Gedanken zur Präimplantationsdiagnostik PID

von Erika Vögeli
07. Juni 2015
Wenn wir [in der Schweiz] am 14. Juni über die Vorlage bezüglich Präimplantationsdiagnostik abstimmen sollen, stehen wir [nicht nur in der Schweiz] vor einer komplexen Fragestellung.

Konkret geht es um die Änderung von Art. 119 der Bundesverfassung, damit Gentests   – die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID)   – bei im Reagenzglas hergestellten Embryonen durchgeführt werden dürfen. Die PID soll im Fortpflanzungsmedizingesetz erlaubt werden. Der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates wollte die PID nur für jene Elternpaare zulassen, die um die Gefahr der Weitergabe einer schweren Erbkrankheit wissen. Um nicht von vornherein auf die Erfüllung des Kinderwunsches verzichten zu müssen, soll die PID erlauben, eine mögliche Vererbung solcher Krankheiten auszuschliessen.

Der Vorgang als solcher wirft bereits eine Reihe ethischer Fragen auf. Mit der Neuformulierung des Gesetzesartikels durch eine Parlamentsmehrheit stellen sich diese aber neu und in ganz anderer Brisanz. Jeder der künstlich erzeugten Embryonen soll auf Erbkrankheiten und mittels «Preimplantation Genetic Screening» auf überzählige oder fehlende Chromosomen getestet werden können. Während der geltende Verfassungsartikel die In-Vitro-Fertilisation für so viele Embryonen zulässt, als der Frau «sofort eingepflanzt werden können», würde der geänderte Verfassungsartikel die PID ermöglichen, wobei «so viele menschliche Eizellen ausserhalb des Körpers der Frau zu Embryonen entwickelt werden [dürfen], als für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind.» (BV Art. 119 Abs. 2c) Was heisst das? Wozu diese unklare Ausweitung und Abkoppelung von Frau und Schwangerschaft? Heute mag der Embryo noch geschützt sein, bevor er in die Gebärmutter eingepflanzt wird. Wie lange noch? Und was steht uns dann bevor?

Die Diskussion um Menschenzüchtung im Sinne genetischer Auswahl ist in unseren Medien bereits lanciert (vgl. «Nur das Beste für den Nachwuchs», Neue Zürcher Zeitung vom 17. April 2015). Eugenik nannte man das in den 1930er Jahren    – der Begriff weckt allerdings abstossende Erinnerungen an «Herrenmenschen»auswahl. Daher segelt die Diskussion um die «technologische» Verbesserung des Menschen heute unter dem Begriff «Transhumanismus». Die Vorstellung ist in ihrer Essenz nichts anderes: Unter Berufung auf Vernunft und Wissenschaft wird eine Verpflichtung auf Fortschritt abgeleitet, der auch eine «Ausweitung» der menschlichen Natur mittels technologischen Mitteln hin zum «Posthumanen» oder «Transhumanen» beinhalten soll. Aber:

Wer will hier die Richtung angeben? Welche «Menschheit» soll hier angestrebt werden? Wer definiert, was  «Fortschritt» wirklich ist? Wer masst sich an, eine solche künstliche «Evolution» zu bestimmen? Nebenbei: Um das geklonte Schaf «Dolly» ist es nach einem weltweiten Hype erstaunlich ruhig geworden. Bisher haben sich auch die Vorstellungen, mittels gentechnisch entwickelter Verfahren sogenannte Gentherapien entwickeln zu können, trotz Milliardeninvestitionen nicht realisieren lassen. Und auch im Bereich des Human Brain Project bringen alle neuen Erkenntnisse vor allem das wachsende Bewusstsein mit sich, dass wir noch unendlich wenig wirklich wissen und verstehen. Das bedeutet natürlich auch, dass wir vielleicht etwas «machen» können   – die Folgen solcher Eingriffe in die Natur allerdings überblicken wir nicht (vgl. auch Kasten).

Bei aller Achtung vor den Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer  Entwicklungen gehören die Erzeugung des Kosmos, unseres Planeten oder des Lebens und die «Gestaltung» der menschlichen Natur nicht zu den menschlichen Fähigkeiten und Aufgaben. Selbstverständlich hat uns die medizinische Forschung zum Beispiel unendlich viele segensreiche Errungenschaften gebracht. Ohne sie würden viele von uns, von unseren Nächsten oder Freunden und unzähliger Menschen auf der Welt nicht mehr leben oder nur mit viel schwereren Beeinträchtigungen, als das dank der heutigen Errungenschaften möglich ist. Die Medizin hat uns das Leben erleichtert, ermöglicht Gesundung, wo früher alles hoffnungslos schien, sie lindert Schmerzen und Leid, das sonst unerträglich wäre. Dafür sind wir alle sehr dankbar. Aber menschliches Leid, Krankheit oder Beeinträchtigung der Lebensführung werden sich nie ganz ausschliessen lassen, sie sind Teil unseres Lebens und eine Aufgabe, der sich jeder früher oder später in irgendeiner Form stellen muss. Es geht daher nicht nur um die Frage der faktischen Machbarkeit, es geht auch um die Wirkungen, welche diese ganze Diskussion um Human Enhancement, um «Verbesserung» des Menschen auf uns selber hat, auf unsere Einstellung zum Leben und dem Menschsein und zu seiner auch inskünftig unausweichlichen Unvollkommenheit.

