in diese Richtung, könnte man sagen. Grundsätzlich gilt in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg das sogenannte Trennungsprinzip. Das heißt, Nachrichtendienste und Polizei sind organisatorisch streng getrennt. Der Nachrichtendienst der Inlands-Nachrichtendienst Verfassungsschutz hat laut Gesetz keine polizeilichen Aufgaben. Er hat also nicht die Befugnis, in Grundrechte Betroffener einzugreifen mit polizeilichen Maßnahmen, etwa Verhaftung und so weiter. Das darf der Verfassungsschutz nicht. Solche Maßnahmen sind der Polizei vorbehalten.
Aber dieser Grundsatz wird nun an einer politisch wichtigen Stelle durchbrochen. Nämlich, der Verfassungsschutz darf laut Verfassungsschutzgesetz und nach seiner eigenen Auffassung und seiner eigenen Praxis gemäß, die Öffentlichkeit warnen vor seinen Beobachtungsobjekten. Beobachtungsobjekte können hauptsächlich Vereinigungen sein, aber eben auch politische Parteien.
Die Warnung vor einem Beobachtungsobjekt ist ein Eingriff in deren Grundrechte. Das ist also nicht einfach das, was normal ein Nachrichtendienst, der keine polizeilichen Aufgaben hat, macht: Nämlich Informationen sammeln, Informationen speichern, sortieren und dann die Regierung darüber informieren. Das ist diese Nachrichten-Sammeltätigkeit. Die greift nicht unmittelbar in Grundrechte ein. Aber die Warnung vor einer Organisation gegenüber der Öffentlichkeit ist ein Eingriff in deren politische Betätigungsfreiheit, hier im Fall der AfD, in die Freiheit der politischen Parteien, sich politisch zu betätigen, und in die Chancengleichheit der politischen Parteien. Und insofern macht der Verfassungsschutz in der Tat etwas, was sonst die Polizei macht, nämlich: Sie nimmt Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Gefahrenvorbeugung wahr.
Da ist das Trennungsprinzip durchbrochen. Aber laut Gesetz darf der Verfassungsschutz das tun. Nur, wenn er das tut, dann muss er meines Erachtens auch alle rechtsstaatlichen Kriterien dabei beachten, die nach dem Grundgesetz vorgesehen sind für Eingriffe in Grundrechte.
Maximilian Tichy:
Was bedeutet denn diese Einschätzung des Bundesverfassungsschutzes jetzt konkret für die Partei und für ihre Wähler? Wenn ich AfD-Wähler bin oder sogar Mitglied der AfD war in der Vergangenheit, muss ich jetzt um meinen Verbeamtungsstatus fürchten? Muss ich jetzt mit Nachteilen im allgemeinen politischen Leben fürchten? Was kann jetzt konkret aus diesem diesem quasi-Urteil, diesem öffentlichen Urteil, nicht Gerichtsurteil, abgeleitet werden?
Dietrich Murswiek:
Also ich möchte das jetzt nicht umfassend beantworten für Angehörige des öffentlichen Dienstes und Beamte. Das muss man noch im einzelnen genauer prüfen. Aber tendenziell ist es so dass, die Rechtfertigungsanforderungen, die jetzt den Beamten auferlegt sind, die einer solchen Partei angehören, wachsen, wenn der Verfassungsschutz festgestellt hat, es sei jetzt erwiesen, dass diese Partei verfassungsfeindlich ist. Der einzelne Beamte, der Mitglied der AfD ist, der wird es jetzt schwerer haben, wird vielleicht eher mit einem Disziplinarverfahren überzogen werden, wenn es ihm nicht gelingt darzulegen, dass er sich von verfassungsfeindlichen Tendenzen innerhalb der Partei oder von dem, was der Verfassungsschutz jetzt als verfassungsfeindlich ansieht, in der Partei distanziert.
