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Immanuel Kant und internationale Beziehungen der Neuzeit

06. April 2013

Immanuel Kant und internationale Beziehungen der Neuzeit

von Prof. Dr. habil., Oberst i.G.a.D. Wjatscheslaw Daschitschew, Russische Akademie der Wissenschaften, Zentrum für internationale wirtschaftliche und politische Studien, Wirtschaftsinstitut

 Der theoretische Nachlass von Kant, insbesondere sein Traktat «Zum ewigen Frieden» kann und muss auch heutzutage als die unabdingbare Norm des Verhaltens der Staaten, vor allem der Grossmächte, in der Weltarena dienen.

Leider machten sich europäische Politiker seine Lehre nicht zu eigen. Statt des ewigen Friedens kam es in Europa und auf anderen Kontinenten ununterbrochen zu Kriegen. Die europäischen Völker erlebten im 20. Jahrhundert den Schrecken zweier «heisser» und eines «kalten» Weltkrieges. Das Perpetuum mobile von Kriegen und Konflikten dreht sich ständig, auch im 21. Jahrhundert.

In seinem philosophischen Traktat «Zum ewigen Frieden» formulierte Kant die wichtigsten «Verbotsgesetze», von denen sich die Staatsmänner in ihrer Politik auf internationaler Ebene unbedingt leiten lassen sollten, um den Frieden nicht zu gefährden und den Ausbruch von Kriegen verhindern zu können. Wie lauten diese Gesetze?

«Kein Staat darf sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates gewaltsam einmischen.»

So begründete Kant das fundamentale Prinzip des Völkerrechts   – die Souveränität jedes Staates, deren Verletzung oder Zerstörung der Anfang allen Übels für die internationale Gemeinschaft ist und auch zur Entfesselung von internationalen Konflikten führt. Die willkürliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, so Kant, kann «nur die Anarchie» in internationalen Beziehungen heraufbeschwören. Er war der Meinung, zwischen den Staaten sei der Krieg zum Zwecke der Bestrafung (bellum punitivum) unzulässig. Es wäre verhängnisvoll, die Staaten nach dem Prinzip «Suzerän (Lehnsherr)   – Vasall» zu gliedern.<

Im Gegensatz zu Kant betrachten die ­Politiker in Washington «Bestrafungskriege» ­(Jugoslawien, Afghanistan, Irak) als eine normale und notwendige Praxis. Sie schrecken nicht davor zurück, das eigene Volk und die Weltöffentlichkeit durch falsche Vorwände und primitive Argumente irrezuführen, um diese Kriege zu rechtfertigen und entfesseln zu können.
Das Problem der Souveränität eines Staates sieht heute, im Zeitalter der schnell voranschreitenden Internationalisierung, natürlich anders aus als in der Vergangenheit. Unter den Verhältnissen der regionalen oder kontinentalen Integration, wie das in der EU der Fall ist, können einzelne Staaten einen Teil ihrer Staatshoheit an die gemeinsame internationale Organisation freiwillig delegieren, wenn das ihren sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen entspricht. Das steht nicht im Widerspruch zu dem von Kant formulierten Prinzip der Nicht­einmischung. Er hielt die gewaltsame Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates für unzulässig. Das schliesst aber die Einwirkung der internationalen Gemeinschaft auf die Führung eines Staates nicht aus, wenn zum Beispiel diese Führung durch ihre Handlungen den Frieden und die Stabilität in einer Region oder auf globaler Ebene gefährdet.

Quelle:
http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=981

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