Was in dieser ganzen Diskussion kaum thematisiert wird, ist auch die Tatsache, dass die ganzen Vorstellungen über das menschliche Genom nicht so einfach zu sein scheinen, wie man sich das einmal erhoffte. Es sind nicht einfach Eigenschaften auf den Chromosomensträngen zu finden und entsprechend verfügbar zu machen. Und viel zu wenig berücksichtig wird auch, was verschiedene Forscher zum Beispiel aus der Perspektive der Epigenetik einbringen: die Beobachtung, dass im Zuge des Lebens ein stetes Wechselspiel von genetischen Gegebenheiten mit Einflüssen aus biologischer und sozialer Umwelt stattfindet, was viele scheinbar sichere Prognosen weit unklarer erscheinen lässt.

Aus psychologischer Sicht möchte man beifügen: Hier wie vielleicht sonst kaum zeigt die Erfahrung, dass jeder Mensch vom ersten Lebenstag an als einzigartiges, einmaliges Individuum mit seiner sozialen Mitwelt in Austausch und Auseinandersetzung tritt und sich im Zuge dieses Prozesses seine ebenso einmalige, unverwechselbare Persönlichkeit bildet. Bei aller grundlegenden Gleichartigkeit menschlicher Wesen scheitern alle genetischen Vorstellungen über Vererbung von Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen   – übrigens auch der Intelligenz   – an dieser Tatsache. Das heisst nicht, dass wir keine Bedingungen ausmachen können, die einer gesunden körperlichen, seelisch-geistigen und sozialen Entwicklung dienlich sind. Die Menschen ringen darum, seit es sie gibt, und wir heutigen profitieren von unzähligen Menschen, die zu diesen Erkenntnissen beigetragen haben.

Wir sind nun einmal soziale Lebewesen, die ohne Mitmenschen nicht lebensfähig wären und unser Menschsein nur im zwischenmenschlichen Bezug voll entfalten können. Wir sind nicht einfach eine Sammlung von Genen, die optimal nach Wunsch ausgewählt werden können und dann zu einem Menschen nach Vorstellung werden. Wir sind eingebettet im Strom der Menschheitsgeschichte, Teil einer geschichtlichen, kulturellen, zwischenmenschlichen Entwicklung   – hier und heute geboren und gross geworden in einem spezifischen mitmenschlichen Umfeld.

Für die Erklärung vieler Krankheiten und Entwicklungen müssten diese Wechselwirkungen weit mehr in Betracht gezogen werden. Die blosse Betrachtung vorzufindender genetischer Gegebenheiten hat uns in den letzten Jahren den Blick in vielen Bereichen gründlich verstellt. Und auch hier noch eine Nebenbemerkung: Mit keinem Human Genom Project und keinem Human Enhancement lassen sich die Folgen all der Bomben und Raketen aus der Welt schaffen, deren radioaktiver Feinstaub sich in den betroffenen Ländern   – aber auch bei uns   – ausbreitet und irgendwann im Leben eines betroffenen Menschen zu Genbrüchen und Gendefekten und in der Folge zu bösartigen (Mehrfach-)Tumoren, Missbildungen und anderen Schäden führen können. Man hat die Diskussion über diese Zusammenhänge über Jahre und Jahrzehnte versucht abzuwürgen. Stellen wird sie sich uns eines Tages trotzdem.

Wenn «Human Enhancement» einen Sinn haben könnte, dann nicht als «Steigerung» des einzelnen im Konkurrenzkampf um einen Spitzenplatz, um genetische Selektion der «besseren» Gene, sondern als Ringen um Einsicht in unsere Natur und Entwicklungsrichtung für alle Menschen zu mehr Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden für alle. Alle Erfahrung zeigt: Es sind nicht Konkurrenzkampf und Selektion, sondern Austausch und Kooperation, die dem Wettbewerb der Vielfalt alle Möglichkeiten öffnen und die tragfähigsten und nachhaltigsten Erfolge zeitigen

Gentechnik: «…bislang nichts therapeutisch Anwendbares…»

«Trotz enormer staatlicher und privater Investitionen in die Gentherapieforschung und der Vergabe von Risikokapital in Milliardenhöhe an unzählige Biotech-Startups ist bislang nichts therapeutisch Anwendbares entwickelt worden.» (S. 32)

«Wo die proklamierte ‹genetische Revolution› bloss geblieben sei, fragt sich in einem Spiegel-Interview auch der Medizinethiker und Philosoph Urban Wiesing. ‹Es gab […] Vorhersagen, dass in 15 bis 20 Jahren die Medizin im Wesentlichen aus Gentherapie bestehen würde. Derzeit gibt es aber keine einzige mir bekannte Studie, die Gentherapie nah an der therapeutischen Nutz- und breiten Einsetzbarkeit untersucht. Kurzum: Im Bereich der Genetik wurden angesichts der neuen Entdeckungen Prognosen in die Welt gesetzt, die weit überzogen waren.›» (S. 32)

«Man hat zwar keine Ahnung, wo man hinrennt, tut dies aber immer schneller.» (S. 34)

aus Felix Hasler. Neuromythologie. Bielefeld 2012

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