Maximilian Tichy:
Aber das ist ja irgendwie eine Falle: Der Verfassungsschutz sagt nur ganz allgemein, warum die AfD rechtsextrem sein soll, aber nicht konkret, weil Politiker – als Beispiel – weil der Herr Höcke XY gesagt hat... Das heißt, ich kann mich nicht konkret von einzelnen Aussagen oder Taten der AfD distanzieren, weil ich nicht weiß, was der Verfassungsschutz als rechtsextremistische Taten und Aussagen der AfD bewertet, weil das Gutachten nicht öffentlich ist. Also im Grunde ist es ja eine Falle, bei der ich mich nicht wehren kann gegen die Anschuldigung, auch um die Ecke rechtsextrem zu sein.
Dietrich Murswiek:
Ja, ganz so ist es nicht, weil man die Argumentation des Verfassungsschutzes ja kennt: Erstens aus früheren Gutachten, die inzwischen öffentlich sind. Zweitens aus den Verfassungsschutzberichten, die freilich nicht so ausführlich sind, und aus anderen öffentlichen Stellungnahmen des Verfassungsschutzes. Also, hier in dieser kleinen Pressemitteilung, die heute herausgegeben worden ist über die Einstufung als gesichert rechtsextrem, da stehen ja ein paar wenige Punkte drin, ein paar wenige Gründe, die der Verfassungsschutz nennt als Argumente, warum die AfD jetzt so eingestuft wird. Und insofern hätte auch das einzelne Mitglied die Möglichkeit sich von diesen Punkten zu distanzieren.
Aber allerdings gilt das nur so ganz im Groben, weil die Einzelheiten in der Tat nicht klar sind. Da fehlt es an konkreten Beispielen, damit ein Einzelner überhaupt erkennen kann, wovon er sich denn distanzieren müsste. Der Kernpunkt – vielleicht können wir darauf jetzt mal kommen – warum der Verfassungsschutz zu seiner Einschätzung gekommen ist, ist ja die These, dass die AfD einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ vertrete oder in dieser Pressemitteilung heißt es jetzt, ein „ethnisch abstammungsmäßiges Volksverständnis“ und das sieht der Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich an.
Ich halte diese Auffassung für falsch. Es ist auf jeden Fall so – und das hat das Oberverwaltungsgericht Münster auch festgestellt – dass die deskriptive Verwendung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs, also die Rede von einem durch Abstammung, Kultur, Geschichte gekennzeichneten Volks nicht in irgendeiner Weise als verfassungsfeindlich angesehen werden kann.
Man kann eine Menschengruppe als ethnisch-kulturell definiert beschreiben und diese Deskription hat keinen zielgerichteten politischen Aussagegehalt. Sie ist für sich genommen verfassungsschutzrechtlich vollkommen neutral.
Und nun meint allerdings der Verfassungsschutz, dass die AfD diesen Volksbegriff in einer Weise verwende, dass dadurch zum Ausdruck gebracht wird, die Zielsetzung bestimmte Gruppen der Bevölkerung aus dem gleichberechtigten gesellschaftlichen Diskurs auszuschließen und ihre ihnen verfassungsrechtlich garantierten Rechte vorzuenthalten, auch wenn sie eingebürgert sind. Also: Deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund sollen nach dieser Auffassung nicht die gleichen Rechte wie ethnisch-Deutsche haben. Ihr verfassungsrechtlicher Status soll, so meint der Verfassungsschutz, seitens der AfD abgewertet werden.
Ich habe mir das Urteil des OVG Münster* in dem dies auch das zentrale Thema war, daraufhin genau angesehen und kein einziges Zitat eines AfD Politikers gefunden, aus dem ich entnehmen konnte, dass dieser Politiker anstrebt, eingebürgerten Migranten einen schlechteren rechtlichen Status zuzusprechen als allen sonstigen deutschen Staatsangehörigen, insbesondere denen, die im ethnisch-kulturellen Sinne deutsch sind. Das ist eine Unterstellung, die der Verfassungsschutz hier macht, für die es keine wirklichen Belege gibt und leider hat das OVG Münster auch mit solchen Unterstellungen gearbeitet und deshalb eben die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, das ebenso argumentiert hat, zurückgewiesen, also ein Beweis für eine Zielsetzung der AfD, eingebürgerte Migranten rechtlich schlechter zu behandeln als andere Deutsche habe ich bis jetzt noch nicht gesehen.
Im Gegenteil gibt es ja offizielle Erklärungen der AfD, die genau das Gegenteil aussagen. Die AfD hat einen Beschluss gefasst zur deutschenStaatsangehörigkeit. In diesem Beschluss steht ausdrücklich drin, dass eingebürgerte Migranten dieselben Rechte, ohne jegliche Einschränkung, haben, wie alle anderen Staatsangehörigen.
Maximilian Tichy:
Also sie meinen, wir sind also in einer Situation, in der das Bundesamt für Bundesverfassungsschutz einen Vorwurf konstruiert, dass die AfD Bürger zweiter Klasse und Bürger erster Klasse haben möchte und deswegen rechtsextrem sei. Aber die AfD fordert überhaupt nicht – so zumindest ihre Auffassung oder ihre Beweislage – dass es gar keine solche Klassen geben soll?
Dietrich Murswiek:
Ja, so ist es.
Maximilian Tichy:
Es wirkt kafkaesk. Ich habe noch eine Frage zum „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“, weil der so die Runde macht. Was bedeutet es, dass das Amt für Bundesverfassungsschutz immer mehr diesen Begriff „ethnisch-kultureller Volksbegriff“ in einer quasi kriminalisierten Art darstellt? Also wir haben... Weil eigentlich ist die deutsche Verfassung... Dem deutschen Volke zugehörig ist, wer Deutsch ist, wer Staatsbürger ist.** Und laut verschiedenen Einbürgerungsmaßnahmen – historische Komponenten hat das Ganze auch... Wo kommt es plötzlich her, dass und mit welcher Begründung soll plötzlich also dieser „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ grundsätzlich unter Kriminalitätsverdacht gestellt werden?
Dietrich Murswiek:
Na ja das ist das Mittel mit dem der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem einordnen will. Man kann eigentlich das nur so sehen, dass der Verfassungsschutz sich selbst hier als politisches Instrument des Innenministeriums – in diesem Fall noch von Frau Faeser – versteht, um hier eine Möglichkeit zu finden, die AfD so einzuordnen, wie der Verfassungsschutz das tut.
Denn auf anderen Gebieten gibt es offenbar kaum Material, kaum Äußerungen von Politikern, die eine derartige Einschätzung rechtfertigen. Es ja auffallend, dass dieser Punkt „Missachtung der Menschenwürde“ durch diesen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ der einzige Punkt ist, auf den die Pressemitteilung von heute sich stützt.
Die AfD wird ja von ihren Gegnern laufend als nichtdemokratische Partei bezeichnet oder indirekt wird das dadurch zum Ausdruck gebracht, dass diese anderen Parteien sich als die „demokratischen Parteien“ bezeichnen und der Ausschluss der AfD nach dem, was ich über das Demokratieverständnis der AfD weiß, es eher so ist, dass sich die AfD besonders demokratisch hervortut, indem sie beispielsweise eine Stärkung der Demokratie durch Einfügung direktdemokratischer Elemente ins Grundgesetz fordert.
Also irgendeine programmatische Äußerung in den offiziellen Parteibeschlüssen oder bei Parteipolitikern, die gegen die Demokratie gerichtet ist, habe ich da bislang nicht gesehen. Und Entsprechendes gilt für die Rechtsstaatlichkeit. Auch da hat man, soweit ich sehe, kein Material in der Hand, mit dem man darlegen könnte, dass die AfD sich gegen den Rechtsstaat richtet. Also diese Stoßrichtung, diese angebliche Stoßrichtung gegen die Menschenwürde scheint das Einzige oder jedenfalls der zentrale Punkt zu sein, mit dem der Verfassungsschutz hier arbeitet und das ist der Grund, weshalb der „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ so in den Vordergrund gerückt wird, weil der Verfassungsschutz meint, damit die AfD so einordnen zu können.
Das Ganze beruht auf einem Fehlverständnis des NPD-Urteils durch den Verfassungsschutz im NPD-Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht in der Tat damit argumentiert, dass die NPD einen verfassungsfeindlichen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ verwende. Aber beim Bundesverfassungsgericht war es so, dass das Bundesverfassungsgericht dargelegt hat, dass die NPD den Begriff des Staatsvolkes mit dem des „ethnisch-kulturellen Volkes“ gleichsetzen bzw zur Deckung bringen wolle, dass es also zur Zielsetzung der NPD gehörte, alle Menschen, die nicht „ethnisch-kulturell Deutsche“ sind, aus dem Staatsvolk auszugrenzen.
Das ist in der Tat eine eklatant verfassungsfeindliche, rechtsextremistische Zielsetzung und was der Verfassungsschutz jetzt macht, ist, dass es nur den ersten Teil dessen, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, heranzieht, nämlich: Die AfD verwende einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ und den zweiten Teil, nämlich, dass damit gemeint sei, die „ethnisch-Nichtdeutschen“ sollten ausgegrenzt werden aus dem Staatsvolk oder jedenfalls Staatsbürger zweiter Klasse werden, das wird nicht nachgewiesen, sondern einfach unterstellt.
Der Verfassungsschutz behauptet jedenfalls auch wieder in dieser Pressemitteilung, dass diese Zielsetzung sozusagen im „Begriff des ethnisch-kulturellen Volkes“ impliziert sei.
Das ist völliger Unsinn! Aber damit arbeitet der Verfassungsschutz seit einigen Jahren und je öfter das Ganze wiederholt wird, desto mehr prägt es sich in den Köpfen der Menschen ein und viele glauben tatsächlich, dass die AfD andere Menschen aus dem Staatsvolk ausgrenzen wolle aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Aber davon kann keine Rede sein, nach allem, was ich bis jetzt gelesen habe.
Maximilian Tichy:
Also um es zu verbildlichen: Es gibt ein „ethnisch-kulturelles“ oder es kann ein „ethnisch-kulturelles deutsches Volk“ geben und das zu sagen, ist nicht rechtsextrem. Das sind Menschen, die dem deutschen Volk verbunden sind, aber nicht zwangsweise Deutsche sind. Es könnten ja auch Wolga-Deutsche sein oder Siebenbürger-Deutsche. Viele von ihnen sind deutsche Staatsbürger, aber es ist nicht deckungsgleich. Aber das darf man sagen. Aber was rechtsradikal wäre, wäre zu sagen: „Um deutscher Staatsbürger zu sein, muss man dem ethnisch-kulturellen deutschen Volk angehören. Das bedeutet, Sorben, Friesen, Dänen, Menschen die eingewandert sind, dürfen nicht Staatsbürger sein.“ Und das ist...
Dietrich Murswiek:
Das ist verfassungwidrig.
Maximilian Tichy:
Ja, diese Einschränkung ist sozusagen verfassungswidrig. Vielen Dank.
Dann, eine Frage habe ich noch, weil Sie den politischen Einfluss angesprochen haben. Frau Innenministerin, noch Innenministerin, Faeser sagte, das Urteil bzw. das Gutachten sei unter keinerlei politischem Einfluss entstanden. Gleichzeitig ist aber der Verfassungsschutz dem Innenministerium weisungsgebunden. Er muss sich direkt beim Bundeskanzleramt melden mit allem was er tut. Kann man wirklich davon sprechen, dass die deutschen Geheimdienste von jedem politischen Einfluss frei sind nach der deutschen Konstruktion unseres Staates?
Dietrich Murswiek:
Ja, die Antwort ergibt sich schon aus ihrer Frage. Der Verfassungsschutz, also das Bundesamt für Verfassungsschutz, ist eine dem Bundesinnenministerium nachgeordnete und weisungsgebundene Behörde und man kann jetzt drüber spekulieren ob Nancy Faeser da irgendeine Weisung erteilt hat. Das muss aber gar nicht der Fall sein. Natürlich arbeiten die Beamten im Verfassungsschutz vor dem Horizont dessen, was das Innenministerium vorgibt. Die Beamten wissen natürlich, was die Innenministerin gerne hören oder lesen will und richten sich im Zweifel daran. Insofern ist das natürlich ein Gutachten, was nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm vollkommen unabhängig von politischen Einflüssen entstanden ist.
Maximilian Tichy:
Ist es eine Fehlkonstruktion des deutschen Grundgesetzes, dass es diese Abhängigkeiten zur aktiven Politik immer wieder gibt? Das ist beim Verfassungsschutz der Fall, bei Staatsanwälten. Es ist sogar bei Richtern der Fall, weil die Richterauswahl ja auch nicht aus dem Nichts geschieht oder aus dem Richtertum selbst, sondern aus der aktiven Politik?
Dietrich Murswiek:
Ja, es ist möglicherweise zu einer Fehlkonstruktion geworden im Laufe der Zeit. Solange wir einen Beamtenapparat hatten, der sich politisch wirklich neutral verstand und seine Aufgaben so wahrnahm, wie Verfassung und das Gesetz es erfordern, nämlich wirklich ungeachtet politischer Wünsche der ministeriellen Spitze, hat das Ganze wohl einigermaßen gut funktioniert. Aber in letzter Zeit sehen wir Entwicklungen, die man wohl immer mehr als politische Instrumentalisierung wahrnehmen kann.
Das gilt beim Verfassungsschutz. Das gilt auch bei manchen Staatsanwaltschaften, wobei man sagen muss: Es gibt sicherlich tausende Staatsanwälte in Deutschland, die nach wie vor ihren Job vollkommen ohne politischen Impetus ganz neutral betreiben. Aber es hat ja in letzter Zeit doch einige sehr erschreckende Beispiele dafür gegeben, wie Staatsanwälte Anklagen erhoben haben wegen politischer Meinungsäußerungen, die ganz offensichtlich durch die Meinungsfreiheit gedeckt waren.
Maximilian Tichy:
Noch eine Verfahrensfrage: Wäre es vielleicht zum Vorteil der AfD, wenn es zu einem Verbotsverfahren kommt? Das ist ein Argument, dass ich vor einiger Zeit gelesen habe und da würde es mich sehr interessieren, was ihre Meinung dazu ist? Denn ein Verbotsverfahren würde auch bedeuten, der Verfassungsschutz müsste offenlegen, wer seine Quellen sind und seine Quellen aus der AfD abziehen. Das heißt, wir könnten sehen, wer spricht für die AfD wirklich das aus, was der Verfassungsschutz beanstandet, ohne durch den Verfassungsschutz dazu aufgefordert zu werden?
Dietrich Murswiek:
Das ist schwer zu beantworten. Also, ich glaube eigentlich nicht, dass die AfD jetzt schon sehr stark durchsetzt ist von verdeckten Mitarbeitern des Verfassungsschutzes. Aber das kann niemand wissen und es wäre sicherlich von Vorteil, wenn man das wüsste.
Im übrigen ist es so, dass in einem Verbotsverfahren die AfD die Chance hätte, zu beweisen, dass sie vollkommen klar auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundnung steht und wenn ihr das gelänge, wäre das Thema ein für alle mal vom Tisch. Natürlich ist ein Verbotsverfahren auch für die AfD nicht risikofrei. Man weiß nie, wie letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Aber wenn das Bundesverfassungsgericht bei den Kriterien bleibt, aufgrund derer es bis jetzt entschieden hat, dann müsste es meiner Auffassung nach zu dem Ergebnis kommen, dass die AfD nicht verboten werden kann, weil die Verbotsvoraussetzungen im Augenblick nicht vorliegen.
Es ist ja so, dass ein Verbot selbst dann noch nicht ausgesprochen werden könnte, wenn es zuträfe, dass die AfD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt – also das, was hier der Verfassungsschutz über das „ethnisch-kulturelle Volksverständnis“ sagt, rechtlich so richtig wäre – sondern hinzukommen müsste ja noch eine aktiv-kämpferische Haltung mit der die AfD darauf ausgeht einen Grundsatz der freilich demokratischen Grundnung, also hier die Menschenwürdegarantie, zu beseitigen. Und solche Bestrebungen, die Menschenwürdegarantie abzuschaffen, die lassen sich nicht ansatzweise in dem erkennen, was die AfD bis jetzt gesagt oder getan hat.
Maximilian Tichy:
Herr Professor Murswiek, ich danke Ihnen für das Gespräch und für ihre Einschätzungen.
Dietrich Murswiek:
Gerne.
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* Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 13. Mai 2024
** Artikel 116 Absatz 1 GG :„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“
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Quelle: Tichys Einblick